Das antike Rom bietet in vielerlei Hinsicht eine Blaupause für unsere heutige Welt. Auf dem Forum Romanum wurden neben Waren auch Informationen ausgetauscht, auf ihm und anderen Marktplätzen entsteht die erste Öffentlichkeit. Hier beginnt auch die Geschichte der Festivals.
Es ist Dezember und die Straßen Roms sind trotz der Kälte gefüllt mit fröhlichen Gesichtern. Händler packen ihre Stände zusammen, sie haben ihre Ware für den Tag verkauft, viel ist es jetzt, im Winter, ohnehin nicht. Nun sind sie voller Vorfreude, denn die Saturnalien beginnen – und ein wenig Ablenkung kommt ihnen gerade recht. Die Ernte war schlecht und der Kriegsgott Mars wendet sich wieder einmal gegen die römische Armee. Ein bisschen Hilfe von Saturn, dem großen „Sättiger“ kann da nicht schaden. Und dass ihm zu huldigen viel Wein, gutes Essen und die eine oder andere Sexorgie beinhaltet, nun ja, das versteht sich von selbst.
Das wilde, ungezähmte Feiern
Das Fest beginnt damit, dass die Priester dem Gott im Saturn-Tempel ein Opfer darbringen. Saturn wird als Gott der Aussaat verehrt, und weil die Ernte so ungewiss ist, steht er zugleich für das Ungezügelte, Wilde und Grausame der göttlichen Willkür.
Während der Opfergabe lösen daher andere Priester die Wollbinden, mit denen die Beine der elfenbeinernen Statue des Saturn an allen anderen Tagen des Jahres gefesselt sind und tragen das nunmehr geweckte, „entfesselte” Ebenbild des Gottes auf das Forum, wo ein riesiges Festmahl anlässlich seines Feiertages schon zubereitet ist. Das Gelage kann beginnen.
„Auf dem Land und in den Städten feiern alle fröhlich mit Schmausereien und jeder bedient seine Sklaven. So auch wir Römer, und wir haben von dort auch die Sitte übernommen, dass an diesem Tag Sklaven und Herren gemeinsam speisen“, schreibt Lucius Accius in seinen „Annalen“.
Übliche soziale Grenzen werden aufgehoben. Als eine „verkehrte Welt“ beschrieb der Philosoph Seneca das tage- und nächtelange Treiben auf den Straßen. Senatoren tragen statt der Toga, die sie als Bürger ausweist und ihnen damit einen hohen Rang bescheinigt, die Filzkappe der freigelassenen Sklaven. Die Sklaven wiederum lassen sich an den wilden Tagen um den 17. Dezember von ihren Herren bedienen. Der Wein fließt in Strömen. Ein ‚Saturnalis Princeps’, ein für die Zeit der Festtage ernannter Saturnalienfürst, oder auch ‚Rex Bibendi‘, Trinkerkönig genannt, fordert seine Anhänger zum Ablegen der Kleider auf. Was danach in Rom geschieht, bleibt in Rom.
Das Fest als Alltagsflucht und soziales Bindemittel
Karnevaleske Szenen spielen sich in den Straßen der Stadt ab, es herrscht absolute Narrenfreiheit. Die Stadt, deren Hierarchie sonst klar abgesteckt ist, ist für ein paar Tage im Ausnahmezustand – man könnte es als ein frühes Festival bezeichnen – alle wichtigen Bestandteile sind da: Gesang, Tanz, Gemeinschaft, Eskapismus und Rausch.
Doch sie erfüllten noch einen weiteren Zweck: Der Althistoriker Jörg Rüpke beschreibt die Saturnalien als „instrumentalisierte kollektive Angstbewältigung“. Nach dem vermeintlichen goldenen Zeitalter, das auch als Saturnia Regna, also die Herrschaft des Saturn bezeichnet wird, sind die Zeiten für die Römer schlechter und unberechenbarer geworden. Die ausschweifenden Festtage der Saturnalien schweißen die Römer in der orgiastischen Feier als Schicksalsgemeinschaft zusammen, welche die Götter im Kampf gegen den äußeren Feind um Hilfe bittet.
Die damalige Gesellschaftsform erinnert also unter vielen Gesichtspunkten an die unsere.
Wenn wir heute in Festivals eine Alltagsflucht suchen und die Alltagssorgen vergessen wollen, legten die Römer den Grundstein dafür.
An den Saturnalien wurde ausschweifend gefeiert, um die Ängste des Alltags und die Bedrohungen von außen zu vergessen. Auch heute wird das Vergessen in der Ekstase gesucht. Die Gefahr in dieser hedonistischen Begehung der Festivals (und der Festivalisierung des Alltags) liegt darin, dass sie sich in einer Freizeitgesellschaft nicht mehr auf ein paar Tage im Dezember beschränken lässt.
Zu Zeiten des Prinzipats, unter Kaiser Augustus und Tiberius, wurden Panem et Circenses, also Brot und Spiele, zum Normalzustand. Sie bestachen die Bürger mit Entertainment und Lebensmitteln. So versicherten sich die damaligen Machthaber der Stimmen ihrer Wähler.
Bei allen positiven Effekten, die ein Festival haben kann: Wenn es zum Alltag wird, kann darin eine Bedrohung für die Demokratie liegen. Der Bürger wird zum Konsumenten und gibt seine demokratischen Rechte und Pflichten auf, um sich im Gegenzug bespaßen zu lassen.