Im Mittelalter ist das Gebären quasi ein Gebot, Fruchtbarkeit daher ein hohes Gut. Doch nicht alle werden mit dem gesellschaftlichen Standard gesegnet. Kinderlose müssen daher ungewöhnliche Rituale in Kauf nehmen oder den Preis für ihre Unfruchtbarkeit zahlen.
“Seid fruchtbar und mehret euch”, lautet die eindeutige Aufforderung aus der Bibel, die das Weltbild im Mittelalter prägt. Wir befinden uns in einer Zeit, in der das Gebären der Normalzustand ist, in der Weiblichkeit für die Fortpflanzungsfähigkeit steht. Kindersegen versus Kinderlosigkeit – ein Battle, das damals schon entschieden ist, bevor es überhaupt ausgetragen wird. Denn wer der Vorstellung von Reproduktion nicht gerecht werden kann, muss entweder Möglichkeiten finden oder in Verachtung leben.
Im Mittelalter waren im Vergleich zu heute etwa doppelt so viele Paare kinderlos. Umso absurder war das Ringen um die große Fruchtbarkeit, die auch die Männer nicht verschonte. Besonders absurd waren die damaligen Sterilitätsprüfungen, die Männer unter enormen psychischen Druck setzten. Im Buch „Kinderlosigkeit: Ersehnte, verweigerte und bereute Elternschaft im Mittelalter” schreibt die Mittelalterforscherin Regina Toepfer von Prüfungen, die erfahrene Ehefrauen an potenziell impotenten Männern vor Gericht durchführen sollten. Und die gehen wortwörtlich unter die Gürtellinie. Konkret: Sie muss ihn – nackt – umarmen, dann stimulieren. Kommt es zu keiner Erektion, geht die soziale Existenz des Mannes flöten.
Aber wenn wir von Fruchtbarkeit im Mittelalter sprechen, müssen wir besonders über Frauen reden. Bleiben Babys in der Ehe aus, waren es nämlich besonders sie, die die Konsequenzen tragen. Mal abgesehen davon, dass diese Situation bei einem Kinderwunsch ja persönliches Leid mit sich bringt, müssen sie zudem unter einem konstanten Druck von außen leben und sind von einem sozialen Stigma gezeichnet. Kinderlosigkeit hat ihren Preis, führte damals zur Trennung, Diskriminierung, Ausgrenzung und sogar Verstoßung. Da ist es keine Überraschung, dass sich viele Frauen geheime Hilfe suchten.
Hebammen: Sie führen die Geschäfte rund um Fruchtbarkeit und Co.
Professionelle Unterstützung finden sie bei Hebammen, die einen der ältesten Frauenberufe der Welt ausführen. Ihr Business ist ziemlich facettenreich. Sie begleiten zu früheren Zeiten die Geburt, das Wochenbett und beherrschen die Kräuterkunde, sind sogar bei der Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbrüchen behilflich.
Das gynäkologische Wissen der Hebammen, das für ihr Geschäft unabdingbar ist, ist Fluch und Segen zugleich. Die Kirche brandmarkt sie als „Hexen”, weil ihre Arbeit angeblich an die Magie grenzt. In Mitteleuropa werden die Geburtshelferinnen verfolgt, gejagt und getötet. Woran die männlichen Ärzte wohl nicht ganz unschuldig sind – sie sehen nämlich in Geburten ein finanziell attraktives Geschäft, das sie sich von den Hebammen nicht vermiesen lassen wollten. Sowieso waren die Frauen eine große Konkurrenz, sprangen nämlich dann ein, wenn für den Arzt nicht genug Geld übrig war.
In Bezug auf den historischen Wirtschaftszweig der Fruchtbarkeit sind besonders Mittel interessant, die Hebammen bei Unfruchtbarkeit benutzten. Um den Traum der Familiengründung ihrer Patientinnen doch noch wahr werden zu lassen, setzten sie unter anderem auf Kräuter, Badekuren oder spezielle Rituale. Mit der Hoffnung auf Fruchtbarkeit warfen Hebammen zum Beispiel Stecknadeln und ließen die Körper der Frauen auf Rutschsteinen entblößen. Sogar von wahrscheinlich eher weniger wohlriechenden Mixturen aus Hasenmist und Elfenbein ist die Rede. Für das Kinderglück war kein Preis zu hoch, kein Weg zu absurd.
Während auf der einen Seite für die Fruchtbarkeit gekämpft wurde, ging es bei der Geburt oft um Leben und Tod. Denn im Mittelalter war jede Geburt mit einem hohen Risiko verbunden. Besonders, wenn aufgrund von Blutungen, Infektionen oder einer Gewebeschädigung manuell eingegriffen werden musste. Auch mit der Verlagerung der Geburt ins Krankenhaus Mitte des 19. Jahrhunderts war zunächst keine Besserung in Sicht – die Anzahl der Mütter, die die Prozedur nicht überlebten, stieg. Jede Sechste starb an Kindbettfieber. Erst als der junge Arzt Ignaz Semmelweis, heute als der „Retter der Mütter“ bekannt, das Kindbettfieber auf mangelnde Hygiene beim Krankenhauspersonal zurückführte und sich um Hygienevorschriften bemühte, deutete sich ein Fall der Müttersterblichkeitsrate an. Dank hygienischer Maßnahmen und Technologien besserten sich die Überlebenschancen von Müttern und ihren Babys. Nur durch diesen medizinischen Fortschritt konnten Schwangerschaft und Geburt überhaupt planbar und sicherer für Frauen werden.