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Foto: Clem Onojeghuo

Die Mode-Revolution: Wie Fashionblogger meine Sicht auf Mode veränderten

Individualismus statt Elite, bewusste Entscheidungen statt Kaufrausch – im letzten Jahrzehnt hat sich in der Modebranche einiges verändert, nicht zuletzt durch die Digitalisierung.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich meine Liebe für Mode entdeckt habe. Ist die kindliche Experimentierfreudigkeit bereits ein Indikator für eine Leidenschaft oder fing alles erst an, als ich mein erstes Hochglanzmagazin in meinen Händen hielt. Fast jeden Tag stand ich im ortsansässigen Zeitschriftenladen und blätterte durch die bunten Hefte. Ein Traumland von schwerem Tweed, leichter Seide, Stickereien, Applikationen, flacher und hoher Absätze, weichem Leder und harten Schnitten. Mit jeder neuen Saison kamen neue Inspirationen.So gut es ging, eiferte ich dem nach. Denn mit meinem bescheidenen Schüler-Geldbeutel war ich doch vielmehr H&M als Hermès. Eine fremde Welt, deren Zugang mir für lange, wenn nicht gar alle Zeit verwehrt schien, wäre dem nicht das Internet in die Quere gekommen.

Foto: Charisse Kenion

Modeblogger verändern die (Fashion-)Welt

Im Laufe der 2000er Jahre hatte sich das World Wide Web von den blinkenden und drehenden Webdesigns der Neunziger verabschiedet. Websites wurden gesellschaftlich etabliert und entwickelten sich weiter. Besonders Blogs gewannen an Popularität und bedienten schnell die unterschiedlichsten Genres. So auch in der Mode.

Neben Websites wie lookbook.nu reihten sich plötzlich die Blogs von Chiara Ferragni, Bryanboy oder Rumi Neely. Obwohl sich diese Modeblogger*innen nach kurzer Zeit ebenfalls in der Welt der Reichen und Schönen zurechtfanden, machten sie das Fashion Business doch nahbar.

Auch in Deutschland fanden Modeaffine schnell Nachahmer. Dustin Hankes “Shiggers On Street” war einer der ersten Blogs, auf die ich gestoßen bin. Bereit

s 2009 – mit gerade mal 14 Jahren – begann Dustin seine Leidenschaft mit Gleichgesinnten zu teilen. Seine Extravaganz wirkte auf mich überzeugender als die Haut Couture in den Zeitschriften. Plötzlich war Mode nicht nur etwas zum Nachmachen, sondern für jeden umsetzbar. Auf seinem Blog schreibt Dustin, dass seine Motivation, seine Idee Mode erfahrbar zu machen, daher rührte, dass er jungen Leuten Mut zusprechen wollte. „Viele meiner Leser sind, wie ich, in kleinen Städten aufgewachsen und haben mit ihrer Sexualität und mit Vorurteilen zu kämpfen, weil sie zu „schräg“ gekleidet sind.“ Ebendiese Intention eröffnete vielen Fashionistas (w/m und alles dazwischen) Tür und Tor in eine Welt, die bis dato hinter den VOGUE-Lettern unerreichbar schien. Mode wurde vielmehr eine Form des Selbstausdrucks, der Selbstverwirklichung, statt dem Diktat der Laufstege zu folgen. Streetstyle-Blogger*innen fotografierten Menschen auf der Straße, die vor allem durch ihren individuellen Look hervorstachen. Damit wurde die ganze Welt zu einer potenziellen Fundgrube für neue Inspiration: kleine Independent Labels, Mamas oder Omas Kleiderschrank, Flohmärkte, Secondhand- und Vintage-Ware. Abgrenzen statt anpassen. Neu erfinden statt nacheifern. Kontrastreich statt konform.

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Die Geburt der Fashion-Influencer

Der Erfolg der neuen Modevorbilder blieb auch im großen Business nicht unbemerkt. So tummelten sich bald auch Blogger auf den Fashion Weeks in Paris oder Mailand und rezensierten die Designs der alt-ehrwürdigen Marken. Schnell wurde die zweite Fashion-Generation zu wichtigen Kritikern – eine Ehre, die bis dato den Hochglanzmagazinen vorbehalten war. Berichte von Blogger*innen waren für das Publikum besonders spannend, da jeder Trends auf seine eigene Weise interpretierte. Für die Branche war es außerdem ein wichtiger Kanal, um neue Zielgruppen anzusprechen. Blogs hatten einen persönlichen Draht zu ihren Leser*innen und konnten somit Kaufentscheidungen positiv beeinflussen – so die Theorie. Modehäuser und Labels fingen an, den Blogger*innen ihre Produkte zur Verfügung zu stellen, oft in der Hoffnung oder im Austausch gegen das Versprechen, auf der jeweiligen Plattform aufzutauchen. Das Influencer*innen-Business war geboren.

Heute ist es kein Geheimnis mehr, dass die Blogger*innen mehr Kleidung geschickt bekommen, als zwei von ihnen in ihrem ganzen Leben tragen können. Dazu kommen noch die mehrstelligen Summen, die für Werbedeals mit den Influencer*innen bezahlt werden. In der Vergangenheit wurde schon mehrfach Kritik laut, dass die Abgrenzung zwischen Werbung und persönlicher Empfehlung zu wünschen übrig ließe. Eine Kritik, die sich auch in den eigenen Reihen wiederfindet und einige im Überfluss badende Blogger*innen dazu bewegt hat, sich vom großen Konsumzirkus abzuwenden.

Überfluss lässt umdenken

Madeleine Alizadeh ist mit ihrem Blog DariaDaria noch heute Vorreiter und Aushängeschild für eine ganze Bewegung. Vor ungefähr sechs Jahren beschloss die Bloggerin, künftig „Fast-Fashion-Unternehmen” zu meiden und ihren Leser*innen zu zeigen, dass Modeaffine auch abseits der üblichen Konsum-Höhlen Erfüllung finden. Madeleine plädiert neben dem Griff zu gebrauchter Ware dazu, nachhaltige Labels zu unterstützen, die eine transparente Produktionskette vorweisen können. Außerdem weiß sie aus eigener Erfahrung: Mehr macht nicht unbedingt glücklicher.

Eine Aussage, die auch Erste-Stunde-Blogger Dustin Hanke unterstützt: „Ich für meinen Teil habe immer kommuniziert: Hey, ihr braucht nicht so viel. Ich habe meine Sachen wahnsinnig oft kombiniert“, erzählt er im Interview mit dem Team von Qiio. Seit zwei Jahren hat Dustin keine neue Kleidung mehr gekauft. Zwar war er immer schon Vintage-Fan, allerdings sei das anfangs keine bewusste Entscheidung gewesen. Als hauptberuflicher Blogger habe er dann sehr viel Designerkleidung angehäuft. „Mittlerweile ist es aber so, dass ich mich sehr bewusst dagegen entscheide“. Schon wie zu seinen Anfängen hat Dustins Leidenschaft für Mode nichts mit dem „großen Business“ zu tun. Er selbst beschreibt sich als konsumkritisch, liebe aber Mode über alles. „Du brauchst nicht die neuesten Dinge, um modeaffin zu sein. Es kommt darauf an, was du aus deinem eigenen Style machst.“

Let’s get individual, let’s get the hype

Der eigene Style, also der Ausdruck der Individualität, hat bei den Mode-Fans heute große Relevanz. Durch die ständige Verfügbarkeit von Inspiration, aber auch durch das Online-Shopping, das jedem ermöglicht jederzeit und überall neue Kleidung zu finden, hat das „Shoppen“ an und für sich relativiert und lässt das Bedürfnis nach Einzigartigkeit wachsen. Damit wird nicht nur wichtig, was man anhat, sondern vielmehr wo und wie gekauft wird. Der Style ist viel mehr als eine oberflächliche Selbstverwirklichung, er kann eine Haltung repräsentieren oder bietet für diese eine Interpretationsfläche.

Den Weg dorthin haben Modeblogger für ihre Leser*innen erfahrbar gemacht und diese damit in ihrem Kaufverhalten geprägt. Fashionista Dustin Hanke glaubt das auch: „Ich merke vor allem, dass die Hemmschwelle zu sehr teuren Sachen sehr gering geworden ist“. Damit spricht er aus, was sich abseits der Anti-Konsum-Bewegung beobachten lässt. Modeaffine Jugendliche der heutigen Zeit bedienen sich den Subkulturen, die sich stilistisch schon immer abgegrenzt haben. Damit nehmen sie bestimmten Marken oder Motiven die Aussagekraft, die einmal mit dem Tragen bestimmter Kleidung einherging. Wer heute wie ein Skater oder Punk aussieht, muss weder Skateboard fahren können noch politisch sein. Dennoch dient das Image dem Tragenden. Man ist schließlich, was man trägt. Modehäuser wie Supreme profitieren von dem Hype und können ihre Ware hochpreisig an den Mann bzw. die Frau bringen. Mit limitierten Kollektionen wird das Individualitätsbestreben der Mode-Fans getriggert. Wer hat, der hat.

Foto: Art Charles

Ich bin fashion? Ich bin ich!

Eine Rückentwicklung zum einstigen Diktat der Laufstege und Hochglanzmagazine, nur dass heute Streetwear-Labels und Influencer die Fäden ziehen? Eher nicht. Gerade die Modewelt bietet einen riesigen Facettenreichtum. Vorreiter wie Madeleine oder Dustin zeigen, welches Spektrum dabei möglich ist, ohne sich einer Kategorie zu unterwerfen. Als Modeblogger bezeichnen sie sich heute beide nicht mehr. Madeleine ist heute hauptsächlich auf Instagram aktiv, hat einen Podcast, ihr eigenes „fair fashion“ Label und kämpft unter anderem weiter für eine nachhaltige Modebranche. Dustin arbeitet als Fotograf und Model. Mode-Fans bleiben sie trotzdem.

Ein bisschen wie ich. Auch wenn ich seit Jahren kein Hochglanzmagazin mehr aufgeschlagen und alle Fashion-Blogs de-abonniert habe, wenig Kleidung besitze und mich Supreme ungefähr so sehr interessiert, wie Miranda Priestly in Der Teufel trägt Prada die Freizeitaktivitäten von ihrer Assistentin Andrea. Trotzdem hat mich die jahrelange Lektüre der Magazine und Blogs geprägt und ich identifiziere mich mit dem, was ich anhabe und reflektiere mein Kaufverhalten und das anderer. Statt einer elitären Welt, die alle ausschließt, die sie sich nicht leisten können, sehe ich Mode mittlerweile als Spielraum für freie Entscheidungen und eine Möglichkeit herauszufinden, wer man ist und wofür man steht. Und das ist zum Glück keine Frage, die ein (voller) Kleiderschrank allein beantworten kann.