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Kompendium: Betapreneurship

Die Chemie begann als Wissenschaft der Geheimnisträger. Jahrzehntelang arbeiteten Alchemisten für den Reichtum der Herrscher: Gold und ewiges Leben waren das große Ziel. Stattdessen fanden sie das Porzellan und schufen einen neuen Wirtschaftszweig.

Kompendium: Betapreneurship

Konstantin Ziolkowski ist nie ins Weltall geflogen. Trotzdem ist seine Arbeit der erste große Meilenstein der Raumfahrt. Jahrzehntelang beachtete ihn niemand, doch der einfache Lehrer hörte nie auf zu forschen. Seine Hartnäckigkeit führte zu bedeutenden Erkenntnissen.

Kompendium: Betapreneurship

Gründer*innen kannst du nicht führen, aber sie bringen viel Lernbereitschaft mit. Genau das mache die Arbeit mit ihnen so angenehm, sagt Start-up-Expertin Lina Timm.

Kompendium: Betapreneurship

Marktführer wie Adobe und Google werden in den nächsten zehn Jahren nahezu unangreifbar werden. Forever Beta muss man sich leisten können. Eine Bank-Expertin sieht für die Gründer*innen von morgen dennoch einmalige Chancen.

Kompendium: Betapreneurship

Denken, entwickeln, entdecken. Die Menschen der Zukunft werden nicht mehr lernen. Sie werden ihre Welt gestalten. Betapreneurship wird der Lebensstil einer Gesellschaft. 

Kompendium

Statt eine Unternehmensidee sofort in vollem Umfang umzusetzen, sind Betapreneur*innen flexibler aufgestellt. Die Testphase der Businessidee dauert teilweise jahrelang. So können Betapreneur*innen agiler auf Impulse und Trends reagieren und ihr Geschäftsmodell stetig verfeinern. Sind sie die Gründer*innen der Zukunft?

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Alchemisten – Forschen für den Reichtum

Kompendium: Betapreneurship

Alchemisten – Forschen für den Reichtum

Der Begriff Alchemist geht auf den arabischen Begriff al-kimiya zurück, was wiederum aus dem Altgriechischen stammt und in etwa „Vermischung” bedeutet oder auch „Metallguss”. Gemälde: Joseph Wright of Derby.

Die Chemie begann als Wissenschaft der Geheimnisträger. Jahrzehntelang arbeiteten Alchemisten für den Reichtum der Herrscher: Gold und ewiges Leben waren das große Ziel. Stattdessen fanden sie das Porzellan und schufen einen neuen Wirtschaftszweig.

Als das Mittelalter endete und mit ihm die dunkle Zeit der Nichtwissenschaft, kamen die Magier, Alchemisten genannt, an die europäischen Höfe. Der Begriff Alchemist geht auf den arabischen Begriff al-kimiya zurück, was wiederum aus dem Altgriechischen stammt und in etwa „Vermischung” bedeutet oder auch „Metallguss”. Mit diesem Begriff sind wir schon ziemlich nahe an dem Handwerk der Alchemisten. Sie sollten aus einfachen Metallen edles Gold herstellen und ihre Herren reich machen. Kriege waren teuer und auch das höfische Leben zeichnete sich nicht durch Sparsamkeit aus. Das Gold der Alchemisten sollte als Finanzspritze für ein System wirken, das sich selbst nicht tragen konnte. 

Die Alchemisten arbeiteten im Verborgenen, weshalb man sie auch als „Arkanisten” bezeichnete, vom lateinischen Begriff arcanum (Geheimnis). Einer von ihnen war der Apothekergeselle Johann Friedrich Böttger. Auch er suchte den „Stein der Weisen”, eine sagenumwobene Substanz, die das Wunder vollbringen können sollte, simples Metall in Gold zu verwandeln. 

Vom Superstar zum Gefangenen

Vor seinem Berliner Lehrmeister soll der 19-jährige Böttger im Jahr 1701 Silber in Gold verwandelt haben, eine Sensation. Die Geschichte verbreitete sich rasch und so hörten auch die Herrscher seiner Zeit davon. Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, lud ihn daraufhin auf sein Schloss ein, wenngleich eher als Gefangener, denn als Gast, dessen war sich der junge Chemiker von Anfang an bewusst. Böttger floh, wurde aber bald gefasst.

Der Apothekergeselle Johann Friedrich Böttger war auf der Suche nach der Formel simples Metall in Gold zu verwandeln. Foto: Saxonia Museum für sächsische Vaterlandskunde.

Er bat August den Starken um Hilfe, den Kurfürsten von Sachsen, der ihm in Dresden Sicherheit gewährte. Doch auch diese Sicherheit wurde schnell zum Gefängnis: Böttger kam auf die Festung Königstein im Elbsandsteingebirge. Diese durfte er nicht mehr verlassen bis er das Geheimnis, mit dem er Gold herzustellen vermochte, preisgab.

Nur tat er dies nicht. Und nach allem, was wir wissen,  war Böttger dies auch nie gelungen. Zumindest ist dies bis heute ohne Teilchenbeschleuniger nicht möglich, und dann nicht unbedingt kosteneffizient, was es doch sehr unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass es Böttger im frühen 18. Jahrhundert gelungen sein soll.

Die folgenden Jahre verbrachte Böttger vermutlich eher mit Fluchtplänen als mit Alchemie. Vielleicht, weil ihm klar war, dass seine Versuche nicht gelingen würden. Er versuchte es dennoch weiter, weil er um sein Leben fürchtete, denn andernorts hatten Herrscher erfolglose Alchemisten zuvor bereits hinrichten lassen. Immer wieder forderte August der Starke Gold von Böttger, immer wieder wurde er vertröstet. Gleichzeitig waren die Experimente teuer. 400 Taler monatlich ließ der Kurfürst anweisen, später waren es 850. Gold im Wert von zehn Millionen Talern sollte Böttger im Gegenzug dafür liefern.

Nicht das erwartete Gold, dafür ein Durchbruch bei der Zusammenarbeit

Nach jahrelanger Gefangenschaft und vielen gescheiterten Fluchtversuchen fand Böttger gemeinsam mit dem älteren Wissenschaftler Ehrenfried Walther von Tschirnhaus jedoch einen anderen Stoff, der nicht minder reich machte: das Porzellan. Tschirnhaus hatte sein Leben lang das Ziel verfolgt, ein Netzwerk unter Wissenschaftlern aufzubauen, was sich damals noch als  sehr holprig gestaltete. Er reiste dafür durch Europa, nach Frankreich und in die Niederlande, um sich mit Wissenschaftlern im Ausland auszutauschen. Brennöfen und -linsen entwickelten Tschirnhaus, Böttger und ihre Mitstreiter, zudem  Laborgeräte, die sie für ihre Experimente brauchten.

Porzellan war damals ähnlich sagenumwoben wie Gold. Es war aus China in den Westen gekommen, doch die Herstellung blieb unbekannt. Die Europäer mussten es neu erfinden. Früh dran waren die Holländer, sie stellten günstige Kopien der chinesischen Originale her. Es gelang dem sächsischen Team um Böttger zunächst mit Tonerde rotes Porzellan herzustellen. Wenige Jahre später, nach vielen Experimenten und einem regelmäßigen Austausch, nahmen sie Alabaster hinzu und konnten ab sofort das edle weiße Porzellan anfertigen. 

Die Instrumente, welche die Alchemisten verwandten, auf ihrer immer währenden Suche nach der Verwandlung von Metall in Gold. Zeichnung: Alembic.

Vielleicht ist dies das wahre Erfolgsgeheimnis der Arkanisten und Alchemisten. Sie arbeiteten zusammen. Sie nahmen nicht nur die Mittel, die ihnen gegeben wurden, sondern sie entwickelten eigene Geräte, eigene Methoden. Ein Scheitern war nicht vorgesehen. Das machte sie zu frühen Gründern und Betapreneuren: Ihr Leben war der Erfindung gewidmet, das Produkt wurde stetig verbessert. Sie machten das Weiß reiner und das Material beständiger und weniger anfällig für Fehler im Produktionsprozess.

Böttger leitete ab 1710 die neu gegründete „Königlich-Sächsische Porzellan Manufaktur“. Er kam im Jahr 1714, nach 13-jähriger Gefangenschaft, endlich frei. Er konnte jedoch nur noch fünf Jahre in Freiheit verbringen. Mit 37 Jahren starb er, weil die jahrelangen chemischen Versuche in Gefangenschaft seine Gesundheit zu sehr beeinträchtigt hatten. 

Sein Vermächtnis, das Porzellan, war begehrt und teuer in dieser Zeit. Doch was den Wissenschaftlern fehlte, so schreibt es der Kunsthistoriker Ernst Zimmermann im Jahr 1908 , war die „geschäfts- und sachkundige Leitung, die es verstanden hätte, das neue Produkt technisch wie kaufmännisch rationell auszunutzen.” Ohne die Fähigkeiten guter Kaufleute konnten die Erfinder den Wert ihres Produktes nicht voll ausschöpfen. Bald schon entstand Konkurrenz in ganz Europa. 

Die Alchemisten als frühe Betapreneure lebten gut, weil ihre Herrscher sie finanzierten. Dabei blieben sie jedoch auf ihr Fachgebiet beschränkt. Den wirtschaftlichen Erfolg hatten am Ende andere.

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Der Anfang der Weltraumforschung – In Gedanken ins Weltall

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Der Anfang der Weltraumforschung – In Gedanken ins Weltall

„Es stimmt, die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben. Das Sonnensystem wird unser Kindergarten.” Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski, in: Die Erforschung der Weltenräume mit reaktiven Apparaten

Konstantin Ziolkowski ist nie ins Weltall geflogen. Trotzdem ist seine Arbeit der erste große Meilenstein der Raumfahrt. Jahrzehntelang beachtete ihn niemand, doch der einfache Lehrer hörte nie auf zu forschen. Seine Hartnäckigkeit führte zu bedeutenden Erkenntnissen.

Wer ignoriert wird, der hat wenigstens seine Ruhe. Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski hatte viel Ruhe in seinem Leben und er nutzte sie, um nichts Geringeres zu tun, als die Grundlage der Raumfahrt zu schaffen. Im späten 19. Jahrhundert baute Ziolkowski in seiner Wohnung im russischen Kaluga einen eigenen Windkanal. Er dachte sich den Weltraumfahrstuhl aus, an dem heute wieder getüftelt wird. Dann nahm er sich die Raketentechnik vor. Seine Ideen prägen die Raumfahrt bis heute.

Mit zehn Jahren hatte Ziolkowski sich mit Scharlach infiziert, was ihn fast taub werden ließ. Die Schule konnte er danach nicht mehr besuchen. Doch der kleine Konstantin gab nicht auf. Er wollte lernen, also lernte er für sich selbst. Dabei war er so erfolgreich, dass er später die Universität in Moskau besuchen konnte. Er beschäftigte sich vor allem mit Physik, Astronomie, Mechanik und Geometrie. Drei Jahre erlaubten seine Eltern ihm das Studium in Moskau, dann musste er zurückkehren. Er unterrichtete fortan Mathematik und Physik an der Schule, heiratete, wurde Vater. 

Weltraumforschung: Von der Fiktion zur Wissenschaft

Konstantin Ziolkowski war ein russischer und sowjetischer Raketenwissenschaftler und Pionier der Raumfahrttheorie.Foto: Михаил Николаевич Лавров.

Ziolkowski schrieb Geschichten und während er schrieb, wurden seine Gedanken immer komplexer. Aus Geschichten wurden bald theoretische Abhandlungen zur Raumfahrt, immer konkreter und zunehmend wissenschaftlich. 

Ziolkowskis Texte geben Einblick in den Kopf eines Mannes, der Raumfahrt möglich machen wollte und in dessen Kopf eigentlich jedes Problem lösbar gewesen sein muss. Er gab nie auf. Stieß er auf ein Hindernis, suchte er nach einer Lösung. In seinem Text „Die kosmische Philosophie” schrieb er 1918: „Ich erkenne nichts an, das nicht materiell ist. In der Physik, Chemie und Biologie sehe ich nur Mechanik. Das Universum ist nichts anderes, als ein unendlicher und komplexer Mechanismus.”

Diese Mechanismen galt es zu entschlüsseln und Ziolkowski hatte ein Leben lang Zeit. Eines der Probleme dieser Zeit war es, dass Menschen nicht mit Raketen ins All geschossen werden konnten. Feste Treibstoffe waren zu schwer, um die nötige Energie zu schaffen abzuheben und die Erdanziehungskraft zu überwinden. Und wären sie es nicht gewesen, dann wäre es der erste starke Schub gewesen, den kein Mensch beim Abschuss überlebt hätte.

Die Grundlagen der Raumfahrt

Ziolkowski umging diese Probleme mit Flüssigtreibstoff und mehrstufigen Raketen – beides wird heute verwendet. Doch herkömmliche Raketen, wie sie in Kriegen verwendet wurden, waren zu ungenau zu steuern, gerieten ins Trudeln und boten keine Sicherheit. Ein Gyroskop lauete Ziolkowskis Vorschlag, ein Kreiselinstrument, das sich so schnell dreht, dass der Körper drumherum stabilisiert wird. Seine Erkenntnisse fasste Ziolkowski in die Raketengrundgleichung. In der Formel berücksichtigte er, dass, da der Treibstoff verbraucht wird, die zu beschleunigende Masse im Lauf der Zeit abnimmt und damit weniger Energie nötig ist, um die gleiche Beschleunigung zu erreichen oder mit der gleichen Energie mehr Beschleunigung möglich ist. Tatsächlich für den Raumflug nutzbare Raketen waren in dieser Kombination erstmals denkbar.

Wir können von Ziolkowski lernen, dass gute, wirklich bahnbrechende Ideen manchmal Zeit brauchen.

Innovation durch Ruhe

Heute gehen wir davon aus, dass frei zugängliches Wissen in Gruppen durch offene Räume und inspirierenden Kontakt geschaffen wird.Ziolkowski hatte nichts davon. Er war allein in seiner Wohnung, las Werke von Jules Verne und entwickelte seine Ideen. Und diese Ideen waren so abwegig, dass niemand im zuhörte und niemand sie verbreitete.

Vielleicht war genau das das Geheimnis. Niemand konnte ihm glaubhaft sagen, dass das, was er sich ausgedacht hatte, nicht zu verwirklichen war. Er sah selbst anhand seiner Gleichungen, dass es gehen konnte. Kein Glaube an alte Postulate zog ihn runter, keine große Community lachte ihn aus und keine Mitdenker zogen seine Ideen weg vom Fantastischen hin zu dem, was in seiner Gegenwart als praktisch galt. Die Abgeschiedenheit war von der Stille um ihn herum bestimmt, sie machte ihn introvertiert. Er selbst schrieb: „Die Taubheit entzieht mich dem Umgang mit Menschen, der Beachtung, dem Austausch, daher ist meine Biographie arm an Personen und Begegnungen.“

Diese Zeichnung ist der erste Entwurf Ziolkowskis eines Raumschiffs. Skizze: Konstantin Ziolkowski.

Erst am Ende seines Lebens bekam Ziolkowski Aufmerksamkeit. In seinem Windkanal wurden Szenen eines Films gedreht, seine Geschichten verkauften sich plötzlich. Eigentlich forschte er an konkretem Wissen, doch gerade das Visionäre und Fantastische seiner Ideen war es, das die Menschen anzog. Wissenschaftlicher Ruhm blieb ihm somit lange verwehrt. Andere, die später ähnliche Arbeiten publizierten, gaben an, nie von ihm gehört zu haben. Ob das stimmt? Wir wissen es nicht. Heute gilt er als einer der Wegbereiter der Raumfahrt.

Lernen können wir von ihm, dass gute, wirklich bahnbrechende Ideen manchmal Zeit brauchen. Dass sie entwickelt, herangetragen, hinterfragt, berechnet und immer wieder neu gedacht werden müssen – manchmal ungestört, auch das kann helfen. Ziolkowski ist der Gegenentwurf zum modernen, vollbeweglichen Team. Er beweist uns, dass in der einsamen Konzentration viel Kreativität liegen kann. Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski konnte in Ruhe denken. Er dachte seiner Zeit weit voraus.

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Lina Timm: „Hoffentlich sind wir nie perfekt”

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Lina Timm: „Hoffentlich sind wir nie perfekt”

"Wenn deine Idee so einfach nachzumachen ist, dass sie morgen geklaut werden kann, und andere das genauso schnell auf die Beine gestellt bekommen, dann war sie nicht gut." Foto: Youx Ventures.

Gründer*innen kannst du nicht führen, aber sie bringen viel Lernbereitschaft mit. Genau das mache die Arbeit mit ihnen so angenehm, sagt Start-up-Expertin Lina Timm.

„Wenn du dich für dein erstes Produkt nicht schämst, dann bist du zu spät rausgegangen“

Betapreneur*innen sind das Herz der Gründerlandschaft. Sie sind Menschen, die nicht aufgeben, die immer weiter an einer Idee arbeiten und sie sogar komplett für eine andere Idee verwerfen. Sie halten Feedback aus, auch wenn es manchmal weh tut. Sie hören den Menschen zu, für die ihr Produkt bestimmt ist. Was wir von diesen Menschen lernen können, haben wir von Lina Timm erfahren. Sie leitet das Medialab Bayern und unterstützt in verschiedenen Fellowships junge Start-ups von der Idee zum Prototyp über die Markteinführung hinaus, bis sich das junge Unternehmen selbst trägt. Die Methode der Wahl: Das Media Lab führt Timm selbst wie ein Start-up. Wie das geht, hat sie von denen gelernt, die auch von ihr lernen: immer weiter entwickeln, niemals fertig sein. 

Lina Timm, du hast das Media Lab Bayern aufgebaut und leitest es nun. War es von Anfang an perfekt, als du es gegründet hast?

Wir sind nie perfekt. Ich bin am ersten Tag reingegangen und habe die Gründerinnen und Gründer gefragt: „Was braucht ihr?“ Und sie haben gesagt: „Marketing!“ Also habe ich einen Marketing-Coach organisiert, der aus einem riesigen Tech-Konzern kam. Das hat überhaupt nichts gebracht, weil er sich nicht in die Lage versetzen konnte, Marketing mit null Euro hinzukriegen. Das war also nett, aber nicht sinnvoll. Also bin ich losgelaufen und habe den nächsten organisiert, der hatte Marketing in Start-ups schon mal gemacht. Genau so ist alles entstanden, was wir irgendwann gemacht haben. 

Klingt, als seid ihr selbst Betapreneure. Wie entsteht euer Angebot an die Start-ups?

Wir fangen an mit einer Grundidee, bringen sie auf den Markt und gucken, was der Markt damit macht. Und dann wird es konstant verfeinert. Alles, was bei uns rausgeht, ist eine rudimentäre Idee von dem, was die Menschen da draußen brauchen. Ob sie es wirklich brauchen, stellen wir dann fest, wenn sie es buchen, sich anmelden oder eben nicht. Wichtig ist, dass man schon das kleinste Konzept am Markt testet. Die Start-up-Szene hat mich gelehrt: Wenn du dich für dein erstes Produkt nicht schämst, dann bist du zu spät rausgegangen. Und das ist so wahr! Zu großes Perfektionsdenken lähmt Innovation.

“Wenn deine Idee so einfach nachzumachen ist, dass sie morgen geklaut werden kann, und andere das genauso schnell auf die Beine gestellt bekommen, dann war sie nicht gut.” Foto: David Pierce.

Aber woher weiß ich, wann ein guter Moment ist, um rauszugehen mit meinem Produkt?

Wenn man sich diese Frage stellt: immer jetzt. Oder gestern. Gestern ist die richtige Antwort. Feedback meiner Nutzer*innen ist das Wichtigste und Wertvollste, egal, was für ein Produkt ich habe. Nur mit Feedback kann ich es weiterentwickeln. Nur dann schaffe ich es, irgendwann das zu treffen, was sie brauchen und einen wirklichen Mehrwert zu bieten. Je schneller ich Feedback bekomme, desto mehr kürze ich diesen Prozess ab. 

Mein erster Chef würde dir antworten: „Dann wird die Idee geklaut!“ 

Wenn deine Idee so einfach nachzumachen ist, dass sie morgen geklaut werden kann, und andere das genauso schnell auf die Beine gestellt bekommen, dann war sie nicht gut. Nach fünf Jahren Media Lab habe ich so viele Ideen das vierte, fünfte odersechste Mal gehört. Jede Idee, die du haben kannst, die ich haben kann, die hatte schon einmal jemand.

Wenn es nicht um die Idee geht, worum geht es dann?

Es geht darum, eine Idee umzusetzen. Es geht um die Frage, ob ich diejenige bin, die das machen kann. Die Methode des Lean Canvas spricht von „Unfair Advantage“. Wer eine Idee umsetzt, braucht einen unfairen Vorteil, weshalb es bei ihm oder ihr klappt, bei anderen aber nicht. Habe ich diesen Vorteil nicht, dann wird die Idee geklaut.

Was hat es mit Canvasses auf sich?

Die Canvasses funktionieren für uns und unsere Teams als Werkzeugkoffer. Sie geben eine Struktur, einen Rahmen für Innovationen. Solche Methoden helfen dir beim Denken. Sie fragen: Warum mache ich das? Was ist das Projekt? Wer ist mein Kunde? Wo kommt das Geld her? Was biete ich den Geldgebern? 

Bei neuen Produkten kommen Gründer*innen oft an einen Punkt, an dem sie herausfinden müssen, ob ihre Kundinnen und Kunden das Projekt wirklich haben wollen. Dafür gibt es zum Beispiel den Experiment Tracker. Ich lege das Experiment fest und eine Annahme: Ich betrachte es als erfolgreich, wenn eine bestimmte Anzahl von Personen zufrieden ist. Es geht ums Quantifizieren und um Methoden, mit denen man sich nach den Tests nicht selbst belügt. Das kann auch ein frustrierender Prozess sein, wenn die Nutzer*innen eine Idee einfach nicht brauchen. 

“Betapreneur*innen sind das Herz der Gründerlandschaft. Sie sind Menschen, die nicht aufgeben, die immer weiter an einer Idee arbeiten und sie sogar komplett für eine andere Idee verwerfen.” Foto: Van Tay Media.

Du leitest das MediaLab. Wie führt man Erfinderpersönlichkeiten?

Gründerpersönlichkeiten kannst du nicht führen, das ist auch gar nicht unser Job. Die gründen eine Firma, damit sie eben nicht mehr geführt werden. Die sind klar auf ihr Geschäft fokussiert. Sie haben eine klare Priorität: Hilft ihnen das Angebot weiter? Sie haben weder Zeit noch Bock, sich von Coachings berieseln zu lassen. Die checken, ob ihnen ein Angebot etwas bringt. Wenn nicht, dann sind sie nicht da. Sie schulen uns sehr darin, die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen.

Wie stehst du zum „Fail-Fast“-Ansatz aus dem Silicon Valley?

Finde ich spitze! Bei uns gehen die ganze Zeit Dinge schief. Aber bei keinem Projekt der Welt ist jemals alles schief gegangen. Nie! Es haben einzelneTeile nicht funktioniert. Aber wie schwerwiegend sind diese Teile? Und hast du auf deinem Weg etwas dagegen unternommen? Wenn etwas explodiert, stehe ich nicht daneben und mache Fotos. Ich renne rein und lösche. Solange wir das machen und optimieren, während der Prozess läuft, ist nicht wirklich etwas schief gegangen. Dann haben wir das Beste draus gemacht und vermutlich herausgefunden, was wir noch besser machen können. 

Können Gründerpersönlichkeiten das eher durchhalten?

Bei Gründerpersönlichkeiten gibt es einen Grundwillen und ein Grundvertrauen. Gründer*innen sagen: „Ich mache das. Zur Not mache ich es alleine. Ich krieg das schon irgendwie hin.“ Sie bringen viel Lernbereitschaft mit. Deshalb macht es so viel Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Angestellte freuen sich über einen Workshop, weil sie dann nicht arbeiten müssen. Gründer*innen erledigen ihre Aufgaben, wenn der Workshop vorbei ist. 

Gibt es in Deutschland genügend Geld für gute Ideen?

Nein, aber Geld wird auch oft überschätzt. Jede Innovation kann man einfach klein starten, ohne viel Investment außer der eigenen Zeit. Start-ups hangeln sich manchmal von Förderung zu Förderung, aber irgendwann wird keine Stiftung und kein Media Lab mehr zahlen. Ob ihre Idee gut ist, stellen sie erst fest, wenn sie sich am Markt behaupten müssen und die Kundinnen und Kunden oder die Werbetreibenden zahlen.

Und was sollen Gründer*innen jetzt machen? 

Ein Problem finden und dann herausfinden, ob andere Menschen es auch haben und ob sie meine Lösung wirklich haben wollen. Vergleichen wir die Schmerztablette mit dem Nackenmassagegerät: Das eine brauche ich wirklich, das andere ist nice-to-have. Das finde ich heraus, wenn ich mir anschaue, was die Menschen wirklich tun, um ihr Problem zu lösen. Ist das Problem ein Rückenschmerz, kann ich sagen: Hier ist ein Abo fürs Fitnessstudio. Aber dann muss ich weiterfragen: Würdest du hingehen? Warst du schon mal angemeldet? Warst du schon mal da? Wie oft? Und wenn die Person nur zwei Mal da war und dann nie wieder hingegangen ist, dann ist das Fitnessstudio-Abo nicht die Lösung. Oder die Rückenschmerzen waren nicht schlimm genug. Als Gründer*in muss ich herausfinden: Ist das Problem groß genug, dass Leute etwas dagegen machen? Dann kann ich anfangen, eine Lösung zu entwickeln. Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass man etwas lernt.

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Forever Beta ist ein schwer versenkbares Modell

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Forever Beta ist ein schwer versenkbares Modell

"Die Welt entwickelte sich weiter und das müssen künftig auch Produkte tun und zwar ständig." Foto: Morning Brew.

Marktführer wie Adobe und Google werden in den nächsten zehn Jahren nahezu unangreifbar werden. Forever Beta muss man sich leisten können. Eine Bank-Expertin sieht für die Gründer*innen von morgen dennoch einmalige Chancen.

„Never change a winning team”, sagen sie im Sport. In der Produktentwicklung glaubte man lange Zeit an: „Never change a running system”, doch dieser Satz war ein Irrweg. Er hat erfolgreiche Unternehmen ihre Existenz gekostet. Denken wir an große Marken wie Telefunken, Kodak, Nokia, AEG, dann denken wir an unsere Jugend. Geräte dieser Marken galten als verlässlich, als kluge Haushaltsinvestition getreu dem Motto „da weiß man, was man hat”.

Doch diese Einstellung hat nicht gereicht. Die Welt entwickelte sich weiter und das müssen künftig auch Produkte tun und zwar ständig. Wer ein Produkt entwickelt, der tut das nicht länger für die Probleme von heute. Er tut es für die Bedürfnisse von morgen. Und das kann erst einmal seltsam wirken. Serienunternehmer Martin Gaedt schreibt im Buch „Die Macht der Ideen”: „Eine Idee sprengt die klaren Abläufe und ist deswegen nie willkommen. Sie lenkt ab, sie klingt anstrengend und sie kritisiert den Status quo.” Aber genau das hat eine Funktion: „Wer sagt, er kenne die Zukunft, der lügt”, schreibt Gaedt an späterer Stelle. „Was hingegen stimmt: Wir können die Zukunft heute schon gestalten.”

“Cloud-Speicherung dient den Daten-Messis und datensammelnden Unternehmen, was oft das Gleiche ist.” Foto: Annie Spratt.

Bedürfnisse ändern sich. Produkte müssen schneller sein

„Never change a running system” ignoriert die Tatsache, dass sich die Bedürfnisse ständig ändern. Waschmaschinen müssen heute weniger Wasser verbrauchen als früher, weil unsere Ansprüche an Nachhaltigkeit gestiegen sind – und die Wasserpreise ebenso. Kameras müssen bessere Bilder machen. Computer müssen diese Bilder speichern können und genug Leistung haben, um sie auch zu bearbeiten. Internetleitungen müssen schnell genug sein, um diese Bilder zu teilen. Cloud-Speicherung dient den Daten-Messis und datensammelnden Unternehmen, was oft das Gleiche ist. Jede Idee von heute braucht in wenigen Jahren die Technologie, die ihre Umsetzung ermöglicht. 

Cloud-Software im Abo wird ständig anhand des Nutzerfeedbacks aktualisiert, dadurch immer besser und im Extremfall quasi unangreifbar, weil Produktgruppen wie Adobe, Google Drive oder Office 365 ihre Marktführerschaft auf Wissen und Agilität aufbauen können. Es entsteht ein Oligopol, ein System, bei dem einige wenige Unternehmen ihren Markt beherrschen. Facebook schaltet durch Zukäufe Konkurrenten aus. Microsoft Office hat in deutschen Firmen einen Marktanteil von 89 Prozent. Und Adobe führt seine Creative Cloud bereits im Jahr 2011 ein, lange vor vielen anderen Anbietern.

Die Firmenkundenbetreuerin der Deutschen Bank Anna Klein berät große Unternehmen in Nordrhein-Westfalen und hat einige Jahre lang mit Start-ups gearbeitet. Foto: Anna Klein.

Das Forever Beta der Cloud-Konzerne ist ein schwer versenkbares Geschäftsmodell. Und das könnte schon in einigen Jahren dazu führen, dass die Innovationskraft zurückgeht, weil sich gute Ideen kleinerer Unternehmen schlicht nicht durchsetzen können.

„Je größer ein Unternehmen wird, desto langsamer wird es häufig”

Trotzdem haben Menschen mit Ideen auch morgen noch gute Chancen, meint Anna Klein. Die Firmenkundenbetreuerin der Deutschen Bank berät große Unternehmen in Nordrhein-Westfalen und hat einige Jahre lang mit Start-ups gearbeitet. „Je größer ein Unternehmen wird, desto langsamer wird es häufig, umso weniger innovativ, gerade, wenn es im Industriebereich tätig ist”, sagt sie. Und darin liege die Chance der nächsten Gründer*innen: „Nicht in dem Sinn, dass sie die großen Unternehmen angreifen, sondern über Kooperationen können Start-ups sehr erfolgreich werden.”

Das lohne sich für alle Beteiligten, auch für die größeren Unternehmen, denen es am Markt gerade gut gehen mag. In einigen Jahren könnte sich das ändern. Klein denkt dabei zum Beispiel an die Hidden Champions: Firmen, die kaum jemand kennt, die aber in ihrem Segment Weltmarktführer sind. Die Herausforderung ist es immer, eine solche Führungsposition auch morgen noch zu halten. Und das ist nicht immer leicht.

 „Häufig sind es Dinge, die man anders macht oder anders denkt, und die zu einem ganz neuen Geschäftsmodell führen” 

 „Gründer, insbesondere auch junge Gründer, haben einen anderen Blick auf die Welt und einen anderen Blick auf die Branche. Ihr Mindset ist noch nicht vorgegeben und nicht geprägt von den Vorgesetzten.” Warum ist das besser? „In einem Großkonzern können junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter natürlich auch Ideen vorbringen. Aber bei einem großen Schiff wird die Richtungsänderung schwierig. Jüngere, vielleicht direkt aus dem Studium kommend, sind mutiger und kreativer.”

„Je größer ein Unternehmen wird, desto langsamer wird es häufig, umso weniger innovativ, gerade, wenn es im Industriebereich tätig ist”, sagt Anna Klein von Deutsche Bank. Foto: Simon Bak.

Das dient dem Produkt und es dient den künftigen Nutzer*innen: „Sie können sich gegenseitig pushen und sind nicht in die Prozesswelt eines Unternehmens eingegroovt.” Der entscheidende Vorteil kann dann ausgerechnet in der mangelnden Erfahrung liegen: „Wer zu viel Lebenserfahrung hat, meint vielleicht aufgrund der eigenen Erfahrungen zu wissen, dass bestimmte Dinge nicht möglich seien. Jüngere sind unabhängig und können ihren Ideen freien Lauf lassen. Es gibt mehr Mut zur Veränderung.”

Für die ganz großen Player brauche es entsprechend größere Innovationen. „Wer ein Heilmittel für Krebs findet, kann sich damit vielleicht an die Spitze aller Pharmakonzerne bringen, doch solche Erfolge sind eben selten”, sagt Klein. „Häufig sind es Dinge, die man anders macht oder anders denkt, und die dann zu einem ganz neuen Geschäftsmodell führen.” 

So bringen jüngere Gründerinnen und Gründer Ideen ein, die am Ende dem Produkt dienen und damit auch dem Endnutzer. Auf diesen Aspekt hat Klein in ihrer Arbeit mit Start-ups besonders geachtet: Ist der Zielmarkt klar? Und werden die Menschen für das Produkt Geld ausgeben wollen? Betapreneurship sei hier eine spannende Vorgehensweise für die Ideen von morgen. Wer so arbeitet, bleibt immer nah an seinen Kunden und den anderen Beteiligten der Unternehmensgründung. Klein: „Wenn mein Produkt nie fertig ist, dann kann es immer die nächste Idee sein, die mich nach vorne katapultiert.”

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Familie Düsentrieb: Erfindungen für die Mikrokultur

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Familie Düsentrieb: Erfindungen für die Mikrokultur

"Vesnas Vater Lennard hat sich, wie die meisten Erwachsenen, für ein Leben als Privatmann entschieden. Sein Einkommen setzt sich aus dem regionalen Grundeinkommen zusammen und dem, was ihm andere für seine Erfindungen bezahlen." Foto: Sasin Tipchai.

Winter 2061: Menschen lernen nicht mehr, sie entdecken und erfinden. Menschen arbeiten als Partner*innen zusammen, entwickeln das Leben auf Mikroebene weiter. Denken, entwickeln, entdecken. Die Menschen der Zukunft werden nicht mehr lernen. Sie werden ihre Welt gestalten. Betapreneurship wird der Lebensstil einer Gesellschaft. 

Mit schweren Augen und steifen Gliedern schält Vesna sich aus dem Bett. Es ist ein Wintermorgen im Jahr 2061 in der Region Slowenien und die Heim-KI regelt die Temperatur in ihrem Schlafzimmer auf schlaffördernde 18 Grad. In einer Stunde wird sie sie anheben, doch Vesna will heute früh raus. Ihr kleiner Bruder hat Geburtstag. Ein bedeutsamer Geburtstag.

Wenn Kinder in Euro-Arabia acht Jahre alt werden, bekommen sie erstmals die Gelegenheit, sich für eine Schule zu entscheiden: die Maker-School, in der experimentiert und konstruiert wird, die Thinker-School für Debatten und Kultur oder die Discovery-School, deren Mitglieder untersuchen, was die Welt zu bieten hat, um zum Beispiel Krankheiten zu heilen oder neue Technologien zu ermöglichen. Alternativ zur Wahl steht auch die manchmal belächelte Orientation School. Von dieser Schule aus können die Jugendlichen jederzeit zu einer spezialisierten Schule wechseln oder sie bis zum Ende besuchen, um dann dabei zu helfen, die Impulse der Absolvent*innen verschiedener Schulen zusammenzubringen.

Eine Welt des Tuns und des Lernens

Schule ist ein sehr offenes Konzept in der Gesellschaft, in der Vesna und Quinn aufwachsen. Die Grundlagen des Wissens lernen Kinder spielerisch in der Tagesbetreuung. Auswendiggelernt wird nicht mehr, auch wenn Vesna immer ein wenig neidisch staunt, wenn ihre Mutter aus dem Kopf historische Ereignisse erzählt, mit korrekten Jahresdaten, Handlungsorten und lebendigen Details. Diese Art von Wissen ziehen sich die Menschen von heute aus dem Hyper-BioNet, einem Organismus, in dem das Wissen der Welt gespeichert wird. Die Kinder lernen kein Wissen. Sie lernen, was sie brauchen, um ihre Welt voranzubringen.

Vesna selbst ist 13 Jahre alt und besucht die Thinker-School. Gemeinsam mit ihrer Gruppe denkt sie derzeit über Verteilungsgerechtigkeit nach. Denn während die Ressourcen der Welt gut verteilt sind, sind es die Ideen eher nicht. Vesna wünscht sich eine Welt, in der jedes Kind und jeder Erwachsene die Freiheit hat, über seinen Lebensweg zu entscheiden. 

Es ist ein Wintermorgen im Jahr 2061 in der Region Slowenien und die Heim-KI regelt die Temperatur in ihrem Schlafzimmer auf schlaffördernde 18 Grad. Foto: Kamil Pitonak.

Doch so läuft es nicht. In Panamerika wird der ideale Lebensweg, und Lebenswert, eines Kindes im Alter von 6 Jahren festgelegt und muss eingehalten werden. In den östlichen Großregionen regieren Arbeitslosigkeit und eine große Ungleichheit. Vesna möchte das eines Tages ändern und befasst sich deshalb mit den Kulturgeschichten der Welt und neuen Ideen, um die Freiheit friedlich in die Welt zu bringen.

Der Kreislauf der Schöpfung hat zu einem neuen Sinn gefunden

Vesnas Vater Lennard hat sich, wie die meisten Erwachsenen, für ein Leben als Privatmann entschieden. Sein Einkommen setzt sich aus dem regionalen Grundeinkommen zusammen und dem, was ihm andere für seine Erfindungen bezahlen. Es ist ein hedonistisches Leben: Menschen tauschen oder zahlen für das, was sie mögen. Schon frühmorgens tüftelt er in seinem Labor. Vesna wirft einen Blick hinein. Auf Papas Arbeitstisch sitzt heute schon ihr kleiner Bruder Quinn, das Geburtstagskind. In diesem Moment stoppt Papa eine Zentrifuge, trennt das Innere eines Reagenzglases und hält Quinn das Ergebnis hin. 

„Birnen-Schokoladen-Zahnpasta, extra zahnschmelzhärtend”, sagt Papa. 

Quinn steckt den Finger hinein, kostet vorsichtig und strahlt. Vesna schüttelt sich. Aber sie weiß, dass ihr Vater hier schon wertvolle Produkte entwickelt hat. Eines davon ist ein weiches Öl, das den alten Wohnzimmertisch schützt, ohne ihn zu sehr versiegelt wirken zu lassen. Diese Erfindung hat den Schreiner aus dem Nachbardorf sehr glücklich gemacht und ihnen beiden ein regelmäßiges Zusatzeinkommen beschert. Als Quinn Vesna die Zahnpasta hinhält, lehnt sie dankend ab. 

Ihr Vater Lennard war einer der ersten Schüler der Maker-School und Vesna weiß, dass er es gern sähe, wenn Quinn sich ähnlich entschiede. Die Maker entwickeln die vielfältige Produktwelt ihrer Zeit. Keine Massenprodukte mehr, es ist eher eine Wirtschaft aus lokalen Ideen, die sich an persönlichen Bedürfnissen und mikrokulturellen Ansprüchen orientieren. Was heute erfunden wird, wird morgen getestet, übermorgen verbessert, dann wieder getestet. Der Kreislauf der Schöpfung hat zu einem neuen Sinn gefunden.

Die Maker arbeiten manchmal in Projekten zusammen, Angestellte gibt es so gut wie gar nicht mehr, nur noch Praktikanten, die für den Start in ihr Erfinderleben ein Belohnung von ihren Lehrmeistern bekommen, die das allgemeine Grundeinkommen ergänzt.

„Ich mache Pfannkuchen, ihr holt eure verschlafene Mami in den Tag”, sagt Papa.

Vesna zieht ihren Bruder aus dem Labor in Richtung Garten, wirft ihm nebenbei einen Thermoumhang über die Schultern. Vesnas Mutter Tiana arbeitet als Kuratorin für das BioNet und arbeitet gern spät. Wenn es zu spät wird, dann schläft sie in einem Glasiglu im Garten, das ihr als Rückzugsort für die Arbeit dient. 

Das Jahr 2061: Menschen arbeiten als Partner*innen zusammen, entwickeln das Leben auf Mikroebene weiter. Denken, entwickeln, entdecken. Foto: Sasin Tipchai.

Der menschliche Faktor kontrolliert das System

Tiana ist zwei Jahre älter als ihr Mann und hatte als eine der Letzten eine Allgemeinbildende Schule besucht, danach die neugeschaffene, weiterführende Bio-Ethical-Techschool für junge Erwachsene, die sie auf die Laufbahn als Kuratorin vorbereitete. Tiana und ihre Kolleg*innen sind der „menschliche Faktor” des ganzen Systems. Sie sucht nach Fehlinformationen oder Manipulationen und eliminiert sie. 

Vesna und Quinn treten in den winterlichen Garten. Am Himmel zwischen den Gipfeln der Hohen Tatra zeigt sich das erste Licht des frühen Tages, es ist halb sieben am Morgen. In sechs Stunden werden sie sich gemeinsam ins Hyper-BioNet einklinken und Quinn wird seine Entscheidung anmelden. 

Nur hat er sich eben noch nicht entschieden. Quinn trödelt, das spürt Vesna. Sie will ihm nichts vorgeben, aber sie möchte auch nicht, dass er den gleichen Fehler macht, wie sie ihn damals gemacht hat.

Wahl und Qual

„Möchtest du, dass ich etwas sage?”, fragt sie vorsichtig und schaut zu ihm herüber. Quinn sieht klein aus vor dem großen Garten, klein neben ihr, die gerade hoch aufgeschossen ist. Sie weiß, dass er in die Discovery-School gehört. Quinn weiß das auch. Er ist der perfekte Entdecker, sie sieht ihn schon mit Micro-Glasses und Infrarot-Sensor durch Wälder krabbeln und nach mutierten Pilzen suchen, die vielleicht das Leben verlängern oder das Hyper-BioNet gerechter machen. Aber er ist noch so jung. Quinn nickt und Vesna atmet tief ein. 

„Ich liebe die Thinker-School”, sagt sie langsam. Sie meint es ernst, sie würde nirgendwo anders sein wollen. Sie möchte über die großen Fragen der Welt nachdenken und Ideen entwickeln, die Menschen im Kleinsten, in Momenten ihres Alltags, glücklicher machen. Sie möchte Ideen schaffen, sie testen, sie weiterentwickeln. Sie möchte etwas bewirken, jeden Tag aufs Neue, mit ihren Ideen.

„Aber ich war zu früh dran. Würde ich heute noch einmal acht Jahre alt werden, würde ich zur Orientation-School gehen. Sie ist kein Umweg. Sie ist ein Gratiseinblick in die Wunderwelten der anderen Schulen.” Sie bleiben stehen und sehen sich an. Quinn nickt wieder, dann wendet er sich dem Pavillon zu, in dem Mami vermutlich gerade aus ihren Träumen erwacht. Er schiebt seine Hand vor den Sensor, es zischt leise. Vesna legt den Kopf schief. Natürlich sagt Quinn nichts. Er wird ihre Anregung mitnehmen, sie durchdenken, etwas daraus machen und seinen eigenen Weg finden. Ihr kluger, neugieriger, aktiver, aber eben auch etwas verschlossener kleiner Bruder. 

„Happy Birthday”, ruft Mami und Quinn fliegt in ihre Arme. Papa legt von hinten einen Arm um Vesnas Schulter, auf der anderen Hand balanciert er ein großes Frühstückstablett. „Er macht das schon”, murmelt er leise. Vesna lächelt. Ja, das wird er.

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