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Meinung: Quo Vadis Social Media – ein Blick in die Zukunft

Soziale Netzwerke haben unsere Kommunikation verändert. In letzter Zeit galt: Je schneller und bunter, desto besser. Aber wie geht es mit den sozialen Medien in Zukunft weiter? Möglicherweise stehen wir vor einer neuen Wende.

Soziale Medien: Ein Wort, das blinkt und flackert. Es steht für schnellen Austausch, Bilderfluten, den Wettbewerb um Aufmerksamkeit, ständiges Verbundensein. Für viele ist es inzwischen aber auch ein wahr gewordenes Schreckensszenario. Die Gesellschaft hat sich in eine lustvolle, schmerzliche Abhängigkeit begeben. Als Co-Founder der App Rohpost will ich zeigen, dass Social Media auch anders sein kann.

Viele Nutzer haben längst festgestellt, dass es sie unzufrieden macht, wenn sie zu viel Zeit mit sozialen Medien verbringen. Trotzdem kribbelt es ihnen in den Fingern. Alle paar Minuten kommt der Drang, das Handy in die Hand zu nehmen, den Knopf zu drücken und nachzusehen, ob es eine neue Nachricht gibt. Soziale Medien machen abhängig, wie Psychologin Dr. Catarina Katzer kürzlich in einem Interview für das Qiio Magazin betont hat.

Um die Nutzer auch weiterhin an ihre Plattformen zu binden, haben sich die Konzerne in den letzten Jahren vieles einfallen lassen. Dazu gehören neue Filter, lustige Emojis und immer mehr Möglichkeiten, das Leben aufzuzeichnen und sofort mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Damit kopieren sich die Plattformen aber lediglich gegenseitig, ohne etwas wirklich Neues zu schaffen. Wenn sich soziale Medien in den letzten Jahren verändert haben, dann sind sie vor allem bunter, lauter, schneller geworden. Geht es so auch in Zukunft weiter?

Die exzessive Nutzung von Smartphones im öffentlichen Raum nimmt immer noch zu. Die meiste Zeit wird auf sozialen Medien verbracht. Foto: Hugh Han

Kommunikation auf Abwegen

Mit den Veränderungen der letzten Jahre wurde die Kommunikation auf sozialen Medien Schritt für Schritt entfremdet. Zuallererst ist sie nicht mehr privat. Ob auf Pinnwänden oder in öffentlichen Tweets: Hier wird dargeboten, was eigentlich niemanden etwas angeht. Was Nutzer anderen Menschen mitteilen, ist so einer ständigen Beobachtung und Bewertung ausgesetzt. Um das Offenlegen der Kommunikation kommt dabei kaum mehr jemand herum. Wer nicht zum Sprachrohr greift und mit der Öffentlichkeit kommuniziert, hat scheinbar nichts zu sagen. Zumindest ein Instagram-Account mit schönen Urlaubs- und Freizeitbildern gehört einfach dazu.

Doch das Offenlegen von privater Kommunikation ist nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche wird diese Kommunikation im Verborgenen gespeichert, analysiert und ausgewertet. Die Daten zeigen oft Zusammenhänge und Trends auf, die dem einzelnen Menschen selbst nicht bewusst sind. Das Risiko, einen Kredit nicht zurückzahlen zu können  oder einen Selbstmord zu begehen, kennt Facebook genauer als seine Nutzer. Der Fall um Cambridge Analytica hat schon einmal einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie es sich anfühlt, wenn jemand derartige Informationen ungefragt für sich nutzt.

Mit der Auswertung unseres Nutzungsverhaltens in sozialen Medien können die Plattformen oftmals präzise Rückschlüsse auf Vorlieben, Neigungen, Marotten, Sehnsüchte und Gewohnheiten ziehen. Foto: Siarhei Horbach

Die Öffentlichkeit hat außerdem dazu geführt, dass Kommunikation auf sozialen Netzwerken weniger ehrlich ist. Es werden keine wahren Emotionen, keine wirklichen Gegebenheiten geteilt. Da jeder Beitrag öffentlich bewertet und diskutiert wird, muss alles perfekt sein. Für die Graustufen des täglichen Lebens bleibt wenig Raum. Gerade diese Nuancen sind aber wichtig, damit Menschen eine tiefe Verbindung zueinander aufbauen können. Nicht zu beschönigen drückt Vertrauen aus, welches die Grundlage für zwischenmenschliche Beziehungen ist.

Besonders problematisch ist zudem, dass die Kommunikation in sozialen Medien nicht mehr selbstbestimmt ist. Nutzer teilen sich nicht so mit, wie sie es aus ihrem eigenen Antrieb tun würden, sondern werden von den Plattformen durch gezielte Anreize beeinflusst. Sie sollen möglichst häufig Inhalte verbreiten, die ihre Mitmenschen ans Medium fesseln. Die Steuerung der Nutzer funktioniert durch so einfache Mechanismen wie Likes oder Follower-Zahlen. Was zu den anderen durchdringt, wird letztendlich nicht von Menschen, sondern von Algorithmen bestimmt. Gezeigt wird, was auf viel Resonanz stößt. Wer den Vorzug erhalten möchte, muss mehr Aufsehen erregen und mehr Effekte haschen als die anderen.

Dieses Symbolbild mag überzogen wirken. Doch Plattformen wie Instagram nutzen neueste psychologische Erkenntnisse, um die User in eine Abhängigkeitslage zu bringen. Foto: Marc Schafer

Das oberste Ziel ist dabei immer, dass Nutzer mehr Zeit mit sozialen Medien verbringen und mehr Daten generieren. Denn damit lässt sich reichlich Geld verdienen. Facebook wird dieses Jahr einen ähnlichen Umsatz erzielen wie das Chemie- und Pharmaunternehmen Bayer. Allerdings arbeiten bei Bayer rund viermal so viele Mitarbeiter. Ist das also die Zukunft unserer Kommunikation, dass globale Unternehmen sie steuern, analysieren und die Ergebnisse für viel Geld verkaufen?

Soziale Medien müssen sich ändern

Nein, denn digitale Medien werden erwachsen. Begonnen haben sie als Spielerei, mit der man sich die Freizeit vertreiben kann. Doch längst vorbei sind die Zeiten von Chatrooms, in denen kaum je ein ernsthaftes Gespräch geführt wurde oder von Mail-Adressen, die sich nach einer Süßspeise oder einem Kuscheltier anhören. Heute kommunizieren Behörden per E-Mail, Jobs werden über LinkedIn vermittelt und Politiker kündigen ihre Auslandsstrategie auf Twitter an.

Stück für Stück wandeln sich deshalb auch die Anforderungen, die unsere Gesellschaft an die sozialen Medien stellt. Gefragt ist eine Online-Kommunikation, die wieder privat, ehrlich und selbstbestimmt ist. Zugleich sollten die Plattformen im Internet so gestaltet sein, dass sie auch ein Leben in der echten, nicht-digitalen Welt ermöglichen. Menschen sind biologische Wesen, die nie ganz im Digitalen leben können. Der Versuch, sie immer stärker in die digitale Welt aufzusaugen, wird langfristig nicht funktionieren.

Auch die Nutzer sind angehalten, einen verantwortungsvolleren Umgang mit sozialen Medien zu finden. “[Sie] müssen der Versuchung widerstehen, die der schnelle Kick durch ein paar Likes und bunte Videos ausstrahlt.” Foto: Josh Rose

Die Vorboten der Veränderung zeichnen sich bereits ab. Die Europäische Union zeigt sich als Vorreiter in Sachen Datenschutz und führt im Mai dieses Jahres die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein. Sie ist eine klare und harte Antwort auf die jüngsten Versäumnisse der Branche. Mit ihr wird nun in allen EU-Mitgliedstaaten eine Verordnung gelten, die den Datenschutz der Nutzer stärkt und unter anderem das Recht auf Vergessen durchsetzt.

Hart sind die Regelungen jedoch vor allem für Startups sowie kleine und mittelständische Unternehmen. Für sie stellen sie eine Zerreißprobe dar. Damit schützt die DSGVO zwar in erster Linie die Nutzer digitaler Plattformen, stärkt aber zugleich auch die großen Konzerne. Denn für kleinere Anbieter sind die Gesetze eine Hürde, die es erschweren, eine Alternative zu den großen sozialen Medien anzubieten.

Die Gesellschaft hat es in der Hand

Letztlich ist es aber ohnehin nicht nur eine politische Frage, wie die Zukunft der Kommunikation aussehen soll. Es ist auch Aufgabe der Zivilgesellschaft, die Kommunikationsmittel zu wählen, die zu ihren Vorstellungen passen. Dazu gehört auch, sich mit den Einzelheiten der verschiedenen Plattformen kritisch auseinanderzusetzen. Das erfordert Mühe, ähnlich wie es auch schwierig sein kann, abends ein Buch in die Hand zu nehmen, statt Netflix einzuschalten. Nutzer müssen hierfür der Versuchung widerstehen, den der schnelle Kick durch ein paar Likes und bunte Videos ausstrahlt.

Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit – auch in digitalen Medien. Foto: Jason Blackeye

Es besteht jedoch Hoffnung, dass unserer Gesellschaft der Kraftakt gelingen wird. Es ist nämlich lange nicht die erste Herausforderung dieser Größenordnung. In den 70er und 80er Jahren rückte beispielsweise der Klimawandel ins Bewusstsein der Menschen. Symptome wie saurer Regen, das sich vergrößernde Ozonloch oder riesige Mülldeponien haben das Problem unübersehbar gemacht. Auch hier haben große Konzerne und der ungezügelte Konsum eine Rolle gespielt. Folgen wie die Energiewende oder die Einführung von Pfandflaschen konnten nur entstehen, weil sich die Gesellschaft das Thema zu eigen gemacht hat. Noch ist diese Aufgabe nicht bewältigt, doch ein Anfang ist gemacht.

Der richtige Umgang mit der digitalen Welt ist die neue Herausforderung unserer Zeit. Neue soziale Netzwerke als Alternative zu Facebook und Co., aber auch Gesetzesänderungen haben nur eine Chance, wenn die Gesellschaft aktiv wird und entscheidet, dass sich etwas ändern muss. Die heutigen Symptome sind nicht nur Hate Speech und Fake News. Auch Volkskrankheiten wie Depression, Schlafstörungen oder Burn-Out werden von sozialen Medien gefördert.

Rohpost – ein neues soziales Netzwerk

Gemeinsam mit Mara Ziemann habe ich bemerkt, dass die herkömmlichen soziale Medien eine Alternative brauchen. Unser Ergebnis ist Rohpost, eine App, die nicht nur Menschen miteinander verbindet, sondern auch zu einem gesunden Medienkonsum anregt. Dazu haben wir sie nach den Maßstäben der positiven Psychologie entwickelt. Die App setzt deshalb nicht auf kurze Anreize wie Likes, die schnell zu haben sind, aber auch schnell wieder verpuffen. Stattdessen soll Rohpost dabei unterstützen, bedeutsame Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Denn tiefe soziale Kontakte sind ein wichtiger Bestandteil eines erfüllten Lebens.

Rohpost will eine echte Alternative zu gängigen sozialen Netzwerken sein.

Eine Rohpost ist wie ein Newsletter, den Nutzer an ausgewählte Freunde schicken können, um sie auf dem Laufenden zu halten. Reaktionen auf eine Rohpost sind nur für den Absender sichtbar und bleiben damit privat. Das Besondere ist: Nutzer können nur eine Rohpost am Tag schreiben. Die Nutzer sind also aufgefordert, selbst zu entscheiden worüber sie sprechen möchten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Auch gibt es weder Werbung, noch werden die persönlichen Daten der Nutzer zu Geld gemacht. Stattdessen liegt der App ein Freemium-Modell zugrunde. Das heißt: In der Grundversion ist die App für alle Nutzer kostenlos, in Zukunft wird es zudem eine Premium-Version mit zusätzlichen Funktionen geben.

Wie werden wir in fünf oder zehn Jahren kommunizieren? Die heutige Experimentierphase wird sich wohl dem Ende neigen, weil wir verantwortungsvolle soziale Medien brauchen. Genau wie beim Umweltschutz wird sich die Gesellschaft einen besseren Umgang mit der digitalen Welt erarbeiten müssen. Nur so können wir einen Weg finden, wie digitale Medien zum Wohle der Menschen eingesetzt werden können.