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Short Q

 Reaction Videos – Warum sind wir süchtig nach fremden Gefühlen?

Der Trend der Reaction-Videos überschwemmt die Videoplattform Youtube. Videos, die Reaktionen auf andere Videos etc. zeigen, sind unglaublich erfolgreich. Die Frage lautet nur: Warum?

Wer erinnert sich noch an alte amerikanische Sitcoms aus den 90ern, bei denen im Hintergrund so animierend gelacht wurde? Das Lachen, das heute irgendwie albern oder seltsam erscheint, hatte damals seinen Zweck: Es sollte die Zuschauer daheim ebenfalls zum Lachen bringen und vor allem den einsamen TV-Zuschauern das Gefühl von Gesellschaft geben. 

Das ist das gleiche Phänomen, auf dem der Trend der Reaction Videos basiert. Ein Reaction Video entsteht folgendermaßen: Ein Youtuber schaut sich ein Video an und filmt eigene Reaktion darauf via Facecam – manchmal sieht man das Originalvideo, auf das reagiert wird, manchmal auch nur die Reaktion. “Im Prinzip kommt alles für eine „Reaction“ infrage: „heftige“ Ramen-Nudeln, Verschwörungstheorien, Rap-Battles, Netflix-Trailer”, berichtet Business Insider. 

Erfolg durch ansteckende Emotionen oder Drang zum Dokumentieren?

Imitation oder Empathie? Warum wirken ein Lachen oder Gähnen, Wut oder Traurigkeit so ansteckend? Foto: Francesco De tommaso.

Aber warum sind diese Videos so beliebt? Wissenschaftler erklären sich den Erfolg dieser Videos mithilfe der sogenannten Spiegelneuronen im Gehirn von Menschen und einigen anderen Primaten, so ein Beitrag von Ars Technica zu diesem Thema. Sobald ich jemanden bei einer Aktivität, Reaktion oder Emotion beobachte, die ich auch kenne, spüre ich die dazugehörigen Gefühle oder Regungen selbst auch. Ob es sich dabei um den Effekt reiner Imitation oder sogar den Schlüssel zur Empathie handelt, wird seit Jahrzehnten hartnäckig in der Forschung diskutiert. 

Eine weitere Möglichkeit, sich den Erfolg dieser Videos zu erklären, ist die generelle Neigung jüngerer Generationen zum öffentlichen Dokumentieren und zum Doppelt-Konsum via second screen. Schon seit Jahren wird beispielsweise jeden Sonntag unter dem Hashtag #tatort auf Twitter der jeweils aktuelle Teil des deutschen Krimiformats in Echtzeit kommentiert. Den Krimi einfach nur anzusehen, scheint vielen Leuten als Nervenkitzel nicht mehr zu reichen. Es muss sofort auch ein Austausch mit (fremden Leuten) erfolgen. Reaktionen werden mitgeteilt und retweetet. Nichts anderes sind Reaction Videos auch.

Youtube: Eine Plattform für Selbstdarsteller  – mehr denn je

Youtube war schon immer eine Plattform für Selbstdarsteller – aber nun muss man anscheinend lediglich eine ausreichende Reaktionsfähigkeit auf Dinge haben, um berühmt zu werden. Foto: Mark Glancy.

Doch so erfolgreich die Reaction Videos auch sind, Kritiker wie der aufgebrachte Autor (John Powers) eines Artikels bei The Diamondback, eines studentisch herausgegebenen Online-Magazins aus Maryland, beklagen den Verfall des Entertainments. Reaction Videos seien der peinliche kleine Bruder der Pop-Kultur, so der Autor.

Schon seit Launch der Plattform Youtube im Jahr 2005 schien es verhältnismäßig einfach, zum selfmadeMan oder zur selfmadeWoman zu werden. Stars wie Lily Allen machten es vor – schließlich wurde sie dank ihrer Videos zu einer bekannten und erfolgreichen Popmusikerin. 

Neuerdings braucht man aber offenbar nicht einmal mehr ein besonderes Talent oder ein spannendes Leben, um über Youtube einen beachtlichen Bekanntheitsgrad zu erlangen. Es reichen eine Webcam und eine durchschnittliche Reaktionszeit und -Fähigkeit auf – Stuff halt. Und Menschen konsumieren es – begeistert, wie der Erfolg der amerikanischen Fine-Brothers, so etwas wie Pioniere der Reaction Videos in den USA, zeigt. Der Youtube Kanal der FBe zählt 19,9 Mio Abonnenten.

Wird daraus eine neue Marketing-Methode?

via GIPHY

Doch ganz gleich aus welchen Gründen die Menschen diese Reaction Videos nun gerne konsumieren: Fest steht, dass sich auf der Basis des durchschlagenden Erfolgs dieses Formats sogar ein Marketing-Modell errichten lässt, wie der deutsche Youtuber Flo Marienberg – online: FloderFlo – gegenüber Business Insider erwähnte. 

Ihm als Reacter habe man bereits  – wenn auch im kleinen Rahmen – angeboten, auf neue Musikvideos von meist kleineren Rappern zu reagieren. Noch sei er auf keins der Angebote eingegangen, weil es ihm nicht gefiele “seine Meinung zu verkaufen”. Nichtsdestotrotz kämen jede Woche etwa drei solcher Angebote rein. Aber was wird dann aus der bisher so gefeierten Authentizität, die das Medium des Reaction Videos so beliebt macht? Wie authentisch kann eine Reaktion sein, wenn sie bezahlt und gekauft wurde?

Mehr über das Business der Selbstdarstellung findest du in unserem gleichnamigen Kompendium. 

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