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Kompendium: Sustainable Building

Das Konzept hinter dem Zelt als Unterkunft für den Menschen ist so naheliegend, dass sich der Ursprung kaum auf einen Heureka-Moment datieren lässt. Archäolog:innen haben Zelte aus Mammutknochen und Tierhäuten gefunden, die auf 40.000 vor Christus datiert wurden.

Kompendium: Sustainable Building

Traditionelle Architektur entsteht aus ihrem Standort heraus, arbeitet mit lokalen Materialien und steht auf einem Fundament lange entwickelter Handwerkstraditionen. Vielerorts schien sie zwischen Wellblech und Beton auszusterben, – bis engagierte Architekt:innen sich an die zeitgemäße Wiederbelebung gemacht haben.

Kompendium: Sustainable Building

Jahrelang galt in der Architektur: Beton c'est bon. Doch die Klimakrise lässt kein gutes Haar am Zement und Bauen muss anders gedacht werden. Am besten lässt sich damit im Wald beginnen, denn der natürliche Werkstoff Holz hat das Potential fürs CO2-neutrale Haus. Zeitgenössische Holzbauten beweisen, dass Holz dem Stahlträger durchaus Konkurrenz machen kann. Auch mit Holz geht es hoch hinaus.

Kompendium: Sustainable Building

Auf dem Weg zu einer neutralen Ökobilanz von Gebäuden greifen nur wenige Planer zu digitalen Werkzeugen. Junge Start-ups wollen das ändern – und entwickeln Plattformen und Netzwerke, die den Einstieg in die virtuelle Welt erleichtern könnten.

Kompendium: Sustainable Building

Es ist 2122. 80 Prozent aller Menschen leben in Städten. Noch vor wenigen Generationen war das Leben hier von Smog, Lärm und Beton geprägt. Aber eine restriktive und konsequente Neuausrichtung der Architektur hat aus der Stadt ein zirkuläres System werden lassen, in dem Menschen, Tiere, Pflanzen und Roboter in Symbiose existieren.



Kompendium

Architektur muss sich zunehmend die Frage nach ihren inneren Werten stellen. Da offenbaren sich viele unangenehme Wahrheiten. Unsere globale Baukultur setzt auf Zement und ist ein immenser Klimasünder. Mit den negativen Umweltauswirkungen werden die kommenden Generationen umgehen, während wir dringend nachhaltiges und regeneratives Bauen etablieren müssen. Wie sieht sie aus, die gute und grüne Architektur? Und wie wird sie unser Wohnen und unsere Städte verändern?

Kompendium: Sustainable Building

Am Anfang war das Zelt – die ersten Häuser der Menschheit

Kompendium: Sustainable Building

Am Anfang war das Zelt – die ersten Häuser der Menschheit

Bild. The Yorck Project (2002), Creative Commons

Das Konzept hinter dem Zelt als Unterkunft für den Menschen ist so naheliegend, dass sich der Ursprung kaum auf einen Heureka-Moment datieren lässt. Schutzbehausungen haben sich die Menschen seit jeher dann gebaut, wenn am Lagerort kein natürlicher Unterschlupf zur Verfügung stand. Archäolog:innen haben Zelte aus Mammutknochen und Tierhäuten gefunden, die auf 40.000 vor Christus datiert wurden. Materialtechnisch haben sie mit den heutigen Hightech-Konstruktionen wenig gemeinsam, formal hat sich hingegen wenig verändert.

Eine Außenhaut aus Nylon mit Ripstop, ultraleichte Fiberglas-Teleskopstangen und ein kompaktes Packmaß: So oder so ähnlich liest sich die Beschreibung eines Trekkingzeltes im Jahr 2022 – und zumindest für Backpacker und Bergsteiger ist dieser Jargon rund um Wassersäule und Windlast eine vertraute Sprache. Wer in der heutigen Zeit ein Zelt besitzt, wohnt meist mit Heizung und Elektrizität hinter Mauern und sucht am Wochenende oder in den Sommerferien das gefahrensichere Abenteuer in der Natur. Das Zelt bringt uns bei einer romantischen Zivilisationsflucht wieder zu den Elementen der Natur. Für die Menschen in früheren Epochen aber gehörten die Wetterbedingungen noch selbstverständlich zu den täglichen Herausforderungen. In der Steinzeit beispielsweise suchten die Menschen in kegelförmigen Konstruktionen wie dem Mammutzelt Schutz, später aber auch in Tunneln und unter Tarps. Als Materialien standen Leder, Fell, Blätter und Rinde zur Verfügung, die Stützen und Spannelemente waren aus Knochen, Seil oder Holz.

In der Steinzeit beispielsweise suchten die Menschen in kegelförmigen Konstruktionen wie dem Mammutzelt Schutz, später aber auch in Tunneln und unter Tarps. Als Materialien standen Leder, Fell, Blätter und Rinde zur Verfügung, die Stützen und Spannelemente waren aus Knochen, Seil oder Holz. Bild: Thilo Parg / Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Das Zelt als architektonischer Normcore
Die ersten Belege für sesshafte Gemeinschaften sind etwa 12.000 Jahre alt. Bis zu diesem Zeitpunkt – und damit zu 95 Prozent des menschlichen Lebens auf der Erde – waren mobile Gruppen von Jägern und Sammlern die Norm. Heute ist das traditionelle Nomadentum davon bedroht, vollends zu verschwinden. Zählungen gehen davon aus, dass derzeit weltweit gerade einmal 50 bis 250 Millionen Menschen nicht sesshaft sind. Zusammen mit der Lebensweise könne auch das Wissen über ihre nachhaltigen Wohnstrukturen verloren gehen. Denn Zelte waren von jeher die bevorzugte Unterkunft der Nomaden, – ob in Nordamerika, der Mongolei oder den Wüsten Afrikas. Ihre Grundkonstruktion wurde je nach Region und Ressourcen auf die Umweltbedingungen und individuelle Lebensweise angepasst. Entsprechend haben sich je nach Koordinaten Baulösungen durchgesetzt, die stabil im Wind stehen, sich leicht auf- und abbauen lassen und durch ein geringes Gewicht oder kompaktes Packmaß einfach von Ort zu Ort zu transportieren waren.

Die nordamerikanischen Tipis sind hohe Kegel, optimiert für kalte Winter und heiße Sommer. Mit Rauchklappen ausgestattet, gehören sie zu den wenigen Zelten, die ein offenes Feuer ermöglichen, während bei extremer Kälte von außen noch zusätzliche Felle aufgelegt werden. Bild: Frank Palmer, Northwest Museum of Arts and Culture, Creative Commons.

Form follows condition
Dabei entstanden regelrechte Typologien für die verschiedenen Klimazonen. Die nordamerikanischen Tipis und die samischen Lavvus sind hohe Kegel, optimiert für kalte Winter und heiße Sommer. Mit Rauchklappen ausgestattet, gehören sie zu den wenigen Zelten, die ein offenes Feuer ermöglichen, während bei extremer Kälte von außen noch zusätzliche Felle aufgelegt werden. Bei Hitze hingegen kühlt die zirkulierende Luft den Innenraum ab. Das Gestell besteht aus 10-30 schlanken und geraden Holzstämmen, die am oberen Ende aneinander angelehnt und fixiert werden. Auch die Zelte der Beduinen sind auf optimale Luftzirkulation ausgelegt. Weil in Wüsten hingegen nicht mit Niederschlägen zu rechnen ist, kann sich auch kein Regenwasser in Planen sammeln. Mit hängenden Bahnen ducken die Wohnbehausungen sich hier hinter Dünen und in Steppen, bieten dem Wind wenig Angriffsfläche und maximieren ihre Schattenfläche.

Wer wandert, sichert Ressourcen

Ziehen die Nomaden weiter, werden die Zelte zerlegt. Materiellen Ballast können Nomaden sich nicht leisten. Sie führen ein Leben in Balance mit ihrer Umwelt, wenn sie den Ressourcen wie Herden und Weiden oder dem Wetter hinterher reisen. Wo immer die Vegetation die beste Nahrungsgrundlage bietet, lassen sie sich temporär nieder. Gerade verlassene Gebiete können sich derzeit regenerieren. Mit dieser Wirtschaftsweise wird die nächste Saison ebenso berücksichtigt wie die nächste Generation. Würden sie das Land nicht regenerativ, sondern ausbeuterisch bewirtschaften, entzögen sie ihrer Kultur und ihren Kindern die Existenzgrundlage. Dadurch hat sich ein symbiotisches Verhältnis zur Natur, ihrem zyklischen Rhythmus und den Ressourcen entwickelt. Nomaden fügen sich ins Habitat ein, anstatt es zu domestizieren. Aus der schieren Notwendigkeit heraus leben sie nachhaltig und minimalistisch – und das schon lange bevor die globalisierte und urbanisierte Welt diese Vokabeln in ihren Wortschatz aufgenommen hat.

Die Zelte der Beduinen sind auf optimale Luftzirkulation ausgelegt. Weil in Wüsten hingegen nicht mit Niederschlägen zu rechnen ist, kann sich auch kein Regenwasser in Planen sammeln. Mit hängenden Bahnen ducken die Wohnbehausungen sich hier hinter Dünen und in Steppen, bieten dem Wind wenig Angriffsfläche und maximieren ihre Schattenfläche. Bild: “C’est Un Emir”, Gustave Boulanger, 1870, Creative Commons

Zero Impact mit Fellen und Ästen
Der ökologische Fußabdruck eines traditionellen Nomadenzeltes aus Knochen, Fellen und Ästen ist gleich null. Bei seiner Herstellung wird kein Müll produziert, die eingesetzten Materialien sind Reste der Nahrungsbeschaffung. Am Ende seiner Lebenszeit, in der das Zelt durch Reparaturen lange in Schuss gehalten wird, kann es als rein natürliches Produkt der Natur überlassen werden. Seit einigen Jahren wird wieder über die Wirtschaftsweise nomadischer Menschen gesprochen – auch und vor allem in Hinblick auf ihr umfassendes und rationales Verständnis von einem Leben mit Zero Impact. Es gibt viel von ihnen zu lernen: Wie wir in Zukunft mit den extremen Wetterbedingungen umgehen können, die durch den Klimawandel ausgelöst werden. Wie man mit Ressourcen wirtschaftet, ohne sie aufzubrauchen. Wie die Biodiversität erhalten werden kann. Das Zelt als traditioneller Archetyp wird dabei zu einem exemplarischen Beispiel dafür, dass wir in Bezug auf unseren Besitz ganz neue Parameter – wie Nutzwert, Umweltauswirkung und Ressourcenverbrauch – ansetzen müssen.

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Dank traditioneller Bauweisen kann man nachhaltiger wohnen

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Dank traditioneller Bauweisen kann man nachhaltiger wohnen

Bild: Javier Callejas

Traditionelle Architektur entsteht aus ihrem Standort heraus, arbeitet mit lokalen Materialien und steht auf einem Fundament lange entwickelter Handwerkstraditionen. Vielerorts schien sie zwischen Wellblech und Beton auszusterben – bis engagierte Architekt:innen sich an die zeitgemäße Wiederbelebung gemacht haben.

An der Ostküste Indiens, vor den Toren der Stadt Puducherry, steht eine große goldene Kugel zwischen grünen Wiesen. Ihr Inneres ist ein Tempel, ihre Architektur ein Blickfang. Das „Matrimandir“ kennzeichnet das geographische Zentrum eines besonderen Ortes: der Planstadt Auroville. Vor über 50 Jahren wurde sie von Menschen aus vielen Nationen gegründet, die ein Leben ohne Konventionen, Geld und Hierarchien leben wollten.

„Auroville wurde als Stadt der Zukunft gedacht, in der man radikal Bildung, Wirtschaft und eben auch Stadtplanung infrage stellt“, sagt Architektin Anupama Kundoo. Bild: GSAPPstudent/ Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0,

Auroville wurde zum Zufluchtsort für diejenigen, die im politischen und sozialen Angebot der Welt keinen passenden Lebensentwurf fanden. Im staubigen Nirgendwo Indiens holten sie eine gemeinsam entworfene Utopie in die Realität. Aus Auroville wurde in den folgenden Jahren ein urbanes Experimentierfeld und ein kreativer Spielplatz. Künstler:innen, Architekt:innen und Designer:innen stellten Bauten in die Landschaft, die den Einklang mit der Natur suchten.

Eine von ihnen war Anupama Kundoo. Die Architektin zog 1990 nach dem Studium in Mumbai hierher. „Auroville wurde als Stadt der Zukunft gedacht, in der man radikal Bildung, Wirtschaft und eben auch Stadtplanung infrage stellt“, erzählt sie. Die Landschaft war für kreative Visionäre wie sie ein leeres Blatt. „Es ist schwerer, existierende Gewohnheiten zu korrigieren, statt etwas von Grund auf neu zu gestalten“, erklärt Kundoo. Sie begann hier mit Materialforschung und -experimenten, die eine Architektur mit besonders geringen Umweltauswirkungen zum Ziel hatten.

Im benachbarten Puducherry entwarf Anupama Kundoo eine Wohnanlage für Waisenkinder, die aus vielen kegelförmigen Hütten besteht. Bild: Javier Callejas

Bauweisen, die weise bauen
Kundoo ist eine wichtige Pionierin für die zeitgenössische Umsetzung vernakulärer, also historisch am Ort entstandener Bauweisen. Über ein Dutzend ihrer Gebäude wurden in den letzten drei Jahrzehnten allein in Auroville errichtet, darunter auch ihr eigenes Wohnhaus. Sie arbeitete mit Materialien, die vor Ort vorkommen und mit Handwerkern, die hier lebten. Sie entwickelte Leichtbau-Techniken und ungewöhnliche Konstruktionen. Neben den offensichtlichen Ressourcen steckt in ihren Bauten auch immer eine unsichtbare: viel Zeit.Über diese sagt sie, dass sie die Einzige ist, die jeder Mensch zur Verfügung hat – und dass Zeit deswegen sinnvoll eingesetzt werden muss. Sinnvoll ist für Kundoo durchaus die bewusste Langsamkeit, die ihrer Forschung ausreichend Raum gibt und dank der sie auf besondere Ideen und Lösungen kommt. Im benachbarten Puducherry entwarf sie eine Wohnanlage für Waisenkinder, die aus vielen kegelförmigen Hütten besteht. Die Baukörper bestehen aus Lehm – und wurden durch ein Feuer im Innern als Ganzes gebrannt. Der klassische Weg, erst Ziegel zu fertigen und daraus Gebäude zu errichten, hätte 40 % mehr Energie verbraucht. Anupama Kundoo hat eine Mission. Sie will das historische Erbe ihrer Heimat auf den neuesten Stand bringen.

Die Baukörper in Anupama Kundoos Wohnanlage für Waisenkinder bestehen aus Lehm und wurden durch ein Feuer im Innern als Ganzes gebrannt. Bild:

Hyperlokal und extrem spezialisiert

Von traditionellen Bauweisen lässt sich viel lernen. Ob in Wüsten, im Dschungel oder in der Arktis – es gibt kaum Zonen auf der Welt, in denen der Mensch nicht wohnen kann. Seine Behausungen baut er sich mit den Materialien, die er vor Ort findet: Aus Holz, Bambus, Stein oder Lehm, mit Dung, Tierhaaren oder Gras. Ohne, dass dies jemals ein Architekt geplant oder gestaltet hätte, haben sich Typologien entwickelt, die auf die Umweltbedingungen optimal angepasst sind. In Asien stehen Bambushütten auf Stelzen, um Ungeziefer fernzuhalten. In Deutschland lebten die Bauern und Bäuerinnen in Wohnstallhäusern, die die Wärme der Tiere als natürliche Heizung nutzten.

Grundschule in Burkina Faso, Gando von Architekt Francis Kéré. Bild: Erik-Jan Ouwerkerk

Im Iran werden Häuser mit einem Bagdir, einem Lüftungsturm gebaut, der durch den Kamineffekt die Räume kühlt. Im Dschungel Neuguineas wohnen die Korowai in Baumhäusern in einer Höhe von über zehn Metern, weil es hier oben weniger heiß ist, kaum Moskitos vorbeifliegen und sich keine Schlangen in die Baumkronen verirren. Höhlenwohnungen wiederum schützen vor Hitze, geduckte Strukturen stehen gut im Wind und steile Dächer lassen Schneelasten abrutschen – das Vokabular der vernakulären Architektur bietet viele einfache Lösungen, die wir in unseren weltweit genormten Betonhäusern aus dem Auge verloren haben.

Lehmhäuser brauchen keine Klimaanlage

Diébédo Francis Kéré hat sie nicht vergessen. Der Architekt wurde in Burkina Faso geboren und studierte in Berlin. Heute lehrt und arbeitet er zwischen beiden Kulturen. Auch er verbindet wie Anupama Kundoo die lokalen Techniken seiner Heimat mit moderner Technologie, Baukultur und Ästhetik. Schon für sein erstes Gebäude, eine 2001 in seinem Heimatdorf Gando errichtete Grundschule, erhielt er den Aga Khan Award. Ihm war es gelungen, zwei Probleme lokal üblicher Lehrgebäude mit den Mitteln der vernakulären Architektur zu lösen: Hitze und Licht. Denn Wellblechdächer sind in Burkina Faso eine oft genutzte Dachlösung und Ersatz für traditionelle Materialien, weil sie günstig sind und auch starken Regenfällen standhalten. Die Sonneneinstrahlung macht sie aber zu regelrechten Kochplatten. Kéré hat das Dach deshalb in die Schwebe gebracht und es wie einen Flügel über den eigentlichen Gebäudekörper gespannt. Die Klassenzimmer selbst wurden aus lokalem Lehm hergestellt.

Francis Kéré, Architekt, in seinem Atlier, Berlin, Kreuzber, März, 2021. Bild: Urban Zintel.

Lokaler und nachhaltiger statt schneller und höher
Viele weitere Häuser hat Keré seither entworfen, immer wieder mit Bezug auf lokale Bautraditionen. Ein Campus in Kenia mit an Termitenhügel erinnernden Lüftungstürmen, ein geclustertes Waisenhaus aus vor Ort gewonnenem Lateritstein oder ein Schulgebäude, das durch eine zweite Wand aus locker gestellten Eukalyptusstämmen permanent im Halbschatten steht. 2022 wurde Francis Keré der Pritzker Preis für Architekten verliehen. Dieser Preis zeichnet Kerés Arbeit aus, befreit seinen gestalterischen Ansatz der einfachen und lokalen Bauweise mit den technologischen Potentialen der Gegenwart, aber auch von seinem Stigma als Nischenkonzept. Denn lange galt Beton- und Stahlbetonbau quasi als alternativlos. Wer hoch, weit, schnell und langlebig bauen wollte, konnte seine Bauträume nur in Zement gießen. Die Klimakrise fordert andere Werte und damit auch individuelle Lösungen, die sich manchmal auch aus der Revision ergeben: In den Erkenntnissen der Vergangenheit steckt jede Menge Potential für die Zukunft.

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Kompendium: Sustainable Building

Hochhäuser aus Holz – Der Siegeszug des Betons ist vorbei

Kompendium: Sustainable Building

Hochhäuser aus Holz – Der Siegeszug des Betons ist vorbei

Bild: Patrick Degerman

Jahrelang galt in der Architektur: Beton c’est bon. Doch die Klimakrise lässt kein gutes Haar am Zement und Bauen muss anders gedacht werden. Am besten lässt sich damit im Wald beginnen, denn der natürliche Werkstoff Holz hat das Potential fürs CO₂-neutrale Haus. Zeitgenössische Holzbauten beweisen, dass Holz dem Stahlträger durchaus Konkurrenz machen kann. Auch mit Holz geht es hoch hinaus.

Nur 200 Kilometer südlich des Polarkreises schiebt sich ein Hochhaus zwanzig Stockwerke in die Höhe. Sein Standort scheint eigenwillig gewählt, denn seine Nachbarschaft ist weder dicht besiedelt, noch ragen hier andere Bauten über vier Etagen hinaus. Eigenwillig ist auch seine Fassade. Sie ist voll verglast – und dahinter komplett aus Holz. Das im Herbst 2021 eröffnete Sara Kulturhuset im schwedischen Skellefteå ist ganz absichtlich auffällig. Es ist eine Landmarke und ein Schaustück für das Potential des zeitgenössischen Holzhochbaus. Geplant wurde der Bau von White Arkitekter, einem Architekturbüro mit fünf Büros in ganz Europa und einem Fokus auf nachhaltiges Bauen. Hier arbeitet Oskar Norelius, er hat das Holzhochhaus geplant: „Die größte Herausforderung war es, die Menschen dazu zu bringen, das Risiko anzunehmen. Etwas zu bauen, das so noch nie gebaut worden ist“, sagt er bei einer Baustellenbegehung. „Es ist das einzige nachwachsende Material für Gebäudestrukturen, das wir heute kennen.“

Oskar Norelius und Robert Schmitz arbeiten im Sara Kulturhuset im schwedischen Skellefteå. Bild: Olympus Digital

Das Sara Kulturhuset im schwedischen Skellefteå ist ganz aus Holz gebaut. Bild: Jonas Westling

Ein Allrounder, der Sand schluckt und Treibhausgas spuckt
Das Bauen mit Holz war in Nord- und Mitteleuropa früher Standard, von den Schweizer Blockbauten über Schwedenhäuser bis zum deutschen Fachwerk. Nur hatte der Holzbau besonders bei der Architektur im urbanen Raum klare Grenzen. Beton hingegen lässt sich mit einem Stahlskelett mehrere Hundert Meter in die Höhe ziehen und über weite Flächen spannen. Er lässt sich schnell gießen und ist dann robust und widerstandsfähig. Und was den Architekten am Baustoff Beton besonders gut gefällt: Mit ihm lässt sich nahezu jede anspruchsvolle Form realisieren. Holz hingegen schien für ikonische Entwürfe und Wolkenkratzer lange nicht geeignet. Folglich übernahm Beton als Universalgenie die Baustellen und die Fassaden unserer Städte. Aber Beton ist auch ein Klimasünder. Die Herstellung von Zement ist für acht Prozent unserer weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und gleichzeitig wird der als Zuschlag benötigte Sand, der nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) die weltweit zweitwichtigste Ressource ist, knapp. Der derzeitige weltweite Verbrauch liegt bei 18 Kilogramm pro Tag pro Mensch – und wo der Sand einmal abgetragen ist, lässt weder die Verwitterung noch das Meer ausreichend Nachschub entstehen.

Von Vorarlberg in die Metropole
Anders verhält es sich mit Holz. „Es ist ein Material, das von der Sonne erzeugt worden ist“, sagt Hermann Kaufmann. Der im Bregenzerwald geborene Architekt und emeritierte Universitätsprofessor ist ein Pionier des modernen Holzbaus. Holz war für den Sohn einer Zimmermannsfamilie immer das Material der Wahl. Wenn er über seine Laufbahn spricht, dann unterteilt er sie in zwei Perioden. Die, in der er das Material verteidigen musste, und die letzten zwei Jahrzehnte, in denen das Verständnis wuchs. „Früher wurde immer hinterfragt: Warum Holz? Wie funktioniert die Konstruktion? Da waren alte Ressentiments: Holz quietscht, fault, brennt, ist unzulänglich oder hält nicht lang“, berichtet er. Heute prägen Kaufmanns Gebäude das Gesicht seiner Heimat Vorarlberg in Österreich. Dort und auf der ganzen Welt hat er mittlerweile viele Mitstreiter:innen gefunden; Politiker:innen, Entwerfende und Unternehmer:innen, die sich für den Holzbau engagieren. Das liegt an den neuen technischen Möglichkeiten, die auch kühne Konstruktionen möglich machen. Es liegt am Verständnis dafür, dass viele unserer Ressourcen endlich sind – und an einer erwachten Weitsicht, die uns sensibel dafür gemacht hat, dass unsere Entscheidungen heute Auswirkungen auf morgen haben.

„„Wenn es um nachhaltiges Bauen geht, sehe ich kein Material, das mit Holz konkurrieren kann“, sagt Hermann Kaufmann. Der im Bregenzerwald geborene Architekt und emeritierte Universitätsprofessor ist ein Pionier des modernen Holzbaus. Bild: Lisa Duenser

Konkurrenzlose Bilanzen
Bretter, Balken, pflanzliche Dämmstoffe – sie sind CO₂-Speicher. Der Baum, aus dem sie hergestellt wurden, hat während seines Wachsens Kohlenstoff aus der Luft gebunden. Selbst wenn Holz am Ende seines Lebenszyklus verbrannt wird, wird nur dieser gebundene Kohlenstoff freigegeben, – so gibt es zumindest in Bezug auf das reine Material eine Ökobilanz von null: Holz hinterlässt keinen Fußabdruck. „Wenn es um nachhaltiges Bauen geht, sehe ich kein Material, das mit Holz konkurrieren kann“, meint Kaufmann. Auf den Baustellen erweist sich Holzbau derweil als flink zu errichten, weil alle Elemente im Systembau in Werkstätten vorgefertigt werden, und als leise. Wand- und Deckenmodule werden meist nur ineinander geklinkt. Darüber freuen sich die sonst akustisch belästigten Nachbarn und Bauarbeiter. Trotzdem gibt es mit Holz als Baustoff auch einen nicht ganz unerheblichen Nachteil: Man braucht einen Wald – und Geduld. „Der Holzbau ist aktuell nicht mit technischen Hindernissen konfrontiert, sondern mit strukturellen“, sagt auch Hermann Kaufmann. Damit bezieht er sich auf das Angebot, aber auch auf die Nachfrage. „Lange ist man mit einem überschaubaren Bedarf umgegangen, jetzt müssen schlagartig Strukturen erweitert werden. Es gibt nur wenige holzverarbeitende Firmen, die große Dimensionen stemmen können.“

Nachhaltiges Bauen beginnt im Wald
Noch ist der Holzbau vielerorts damit beschäftigt, Werbung für sich zu machen. Für viele Gebäude wie das Hochhaus in Nordschweden lautet das Motto höher, größer, spektakulärer. Die Architektur beschränkt sich formal auf die reine Akrobatik. Ihre Entwerfer wie Oskar Norelius sind dabei Forschende und Entwickelnde, die die technischen Grenzen für den Holzbau immer wieder neu abstecken. Fragt man Hermann Kaufmann, den erfahrenen Wegbereiter, schlägt dieser leisere Töne an. „Wir haben mittlerweile viele Beispiele für gute ikonische Gebäude, die zeigen, was Holz im Extremen kann. Jetzt geht es eher darum, im Gewerbe-, Objekt- und Wohnbau Materialien durch Holz zu substituieren. Das ist gerade für mich der wichtigste Fokus.“ Das größte Potential für die Zukunft sehen viele im Bereich der vier- bis fünfgeschossigen Bauten, bei Einfamilienhäusern oder Dachaufbauten, mit denen sich urbane Räume nachverdichten lassen. Während das Holz also in unsere Städte zieht, gibt es auch auf dem Land noch eine wichtige Herausforderung. Durch die veränderten klimatischen Bedingungen und Monokulturen sind viele Bäume an der Belastungsgrenze: Beispielsweise die Fichte ist vom Aussterben bedroht. Die Forstwirtschaft muss derweil in Generationen und Jahrhunderten denken. Wie wir Wälder heute anlegen und auf welche klimatischen Umstände wir sie einrichten, wird die Holzernten in einigen Jahrzehnten bestimmen. Wie nachhaltig wir in Zukunft bauen können, hängt also auch an unserem aktuellen Engagement für eine nachhaltige Forstwirtschaft.

Weiterlesen Das virtuelle Haus – Von der Simulation auf die Baustelle
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Das virtuelle Haus – Von der Simulation auf die Baustelle

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Das virtuelle Haus – Von der Simulation auf die Baustelle

Bild: Tiny Engine Studio by Jazz

Auf dem Weg zu einer neutralen Ökobilanz von Gebäuden greifen nur wenige Planer:innen zu digitalen Werkzeugen. Junge Start-ups wollen das ändern – und entwickeln Plattformen und Netzwerke, die den Einstieg in die virtuelle Welt erleichtern könnten.

Jedes Jahr wird der Earth Overshoot Day, der „Welterschöpfungstag“, neu datiert. Er markiert den Tag, an dem die Menschheit alle natürlichen Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht hat. 2022 fällt er auf den 28. Juli. Im Jahr 1970 war er noch am 29. Dezember, 2021 bereits am 29. Juli. Aktuell konsumiert die Menschheit den Ertrag von 1,74 Erden – Tendenz steigend. Die Zahlen machen deutlich: Die Welt steht vor entscheidenden Aufgaben und muss in naher Zukunft Wege und Möglichkeiten finden, mit dem Ressourcenbudget verantwortungsvoll umzugehen. Ein dringender Ansatzpunkt ist die Bauwirtschaft, denn sie ist eine der klimaschädlichsten Branchen unserer Wirtschaft. Weltweit verbraucht sie 35% der Energie, 60% der Ressourcen und verursacht 40% aller Emissionen. Um die Klimaziele zu erreichen, muss die Bauwirtschaft einen gewaltigen Beitrag leisten. Dafür brauchen wir Veränderung, aber Veränderung braucht Alternativen – und die müssen an vielen Stellen noch gefunden werden.

Die Bauwirtschaft ist eine der klimaschädlichsten Branchen unserer Wirtschaft. Weltweit verbraucht sie 35 % der Energie, 60% der Ressourcen und verursacht 40% aller Emissionen. Bild: Josh Olalde

Mission digitalisierte Architektur
Die Initiative „THE MISSION“ von den Partnern Futury, Deutsche Bank, Handelsblatt, Bain & Company sowie PreZero will unternehmerische Talente und erfahrene Unternehmen zusammenbringen, um gemeinsam mit ihnen Ideen und wirtschaftlich tragfähige Konzepte für eine nachhaltigere Wirtschaft zu entwickeln. Nach sieben erfolgreichen Programmen zu verschiedenen Industrien fokussiert die Initiative sich nun auf die drei Themen „Construction“, „Waste“ und „Food“, die wiederkehrend in einem dreimonatigen Inkubationsprogramm, auf Networking-Events und über Medienkampagnen bearbeitet werden. Neu sind auch die drei dahinterstehenden Ökosysteme, die Futury gemeinsam mit Unternehmenspartnern, Branchenexperten und Startups aufbaut, um nachhaltige Innovationen voranzutreiben.

Anfang 2022 lag der Fokus auf der Bauwirtschaft. Dabei wurde schnell klar: Architektur nachhaltiger zu machen, ist ein komplexes Unterfangen. Denn es gilt, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu berücksichtigen, den ökologischen Fußabdruck aller verbauten Materialien und Produkte, sowie die Energiebilanz während der Laufzeit. Viele der Ideen und vorgeschlagenen Lösungen adressierten insbesondere die Unübersichtlichkeit von Bauprojekten. Durch digitale Tools könnte eine bessere Vernetzung für die verschiedenen Akteur:innen und Beteiligten initiiert werden, Baulösungen besser vorkalkuliert und Produkte vielschichtiger bewertet werden.

Das Futury Talentteam IFFcon ist als E-Learning Plattform konzipiert, die Software vergleicht, Potentiale zeigt und die Nutzung erklärt. „Nur 37 Prozent der Bauunternehmen haben in Digitalisierung investiert“, erläutert Teammitglied Bernard Kirschbaum. „Und das, obwohl die Branche äußerst ineffizient ist und stark von Digitalisierung profitieren könnte.“ Bild: Futury

Die Datenbank als Baustellenwerkzeug
„The Mission“ macht mit seinen Projekten deutlich: Die Zukunft gehört den Daten. Allerdings sieht die Realität auf den heutigen Baustellen noch anders aus. Da werden die finalen Fassadenentscheidungen getroffen, wenn das Gebäude steht und die Fenster werden bestellt, wenn die Öffnungen in der Wand fertig sind. Planer:innen und Handwerker:innen machen sich derzeit wenige Gedanken über die Umweltfreundlichkeit eingesetzter Materialien, Produkte und Halbzeuge, wenn es nicht explizit gefordert ist, denn fehlende Verfügbarkeit und Lieferschwierigkeiten drücken die Preise nach oben. Es ist also an der Zeit für digitale Lösungen. Eine der teilnehmenden Projektgruppen will den Einstieg in digitale Anwendungen niedrigschwelliger gestalten. Das Talentteam IFFcon beispielsweise ist als E-Learning Plattform konzipiert, die Software vergleicht, Potentiale zeigt und die Nutzung erklärt. „Nur 37 Prozent der Bauunternehmen haben in Digitalisierung investiert“, erläutert Teammitglied und potenzieller Gründer Bernard Kirschbaum. „Und das, obwohl die Branche äußerst ineffizient ist und stark von Digitalisierung profitieren könnte.“ Eine All-in-One-Lösung wie IFFcon wäre dafür ein gutes Einstiegstool.

Die Gründer der Plattform Green Signal.

Der ökologische Fußabdruck steckt im Detail

Zwei weitere Projekte, Eunitec und Green Signal, haben es sich zum Ziel gesetzt, die ökologische Bewertung der Bauelemente transparenter zu gestalten. Eunitec soll als zentrale Datenbank funktionieren, in der die CO2-Bilanzen einzelner Produkte aufgeschlüsselt und noch vor dem ersten Spatenstich ein Gesamtvolumen berechnet werden kann. Mittels solcher Programme könnten Planer:innen schnell umweltfreundlichere Alternativen ausmachen und die Auswirkungen von Parameteränderungen erproben. Die Plattform Green Signal bietet zusätzlich die Vernetzung mit Banken, die Förderungen für nachweislich nachhaltige Bauprojekte anbieten.

Auch die Deutsche Bank, Partner bei der Initiative “The Mission”, will die Förderung der nachhaltigen Baubranche stärken. So sieht Lavinia Bauerochse, die für den ESG-Dialog bei der Deutschen Bank für Firmenkunden verantwortlich ist, die Finanzwirtschaft in einer wichtigen Schlüsselrolle. “Wir sind Finanzierer der Transition und Katalysator für Innovation, aber auch Risikomanager. Dabei unterstützen wir unsere Kunden mit unserer thematischen Expertise und regulatorischem Know-How und bieten ihnen Zugang zu einem umfassenden Angebot an nachhaltigen Finanzinstrumenten”, sagt sie im Interview mit dem Handelsblatt.

Lavinia Bauerochse, die für den ESG-Dialog bei der Deutschen Bank für Firmenkunden verantwortlich ist, sieht die Finanzwirtschaft in einer wichtigen Schlüsselrolle: “Wir sind Finanzierer der Transition und Katalysator für Innovation, aber auch Risikomanager.” Bild: Lavinia Bauerochse

Dabei muss sie auch einräumen, dass auf viele Unternehmen eher ein Nachhaltigkeits-Marathon zukommt, bei dem es darauf ankommt, in den eigenen Bemühungen nicht nachzulassen. Bauerochse ist der Überzeugung, dass die Baubranche gerade mit neuen Lösungen für autarke Energieversorgungen sogar Vorreiter und Vorbild für andere Industriezweige sein kann. “In der Baubranche steckt sehr viel Lösungskompetenz, für die die deutsche Industrie generell immer sehr gelobt und wertgeschätzt wird. Wir sollten die Transformation als Chance begreifen, Technologie zu entwickeln und zu exportieren. Darin liegt traditionell eine Stärke der deutschen Wirtschaft”, so Bauerochse.

Die Themenwelten der Zukunftsinitiative „The Mission“ machen deutlich: Der Weg in eine grünere Realität führt über digitale Kanäle. Wer sein Gebäude schon zu Beginn als digitales Modell baut und seine Nutzung simuliert, kann differenzierte Entscheidungen treffen – auch im grünen Sinne.

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Organische Häuser für regenerative Städte der Zukunft

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Organische Häuser für regenerative Städte der Zukunft

Bild: Mitchell Joachim, GNU Free Documentation License

Es ist 2122. 80 Prozent aller Menschen leben in Städten. Noch vor wenigen Generationen war das Leben hier von Smog, Lärm und Beton geprägt. Aber eine restriktive und konsequente Neuausrichtung der Architektur hat aus der Stadt ein zirkuläres System werden lassen, in dem Menschen, Tiere, Pflanzen und Roboter in Symbiose existieren.

Mitten in der Stadt steht ein Haus wie ein grüner Hügel, auf der einen Seite treppen sich die mit Bäumen und Rankpflanzen begrünten Etagen auf Straßenniveau ab; die Rückseite läuft als sanfter Hügel aus, der als öffentlicher Park genutzt wird. Das Gebäude ist eines der Living Buildings, was auch heißt, dass es nach 2080 entstanden ist. Damals wurde eine globale Bauordnung erlassen – seitdem muss jeder Neubau strenge Anforderungen erfüllen. Aus Zement sind nur noch die historischen Bestandsbauten, die so lange wie möglich erhalten werden. Viele von ihnen tragen aufgesetzte Strukturen auf den Dächern, die einen Beitrag zur urbanen Verdichtung leisten. Die neuen Living Buildings erkennt man sofort an ihrer Typologie: Ihre Gebäudestruktur ist leicht und schwebend, die tragenden Konstruktionen im Innern erinnern in ihrem Aufbau an Skelette. Auf den nach oben weisenden Flächen sind Solarpaneele installiert, die Fassaden sind begrünt. Alle eingesetzten Materialien sind CO₂-neutral und kommen aus der Region. Nur ein paar Blocks weiter steht die Fabrik, die die Dämmstoffe und Backsteine züchtet, aus denen die Wände bestehen. Sie bestehen aus Pilzen, genauer Mycel, seinem fadenförmigen Zellgewebe. Für die Produktion der Ziegel werden Pilzsporen mit organischen Abfällen und Wasser vermengt. Die Fäden durchwachsen und stabilisieren das Basis-Material. Nach einiger Zeit wird das Wasser entzogen, der Pilz stirbt ab und zurück bleibt eine kompakte und stabile Struktur.

Die nach 2080 entstandendenen “Living Buildings” müssen strenge Anforderungen erfüllen: Alle eingesetzten Materialien müssen CO2-neutral sein und aus der Region kommen. Bild: Peter Gvalo

Der Kiez als Wirtschaftssystem

Der Mycel-Produzent gehört zu einem sogenannten Circle-Block, was heißt, dass er mit anderen Dienstleistern und Herstellern ein lokales Kreislauf-System bildet. Dazu gehört auch eine der vielen urbanen Farmen, die das ganze Viertel ganzjährig mit Kräutern und Gemüse versorgt. Nachbarn und Arbeitende aus dem nächsten kooperativen Work-Campus kommen hierher, um etwas Zeit unter der transparenten und ultraleichten Superstruktur der Farm zu verbringen, im hauseigenen Supermarkt einzukaufen oder im angeschlossenen Restaurant ein vor Ort angebautes Lunch zu essen. Einige der organischen Reststoffe der Farm landen als Substrat bei den Pilzen, andere im Biomeiler, mit dem Energie gewonnen wird. Die Würmer aus dem Kompost sind Futter für den Fischteich, für den wiederum die Pflanzenbeete zur biologischen Wasseraufbereitung genutzt werden. Nahrungsproduktion, Energiegewinnung, Wasserklärung und Abfallentsorgung können in einem kleinen urbanen Cluster geschehen, die neuesten Living Buildings funktionieren sogar für sich als autonomes System.

Regenerativ statt nur nachhaltig

Seit 2080 gilt für alle Neubauten, dass sie regenerativ sein müssen, denn noch ist die Menschheit damit beschäftigt, hinter den Generationen der Industrialisierung aufzuräumen. Es gab Zeiten, in denen haben sie die Ressourcen von zwei Erden verbraucht. Damals wurde versucht, dem Überkonsum nachhaltige Strategien entgegenzustellen. Heute ist Nachhaltigkeit kein Thema mehr. Sie war ein erster Schritt, um den Status Quo zu erhalten. Doch es hat nicht lange gedauert, bis erkannt wurde, dass Nachhaltigkeit auf dem Rücken jahrzehntelanger Ressourcenverschwendung und Umweltzerstörung keine Lösung des Problems darstellt, sondern nur 100 % weniger schlecht ist. Mit der durch die Klimakrise spürbar gewordenen Notwendigkeit, den Planeten aktiv zu reparieren, gab es einen Paradigmenwechsel des regenerativen Bauens. Neue Gebäude basieren auf sich selbst erneuernde Design-Strategien, indem sie etwa eine Energiebilanz mit Überschuss vorweisen können und damit leisten sie einen Beitrag für die Erholung des Ökosystems.

Nur ein paar Blocks weiter steht die Fabrik, die die Dämmstoffe und Backsteine züchtet, aus denen die Wände bestehen. Sie bestehen aus Pilzen, genauer Mycel, seinem fadenförmigen Zellgewebe. Für die Produktion der Ziegel werden Pilzsporen mit organischen Abfällen und Wasser vermengt.  Bild:

Die Stadt als geschlossenes System

Die auf eine zirkuläre Verwertung angelegten Stadtteile wie diejenigen rund um die Mycel-Farm sind von der Natur inspiriert. Biomimikry, also die Imitation natürlicher Strategien, ist ein übliches Gestaltungswerkzeug. Wann immer Systeme und Produkte an ihre Grenzen kommen, werden die Lösungen der Natur als Inspiration herangezogen. Aber nicht nur geistig sind die Menschen wieder mit der Natur zusammengerückt. Sie ist ein wichtiges Element der Städte, die nicht mehr als Lebensraum für den Menschen aufgefasst werden, sondern auch für Pflanzen und Tiere. Seit die Innenstadt autofrei und begrünt ist, sieht man wieder mehr Insekten und Vögel, aber auch Hasen, Füchse oder Rehe. Bewusst wurde beim Umbau der Straßen zu breiten und grünen Boulevards mit Wegen für Räder und kleine Elektrofahrzeuge auch Infrastruktur für die Tiere eingeplant, wie Flugschneisen, verbundene Vegetationszonen und Verstecke. Die Pflege des Grüns, vor allem an den schwer zu erreichenden Fassaden, übernehmen kleine, solarbetriebene Roboterschwärme. Ihre Sensoren verraten ihnen, ob die Pflanzen beschnitten oder gegossen werden müssen oder ihnen gar Nährstoffe fehlen. Auch sie sind Teil des geschlossenen Systems Stadt, das seit der Reformation vor vierzig Jahren konsequent darauf ausgelegt ist, keinen Fußabdruck mehr zu hinterlassen und dabei die technologischen Potentiale und die Erkenntnisse aus der Natur restaurativ zu nutzen.

Zum Anfang Am Anfang war das Zelt – die ersten Häuser der Menschheit
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