Die Schlüsseldaten der Natur sind nun engmaschiger erfasst. „Key performance indicators” gibt es schon lange nicht mehr nur für Menschen und menschengemachte Systeme, sondern auch für Flächen.
Die Natur, wie wir sie im Jahr 2100 kennen werden, ist wieder gänzlich in die menschliche Kultur aufgenommen und gleichzeitig romantisiert. Kaum jemand beschäftigt sich noch mit Müll, Energie oder Ressourcen aus Sicht der Umwelt: Wer welche Ressourcen oder Energien verbraucht, weiterverarbeitet oder entsorgt wird mittels Stoffkreislaufberechnungen aufgezeigt. Diese Berechnungen dienen sowohl der Politik, als auch den Unternehmen als Grundlage für Entscheidungen. Doch nicht nur Ressourcen, auch Flächen werden durchgängig gemonitort: Ob Acker, Park oder Moor – fast alle Flächen werden in ihrer Funktion erfasst, überwacht und ausgewertet. Es ist zunehmend schwer geworden, von Menschen unberührte und nicht vermessene Gegenden zu finden – vor allem seit die letzten weißen Flecken der Monitoringsysteme von Forschungstrupps auf der Suche nach vielversprechendem genetischen Material durchkämmt worden sind.
Die (digitale) Vermessung der Welt ist 2100 abgeschlossen. Wer Pfadfinder sein will muss lange suchen. Foto: Scott Webb
Es ist fatal, dass es lange Zeit keinen greifbaren Wert für Biodiversität gab. Dadurch gab es für viele Menschen schlichtweg keinen Grund die Artenvielfalt zu schützen. Die Spenden der Bevölkerung konzentrierten sich auf „repräsentative” Tiere wie Löwen oder Luchse. Doch auch Moose, Würmer und seltene Einblattgewächse sind interessant – für medizinische Zwecke oder die Produktion neuer chemischer Produkte. Auch wird immer offensichtlicher, dass ganze Nahrungsnetze, die früher noch Nahrungsketten hießen, reißen, da scheinbar unwichtige kleine Tiere fehlen.
Die ehemals als „ungezähmt” romantisierte Natur ist heute „unvermessen”
Wer Naturerfahrungen sucht, dem wird eine gut abgestimmte, künstliche Wildnis in Parks präsentiert. Besonders wertvoll und schützenswert erscheinen dabei die Wildparks, die besonders viele Besucher anziehen und in denen jene dann besonders viel Geld ausgeben.
Wer auf der Suche nach der noch unberührten Natur ist, sieht schnell ein, dass es diese schon seit 300 Jahren nicht mehr gibt. Wer Naturerfahrungen sucht, dem wird eine gut abgestimmte, künstliche Wildnis in Parks präsentiert. Die erhöhte Konzentration von Treibhausgasen, schwer abbaubare Chemikalien – all das beeinflusst auch die Ökosysteme, die am schwersten zu erreichen sind. Heute erscheinen die Gegenden als besonders „authentisch”, wenn sie nur grob vermessen sind. Die Monitoringsysteme der Nationen, Unternehmen und Städte erfassen nur ihre wichtigsten Gebiete besonders detailliert. Wer sich von der Natur überraschen lassen will, sucht daher Gegenden auf, die nur via Satellit und Computermodellierungen vermessen und abgeschätzt sind.
“Wer auf der Suche nach der noch unberührten Natur ist, sieht schnell ein, dass es diese schon seit 300 Jahren nicht mehr gibt.” Foto: NG
Die Suche nach der Natur war schließlich schon immer eine Suche nach der größtmöglichen Entfernung zwischen der Kultur, der Technik und dem Menschen.
Immerhin: Die überbordende Masse an Daten muss zwar erfasst, gespeichert und verarbeitet werden und verbraucht dabei Unmengen Energie, doch Staaten und Unternehmen müssen sich nun rechtfertigen. Ressourcen- und Energieverbrauch, die Produktionsbedingungen: All das lässt sich kaum mehr verstecken. Lieferketten werden immer transparenter. Die vorhandenen Daten erlauben den zivilgesellschaftlichen Gruppen immer weitere Formen der Überprüfung. Viele Neo-Ökos ketten sich daher nicht mehr an Bäume oder stricken Wollpullis, sondern programmieren und sammeln Daten, um diese aufbereitet dort zu veröffentlichen, wo sie nicht eh schon Open-Source sind. Kontrolliert werden auf diese Weise auch Regierungen bis hin zu Gruppen oder Individuen. Ist das die datengetriebene Öko-Diktatur, vor der zuvor viele gewarnt haben? Die Neo-Ökos erwidern, dass sie ja nur die Gesellschaft widerspiegeln. Ihrer Meinung nach stellt das Erfassen und Auswerten der Datenberge kein Problem dar – das Bruttoinlandsprodukt wurde schließlich auch ein Jahrhundert lang penibel gemessen, warum sollte man es nicht mit dem Ressourcenverbrauch gleich tun?
Die Welt retten? Erstmal den Schaden begrenzen und daraus lernen …
Ein Organ natürlich, ein Organ technisch, das nächste eine Mischung – die grenzen Verschwimmen. Foto: Josh Riemer
Die planetaren Grenzen sind größtenteils hemmungslos überschritten, inzwischen geht es um Schadensminimierung und völlig neue Herausforderungen wie den extraterrestrischen Rohstoffabbau und die damit verbundene Zunahme von Raketenstarts oder der unstillbare Hunger der technologischen Entwicklung und Zellzüchtung nach Rohstoffen und Ressourcen. Die rasante Entwicklung in den Naturwissenschaften erlaubt schon lange eine ökonomisch-effiziente Züchtung verschiedenster Zellkulturen. Möglich wurde dadurch nicht nur ein Nachzüchten beschädigter Organe – für die Menschen, die es sich leisten können. Auch die pflanzlichen und tierischen Zellen, die die Grundlage der menschlichen Ernährung darstellen, werden seit längerer Zeit in großem Stil gezüchtet. Glaubte man sich damit zunächst einer umweltfreundlichen Ernährung nah, so kam die Ernüchterung schnell: Die Zellkulturen benötigen Unmengen an Nährlösungen, die vor allem aus dem Zucker von massenhaft angebauten Energiepflanzen produziert werden. In Zeiten des nachgezüchteten Gewebes Chips, die bei nachlassender Sehkraft oder nachlassenden kognitiven Fähigkeiten unterstützend nachhelfen, verschwimmt auch die letzte Grenze zwischen Umwelt und Mensch oder Natur und Kultur. Die Natur ist nun vermessen und in Form von Stoffkreisläufen Teil der wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Gleichzeitig ergänzen Menschen ihren Körper mit künstlich gezüchteten Organen, aber auch technologischen Produkten. Mensch und Natur sind nun wieder auf dem besten Weg eine Einheit zu bilden – wohl aber in anderer Form, als von vielen Generationen der Ökos erhofft.