Welche Bedeutung hat Cultural Appreciation heute online und offline? Ein Gespräch mit der Medienanthropologin Sahana Udupa.
Sahana Udupa ist Professorin für Medienanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo sie u. a. Online Extreme Speech, globale digitale Medien und Online-Nationalismus lehrt. Im Jahr 2017 erhielt sie den renommierten European Research Council Starting Grant Award für eine fünfjährige Studie zu digitaler Politik.
Mit Qiio spricht die aus Bangalore, Indien, stammende Anthropologin darüber, welche Faktoren für Cultural Appreciation online und offline wichtig sind, warum sie Memes kritisch gegenübersteht und wie sich kulturelle Anerkennung von Aneignung abgrenzen lässt.
Mit Qiio spricht Sahana Udupa (Bangalore, Indien) darüber, welche Faktoren für Cultural Appreciation online und offline wichtig sind.
Was bedeutet Cultural Appreciation für Sie?
Für mich geht es dabei um Würde. Es geht darum, Räume zu schaffen und zu sichern, in denen Menschen ohne Angst und Scham leben können, und gleichzeitig die Weiterentwicklung aller zu ermöglichen – in einem sehr positiven Sinn. Kultur selbst ist keine Ware, sie ist eine Lebensweise. Daher geht es bei kultureller Anerkennung um die Akzeptanz von Differenzen und die Wertschätzung von Variation.
Aber das bedeutet nicht, dass alles erlaubt ist. Man kann nicht sagen, dass alles „im Namen der Kultur“ geschehen darf. Dieses Argument nutzen Befürworter*innen der Redefreiheit, denn für sie geht es darum, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, unabhängig davon, was gesagt wird. Es besteht jedoch eine Spannung zwischen dem Schutz des Rechts auf Meinungsäußerung und der Pflicht, die Sicherheit und Würde aller zu schützen.
Guter Punkt. Er zeigt, dass Cultural Appreciation ein komplexes Thema ist, bei dem man sich auf verschiedene Faktoren konzentrieren muss und wahrscheinlich immer wieder Gefahr läuft, Aspekte zu übersehen oder zu ignorieren.
Ja. Bei Koexistenz geht es immer darum, Gewohnheiten, Aussehen, Akzente, Gerüche, Sprechweisen und Umgangsformen von anderen Menschen zu respektieren. Wir müssen uns auf eine ganzheitliche Weise akzeptieren.
„Onlinemedien müssen ein Konternarrativ zu Hassreden aufbauen.“
Dasselbe gilt natürlich auch für unser Verhalten online.
Anfangs war man ja der Ansicht, dass die virtuelle Welt eine eigene Realität sei. Aber mittlerweile wissen wir, dass Offline- und Onlineräume ständig verschmelzen. Rechtsextreme Bewegungen nutzen den Dorfplatz genauso sehr wie eine Facebook-Seite. Es gibt viele Verbindungen zwischen der Offline- und der Onlinewelt.
via MEME
Wie können Onlinemedien eine Kultur mitgestalten, die frei ist von Angst und der Scham, anders zu sein?
Sie müssen ein Konternarrativ aufbauen. Doch das ist ein kniffliger Begriff, denn so definiert überlassen wir der diskriminierenden Rede den Status Mainstream. Wir müssen aber gegen diese Hasstiraden ankämpfen.
Ebenso wichtig sind Maßnahmen gegen Hassreden seitens Social-Media-Unternehmen. In verschiedenen Ländern herrschen hierfür unterschiedliche Standards. Die Bundesregierung ist ziemlich streng, z. B. müssen Social-Media-Unternehmen nach dem NetzDG innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens Hasspostings löschen. Aber in anderen Ländern sind die Regierungen nicht so strikt, weil der Staat selbst an dieser Form der Gewalt beteiligt ist – ein gutes Beispiel hierfür ist die Rohingya-Tragödie in Myanmar. (Die Rohingya werden von den Vereinten Nationen als die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt eingestuft und in Myanmar nicht als eigenständige Bevölkerungsgruppe anerkannt. Verschwörungstheorien und Hetzkampagnen in den sozialen Medien tragen Schuld an der Vertreibung der Rohingya, Anm. d. Red.)
Im Rahmen unserer Forschung haben wir Social-Media-Unternehmen befragt, wie viele Personen für die Überwachung von Inhalten zuständig sind: Sie haben keinerlei Details offengelegt. Vielleicht ist ja niemand zuständig dafür? Wenn es um islamische, jihadistische und extremistische Inhalte geht, werden mittlerweile zumindest die richtigen Maßnahmen ergriffen. Es muss allerdings auch eine ähnliche Strenge bei weiß-nationalistischen Inhalten an den Tag gelegt werden.
„Wir dürfen andere Gemeinschaften nicht verspotten, indem wir ihre traditionelle Kleidung tragen.“
Wenn kulturelle Gegenstände für kommerzielle Zwecke genutzt werden, ist eher von kultureller Aneignung als kultureller Wertschätzung die Rede. Was halten Sie konkret von Menschen, die beispielsweise traditionelle Symbole tragen, welche in anderen Kulturen als der eigenen verwurzelt sind?
Es gibt keine allgemeingültige Antwort hierfür. Die Anthropologie stellt solche Praktiken in einen bestimmten Kontext. Ich selbst trage gerne ein Dirndl und gehe damit aufs Oktoberfest – das ist kulturelle Wertschätzung. Doch wenn dieses Tragen zu einer Art exklusivem Kult oder einer exklusiven Praxis führt, die so ausgeprägt ist, dass dadurch andere ausgeschlossen werden und man sich in Bezug auf die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung nicht sensibel verhält, muss man diese Handlungsweise infrage stellen.
Ein klares Signal ist daher immer: Das eigene Verhalten sollte niemals Exklusivität fördern. Wir dürfen andere Gemeinschaften nicht verspotten, indem wir ihre traditionelle Kleidung tragen, oder dadurch versuchen, eine kulturell überlegene Position einzunehmen.
„Spaß ist eine sehr ernste Angelegenheit, denn er hat auch Solidarität für rechte Ideologien geschaffen.“
Haben Sie Hoffnung, dass die junge Generation von heute weltweit mehr zusammenfinden wird als die vorangegangenen, eben weil sie in einem globaleren Kontext aufwächst?
Ich möchte da optimistisch sein. Wir sehen mit Blick auf die „Fridays for Future“-Bewegung eine ganzheitliche Energie. Da ist ein neues Bewusstsein für die Menschheit als Ganzes zu verorten.
Bezüglich der Internetnutzung von Jugendlichen beunruhigt mich der massive Einsatz von Memes, denn Humor ist ein Schlüsselfaktor für rechtsextreme Nachrichten: Er umgeht Vorschriften. Wenn Botschaften auf eine lustige Art und Weise verpackt werden, ist es schwierig, sie zu entschlüsseln. Spaß ist eine sehr ernste Angelegenheit, denn er hat auch Solidarität für rechte Ideologien geschaffen. Es ist wichtig, jungen Menschen zu zeigen, wie sie Hass und Ausgrenzung erkennen, die Humor als Deckmantel benutzen, insbesondere bei unschuldig wirkenden Internet-Memes. Wir müssen unsere Jugend schützen – das ist eine große Herausforderung.
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Was zeigt uns der Brexit?
Die Brexit-Wahl ist ein großer Schlag für die europäische Identität. Sie ist auch ein gutes Beispiel für digitale Manipulation: Wir haben jetzt fundierte Beweise dafür, dass es Falschinformationen gegeben hat, die zum Brexit geführt haben.
Deutschland trägt jetzt eine noch größere Verantwortung für die Verteidigung der Vision der Europäischen Union. Es hat die Chance, global mitzumischen und sich damit internationaler aufzustellen.
„Sie bereichern unser Leben und bringen die Lebensfreude auf eine inklusive Art und Weise zurück.“
Apropos Deutschland, wie stufen Sie dieses Land in Bezug auf Cultural Appreciation ein?
Ich würde sagen, dass seriöser Journalismus hierzulande immer noch geschätzt wird, verschiedene Stimmen werden repräsentiert. Im Vergleich zu anderen Ländern wird diese Thematik hier doch sehr ernst genommen. Der Missbrauch von Social Media ist jedoch auch hier beunruhigend: Ich gab meinen Student*innen kürzlich die Hausaufgabe, exkludierenden Nationalismus in München zu verfolgen – und sie fanden ihn in unmittelbarer Nähe. Diskriminierende Nachrichten sind etwa in Apps wie Jodel zu finden, Facebook wird systematisch für derartige Inhalte genutzt. Wir können nicht zulassen, dass das zum Mainstream wird.
Und manchmal habe ich das Gefühl, dass wir mehr Feste in Deutschland brauchen! (lacht)
Wo ich herkomme (Bangalore, Indien, Anm. d. Red.), gibt es so viele verschiedene Festivals. Das ist es, was ich hier vermisse. Sie bereichern unser Leben und bringen die Lebensfreude auf eine inklusive Art und Weise zurück.
Ein Blick in die Zukunft: Denken Sie, dass der Wunsch nach einer Vereinigung der Kulturen größer sein wird als der Aufstieg des Nationalismus?
Das ist schwer vorherzusagen. Globale Bewegungen wie jene gegen den Klimawandel und die Umweltzerstörung oder der Kampf für die Gendergerechtigkeit wecken in mir die Hoffnung, dass es viele gute Veränderungen geben wird. Die Menschen nutzen Social Media auch auf eine positive Art und Weise. Sie zeigen, wo sie waren, was sie gegessen haben – das mag trivial wirken, ist es aber nicht.
Die Zukunft hängt von uns ab. Die Eingrenzung des Nationalismus muss durch kollaborative Regulierungen erfolgen, an denen Organisationen der Zivilgesellschaft, Social-Media-Unternehmen und Regierungen gleichermaßen beteiligt sind. Positive Narrative sind wichtig. All diese verschiedenen Maßnahmen sollten sicherstellen, dass das, was wir derzeit erleben, nur eine kleine Fußnote in der Geschichte bleibt.