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Kompendium: Minimaler Konsum

Man muss nicht bibelfest sein, um im Christentum ein Leitbild für das Leben in Einfachheit zu erkennen: Nach dem Beispiel Jesu lebten Prediger, Mönche und Mystiker in einfachen Verhältnissen und frei von jeglichen Besitztümern. Als Reminder für das, worum es im Leben eigentlich geht.

Kompendium: Minimaler Konsum

Peace-Zeichen, Naturverbundenheit, ein Leben im VW-Bus: Die 68er stehen für einen Minimalismus im Sinne der Gedankenfreiheit und der Liebe zur Umwelt. Gleichzeitig münden sie jedoch in eine radikale Antwort auf den Massenkonsum.

Kompendium: Minimaler Konsum

Nach dem Glück sucht man heute einfach im App-Store: Wie uns Sharing-Plattformen zum Minimalismus missionieren.

Kompendium: Minimaler Konsum

Bloß keine Qualitytime verlieren. Mithilfe der Technik können wir den Fokus auf unsere individuellen Bedürfnisse legen.

Kompendium: Minimaler Konsum

Das Leben ist ein virtuelles Wunschkonzert: Virtual Reality schafft es, dass Hologramme und Chips uns das erleben lassen, was wir wollen. Schaffen wir uns dann also digital wieder eine Welt im Überfluss?

Kompendium

Freiwillige Einfachheit, Downgrading, Simplify – der Trend des Minimalismus hat heute viele Namen. Ganz akut scheint die Reduktion angesicht von Müllproblem und Klimawandel, immerhin besitzt der durchschnittliche Europäer 10.000 Dinge. Was bedeutet weniger zu besitzen und warum ist Einschränkung nötig, um unser Überleben in Zukunft zu sichern?

Kompendium: Minimaler Konsum

Jesus Christ Superstar – Idol der Mittelalter-Minimalisten

Kompendium: Minimaler Konsum

Jesus Christ Superstar – Idol der Mittelalter-Minimalisten

Jesus lebte seinen Jüngern ein Leben mit möglichst wenig Besitztümern vor. Jesus Ascension to Heaven 69" (CC BY 2.0) by Waiting For The Word

Man muss nicht bibelfest sein, um im Christentum ein Leitbild für das Leben in Einfachheit zu erkennen: Nach dem Beispiel Jesu lebten Prediger, Mönche und Mystiker in einfachen Verhältnissen und frei von jeglichen Besitztümern. Als Reminder für das, worum es im Leben eigentlich geht.

Münzen fallen klingelnd auf den Boden, schreiend reißt er sich die Kleider vom Leib und wirft sie seinem Vater vor die Füße. „Bis jetzt habe ich den Petrus Bernardone meinen Vater genannt. In Zukunft will ich sagen: Unser Vater, der du bist im Himmel“, soll Francesco Bernardone ausgerufen haben, während er mit seinem alten Leben in Reichtum Schluss machte. Bis zu dem Zeitpunkt war der heilige Franz von Assisi ein Partykönig, der das Geld seines Vaters, einem erfolgreichen Tuchhändler, verprasste, bevor er sich dem Leben ohne Besitz verschrieb. Vom rich kid zum tugendhaften Christen. Die Szene des Familienbruchs ergab sich auf dem Marktplatz von Assisi 1207, Franz war damals 25 Jahre alt. Fortan lebte er in und Demut – und predigte diesen Lebensstil auch. Fortan war er der Minimalist des Mittelalters.

Ein Leben ohne Hab und Gut – im Kloster ist es Alltag. By Rama, CC BY-SA 3.0 fr

Doch bereits Matthäus 10, 9-11 wies den Weg: „Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Gürteln haben, auch keine Tasche zur Wegfahrt, auch nicht zwei Röcke, keine Schuhe, auch keinen Stecken.“ Arm tat er es dem armen Christus gleich, begründete den Franziskus-Orden – die „minderen“ Brüder, wie er sie selbst nannte. Die Besitzlosigkeit des Klosterlebens stütze sich auf Widerstand gegen das Etablissements und Gottesfurcht: „Er kritisierte damit den reichen wohlhabenden Klerus des Mittelalters und den Reichtum derer, die in den Städten wohnten und zu Geld kamen. Dies hatte in gewissem Maße etwas Radikales, gar Revolutionäres”, erklärt die evangelische Theologin und Pfarrerin Dr. Annina Ligniez. Im Kontext des Christentums geht es bei der Entledigung von Unnötigem um den Tadel der Reichen und deren Ausbeutung. Gleichzeitig steht ein Leben in Armut für die Eintrittskarte in den Himmel: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“, heißt es in allen drei synoptischen Evangelien.

Frauenpower im mittelalterlichen Minimalismus

Female Empowerment ist jetzt absolut in – aber wie ging’s den starken Frauen, die durch selbstgewählte Einfachheit den gesellschaftlichen Normen des Mittelalters trotzten? „Ein wichtiger Punkt, denn es sind großartige Frauen gewesen, die die Mystik des Mittelalters geprägt haben”, bekräftigt Dr. Ligniez. „Hildegard von Bingen ist sicherlich eine Ausnahmeerscheinung gewesen, genau wie Katharina von Siena. Diesen Frauen ist es gelungen, sich Gehör beim Klerus und Papst zu verschaffen.”Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) sorgte in Deutschland sogar noch vor Lebzeiten des heiligen Franziskus für Furore durch ihre minimalistisch geprägte Denkweise. Sie war Äbtissin, Visionärin, Philosophin, Heilerin, Musikerin, Prophetin, Klosterbegründerin – und Minimalistin. „Wozu sollte ich mehr wünschen als ich brauche?“, schrieb sie in einem Text über Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Ihrer Auffassung nach fanden sich die Luxusgüter dieser Welt im Geiste. Und auch in ihren Naturheilverfahren, die bis heute relevant sind, spiegelt sich der Bezug zur Einfachheit wider. Die Medizin der Pflanzen allein, das Wissen um die Kraft der Natur, kann von Leid befreien. Von Katharina von Siena (1347 bis 1380) stammt zum Beispiel der Satz: „Alles was uns in diesem Leben gegeben ist, ist zum Gebrauch und als Leihgabe übergeben“. Auch sie kam aus reichem Hause, lebte aber in frommer Hingabe zurückgezogen und einfach.

Die Minimalisten des Mittelalters lebten gefährlich und wurden nicht selten als Ketzer verbrannt. Von Stefano di Giovanni – Public Domain

Franziskus, Hildegard und Katharina – die drei Heiligen verbindet viel. Vor allem war ihnen jedoch gemein, dass sie durch ihre Lebensweise radikal Kritik an der Kirche ausübten – und deshalb auch einstecken mussten. Sie wurden angefeindet und insbesondere Franz von Assisi stand kurz davor offiziell zum Ketzer erklärt zu werden. Nach seinem Tod wurden vier Ordensmänner, die beabsichtigt hatten nach seinen Regeln zu leben, nach dem Inquisitionsurteil von Marseille (1318) verbrannt. Der Franziskanische Orden und dessen Genügsamkeit sollte ausgelöscht werdenWas lässt sich nun vom Minimalismus im religiösen Kontext aus dem Mittelalter für das Hier und Jetzt übertragen? Zum einen, dass es Mut bedarf sich gegen den Wohlstand und gängige Gesellschaftsformen zu stellen. Zum anderen ist es schon interessant, dass sich die Ansichten der drei Rebellen der Kirche fast müproblemlos auch in die heutige Zeit übertragen lassen, wenn man auf der Suche nach seiner eigenen materialistischen Wahrheit ist und sich universell fragt: Was brauche ich wirklich?

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Frank Schröder (Collage) und Claudio Rimmele (Fotos)
Kompendium: Minimaler Konsum

Der Hippie-Gedanke der Befreiung

Kompendium: Minimaler Konsum

Der Hippie-Gedanke der Befreiung

Weniger Besitz bedeutet mehr Freiheit – so lebte die Hippiebewegung der 60er Jahre.

Peace-Zeichen, Naturverbundenheit, ein Leben im VW-Bus: Die 68er stehen für einen Minimalismus im Sinne der Gedankenfreiheit und der Liebe zur Umwelt. Gleichzeitig münden sie jedoch in eine radikale Antwort auf den Massenkonsum.

Ein Matratzenlager, abgerissene Tapeten, eine Schreibmaschine, Aschenbecher, Bücher und Kerzen. Menschen mit langen Haaren sitzen im Schneidersitz. Die einen diskutieren wild gestikulierend und rauchen, die anderen schreiben still vor sich hin, einige malen große Letter in Schwarz. „Geld tötet“ lautet einer der Sätze, die eine Frau plakativ auf ein weißes Laken schreibt. Wem die Bilder vom Uschi-Obermaier-Film Das wilde Leben in den Kopf schießen, befindet sich gedanklich in der richtigen Zeit. Und inmitten jener besetzten Häuser, die auch mit der Kritik am Massenkonsum besetzt waren.

Am 1. Januar 1967 wurde die Kommune 1 in Berlin gegründet. Deutschlands prominenteste WG um Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann und Rainer Langhans herum. Hier wurden nicht nur Banner gegen das Kaufverhalten der 60er Jahre gemalt, sondern ein selbstbestimmter, vom Staat und seinen Gesetzen unabhängiger Lebensstil zelebriert. Viel Haar, viele Joints, viel Sex – was haben die Hippies mit Minimalismus zu tun?

Das Woodstock Festival 1969 war ein Höhepunkt der Hippiebewegung. ”All we needed was love” (CC BY-SA 2.0) by brizzle born and bred.

Menschlichkeit vor Besitztümer

Die Anhänger der 68er-Bewegung haben zunächst mit maximaler Liebe gegen das Establishment mit all dessen Facetten des Konsumierens protestiert. Die Studentenbewegungen waren gegen den bürgerlichen Wohlstand und gegen den Konsum, ja – gegen das, was aus der Bundesrepublik durch das Wirtschaftswunder wurde.  Nach dem 2. Weltkrieg wurden mehr Produkte produziert, als die Bevölkerung verbrauchen konnte. Während sich die Deutschen wieder etwas leisten konnten, saß das Trauma der Not noch so tief, dass die Vorratsräume lieber prall gefüllt wurden, die Stapel der Konservendosen sollten die sichere Zukunft stabilisieren. „Das ist für schlechte Zeiten…“, ist ein Satz, den wir von unseren Großeltern auch noch heute im Ohr haben.

Zurück in die Vergangenheit: Die Werbung rief immer lauter „kaufen, kaufen, kaufen!“ und das rief schließlich die Konsumkritiker auf den Plan. Die Warenhäuser wurden zu Bühnen politischer Propaganda als sich schließlich Teile der Studentenbewegung radikalisierten und Waren beschädigten. Aus dem friedlichen Protest der Hippies wurde teils pure Gewalt: Die Linksterroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) bildeten sich aus dem Umfeld der Kommunen heraus und so war für die RAF die Bekämpfung des Kapitalismus auch von Bedeutung.

Die Hausbesetzungen der 70er und 80er Jahre waren Teil der Konsumkritik und Protestbewegung. Von Tom Ordelman (Thor NL) – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Minimalismus als Zündstoff

Am 22. Mai 1967 brannte in Brüssel das Kaufhaus À l’innovation. Dieses Ereignis inspirierte die Berliner Kommune 1 zu satirischen Flugblättern. „Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben“, so Fritz Teufel auf der Delegiertenkonferenz des SDS.

Der Bogen von der freien Liebe, über die Reduktion von Wohlstand und Besitz bis hin zum Anti-Konsum-Terror scheint groß – das ist er auch. Doch das Spannungsfeld dazwischen ist interessant, wenn man bedenkt, dass es nach heutigem Verständnis beim Minimalismus um eine Lebensphilosophie und einen ökologischen Antrieb geht. Statt im Innern nach dem persönlichen Genug zu suchen, wurde auch viel im Außen – hier der Staat – infrage gestellt. Die Hippies brauchten vielleicht nicht viel um glücklich zu sein, die Provokation allerdings schon.

Weiterlesen Digitalisierung führte zum Mainstream-Minimalismus
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Digitalisierung führte zum Mainstream-Minimalismus

Kompendium: Minimaler Konsum

Digitalisierung führte zum Mainstream-Minimalismus

Nach dem Glück sucht man heute einfach im App-Store: Wie uns Sharing-Plattformen zum Minimalismus missionieren.

Wir waren einmal ein geteiltes Deutschland. Heute sind wir ein teilendes Deutschland. Von den DVDs haben wir uns befreit, lieber streamen wir die Filme und Serien. Fahrrad, Roller, Auto? Braucht man in der Stadt auch nicht mehr, das GPS unseres Smartphones hat genau im Blick, welches Fortbewegungsmittel in der Nähe nutzbar ist. Ja, dank der Digitalisierung wirkt Minimalismus heute ganz selbstverständlich, bzw. ist er in der Stadt zur logischen Konsequenz geworden. Konsum, der gut für die Umwelt ist, preisgünstiger und am besten politisch korrekt. Ist der Antrieb für den Minimalismus heute etwa wieder idealistisch?

„Sharing ist das Leitmotiv einer neuen Generation von Konsumenten, die mit dem Tauschen und Teilen im Internet aufgewachsen sind. In Online-Netzwerken haben sie eine andere Logik des Gebens und Nehmens verinnerlicht: Sie konsumieren kollektiv und kollaborativ”, heißt es in der aktuellen Studie des ADAC-Zukunftsinstituts. „Sharing wird zur neuen Kulturtechnik einer vernetzten Gesellschaft – und zum Funktionsprinzip in der Mobilität. Immer mehr Menschen empfinden Eigentum nicht länger als Privileg, sondern eher als Bürde – auch und vor allem, wenn es ums Auto geht.”

Wenn sich Massen intelligent organisieren, können sie viel bewirken. Foto: James Wainscoat

Mein Auto, Dein Auto

Tatsächlich ist der Trend zum Carsharing in Deutschland ungebrochen. Anfang 2018 habe die Zahl der Kunden die Zwei-Millionen-Marke durchbrochen, teilt der Bundesverband CarSharing mit. Aktuell seien über 2,1 Millionen Menschen bei den 165 Anbietern registriert. Da ist er wieder, der Sinn: Wieso Steuern, Versicherung und Parkgebühren für ein Auto bezahlen, wenn man sich auch für den Moment eines Leihen kann. Weniger Verantwortung, weniger Sorgen.

Und so schaffen wir gemeinsam den Quantensprung von Quantität zur Qualität. Maßvoll und bewusst konsumieren wir und dabei fungieren die Zeit und das Erlebnis als Luxusgut. „Die Deutschen gaben im letzten Jahr deutlich mehr für Reisen oder Restaurantbesuche aus. Man gönnt sich gerne etwas und Erlebnisse liegen im Trend”, sagt GfK-Handelsexperte Wolfgang Adlwarth.

Das Internet-Leitmotiv des Kollektiven und Kollaorativen prägt eine ganze Generation – und wirkt sich damit auch auf ihr Handeln in allen Lebensreichen aus. Erstellt aus Foto von Josh Calabrese

Geiz ist geil war gestern!

Die Technik macht den Trend der Reduktion immer leichter, denn Geräte sind heutzutage multifunktional. So sind Smartphones Telefon, Rechner, Wecker, Musikgerät, Kompass und Taschenlampe in einem. Sie sind unser gesamtes Organisationsbüro, in dem der Alltag geplant wird und je nach Bedürfnis etwas angemietet wird. Sie helfen uns, an morgen zu denken: Sharing is Caring (about the planet). Denn wenn wir uns nicht alle reduzieren, den Besitz minimieren und endlich verantwortungsbewusst mit Ressourcen umgehen, dann zerstören wir die Umwelt endgültig. Jetzt haben wir noch die Chance, die Ökobilanz in einen grüneren Bereich zu bringen.

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Weniger ist mehr Ich

Kompendium: Minimaler Konsum

Weniger ist mehr Ich

Weniger Besitz beutet mehr Platz für individuelle Bedürfnisse. Doch während materieller Besitz zunimmt, besitzen wir virtuell immer mehr.

Bloß keine Qualitytime verlieren. Mithilfe der Technik können wir den Fokus auf unsere individuellen Bedürfnisse legen.

Es ist Montag, 7 Uhr morgens, die digitale Verdunkelung der Scheiben in den Schlafzimmern löst sich langsam auf, um die Familie mit natürlichem Sonnenlicht zu wecken. Immer wenn ein Familienmitglied ins Badezimmer geht, ertönt ein anderer Klang. Das smarte Bad spielt nicht nur die aktuelle Playlist oder das Hörspiel ab – während man sich die Zähne putzt, ploppen im Spiegel die individuellen Erinnerungen und Termine auf. Schon eine kurze Szene aus einer Familienvision für 2028 zeigt, dass sich unsere Haushalte in den nächsten zehn Jahren noch deutlicher verändern werden: Vorhänge aus Stoff brauchen wir nicht mehr, der klassische Wecker hat sich überholt, die Stereoanlage sowieso und die Post-its kleben auch nicht mehr in der Wohnung. Was wir lang besessen haben wird nun einfach in einem Gerät zusammengefasst oder gar unsichtbar digital umgesetzt.

Obwohl wir dieselben Dienste nutzen, passen sie sich individuell an. Die Zeit des maßgeschneiderten Massenindividualismus ist gekommen.

Die Sharing Economy und das bewusste Konsumieren haben den Weg geebnet für ein noch minimalistischeres Lebensmodell. Und dieses geht Hand in Hand mit dem Individualismus. Unser Besitz ist exakt auf unsere Bedürfnisse angepasst und spiegelt unsere Persönlichkeit wider. Warum sollten wir in Zeiten von Ressourcenknappheit unnötige Dinge herstellen? Wir können nun Ersatzteile oder Kleidung selbst in 3D drucken oder bezahlen lieber mehr Geld für maßgeschneiderten Besitz.

Das ist auch die Kernaussage des Hiscox Home of the Future Report: „Unsere Häuser werden mit neuartigen Technologien ausgestattet sein, die vielfältige Aufgaben für uns übernehmen. Dabei werden Nachhaltigkeit, Gesundheitsbewusstsein und Wohlbefinden in den Fokus rücken. Bestehen bleibt die Rolle des Eigenheims als Wohlfühl- und Rückzugsort“, sagt Tobias Wenhart, Manager Products and Underwriting beim Londoner Spezialversicherer Hiscox. „Die zunehmende Urbanisierung in Europa führt dazu, dass in Zukunft mehr Menschen auf weniger Raum leben werden. Dies löst einen Trend zur Reduktion aus. Staubige Bücherregale werden so zu einem Relikt vergangener Zeiten. Der Stauraum ist zukünftig digital. 51 % der befragten Deutschen haben in den vergangenen Jahren bereits Hausrat abgebaut.“

„Brauchst du das wirklich oder ist das vielleicht Ballast für die Seele?“

Genug Zeit zum lesen, ausruhen, ankommen – der moderne Minimalismus macht es möglich.

Wir werden die Work-Life-Balance also perfektionieren: Irgendwann haben wir damit begonnen, nicht mehr am Schreibtisch zu lunchen, dann sind wir zum Yoga gegangen und vielleicht zur Meditation. Morgen ist das Wissen, wie es uns besser geht direkt in unseren Alltag integriert. Wenn unsere Wohnungen Rückzugsorte darstellen, dann schaffen wir Platz, um uns selbst zu kümmern. Vielleicht erinnern uns die Geräte, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, auch an unsere Ruhephasen und leiten uns an zu entschleunigen. Wenn wir digitale Freunde haben und es uns in zehn Jahren noch wichtiger sein wird, Glück nicht über Besitz zu definieren, dann könnte es passieren, dass beim Einkauf ein Gerät des Vertrauens einwenden könnte: „Brauchst du das wirklich oder ist das vielleicht Ballast für die Seele“?

Man kann sich also auf den postmodernen Minimalismus freuen: Zum einen behandeln wir den Planeten besser und haben auf die Verschwendungskulturen vergangener Tage reagiert, zum anderen konzentrieren wir uns auf unser Wohlbefinden. Und so wird aus dem ökologischen Antrieb ein Mindfulness-Minimalismus.

Weiterlesen Besitz – eine optische Illusion?
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Besitz – eine optische Illusion?

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Besitz – eine optische Illusion?

"Das Leben ist ein virtuelles Wunschkonzert"

Das Leben ist ein virtuelles Wunschkonzert: Virtual Reality schafft es, dass Hologramme und Chips uns das erleben lassen, was wir wollen. Schaffen wir uns dann also digital wieder eine Welt im Überfluss?

Um uns herum ist alles weiß und clean, nur das Hologramm platzt aus allen Nähten. Nach dem Motto Regal leer, iCloud voll“ könnte 2050 verheißen, dass sich unser Besitz nur noch im Wellencharakter von Licht zeigt – aber dadurch wird es nicht weniger. Weniger analog ist mehr digital? Die Zuspitzung der logischen Konsequenz aus Sharing Economy und digitalem Sammlertum könnte zu dieser Verlagerung führen. Wem das nun noch zu abstrakt ist, hilft vielleicht folgende Prognose: Laut der Wissenschaft wird die Leistung eines heutigen Laptops schon in 20 Jahren im Volumen einer Erbse Platz haben und die Leistung von Mikrochips wird sich bis dahin vertausendfacht haben. Sowohl die Rechengeschwindigkeit als auch die Speicher- und Kommunikationsfähigkeit wird so rasant voranschreiten, dass die Anzahl an Anwendungen bis ins Unermessliche gehen kann. Hilfe, wird dann aus dem analogen Minimalismus ein virtueller Maximalismus?

Für die Pause im Wald muss man physisch nicht die Stadt verlassen.

2050 werden über neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Um zu überleben, muss sich die konsumorientierte Wegwerfgesellschaft bis dahin überholen. Aber: Egal ob beim religiösen, philosophischen, politischen oder ökologischen motivierten Antrieb des Minimalismus, in der Vergangenheit gab es immer Menschen, die den materiellen Besitz ablehnten und die Menschen, die ihr Glück im Besitz sahen. Wer die Besinnung aufs Wesentliche von innen lebt, lebt es auch im Außen. Und das schließt die digitale Ebene mit ein.

Sprich: Man kann sich definitiv auch virtuell zumüllen, aber man kann die Technik der Zukunft auch dazu nutzen, mehr Wertigkeit in seinen Alltag zu bringen. Künstliche Intelligenz kann uns dabei helfen, die Informationsangebote vorab zu sortieren oder die Cloud immer wieder aufzuräumen. Der gestresste Großstädter kann sich dank Virtual Reality in einen friedvollen Wald und Ort der Ruhe beamen.

Die Sehnsucht nach Authentizität

Clean und charakterlos wird unser Leben laut Trendforscherin Oona Strathern nicht ausehen. Im Gegenteil; außergewöhnliche Besitztümer sind Ausdruck unserer Identität.

Trendforscherin Oona Strathern vom Zukunftsinstitut Horx sieht den digitalen Besitz im Überfluss nicht auf uns zukommen: „Jeder Trend hat einen Gegentrend und wir können sehen, wie die kalte blaue Welt der Digitalisierung dazu geführt hat, dass mehr Aufmerksamkeit und Geld für sinnvollen Besitz ausgegeben wird. Dinge zu besitzen ist immer noch Teil unserer Identität und ein wichtiger Teil unseres Heimatinstinktes. Die Identitätssuche drückt sich auch in der Sehnsucht nach autobiographischem Wohnen aus – wir sammeln symbolische Gegenstände, die uns an interessante Lebensphasen oder wichtige Menschen erinnern”, so die Wissenschaftlerin. Auf Basis von Trendanalysen und Studien erklärt sie: „Je mehr wir in eine virtuelle Welt hineingezogen werden, desto mehr brauchen wir das Gegenteil als Gegengewicht. Je mehr wir online gehen, desto wichtiger wird unser Leben offline. Und deshalb wollen die Menschen auch in Zukunft nicht alles virtuell besitzen.”

Minimalismus und virtueller Maximalismus sind also das Yin und Yang von übermorgen. Ein schöner Gedanke, der sich auch zeitlos für das gesamte Kompendium zusammenfassen lässt: Die freiwillige Einfachheit muss nicht radikal sein – aber im Gleichgewicht kann sich das Leben doch wesentlich leichter anfühlen.

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