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Kompendium: Business of Beauty

Neben der Rekonstruktion verleiten im 20. Jahrhundert auch neue Schönheitsideale zu Schönheitsoperationen. Alles beginnt mit einem Satz Eselsohren.

Kompendium: Business of Beauty

Schönheit zahlt sich aus. Um voranzukommen, investieren manche Menschen Geld, das sie eigentlich nicht haben. Eine kluge Investition ist das nicht.

Kompendium: Business of Beauty

Schön ist, wer sich innerhalb scharf gezogener Grenzen bewegt. Wahre Freiheit darf nicht sein, denn sie schädigt das Geschäft. Davon werden die Konsument*innen bald genug haben.

Kompendium: Business of Beauty

Schönheit und Jugendlichkeit werden in Zukunft das Erkennungszeichen einer auf Gesundheit bedachten Gesellschaft. Das Geschäft ist einträglich und gibt einer alternden Erwerbsbevölkerung etwas zu tun.

Kompendium

Die Manipulation des Körpers war lange Zeit ein mysteriöses Geschäft und nur unter gefährlichen Schmerzen zu verwirklichen. Mit den Massenmedien stieg die Nachfrage und mit dem nötigen Geld kann heute jede*r an sich herumschneiden lassen. Der Markt boomt, denn Schönheit zahlt sich aus und von diesem Versprechen lebt eine ganze Branche. Eine Investition in die Schönheit lohnt sich dennoch nicht, denn die Rendite ist fraglich. Und in der nahen Zukunft könnte Schönheit ein vollkommen neues Gesicht bekommen.

Kompendium: Business of Beauty

Vor gut 5000 Jahren soll die erste Nasen-OP stattgefunden haben. In Europa experimentierten zwei sizilianische Ärzte mit der ersten Schönheitsoperation – ohne Betäubung. Ein schmerzhaftes Geschäft mit der Eitelkeit.

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Wie der Nose-Job nach Europa kam

Kompendium: Business of Beauty

Wie der Nose-Job nach Europa kam

Schon die alten Ägypter hatten vor inzwischen mehr als 3000 Jahren Nasen rekonstruiert. Bild: Gaspare Tagliacozzi (1597).

In Europa experimentierten zwei sizilianische Ärzte mit der ersten Schönheitsoperation der Nase – ohne Betäubung. Ein schmerzhaftes Geschäft mit der Eitelkeit. Gustavo und Antonio Branca gelten als die Pioniere der Schönheitsoperationen in Europa. Die Sizilianer verfeinerten Methoden, die in Asien schon seit tausenden von Jahren angewandt wurden. Ihr Geschäft ist noch nicht die Perfektion, sondern die Rekonstruktion: Seine Nase verlor man im 15. Jahrhundert in Kämpfen oder durch die Syphilis. 

Gustavo Brancas Sohn war auf Abwegen. Der junge Antonio war auf dem Weg, ein geachteter Chirurg zu werden, so wie sein Vater. Nasenoperationen hatten den Sizilianer im 15. Jahrhundert berühmt gemacht. Gustavo half Menschen, die ihre Nase an die neue Französische Krankheit verloren hatten, in einem Duell oder im Kampf. Seine Methode hielt er geheim, so hatten die Brancas in Europa lange Zeit ein Monopol auf die Rekonstruktion von Nasen. Der Eingriff war schmerzhaft, funktionierte aber in den meisten Fällen: Branca schnitt seinen Patienten einen Hautlappen aus der Stirn und ließ ihn an einer Seite

Antonio schnitt als Rekonstruktionsmöglichkeit einen Hautlappen aus und ließ ihn an einer Seite mit dem Körper verbunden. Dann fixierte er den Arm seines Patienten vor dem Kopf und zog die Haut über die verlorene Nase. Der Arm blieb viele Tage in dieser Position fixiert. Der Eingriff gelang in vielen Fällen. Bild: Gasparo Tagliacozzi (1597)

mit dem Kopf verbunden, um die Blutversorgung zu erhalten. Anschließend zog er die Haut über die beschädigte Nase. Auf der Stirn blieb die Narbe der abgezogenen Haut zurück. Für Gustavo Brancas Eingriffe reisten wohlhabende Kunden durch ganz Italien, wie heute Briefe belegen. 

Der Wunsch nach Normalität treibt die Methodik voran

Gusatvo Brancas Sohn, Antonio Branca, wollte seinen Patienten die Entstellung nehmen, so schreiben es die Ärzte Isabella und Riccardo Mazzola in einem Forschungsaufsatz. Haut hat der Mensch ja genug, warum sollte sie also ausgerechnet von der Stirn kommen? Blieb das Problem der Blutversorgung. Denn Haut wächst nicht einfach an, wenn man sie an einer Stelle abzieht und sie dann auf eine offene Wunde setzt. So findet sie keine Verbindung, schrumpelt zusammen und stirbt schließlich ab.

Antonio musste also weiterhin die Blutversorgung erhalten, bis die Heilung weiter fortgeschritten war. Der junge Branca ersann eine Methode, die uns heute wie Wahnsinn und Folter vorkommen mag. Er wählte den Arm, schnitt wieder einen Hautlappen aus, ließ ihn, wie sein Vater, an einer Seite mit dem Körper verbunden. Dann fixierte er den Arm seines Patienten vor dem Kopf und zog die Haut über die verlorene Nase. Der Arm blieb viele Tage in dieser Position fixiert. Der Eingriff gelang in vielen Fällen. War die Haut erfolgreich angewachsen, löste Antonio die Verbindung und der Patient konnte seinen Arm wieder frei bewegen. Dieses Vorgehen ist heute unter dem Begriff „italienische Methode” bekannt. Detaillierte Bilder hinterließ im späten 16. Jahrhundert der Chirurg Gaspare Tagliacozzi.

Das junge Geschäft mit dem Stolz

Das Geschäft der Brancas aus Sizilien war nicht die Veränderung oder die Anpassung an Moden. Ihr Geschäft war die Rekonstruktion des Verlorenen, die Wiederherstellung der Ehre und des Stolzes. Sie nahmen den Menschen die Demütigung, denn eine Nase verlor man in Europa meist durch Krankheit oder Krieg. Dieses Symbol der Schwäche tilgten die Chirurgen.

Aus westlicher Perspektive begründeten die sizilianische Ärzte die plastische Chirurgie. Doch tatsächlich stammte ihre Methode wahrscheinlich aus Aufzeichnungen aus dem arabischen Raum. Vielleicht war Gustavo Branca an eine Ausgabe der Sushruta Samhita gelangt, ein Nachschlagewerk, das ein indischer Arzt der Welt hinterlassen hatte. In Indien ist das Abschneiden der Nase bis heute eine gängige Strafe, um Diebe oder Ehebrecherinnen zu entstellen.  Und schon die alten Ägypter hatten vor inzwischen mehr als 3000 Jahren Nasen rekonstruiert, und zwar so, wie die Brancas es im 15. Jahrhundert taten. Immer war es die Not und die Verletzung des Stolzes, die die Methodik vorantrieb. Das sollte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ändern.

Weiterlesen Im ersten Weltkrieg wird Schönheit zum Geschäft
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Alicia Kassebohm.
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Im ersten Weltkrieg wird Schönheit zum Geschäft

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Im ersten Weltkrieg wird Schönheit zum Geschäft

Verwundete Soldaten in der Schlacht Foto: Wikicommons.

Neben der Rekonstruktion verleiten im 20. Jahrhundert auch neue Schönheitsideale zu Schönheitsoperationen. Alles beginnt mit einem Satz Eselsohren. Der Arzt Jacques Joseph wagt Ende des 19. Jahrhunderts eine Schönheitsoperation. Es kostet ihn seine Anstellung und wird zugleich die Grundlage seiner Karriere. Die erste Hälfte der Chirurgie des 20. Jahrhunderts wird von den zwei Weltkriegen geprägt. Viele Soldaten kehren verwundet und verstümmelt zurück, das erhöht den Innovationsdruck. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wird von den Massenmedien geprägt, ihr Idealbild der Frau wird zur Kopiervorlage.

Ein Foto von Arzt Jacques Joseph (1865-1934).

Jacques Joseph hatte die verzweifelte Mutter weggeschickt. Wie hätte er ihr auch helfen können? Dies war nicht die Aufgabe eines Chirurgen. Die Ohren ihres Sohnes waren groß und standen vom Kopf ab, er wurde gehänselt, litt an Schwermut und wollte nicht mehr die Schule besuchen. In der Berliner Universitätspoliklinik für orthopädische Chirurgie hatte die Mutter Hilfe gesucht. Joseph war zu dieser Zeit einer der Assistenten der Krankenhausleitung. Wir wissen nicht, was Joseph bewog, eigenmächtig zu handeln. Wir wissen nur, dass er einige Tage später der Mutter des Jungen Hilfe zusicherte und den Jungen heimlich operierte.

Der chirurgische Eingriff gelang. Joseph stellte ihn später bei der Berliner Medizinischen Gesellschaft vor. Seine Aufzeichnungen tragen den Titel „Eselsohren” und brachten ihm viel Anerkennung ein. Nur sein Chef wollte eine Operation ohne Rücksprache mit ihm und aus rein ästhetischen Gründen nicht dulden. Nach vier Jahren chirurgischer Ausbildung verlor Jacques Joseph seine Stelle. Vielleicht war es das Beste, was ihm und der ästhetischen Chirurgie hatte passieren können. 

Schwermut rechtfertigt das Geschäft

Joseph machte sich daraufhin mit einer Praxis in Berlin selbstständig. Im Jahr 1898 stand ein Mann vor ihm, der sich eine Verkleinerung seiner Nase erhoffte. Erneut gab es keinen gesundheitlichen Grund für diesen Eingriff. Joseph notierte in einem Fachaufsatz über diesen Patienten „dass der übrigens hochintelligente Herr sich in Folge der eigentümlichen [sic] Beschaffenheit seiner Nase im Zustande starker psychischer Depression befand“. Die Nasenoperation gelang.

Illustration aus dem Buch von Jacques Joseph „Exposé des divers procédés employés jusqu’à ce jour pour guérir de la pierre“ (1825).

Diese Eingriffe gelten in Deutschland als die ersten Schönheitsoperationen aus rein ästhetischen Gründen und machten Jacques Joseph berühmt. Joseph verfeinerte seine Technik, entwickelte eigene Instrumente, setzte Elfenbein als Ersatz für Knochen und Knorpel ein und operierte bald narbenfrei durch die Nasenlöcher. 

Joseph wollte die Schönheit auch messbar machen und entwickelte hierfür Skalen und Messinstrumente und definierte ideale Proportionen. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges erfuhr die Wiederherstellungschirurgie eine ganz neue Bedeutung.

Die Weltkriege fordern die Gesichtschirurgie heraus

Im Ersten Weltkrieg wurde Jacques Joseph als Sanitätsoffizier in der Reserve stationiert. An die Front musste er nicht, doch aus dem Krieg, der ein kurzer, glorreicher Siegeszug hatte werden sollen, kehrten noch einige Jahre später junge Männer verwundet und entstellt zurück. Elf Prozent der Verwundeten trugen schwere Gesichtsverletzungen davon und ihr Aussehen prägte das Straßenbild auf eine Art, die der Regierung missfiel, zeugten die Narben und Verstümmelungen doch von Niederlagen und ließen den Mut in der Heimat sinken – eine Bedrohung für die Kriegsmoral.

Korrektur einer komplizierten Kriegsverletzung an der Nase aus dem Jahr 1931. Bild: Wellcome Images.

Die Heeresleitung gründete an der Charité die Abteilung für Gesichtsplastik, ein Reservelazarett unter der Leitung Jospehs.. Der Mediziner operierte hier Menschen, die schwerste Verletzungen davongetragen hatten; ein Soldat hatte Nase, Wangenknochen, ein Auge und den Oberkiefer verloren. Die Geschichten von Josephs Arbeit gingen um die Welt und dieser Ruhm nährte seinen Reichtum: Ärzte aus Osteuropa, Indien oder den USA zahlten viel Geld, um an den Visiten teilzunehmen. Das einträgliche Geschäft mit der Normschönheit beschreibt der Journalist Egon Erwin Kisch so: „Der Herr Professor muß [sic] zuerst wissen, wie reich einer ist, danach läßt [sic]er sich die Operation bezahlen.” So kam es, dass Reiche viel Geld zahlten, Arme hingegen auch mal gar nichts.

Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus wurde Joseph die Arbeit zunehmend erschwert, denn er und seine Familie waren jüdisch. Ihm wurde seine Zulassung entzogen und mehrfach musste er ins Gefängnis. 1934 verstarb der Arzt an den Folgen eines Schlaganfalls.

Josephs Erbe: Ärzte experimentieren und die Schönheit wird zum Massengeschäft

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit des Wirtschaftswunders und wachsenden Wohlstands, rückt die Schönheitschirurgie endgültig in den Fokus vieler Ärzt*innen. Interessant werden nun auch Brust-OPs. In Texas experimentieren Mediziner 1961 mit Implantaten aus Silikon und werden bald erfolgreich. Doch bis die Implantate als einigermaßen sicher gelten, vergehen noch viele Jahre. Viele Patientinnen litten an auslaufendem Silikon, Verhärtungen und Narbenbildung.

Massenmedien und eine zunehmend mutigere Mode zeigen Frauenkörper mit einem neu festgelegten Ideal: Schlank und kurvig zugleich, scharf definierte Gesichtszüge. Was eigentlich nur wenige Körper kennzeichnet, wird zum globalen Megatrend. Schauspielerinnen wie Rita Hayworth und Marilyn Monroe lassen sich den Haaransatz behandeln, damit ihre Stirn größer wirkt. Marlene Dietrich lässt sich die Backenzähne entfernen, so wirken ihre Wangenknochen schärfer. Sie sind die Ikonen ihrer Zeit und ebnen den Weg für ein Massengeschäft.

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Alicia Kassebohm.
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Schönheit – eine reizvolle Fehlinvestition

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Schönheit – eine reizvolle Fehlinvestition

Das Schöne fällt auf und jede und jeder Einzelne sieht sich einem Selbstoptimierungsdruck ausgesetzt. Es ist nicht nur Eitelkeit. Es ist die Angst nicht mithalten zu können. Foto: Joey Lee.

Schönheit zahlt sich aus. Um voranzukommen, investieren manche Menschen Geld, das sie eigentlich nicht haben. Eine kluge Investition ist das nicht. Social Media hat den Einfluss der Massenmedien auf die Spitze getrieben: Jede*r sieht, was gerade als schön gilt. Influencer*innen bekommen kostenlose Verschönerungen, um zu werben. Wer die Reichweite hat, gibt das Schönheitsideal vor. Wer Reichweite will, eifert dem nach. Das ist teuer und zudem eine riskante Investition, sagen Wissenschaftler.

„Also ich hab dafür jetzt nichts bezahlt”, sagt die Fitness-Influencerin in ihrer Story. Sie zeigt ihre neuen falschen Wimpern und beschreibt die Prozedur detailliert. Echt und ehrlich, so wird sie wahrgenommen, selbst wenn sie mit aufgespritzten Lippen über ihre künstlichen Wimpern spricht. Mit ihrer protzigen Art ist sie ein Vorbild für viele junge Frauen. Eine Influencer-Kollegin wirbt in ihren Story-Highlights für ihre Zahnbehandlung, Updates postet sie regelmäßig, die Praxis ist immer getaggt.

Wer viele Social Media Follower hat, bekommt Handtaschen und Yogamatten gratis, um die Umsätze zu steigern, das ist bekannt und irgendwie unschuldig. Doch auch für Beauty-Behandlungen sind die Körper der Influencer*innen eine gute Werbeplattform. Und ausgerechnet das lässt sie noch authentischer wirken, denn die Fans lieben es, wenn ihre Vorbilder sich unperfekt zeigen. Das macht sie nahbarer als Topmodels oder Schauspieler*innen. Plötzlich wird das Ideal erreichbar – die Andere ist auch nicht perfekt, die Andere hat auch nicht mehr geleistet als ich. Vorher-Nachher-Fotos machen der Gesellschaft Hoffnung: Das könnte jede*r erreichen. Und Schönheit verspricht in der Gesellschaft der Gegenwart nicht weniger als die ganz großen Güter: Liebe, Wohlstand, Lebensglück.

Wer viele Follower auf den gängigen Social Media Plattformen hat, ergattert durch Werbedeals viele Produkte und sogar Dienstleistungen umsonst. Foto: Laura Chouette.

Der teure Schein

Jetzt müssten die Fans nur noch selbst das Geld für einen solchen Eingriff haben, um dem Leben ihres Ideals etwas näher zu kommen. Denn Social Media macht Werbung, sie macht aber vor allem eines: unglücklich, sagen Forscher. Zu sehen sind Menschen auf geschönten Ausschnitten ihres Lebens. Der Glaube wächst: Wirke ich reich und schön, kommen Reichtum und Schönheit automatisch in Form von Gratisprodukten und lukrativen Werbedeals zu mir. Doch Reichtum vorzutäuschen, kostet: Schönheit, teure Handtaschen, aufwendige Reisen um die Welt und für einige hundert Euro bietet eine russische Firma sogar einen Privatjet als Fotokulisse – bei Bedarf mit Fotograf. Wer hier mitspielen will, braucht Geld. Doch dass diese Investitionen sich auszahlen, wird zunehmend unwahrscheinlich. Auch Instagram verlangt inzwischen Werbegeld, wenn die Reichweite über das eher geringe organische Maß hinaus wachsen soll. Die Zahl der Instagram-Schönheiten wächst und mit ihr die Konkurrenz.

Und Schönheit verspricht in der Gesellschaft der Gegenwart nicht weniger als die ganz großen Güter: Liebe, Wohlstand, Lebensglück. Foto: Ian Dooley.

Schuldenfalle Schönheit

Der Glaube an die Chancen einer Schönheits-OP ist stark. Im Internet bewerben Vermittler Kredite für solche Eingriffe. In den USA wenden sich Unternehmen direkt an die Ärzte, die ihren Patienten die Kredite schmackhaft machen sollen. Die NY Times berichtet von Kreditzinsen von mehr als 20 Prozent. Eine Britin kam in die Schlagzeilen, weil sie sich für umgerechnet etwa 20.000 Euro operieren ließ, um wie Kim Kardashian auszusehen – nun ist sie hoch verschuldet. Weltweit, so berichtet die International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS), steigt die Zahl der Eingriffe. Fast 1,8 Millionen Brustoperationen wurden 2018 durchgeführt und mehr als 1,7 Millionen Fettabsaugungen. Mehr als 6 Millionen Mal wurde Botox gespritzt, mehr als 3,7 Millionen Mal Hyaluronsäure, berichtet die International Society of Aesthetic Plastic Surgery. In Deutschland sind die häufigsten invasiven Operationen Brustvergrößerungen, Fettabsaugungen und die Straffung von Augenlidern, Bauchdecken oder Brüsten. Bei den minimalinvasiven Eingriffen steht auch hier Botox auf Platz eins. 

Im Markt steckt Geld: Das Portal „Gehaltsreporter“ schätzt einen Jahresumsatz von 720 000 Euro pro Chirurg, bei höheren Preisen sei schnell die Million überschritten. Das Unternehmen „Inmode“ bietet Ausstattung für Schönheitschirurgen an und hatte im August 2020 einen Börsenwert von 1,22 Milliarden Euro. Die Beauty-Kette „M1 Kliniken“ berichtete 2019 von einem Umsatzwachstum von 18 Prozent und einer Gewinnsteigerung von 47 Prozent; Börsenwert im August: 161 Millionen Euro. Geschäftsstrategie: Preiskampf. Das Unternehmen „Medidate“ bringt Patient*innen und Ärzt*innen zusammen und verdient als Vermittler mit. Das Kreditinteresse wird beiläufig mit abgefragt. Und wer sich auf den Webseiten von Schönheitskliniken informiert, kann direkt ein Kreditangebot abfragen. Günstigen Preisen und Krediten steht die Luxusklasse gegenüber: Unternehmen wie „MS Aesthetics“ werben mit der „Supra-Klasse”. Die Mindestpreise werden direkt als Ratenzahlung ausgewiesen.

Weltweit, so berichtet die International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS), steigt die Zahl der Eingriffe. Fast 1,8 Millionen Brustoperationen wurden 2018 durchgeführt und mehr als 1,7 Millionen Fettabsaugungen. Mehr als 6 Millionen Mal wurde Botox gespritzt, mehr als 3,7 Millionen Mal Hyaluronsäure. Foto: Joey Lee.

Die meisten Menschen sind durchschnittlich

Das Schöne fällt auf und jede und jeder Einzelne sieht sich einem Selbstoptimierungsdruck ausgesetzt. Es ist nicht nur Eitelkeit. Es ist die Angst nicht mithalten zu können, denn die Normschönheit zahlt sich aus. Das spüren die Menschen intuitiv – und ökonomisch messbar ist es auch, hat die Ökonomin Soohyung Lee erforscht. Wer Schönheitsidealen entspricht, verdient mehr Geld, hat es leichter bei der Partnerwahl, gilt als intelligenter und kompetenter, wird eher befördert. Schönen Menschen unterstellen wir positive Eigenschaften, schon wenn wir sie sehen. Wir nehmen sie als freundlicher wahr. Lee wollte deshalb wissen, ob sich Investitionen in Schönheit lohnen. Nein, lautet ihre Antwort. Denn in der Regel ist der Nutzen von Schönheitsinvestitionen eher gering. Dazu kommen die unangenehmen Nebenwirkungen von Schönheits-OPs wie Schmerzen und Narben. Zu teuer sind die Eingriffe und zu gering die Verbesserung, berichtet Lee in ihrer Forschungsarbeit. Insbesondere die monetären Effekte seien „nicht substanziell”.

Warum Menschen das Geld trotzdem ausgeben? Lee nennt die Diskriminierung als Kernproblem. Werden Menschen aufgrund ihres Aussehens benachteiligt, können sie ihr Potenzial nicht entfalten – ökonomisch betrachtet also eher ineffizient. Wäre die Schönheit weniger ungleich verteilt, könnten die negativen wirtschaftlichen Effekte gemildert werden. Nennenswerte Einkommensgewinne gebe es nicht, da widerspricht die Forschung also vollkommen der Erwartung. Die Soziologin Kjerstin Gruys hat dafür bei den TEDx-Talks an der Universität Nevada eine griffige Erklärung vorgestellt: Werten wir Schönheit auf einer Skala von eins bis fünf, gibt es einige wenige Menschen, die entweder eine Eins oder eine Fünf sind. „95 Prozent der Leute sind eine Zwei, eine Drei oder eine Vier“. Also durchschnittlich. Und nur bei den Extremen sind sich die Bewerter eher einig – beim Durchschnitt zählt der persönliche Geschmack. Damit sich eine Investition lohnt, müssten wir also einen großen Sprung machen, ansonsten sei wenig gewonnen. Selten kann man über plastische Chirurgie von einer Zwei zu einer Fünf werden. Kredite für plastische Chirurgie sind daher eine unkluge Investition. Worin sollten wir also investieren? In unsere Beziehungen, rät Gruys. Nur damit können wir unser Lebensglück wirklich steigern.

Weiterlesen Aufbegehren der Andersschönen
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Aufbegehren der Andersschönen

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Aufbegehren der Andersschönen

Foto: Ike louie Natividad.

Schön ist, wer sich innerhalb scharf gezogener Grenzen bewegt. Wahre Freiheit darf nicht sein, denn sie schädigt das Geschäft. Davon werden die Konsument*innen bald genug haben. Der Wunsch nach Konformität ist in unserer Sozialisation verwurzelt und wird durch Werbung befeuert. Konsument*innen lehnen sich dagegen auf, Individualität und Natürlichkeit werden zum Trend und hergebrachte Ideale gesprengt. Wahre Individualität bedroht eine ganze Branche – doch Menschen wie Coach und Podcasterin Anastasia Umrik gibt sie Freiheit. Sie sagt: Die Abkehr von den Normen ist auch eine Abkehr vom Patriarchat.

Wer als „schön” gilt, ist groß, schlank, hellhäutig, und, wenn „exotisch”, dann bitte nach westlichem Schönheitsideal. Das ist das Schönheitsideal, mit dem heute Produkte und Schönheitsoperationen verkauft werden. Es ist eine Vorstellung, die in der Gesellschaft fest verwurzelt ist, schon Kindern wird sie anerzogen. In Ghana reiben Frauen gefährliche Bleichmittel auf ihre Haut. Chinesinnen lassen sich die Brüste vergrößern, die Augen öffnen, die Nasen verschlanken und manchmal sogar die Beine verlängern. „Body Neutrality”, die Idee, dass „Body Positivity“ nicht reicht, weil es gar nicht um Schönheit geht. Dass das Gefühl zählt, und nicht das Aussehen, wäre geschäftsschädigend für den Markt.

Doch die Konsument*innen haben dieses Ideal inzwischen satt. Was in der Werbung lange als Individualität verkauft wurde, war lediglich ein neues Schönheitsideal. Die Botschaft lautete: Du darfst so sein, wie du bist – aber nur innerhalb unserer Grenzen. Und wir verkaufen dir, was du dafür brauchst. Mehr wiegen darf, wer ein Gesicht mit glatter Haut und bestimmten Proportionen hat. Dunkle Haut ist erlaubt, wenn die Nase die richtige Form hat, so zeigt es die Werbung. 

Die Werbung für Schönheitsprodukte funktioniert, weil sie vielen Menschen Idealbilder als erreichbar verspricht – eine glatte Lüge. Wir sehen straffe Brüste, aber keine Narben. Wir sehen haarlose Beine ohne die roten Punkte, die eine Rasur für viele Frauen mit sich bringt. Wir sehen große Augen, die eine Wimperntusche nie so weit öffnen kann. Die Schönheit in der Werbung ist immer konstruiert – gefälscht mit optimiertem Licht und Bildbearbeitungsprogrammen. 

Doch was als schön gilt, ist reine Sehgewohnheit. Und dieses Bild soll sich künftig ändern. Frauen wie die Podcasterin und Beraterin Anastasia Umrik kämpfen mit ihren Projekten dafür. Umrik überschreitet alle Grenzen und zeigt dabei ihre Schönheit. Ihr Fotoprojekt „anderStark“ inszenierte Weiblichkeit, Stärke und Erotik, Verletzlichkeit und Mut an Frauen mit Muskelerkrankungen. Ihr Modeprojekt „InkluWas” hatte das Ziel, für die Vielfalt der Gesellschaft zu sensibilisieren.

Wie fühlt sich das an, wenn Werbung ein Ideal verspricht, das für dich unerreichbar ist?

„Lange hat es mich wütend gemacht. Ich habe mich vor einigen Jahren bei einer Modelagentur für Menschen mit Behinderung beworben. Die haben mir gesagt, ich sei nicht schön genug. Sie wollen also Behinderte haben, aber die dürfen nicht behindert aussehen: dünne Beine, dünne Arme, weil die Muskeln fehlen. Rollstuhl und deformierte Körperstellen. Ich dachte immer: Wer soll mich überhaupt schön finden?”

Umrik drückt sich sehr direkt aus, wenn sie über sich selbst spricht. Vielleicht schonungslos, aber sie wurde schließlich auch nicht geschont. Die Spinale Muskelatrophie begann, als sie ein Kind war.

Und heute?

„Heute beschäftige ich mich weniger mit den Unterschieden zwischen mir und den Frauen in der Werbung. Weil ich mich selbst schön fühle. Ich möchte mich gar nicht mit den anderen identifizieren.”

Und morgen? Wie kommst du zur inneren Stärke und was können wir von dir lernen?

„Ich konzentriere mich auf die Körperteile, die ich mag. Ich konzentriere mich nicht auf die, die sich auf einem Werbeplakat von mir unterscheiden. Ich konzentriere mich auf die Sachen, die mir an mir gefallen und dann bleibe ich dabei. Das ist radikale Akzeptanz. Und wenn sie nicht funktioniert: Genug Schlaf! Mich in Ruhe lassen. Das hilft mir immer.”

Und wie geben wir diese Kraft weiter?

„Es ist ganz wichtig, dass wir sie schon jungen Mädchen vermitteln. Und jungen Männern – auch Männer haben einen Knall, was das Thema Schönheit angeht. Ich würde so gerne an alle Menschen appellieren, dass wir unseren Kindern und den Kindern, die uns begleiten, ein gutes Körpergefühl vermitteln müssen. Dass wir den Kindern beibringen, sich selbst besser zu spüren. Je intensiver wir uns spüren, desto besser, unabhängiger und schön fühlen wir uns. Das war für mich so eine harte Arbeit! Ich habe so lange so viele Tiefpunkte erlebt. Das hätte nicht sein müssen, wenn meine Mutter oder Vater mich auch mal gefragt hätten: Wie fühlst du dich? Fühlst du dich schön? Ich glaube, dass Menschen, die auf sich selbst hören, sich attraktiver fühlen, als wenn sie die Antwort im Außen suchen.”

Dann bist du keine gute Konsumentin, du magst dich ja viel zu sehr. Wie muss Werbung sein, um dir etwas zu verkaufen?

„Nahbar. Ich möchte mich angesprochen fühlen. Und ich möchte das Gefühl haben, dass die Werbemacher sich mit dem Menschsein befassen. Ich möchte nicht mehr sehen, wie eine Frau irgendwem hinterherläuft. Ich möchte nicht mehr sehen, wie muskulös die Männer sind. Damit ich mich angesprochen fühle, gehören Emotionalität und Humor dazu.”

Wie kommen die werbenden Unternehmen und die Konsument*innen zu einer neuen Sehgewohnheit?

 „Wenn sich ein paar Firmen trauen würden, ein Model wie mich zu wählen, dann wären die Blicke erst einmal irritiert. An Menschen wie mich ist man in der Werbung nicht gewöhnt. Aber diese Kampagnen würden niemals aus den Köpfen gehen. Weil es so wenige machen. Dieser Mut fehlt

Doch was als schön gilt, ist reine Sehgewohnheit. Und dieses Bild soll sich künftig ändern. Foto: Waldemar Brandt.

bislang.”

Und wann sind wir so weit?

„Wenn wir jetzt anfangen, dann könnte meine kleine Schwester, die gerade 14 ist, gute Dreißiger erleben. Es dauert also noch ein wenig.”

Gefühlt gibt es in der Gesellschaft einen „Standard”, den es zu erfüllen gilt. Die Menschen, die gerade jung sind, spüren ihn ganz besonders durch Modelshows und prominente Instagrammer*innen. Wie kommen wir in der Zukunft weg von den Schönheitsnormen?

„Indem wir auf die bestehende Norm scheißen! Wenn wir da nicht mehr mitmachen, wenn wir erfahren, wer wir sind, was wir wirklich wollen. Und wenn wir nur diesem Wissen folgen. Keine engen Shirts, wenn wir es nicht wollen. Keine hohen Schuhe, wenn sie uns weh tun. Schön ist doch das Strahlen der Augen und diese neue Schönheit bekommt man nur, wenn man den eigenen Werten treu bleibt.“

Warum glaubst du, dass das passieren wird?

„Warum eine Veränderung generell unabdingbar ist? Weil Menschen sich zwar über einen gewissen Zeitraum verstellen und die eigene Wahrhaftigkeit verneinen können, aber irgendwann geht es nicht mehr. Nach so vielen Jahren Patriarchat können die Frauen einfach nicht mehr. Die Veränderung ist zwar auch Rebellion, aber auch ein Ziel nach einer langen Reise zu sich selbst.”

Weiterlesen Das Ende der Ungleich-Schönheit
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Kompendium: Business of Beauty

Das Ende der Ungleich-Schönheit

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Das Ende der Ungleich-Schönheit

Jugendlichkeit wird das Merkmal einer auf Gesundheit bedachten alternden Generation, es beeinflusst ihre Chancen am Arbeitsmarkt. Foto: Karolina Grabowska.

Schönheit und Jugendlichkeit werden in Zukunft das Erkennungszeichen einer auf Gesundheit bedachten Gesellschaft. Das Geschäft ist einträglich und gibt einer alternden Erwerbsbevölkerung etwas zu tun. Schönheit bleibt mit Jugendlichkeit verknüpft. In der Mitte des 21. Jahrhunderts investieren die Menschen, in die Jugend ihrer Körper. Neue Produkte und Dienstleistungen machen dies möglich – und bald auch notwendig. Jugendlichkeit wird das Merkmal einer auf Gesundheit bedachten alternden Generation, es beeinflusst ihre Chancen am Arbeitsmarkt. Eine Geschichte von der Schönheitsökonomie der Zukunft.

Einmal das Luxusprogramm wählen, das wäre es, was Silke sich wünscht. Fitnessinjektionen in die Muskeln, eine Porentiefenmassage und etwas Hyaluron für Knie und Hüfte. Silke sitzt im Sommer 2055 im Wartesaal eines großen Beauty-Zentrums in Köln. Sie wird im nächsten Frühling 70 Jahre alt und überlegt bald aus ihrem Job auszusteigen. Finanziell geht es ihr gut, sie hat seit etwa 40 Jahren konsequent für ihr Alter gespart. Und sie ist fit. Einige Jahrzehnte ist sie gejoggt, hat ihren Körper mit Yoga gestärkt, vegetarisch gelebt und Sonnenschutz aufgetragen. Im Beauty-Zentrum will sie sich Hals und Gesicht straffen lassen. Eine leicht unangenehme Prozedur, weil sie sie sich nur alle sechs Monate leistet. Wer öfter hier ist und ein besseres Programm wählt, der leidet weniger und erhält dank neuester Technologie nicht nur optische Jugend – auch das Innere des Körpers lässt sich heute behandeln. Doch Silke muss ihr Geld zusammenhalten, sie hat schließlich noch einige Jahrzehnte vor sich.

Ein Besuch im Schönheitszentrum als Alltagsroutine: Fitnessinjektionen in die Muskeln, eine Porentiefenmassage und etwas Hyaluron für Knie und Hüfte. Foto: Asso Myron.

Schönheit als Erkennungszeichen einer Generation

Jugendlichkeit hat ihren Preis im Deutschland der Zukunft. Sie hat aber auch ihren Wert. Schönheit strahlt Gesundheit aus und sie ist ein Erkennungszeichen der Menschen, die rechtzeitig vorgesorgt hatten, schon vor der großen Abspaltung. Das war im Jahr 2037, als das Rentensystem zusammengebrochen war und man entschieden hatte, dass es für künftige Generationen keine Altersvorsorge mehr geben würde. Die Nachricht hatte Silke schwer getroffen, doch der Trotz hat sie weitermachen lassen. Man achtete auf sich. Man hielt das Geld zusammen und war man früher in gute Restaurants mit internationaler Küche gegangen, war das Feierabendtreffen nun lieber ein Lauf im Park oder eine Meditationsstunde, um den Tiefschlaf zu fördern und so Falten und Entzündungsprozessen im Körper entgegen zu wirken. 

Die breite Masse gibt das Geld für die Schönheitszentren gern aus. Die Alten der Mitte des 21. Jahrhunderts sind gesund und sportlich. Sie haben Zeit, Energie und Geld investiert und das zahlt sich aus: Sie spüren das Alter weniger als die Generationen vor ihnen. Die Menschen der Naturalistenbewegung lehnen die Zentren ab. Die Selbstoptimierung ist ihnen zu teuer, zu fremd, zu unnatürlich. Einige von ihnen entstammen den inzwischen nur noch wenig verbreiteten christlichen Religionen, andere waren in den 2030ern bei den Technikstürmern aktiv. Es sind Menschen, die eine Sehnsucht nach Vergangenem treibt, aber auch die Angst, im Rennen um die glatteste Stirn und die strahlendsten Augen nicht mithalten zu können. Sie wollen lieber „in Würde altern”. Wer hingegen regelmäßig ein Beauty-Zentrum besucht, will oft genau diese Würde schützen, indem er die Zeichen des Alterns verbirgt.

Schönheit für alle, die sie wollen – Arbeit für alle, die sie brauchen

Schönheit strahlt Gesundheit aus und sie ist ein Erkennungszeichen der Menschen, die rechtzeitig vorgesorgt hatten, schon vor der großen Abspaltung. Foto: Katarzyna Grabowska.

Von diesem Geschäft profitieren alle. Als der Pflegenotstand im Jahr 2030 seine dramatische Hochphase erreichte, hatte die Bundesregierung health worker aus der ganzen Welt einfliegen müssen, um die Bedürftigen zu versorgen. Im Jahr 2055 sieht das anders aus. Wer heute alt ist, ist entweder topfit oder schwer krank und lebt in einem von der Gesellschaft finanzierten Pflegeheim. Die Menschen verbringen hier nur noch wenige Jahre am Ende ihres Lebens und die Heime tragen dafür Sorge, dass es gute Jahre sind. Gesundheit ist der dominierende Faktor der gesellschaftlichen Ungleichheit geworden. In der Pflege arbeiten gut ausgebildete und hoch bezahlte Fachkräfte, 30 Jahre zuvor hatten sie die 32-Stunden-Arbeitswoche erstreikt, seit 2045 sind es nur noch 24 Stunden. Für andere ist die Schönheit ein angenehmer Arbeitsplatz geworden. Zwar sind die Gehälter hier niedriger als in der Pflege, doch die Trinkgelder sind höher und der Job ist angenehm. Und während in einigen Branchen heute ein gesetzliches Höchstalter von 69 Jahren gilt, nehmen die Schönheitszentren auch ältere Mitarbeiter*innen an. 

„Willkommen”, sagt die Empfangsdame zu Silke, ihre Stimme ist warm und weich, kein bisschen kratzig. Sie ist eine der Alterslosen, eine Frau, der man zwar ein gewisses Alter ansieht, man weiß aber nicht genau, welches. Auch die Stimmbänder kann die moderne Technologie verjüngen, wenn die Alterslosen das nötige Geld mitbringen. Vielleicht sollte Silke eine von ihnen werden; sie lächelt bei dem Gedanken. Eigentlich ist sie Selbstfindungsberaterin. Doch vielleicht bekäme sie mit dem Job im Beauty-Zentrum auch das Luxusprogramm günstiger.

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