Sie waren noch ganz nah am Ursprung ihres Seins, unschuldig, doch konnten Babys während der Sklaverei ein dunkles Schicksal bedeuten. Denn die Neugeborenen von damaligen Sklavenhaltern nährten sich von der Muttermilch fremder Frauen. Das ist nichts Verwerfliches. Doch die Frauen wurden dazu gezwungen, ihre Brust dem eigenen Kind für das Fremde vorzuenthalten. Es ist die Geschichte der versklavten Ammen in den Vereinigten Staaten.
Das Geschäft mit der Muttermilch
Der heute ausgestorbene Beruf der Amme geht bis in das Altertum und die Antike zurück. Zum Beispiel erzählte man sich in der griechischen Mythologie von Eurykleia, der treuen Amme des Helden Odysseus. In Europa behandelte man die Frauen, die die Kinder des Wohlstands stillten und großzogen, auf unterschiedliche Art und Weise. Je nach Land und Zeit galten sie als ekelhaft oder waren angesehen, wurden von den eigenen Vätern dazu getrieben oder konnten in der Arbeit ein lukratives Geschäft unter durchaus guten Bedingungen sehen.
Sklaverei in den Vereinigten Staaten
In den USA, wo viele versklavte Ammen ein abscheuliches Dilemma erlebten, gab es nicht die eine oder andere Möglichkeit, es gab nur den Zwang. Bis zum Jahr 1808 wurden Menschen aus Afrika dorthin gebracht, um von sogenannten Mastern in Besitz genommen und als billige Arbeitskraft eingesetzt zu werden. Diese Zeit ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Landes, das während der Kolonialisierung Amerikas vom 16. bis zum 18. Jahrhunderts eine Massenversklavung von Afrikaner*innen beschreibt. Laut US Census Bureau soll der Umfang der Sklavenbevölkerung in den USA um das Jahr 1790 noch 683.020 Menschen, um das Jahr 1860 mehr als 3,5 Millionen Menschen betragen haben. Der Anstieg dieser Zahl, die einen enormen wirtschaftlichen Faktor bedeutete, hing unter anderem mit der Entwicklung des Plantagensystems zusammen.
Zu den wichtigsten Exportprodukten, für die Sklav*innen auf den Plantagen unter Gewaltanwendung schuften mussten, zählten Tabak und Reis, später auch Zuckerrohr und Baumwolle. Vor allem letzteres Produkt spielte den USA als Rohstoffproduzent eine enorme Bedeutsamkeit für die Weltwirtschaft ein. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung wurden auch Produkte wie Schokolade, Zucker und Tabak erstmals aufgrund von niedrigeren Preisen für eine breitere Schicht von Konsumenten zugänglich. Zuvor waren die Güter einer Elite vorbehalten. Doch die kostbarste Ware der Plantagenbesitzer waren wohl ihre Sklav*innen. Ihre Arbeit wurde wichtiger als Lohn- oder Familienarbeit, auf ihre Kosten wurden Sklaventreiber reich und politisch einflussreich.
Zwischen Intimität und Ausbeutung
Unter den Unterdrückten waren auch viele Frauen, auf die fern von der Heimat harte Arbeit und tagtägliche Erniedrigungen warteten – zudem wurden sie oftmals vergewaltigt. Während ihrer Gefangenschaft erfuhren sie neben den offensichtlichen Formen der Sklaverei eine andere unsichtbare Form der Ausbeutung, verborgen in den Kinderzimmern der Gutsherren. Die Tragik, die sich dahinter verbarg, wird mit einem Blick auf die Umstände und Folgen ersichtlich: Schwarze Sklavinnen wurden Überlieferungen zufolge dazu gedrängt, den weißen Kindern ihres Sklaventreibers die Brust und volle Aufmerksamkeit zu schenken. Mit dem Stillen gingen sie einen der intimsten zwischenmenschlichen Momente ein, der eine starke Bindung zwischen Mutter und Baby bedeuten kann. Doch während es der Lebenserhaltung des kleinen Masters diente, trennte es die Frauen von ihren eigenen Kindern. Sie wurden nicht nur ihrer Muttermilch, sondern auch ihrer Fürsorge und Zeit als Mutter beraubt.
Das Dasein als Amme dürfte eine zusätzliche Belastung, aber auch für viele Frauen ein traumatisches Erlebnis gewesen sein. So soll es laut Enthuse Mag– ein Magazin, das sich mit der afrikanischen Kultur damals und heute beschäftigt – durchaus vorgekommen sein, dass einige der sogenannten Wet Nurses keine Milch mehr für die eigenen Kinder übrig hatten, die daraufhin den Hungertod starben. Ein abscheuliches Drama: Sie hatten ein Neugeborenes, ausgerechnet von ihrem eigenen Sklaventreiber an der Brust, das sie mit der Muttermilch nährten und somit ihnen das Leben schenkten. Aber bei ihrem eigenen Kind, dem eigen Fleisch und Blut, war dies nicht mehr möglich. Konnten die Sklaven-Ammen gar keine Milch mehr produzieren, wurden sie laut UC Davis Humanities Institute durch weiße Mütter ausgetauscht und als unbrauchbar beschimpft. Sie durchgingen einen Leidensweg der Erniedrigung. Versteckt hinter verschlossenen Türen erfuhren diese Frauen die Ausbeutung ihres Körpers durch ein unschuldiges Baby.
Im Jahr 1865 wurde die Sklaverei in den Vereinigten Staaten durch den 13. Verfassungszusatz endgültig abgeschafft. Doch trotz der vermeintlichen Freiheit, die die Afrikaner*innen dadurch erlangten, war das Leid nicht beendet. Im Archiv der Plattform Documenting the American South beschrieb eine Afroamerikanerin ihre Arbeit als Kindermädchen nach der Sklaverei. Für zehn Dollar im Monat arbeitete sie 14 bis 16 Stunden am Tag, kümmerte sich um Kinder und Haushalt, während es ihr nicht gestattet war, sich auszuruhen. Ihre eigenen Kinder durfte sie nur alle zwei Wochen für einen Nachmittag sehen, erfuhr Erniedrigung und Unterdrückung. „Ich bin die Sklavin, Körper und Seele, dieser Familie”, schrieb sie über ihre Arbeitgeber.
Die grausame Geschichte sollte sich wiederholen. Zwar änderten sich die Formen von Sklaverei, doch blieb der Mensch als Ware, der für Wirtschaft und Profit missbraucht wird. Heute ist es vor allem die Armut, aus der Menschen in die Sklaverei gelockt werden und durch das Wegschauen der Gesellschaft unsichtbar verharren.