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Foto: Ja Ma

Moral ist mein Gemüse

Der Coworking-Anbieter WeWork wird seinen 6.000 Mitarbeitern künftig kein Fleisch mehr anbieten. Wo manche einen politisch korrekten PR-Stunt sehen, erkennen andere eine neue „Sinn-Wirtschaft”. Wo die Politik laviert, fördern Unternehmen eine neue Sittlichkeit.

Das US-Unternehmen WeWork will auf Veranstaltungen künftig kein Fleisch mehr anbieten und seinen 6.000 Mitarbeitern die Kosten für Fleischgerichte nicht mehr erstatten. WeWork-Mitgründer Miguel McKelvey begründete den Schritt mit den negativen Auswirkungen der Fleischproduktion auf die Umwelt. Fleischverzicht habe bessere Auswirkungen auf die Umwelt als der Wechsel vom Benziner zum Hybrid-Auto.

Das Unternehmen WeWork streicht in Zukunft Fleisch von der Speisekarte und aus den Reisekosten. Foto: Eloise Ambursley

Der Protest folgte umgehend: Ein solches Verbot sei Bevormundung, Unternehmen dürften nicht in die Speisekarte ihrer Mitarbeiter hineinregieren. Wieder hätte man es mit “Gutmenschen” zu tun, die ihre weltfremden Überzeugungen dem Rest der Welt aufzwingen wollen. Und überhaupt: Das alles sei natürlich nur ein PR-Stunt, damit Artikel wie dieser hier erschienen, in denen das Unternehmen vorkommt und vielleicht sogar als progressiv gefeiert wird. (Und selbst wenn es Kritik hagelt, ist es gut, denn der Zyniker glaubt ja auch, jede PR sei gute PR).

Öko-WG oder FDP-Fiebertraum

Das Geschäftsmodell von WeWork ist grüner Sozialromantik unverdächtig. In 21 Ländern hat WeWork Büromietverträge mit sehr langen Laufzeiten abgeschlossen, um die Flächen dann als Bürogemeinschaften weiterzuvermieten – mit kurzfristig kündbaren Verträgen und entsprechend hohen Preisen. Die WeWork-Bürogemeinschaften sehen so aus wie sich Leute Startups vorstellen, die nie in einem Startup gearbeitet haben. WeWork ist keine Öko-WG, sondern ein mit 20 Milliarden Dollar bewerteter FDP-Fiebertraum, der Excel-Geschiebe und Vertriebsmeetings mit der Aura lässiger Weltverbesserung adeln möchte. WeWork ist kein grünes Sehnsuchtsfeld, sondern eine durch Christian-Lindner-Spots gegangene Hausverwaltung auf Speed.

“Die WeWork-Bürogemeinschaften sehen so aus wie sich Leute Startups vorstellen, die nie in einem Startup gearbeitet haben.” Foto: Eloise Ambursley

Warum also der zur Schau gestellte Fleischverzicht? Virginia Postrel sieht den Grund in der meaning economy, auf Deutsch etwa „Sinn-Wirtschaft”. Die amerikanische Autorin beschäftigt sich mit der Frage, was ökonomischen Wert (und Wachstum) stiftet. Nicht mehr Material und Arbeit dominieren die Wertschöpfung, so Postrel, sondern Sinn und Bedeutung: „Was wir kaufen ist aufgeladen mit Bedeutung. Es bestimmt unsere Identität und markiert Gruppenzugehörigkeit.”

Noch in den 1990er Jahren waren Konsumfragen vor allem Statusfragen. Es herrschte ein aus heutiger Sicht absurder Optimismus, sogar vom „Ende der Geschichte” war die Rede. Der Kommunismus war so gut wie überall besiegt und zwar von liberalen, kapitalistischen Demokratien. Heute, im Zustand einer existenziellen globalen Krise, wurde aus „Bin ich oben oder unten”, die Frage „Tue ich das Richtige oder das Falsche?”. Diesel zu fahren, Wegwerfbesteck und Plastikstrohhalme zu benutzen wurde von einer Status- zu einer Sittlichkeitsfrage.

Avantgarde der Sittlichkeit

Sittlichkeit, also das von der Mehrheit als richtig empfundene Verhalten, verändert sich aber mit der Zeit, und die Politik, die hier gefragt wäre, liefert nicht. Anfang Juli noch warnte Jürgen Habermas, sozialdemokratische Parteien würden ihre Wähler „normativ unterfordern”, anders gesagt: Die (linken) Parteien sagen nicht mehr, was sie für gut und richtig halten, sondern hecheln einem nach rechts abdriftenden Zeitgeist hinterher. Von einer als zynisch empfundenen Politik der Mitte ist keine Orientierung zu erwarten, denn das ist das Wesen der Mitte: Sie bewirkt nichts, weil sie niemanden vor den Kopf stoßen will. Das ist in den USA, wo WeWork seinen Hauptsitz hat, nicht anders.

Unternehmen machen den ostentativen Verzicht zum Geschäft. Foto: Rawpixel

Nun sind es ausgerechnet gewinnorientierte Unternehmen, die in dieses Vakuum der Werte stoßen und eine neue, als zeitgemäß empfundene Sittlichkeit vorantreiben wollen. McKelvey in der New York Times: „Unternehmen haben heutzutage mehr Verantwortung für ihre Mitarbeiter und für die Welt. Wir sind die, die die Macht haben. Große Arbeitgeber können etwas bewirken in solchen Fragen.” Und im Zeitalter des ostentativen Verzichts, des Carsharings, der verpackungslosen Geschäfte, des Upcyclings, lässt sich „Du bist, was du kaufst” erfolgreich steigern zu „Du bist, worauf du verzichtest”. Erstaunlicherweise ist dieser Verzicht wiederum monetarisierbar.

Die Monetarisierung des Verzichts

Der Ethnobiologe Victor Benno Meyer-Rochow erklärt: „Ernährungstabus, die bestimmte Gruppen als Lebensstil akzeptieren, tragen zum Gruppenzusammenhalt bei, sie helfen dieser bestimmten Gruppe bei der Aufrechterhaltung ihrer Identität im Angesicht anderer Gruppen, was ein ‘Zugehörigkeitsgefühl’ erzeugt“. Vegetarismus bietet ein solch starkes Identifikationsangebot. Fleischverzicht ist jetzt eine Produkteigenschaft von WeWork so wie die weggelassenen Diskettenlaufwerke in den ersten iMacs.

Wenn die WeWork-Mieter Fleisch essen wollen, müssen sie es in Zukunft selbst mitbringen. Foto: Eloise Ambursley

Moralisches, kommerzielles Handeln ist immer eine Melange aus Öffentlichkeitsarbeit, Kundenbindung und einem authentischen Willen nach Veränderung (in veränderlichen Gewichtsanteilen). Es lässt sich kaum auf einen Aspekt reduzieren. Und natürlich ist es in höchstem Maße symbolisch: So wie der renitente iMac-Kunde ein Diskettenlaufwerk als USB-Zubehör nachrüsten konnte, gilt das WeWork-Fleischverbot nur für die eigenen Mitarbeiter, nicht aber für die Mieter – die können nach wie vor essen, was sie wollen. Es steht zu erwarten, dass der nächste WeWork-Konkurrent seinen Mietern das Mitbringen von Salamibrötchen an den Schreibtisch untersagt und die Kunden dafür gerne einen Aufpreis zahlen werden.