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Kompendium: Festivalisierung

Eskapismus trifft auf Spiritualität trifft auf Kapitalismus. Fast jede Nische hat heute ihr eigenes Festival: Es gibt Mindfulness-, Brand-, Food-, Kunst- und natürlich Musikfestivals. Was genau suchen die Menschen dort?

Kompendium: Festivalisierung

Die Festivalisierung ist ein weitreichender Eventtrend, der vor allem durch den Wunsch des Publikums, immersiv in ein mehrtägiges Spektakel einzutauchen, um dem Alltag zu entfliehen, angetrieben wird.

Kompendium: Festivalisierung

Die Utopie erträumen und auch gleich leben, nichts weniger verspricht eine Reiseagentur, deren CEO ein Fortschrittsprediger ist. Seine Anhänger feiern ihn als Guru. Der neueste Coup: ein Festival auf dem Mars.

Kompendium

Feste und Feierlichkeiten bilden den Kern menschlicher Gemeinschaft, bei ihnen wird abgesteckt, was ein gutes Zusammenleben bedeutet. Vom Gelage im alten Rom bis hin zu Coachella: Im gemeinsamen Loslassen der Alltagszwänge liegt die Saat zukünftiger Utopien.

Kompendium: Festivalisierung

Das antike Rom bietet in vielerlei Hinsicht eine Blaupause für unsere heutige Welt. Auf dem Forum Romanum wurden neben Waren auch Informationen ausgetauscht, auf ihm und anderen Marktplätzen entsteht die erste Öffentlichkeit. Hier beginnt auch die Geschichte der Festivals. 

Kompendium: Festivalisierung

Festivals sind keine alleinige Erfindung des Westens. Mindestens seit dem siebten Jahrhundert baden die Hindus regelmäßig kollektiv in Unsterblichkeit. Das größte Festival der Erde findet nämlich in Indien statt, und nicht in Wien, wie das Guinness-Buch der Rekorde meint. 

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Der ungezügelte Gott: Rom im Rausch des Gelages

Kompendium: Festivalisierung

Der ungezügelte Gott: Rom im Rausch des Gelages

Bei allen positiven Effekten, die ein Festival haben kann: Wenn es zum Alltag wird, kann darin eine Bedrohung für die Demokratie liegen. Gemälde: Thomas Couture, “Römer und ihre Dekadenz” (1847)

Das antike Rom bietet in vielerlei Hinsicht eine Blaupause für unsere heutige Welt. Auf dem Forum Romanum wurden neben Waren auch Informationen ausgetauscht, auf ihm und anderen Marktplätzen entsteht die erste Öffentlichkeit. Hier beginnt auch die Geschichte der Festivals. 

Es ist Dezember und die Straßen Roms sind trotz der Kälte gefüllt mit fröhlichen Gesichtern. Händler packen ihre Stände zusammen, sie haben ihre Ware für den Tag verkauft, viel ist es jetzt, im Winter, ohnehin nicht. Nun sind sie voller Vorfreude, denn die Saturnalien beginnen – und ein wenig Ablenkung kommt ihnen gerade recht. Die Ernte war schlecht und der Kriegsgott Mars wendet sich wieder einmal gegen die römische Armee. Ein bisschen Hilfe von Saturn, dem großen „Sättiger“ kann da nicht schaden. Und dass ihm zu huldigen viel Wein, gutes Essen und die eine oder andere Sexorgie beinhaltet, nun ja, das versteht sich von selbst. 

Das wilde, ungezähmte Feiern

Das Fest beginnt damit, dass die Priester dem Gott im Saturn-Tempel ein Opfer darbringen. Saturn wird als Gott der Aussaat verehrt, und weil die Ernte so ungewiss ist, steht er zugleich für das Ungezügelte, Wilde und Grausame der göttlichen Willkür.

Während der Opfergabe lösen daher andere Priester die Wollbinden, mit denen die Beine der elfenbeinernen Statue des Saturn an allen anderen Tagen des Jahres gefesselt sind und tragen das nunmehr geweckte, „entfesselte” Ebenbild des Gottes auf das Forum, wo ein riesiges Festmahl anlässlich seines Feiertages schon zubereitet ist. Das Gelage kann beginnen. 

Karnevaleske Szenen spielen sich in den Straßen der Stadt ab, es herrscht absolute Narrenfreiheit”. Gemälde: John Reinhard Weguelin, “Die römischen Saturnalien”.

 „Auf dem Land und in den Städten feiern alle fröhlich mit Schmausereien und jeder bedient seine Sklaven. So auch wir Römer, und wir haben von dort auch die Sitte übernommen, dass an diesem Tag Sklaven und Herren gemeinsam speisen“, schreibt Lucius Accius in seinen „Annalen“. 

Übliche soziale Grenzen werden aufgehoben. Als eine „verkehrte Welt“ beschrieb der Philosoph Seneca das tage- und nächtelange Treiben auf den Straßen. Senatoren tragen statt der Toga, die sie als Bürger ausweist und ihnen damit einen hohen Rang bescheinigt, die Filzkappe der freigelassenen Sklaven. Die Sklaven wiederum lassen sich an den wilden Tagen um den 17. Dezember von ihren Herren bedienen. Der Wein fließt in Strömen. Ein ‚Saturnalis Princeps’, ein für die Zeit der Festtage ernannter Saturnalienfürst, oder auch ‚Rex Bibendi‘, Trinkerkönig genannt, fordert seine Anhänger zum Ablegen der Kleider auf. Was danach in Rom geschieht, bleibt in Rom.

Das Fest als Alltagsflucht und soziales Bindemittel

Wenn wir heute in Festivals eine Alltagsflucht suchen und die Alltagssorgen vergessen wollen, legten die Römer den Grundstein dafür.” Gemälde: Antoine Callet, “Saturnalia” (1783).

Karnevaleske Szenen spielen sich in den Straßen der Stadt ab, es herrscht absolute Narrenfreiheit. Die Stadt, deren Hierarchie sonst klar abgesteckt ist, ist für ein paar Tage im Ausnahmezustand – man könnte es als ein frühes Festival bezeichnen – alle wichtigen Bestandteile sind da: Gesang, Tanz, Gemeinschaft, Eskapismus und Rausch. 

Doch sie erfüllten noch einen weiteren Zweck: Der Althistoriker Jörg Rüpke beschreibt die Saturnalien als „instrumentalisierte kollektive Angstbewältigung“. Nach dem vermeintlichen goldenen Zeitalter, das auch als Saturnia Regna, also die Herrschaft des Saturn bezeichnet wird, sind die Zeiten für die Römer schlechter und unberechenbarer geworden. Die ausschweifenden Festtage der Saturnalien schweißen die Römer in der orgiastischen Feier als Schicksalsgemeinschaft zusammen, welche die Götter im Kampf gegen den äußeren Feind um Hilfe bittet.

Die damalige Gesellschaftsform erinnert also unter vielen Gesichtspunkten an die unsere. 

Wenn wir heute in Festivals eine Alltagsflucht suchen und die Alltagssorgen vergessen wollen, legten die Römer den Grundstein dafür.

Wenn wir heute in Festivals eine Alltagsflucht suchen und die Alltagssorgen vergessen wollen, legten die Römer den Grundstein dafür. Gemälde: Nicolas Poussin, “The Triumph of Pan” (1636).

An den Saturnalien wurde ausschweifend gefeiert, um die Ängste des Alltags und die Bedrohungen von außen zu vergessen. Auch heute wird das Vergessen in der Ekstase gesucht. Die Gefahr in dieser hedonistischen Begehung der Festivals (und der Festivalisierung des Alltags) liegt darin, dass sie sich in einer Freizeitgesellschaft nicht mehr auf ein paar Tage im Dezember beschränken lässt.

Zu Zeiten des Prinzipats, unter Kaiser Augustus und Tiberius, wurden Panem et Circenses, also Brot und Spiele, zum Normalzustand. Sie bestachen die Bürger mit Entertainment und Lebensmitteln. So versicherten sich die damaligen Machthaber der Stimmen ihrer Wähler.

Bei allen positiven Effekten, die ein Festival haben kann: Wenn es zum Alltag wird, kann darin eine Bedrohung für die Demokratie liegen. Der Bürger wird zum Konsumenten und gibt seine demokratischen Rechte und Pflichten auf, um sich im Gegenzug bespaßen zu lassen.

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Die größten Festivals der Welt

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Die größten Festivals der Welt

Die Kumbh Mela gilt mit seinen 30 Millionen Besuchern als das größte religiöse Fest der Welt. Foto: Philipp Eyer

Festivals sind keine alleinige Erfindung des Westens. Mindestens seit dem siebten Jahrhundert baden die Hindus regelmäßig kollektiv in Unsterblichkeit. Das größte Festival der Erde findet nämlich in Indien statt, und nicht in Wien, wie das Guinness-Buch der Rekorde meint. 

Gut, ein bisschen man muss da differenzieren. Das Donauinselfest in Wien steht im Rekordbuch als größtes Musikfestival der Welt. Aber das „Fest des Kruges“, Kumbh Mela, gilt als das größte religiöse Fest der Welt. Der Name „Fest des Kruges“ hat seinen Ursprung in der Legende vom „Quirlen des Milchozeans“, einem Schöpfungsmythos. Während des entbrannten Streits zwischen Göttern und Dämonen fielen vier Tropfen des Unsterblichkeitsnektars auf die Erde: an den Orten Allahabad, Haridwar, Ujjain und Nashik, wo heute die Kumbh Mela stattfindet. Immer wenn die Gestirne Jupiter,

Bis zu 300,000 Menschen können sich um die Kaaba in der berühmten heiligen Moschee in Mecca versammeln. Foto: Gas Juned.

Sonne und Mond in einer bestimmten Konstellation stehen, gilt das Bad in den Flüssen Ganges, Shipra, Godavari und Yamuna um ein Millionenfaches mehr sündenbefreiend. Was dann passiert ist aus westlicher Sicht unvorstellbar: Über 30 Millionen Menschen versammeln sich an ihren Ufern, um sich an diesem besonders heiligen Ort zu dieser besonders segensreichen Zeit rituell zu waschen.

Filmtipp: Die Dokumentation „Faith Connections“ von Pan Nalin begleitet Pilger während der vergangenen Kumbh Mela. 

https://www.youtube.com/watch?v=zvjVpQfA3mU

Zum Festival pilgern

Im Vergleich: Zum Donauinselfest kamen 2019 etwa 2,7 Millionen Menschen, den Rekord stellte es mit 3,3 Millionen im Jahr 2015 auf. Auch der Hadsch in Mekka versammelt regelmäßig über zwei Millionen Pilger an einem Ort. Von jung bis alt – die älteste Teilnehmerin 2017 war 104 Jahre alt – und aus allen Teilen der Welt kommen Muslime, um die Pilgerreise, die eine der Säulen des Islam bildet, anzutreten.

Und auch im Westen sind Sinnsuchende auf Pilgerschaft. Während die Kirchen in Deutschland Mitgliederschwund vermelden, verzeichnet der Jakobsweg ein Rekordjahr nach dem anderen. So wagen sich immer mehr Menschen auf den Weg nach Santiago de Compostela, auf dem bekanntesten christlichen Pilgerpfad. Zuletzt, 2018, waren es 330.000 registrierte Pilger aus 146 Nationen. Das zeigt, dass der Wunsch nach der kollektiven Erfahrung eines gemeinsamen und zugleich individuell erfahrbaren Erlebnisses Menschen aller Kulturkreise, Religionen und Generationen verbindet. Weil in unserem Kulturkreis Religiosität allgemein abnimmt, die Suche nach Gemeinschaft und Lebenssinn aber bleiben, gibt es jede Menge alternative Glaubensformen und Heilsversprechen zum religiösen Pilgern. Die Hippie-Bewegung in den 60er Jahren verbindet dies erstmals in einem Event, das ein Haushaltsname und das Pars pro Toto für Festivals geworden ist: Woodstock.

Mit dem Woodstock-Festival erschuffen sie eine Hippie-Utopie. Foto: Derek Redmond and Paul Campbell.

Das Festival als kollektive Utopie

Nach den Ermordungen von Bobby Kennedy und Martin Luther King und dem über allem wie ein Damoklesschwert schwebenden Vietnamkrieg, schien es für die neue Generation amerikanischer Baby Boomer, als hätten sich die Götter gegen sie gewandt. Deshalb schufen sie sich als Hippies eine Gegenkultur. Ihre Kultstätte wurde das Festivalgelände in Woodstock im US-Bundesstaat New York. Dorthin pilgerten sie, um im kollektiven Drogenrausch, der Musik, der freien Liebe, dem Pazifismus und einer neuen Spiritualität für ein paar Tage ihr Seelenheil zu finden und ihre Ängste zu vergessen. Dabei erschaffen sie eine Utopie: ‚Love and Peace‘ im Diesseits. „Ground Zero for Peace and Love“ und „Sacred Ground“ wird der Ort in einer CBS-Dokumentation genannt.

Die Veranstaltung besuchten fast 500.000 Festivalbegeisterte. Foto: Derek Redmond and Paul Campbell.

Gerne vergessen wird dabei allerdings die Tatsache, dass Woodstock, bei aller freien Liebe, von vornherein ein auf Profit ausgelegtes Event war. So hieß das Unternehmen der Gründerfirma Woodstock Ventures Inc. Die Macher jedoch waren nicht auf das Ausmaß ihres Geschäfts vorbereitet. Statt der erwarteten 50.000 Besucher kamen – je nachdem, wen man fragt – wohl zwischen 300.000 und 500.000 Festivalbesucher. Die Kassenhäuschen konnten dem Ansturm nicht standhalten und so nahmen die meisten Woodstock-Besucher umsonst teil. 

Ein Fehler, den heutige Musikfestivals nicht mehr begehen. Laut einer Schätzung der BBC von 2018 ist das Business mit den Musikfestivals etwa drei Milliarden US-Dollar bzw. 2,7 Milliarden Euro wert. Kein Wunder, dass heute immer mehr Festivals aus dem Boden gestampft werden.

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Coachella, Burning Man und Lollapalooza – Festivals, wohin man blickt

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Coachella, Burning Man und Lollapalooza – Festivals, wohin man blickt

Das Coachella Festival in Californien zieht jährlich 200.000 Besucher an. Foto: Andrew Ruiz.

Heute sind Festivals gleichsam eine Mischung aus all den vorangestellten Aspekten der Großveranstaltungen – Eskapismus trifft auf Spiritualität trifft auf Kapitalismus. Fast jede Nische hat heute ihr eigenes Festival: Es gibt Mindfulness-, Brand-, Food-, Kunst- und natürlich Musikfestivals. Was genau suchen die Menschen dort?

In zunehmender Abwesenheit traditioneller Anker wie der Religion, hat der Konsum die primäre Grundlage für die Konstruktion von Identitäten übernommen. Es wird in den Sozialwissenschaften theoretisiert, dass wir heute in einer Konsumkultur leben, in der sich der Mensch durch den Konsum und die Repräsentation von Gütern – und zunehmend Erfahrungen – konstituiert. Im Klartext heißt das: Wir definieren uns heute weitestgehend über unseren Konsum. Da in der westlichen Welt nicht mehr die Frage zu klären ist, ob ich heute etwas esse, muss ich nur noch die Entscheidung treffen, was ich heute esse und wo. Entscheide ich mich für McDonalds oder für französische Cuisine? Gehe ich zum Italiener am Eck oder in das angesagte Frühstücksrestaurant? Die Antwort auf diese Frage definiert mich und meine Selbst- sowie Außenwahrnehmung. Selbes gilt für die Wahl meiner Festivals. 

Fast jede Nische hat heute ihr eigenes Festival: Es gibt Mindfulness-, Brand-, Food-, Kunst- und natürlich Musikfestivals. Foto: Andre Benz.

Zeig mir dein Festivalband und ich sage dir, wer du bist.

Die Experience Economy bietet eine weitere Ebene dieser Identitätsbildung. Sie gibt dem Verbraucher eine Aufgabe, nämlich als Mitgestalter seiner Erfahrungen, sich sowohl mit der Produktion als auch mit dem Konsum von Erfahrungen auseinanderzusetzen und sich sozusagen ein individuelles Portfolio zusammenzustellen, das dann in seiner Gesamtheit seine Identität zum Ausdruck bringt. Die Teilnahme an bestimmten Experiences verleiht ihm oder ihr dann Authentizität als Person.

Marken haben diese Entwicklung längst für sich nutzbar gemacht und bieten ihren Konsumenten immersive Erlebnisse, die zur Imagebildung beider Teilnehmer beitragen. Bedeutet: Die Marke bekommt beim Konsumenten ein besseres Image durch das Event, der Konsument mehr Identität durch das Event und die Verbindung mit der Marke. Beide gewinnen durch das Posten der Erfahrung auf Instagram an Authentizität.

Coachella, Melt, Burning Man, SXSW – dabei sein ist Insta-Gold

Nicht mehr der Glaube an die transformativen Fähigkeiten eines heiligen Ortes geben die Destination des Pilgerns vor, sondern Instagram und die sozialen Medien. Das Burning Man Festival in der Black Rock Wüste in Nevada ist eines der gehyptesten Festivals der Welt. Wer Bilder von dort postet, steigert sofort sein symbolisches Kapital.

Der Höhebunkt des Burns, die traditionelle Verbrennung des Burning Man. Foto: Ellie Pritt.

Jährlich kommen 70.000 Menschen zur zeremoniellen Verbrennung der Holzskulpturen in die Wüste, die in der Tradition des ersten 1986 verbrannten Burning Mans steht. Die Karten für das Event kosten in der Regel zwischen 425 und 1200 US-Dollar, nicht wirklich billig also. Zum Vergleich: Ein Dreitagespass für Coachella kostet 429 Dollar, das Glastonbury Festival in Großbritannien schlägt mit 321 Dollar zu Buche und Lollapalooza in Berlin ist mit etwa 150 Euro dagegen ein wahres Schnäppchen. 

https://www.youtube.com/watch?v=ygBZCkEW7qw

Geld ist während des Burning Man Festival hingegen ziemlich nutzlos. Auf dem Veranstaltungsgelände „Playa“ bekommt man (zumindest offiziell) kaum etwas dafür. Lediglich im Center-Camp kann man sich Wasser, Limo, Kaffee und Eisblöcke kaufen. Die Einnahmen gehen als Spende an die Indigenen in der Region. Was man während des Festivals verzehren will, sollte man sich also mitbringen. Kurios, wie gemeinschaftlich dem Kapitalismus abgeschworen wird, zugleich aber das Festival immer mehr einem Glamping-Ausflug gleicht. Nicht ohne Grund wird der Einzug der Techies aus dem Silicon Valley in Black Rock City gern als Gentrifizierung der Wüste stilisiert. Und natürlich steht hinter dem Festival mit Rock City LLC eine gewinnorientierte Körperschaft. 

Das Kunstwerk “Exsuscitare Traiectus” auf der Playa des Burning Man 2011. Foto: Andrew Fresh.

Ähnlich wie zu den Saturnalien ist das heutige Festival ein Ort, wo Normalität und Alltag abgelegt werden. Für eine klar definierte Zeit, in einem klar definierten Raum, werden (beinahe) sämtliche Regeln außer Kraft gesetzt. Der französische Philosoph Foucault bezeichnet diese „Räume der Abweichung“, in denen reguläre Normen der Gesellschaft gebrochen werden, als Heterotopien. Im Gegensatz zur Utopie, die eine zur Perfektion gebrachte Gesellschaft imaginiert, aber grundsätzlich unwirklich ist, sind Heterotopien zeitlich und örtlich begrenzte Räume, die nach eigenen Regeln funktionieren. Gerade in dieser Abgrenzung machen sie uns einiges über die „echte“ Welt klar. Und man erlebt geradezu hyperreale Emotionen von Glück, Aufregung und Liebe. Doch wie erfüllt ist Leben wirklich, wenn es hauptsächlich in der Hyperrealität – also in symbolischen Akten der Repräsentation – passiert?

Die Produktion und der Konsum von Instagrambildern oder -videos stellen sowohl den individuellen Wunsch dar, etwas zu hinterlassen (man könnte es als „baden in Unsterblichkeit“ auffassen) als auch die Selbstverwirklichung im wahrsten Sinne des Wortes. Das zeitgenössische Festival hat sich als Antwort auf Prozesse der kulturellen Pluralisierung, Mobilität und Globalisierung entwickelt und sagt gleichzeitig etwas Bedeutsames über Identität, Gemeinschaft, Ort und Zugehörigkeit aus – Dinge, nach denen sich jeder Mensch sehnt. 

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Business-Lifestyle: Gründer sind die Rockstars von morgen

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Business-Lifestyle: Gründer sind die Rockstars von morgen

Gemeinsames Brainstormen von Ideen während des Wirtschaftsfestivals "Building My Tomorrow" 2018 im Base Camp Bonn.

Die Coolness eines Rockfestivals auf eine Konferenz oder Messe zu übertragen – das ist der Heilige Gral des Eventmarketings. Die Festivalisierung ist ein weitreichender Eventtrend, der vor allem durch den Wunsch des Publikums, immersiv in ein mehrtägiges Spektakel einzutauchen, um dem Alltag zu entfliehen, angetrieben wird.

Festivals, das haben die vorhergehenden Kapitel gezeigt, sind im Allgemeinen dem Alltag entrückte Erlebnisräume, an denen das Individuum in einer gleichgesinnten Gemeinschaft aufgeht und der gemeinsame Glaube praktiziert werden kann – ganz gleich, ob es nun ein spiritueller Glaube, eine politische Utopie oder die Liebe zu Heavy Metal ist. 

Diese Heterotopien eignen sich daher besonders gut für das Nachdenken über die Zukunft. South by Southwest (SXSW) ist wohl das bekannteste Festival der neuen Art – ein Hybrid aus Musik-, Film- und Zukunftsfestival. SXSW ist das umsatzstärkste Event außerhalb von Sportveranstaltungen mit einem geschätzten wirtschaftlichen Gesamtwert von rund 325 Millionen Dollar im Jahr 2016 – ungefähr so viel wie der Super Bowl.

Ein Blick in die Zukunft auf dem Wirtschaftsfestival von Orange by Handelsblatt.

So nehmen Festivals, die den Fortschrittsglauben zum Kern haben, eine gesonderte Rolle im Gefüge der Festivalisierung ein. Die Festivalisierung von einstigen reinen Business-Formaten bringt oftmals eine spannende Vermischung trockener Business-Inhalte mit dem Zauber von Technologie- und Kreativindustrien mit sich. Wenn die Leader der Creative Class einen Vortrag halten, wird das beinahe so aufgeregt erwartet, wie ein Konzert. TED-Talks, die Vorstellung des neuen iPhones oder die aktuellste Kopfgeburt Elon Musks – diese Vorträge sind die Blockbuster Events der Tech-Szene.

Die Zukunft kommt schneller als wir glauben

Längst ist nicht mehr nur die Freizeit von der Experience-Economy durchdrungen. Arbeit soll Spaß machen, so lautet das Motto von morgen. Roboter übernehmen zunehmend Tätigkeiten, die Menschen nicht mehr übernehmen wollen oder können. Weil zukünftig kaum jemand mehr klassische Arbeitszeiten hat oder manueller Arbeit nachgehen muss, ist Arbeit zu einem Lebensinhalt geworden, der auf Freiwilligkeit beruht. Dementsprechend sind die Menschen frei geworden, ihn so zu gestalten, wie sie wollen. So hat die Festivalisierung auch die Arbeitswelt erreicht. 

Der flächige Googleplex verfügt über eine Sporthalle, kostenlose Wäschereien, zwei kleine Schwimmbäder, einen Beachvolleyball-Platz und achtzehn Kantine. Foto: Robby Shade.

Und diese Welt von Morgen beginnt schon heute – man muss sich nur einmal das Hauptquartier von Google ansehen, um zu begreifen, warum der Arbeitgeber so beliebt ist. Googleplex, Kalifornien 2019: Das Gebäude verfügt über eine Sporthalle, kostenlose Wäschereien, zwei kleine Schwimmbäder, einen Beachvolleyball-Platz und achtzehn Kantinen mit verschiedener Auswahl. Die jährlich stattfindende Konferenz Google I/O nimmt die Züge eines Festivals an, Speaker werden wie Rockstars gefeiert. Eigens für das große Event hat Google außerdem Nachbildungen des SpaceShipOne und eines Dinosaurierskeletts aufgestellt. Es fehlt nur noch eine Hüpfburg. 

Der ultimative Lifestyle: Gründen, die Welt verbessern, die Zukunft denken. 

Zynismus beiseite. Eigentlich gibt es wirklich keine bessere Sache, als dass wir kollektiv Konflikte beilegen, uns darauf besinnen, was uns als Menschen verbindet, und uns dann zu überlegen, in welcher Welt wir morgen leben wollen – gerade, wenn es darum geht, die Herausforderungen zu bewältigen, vor die uns der Klimawandel und seine Folgen stellen. 

Die Besprechung einiger Workshop-Ergebnisse während des Building my Tomorrow Festivals 2018.

In Deutschland geschieht dies zum Beispiel beim Building my Tomorrow Festival, das dieses Jahr in Köln stattfindet. Organisiert wird das Wirtschaftsfestival vom Magazin Orange by Handelsblatt und der Deutschen Bank und soll jungen Menschen helfen, ihren Platz in der Welt zu finden. „Die Festivalisierung schafft ein Stück weit Hierarchien ab und gibt Menschen die Chance, spielerisch mit ersten Themen umzugehen“, sagt Juliane Giuliana, Director Innovations bei Euroforum, dem Veranstalter des Events. „Wir setzen vor allem auf Community Building. Zum Beispiel bei unserem Ada Lovelace-Festival, wo wir Women in Tech zusammenbringen. Aber eben auch bei Building my Tomorrow.“ Das Festival soll jungen Menschen Möglichkeiten aufzeigen, die eigene, aber auch die kollektive Zukunft zu gestalten.

Rockstar war früher ein Berufswunsch vieler Jugendlicher. Heute wollen sie Nachhhaltigkeits-Influencer oder Gründer von Start-ups werden. Der Zeitgeist steht also richtig, um etwas zu bewegen. Wir haben mehr gemeinsam, als uns trennt, und das merkt man bei Festivals, bei einer kollektiven Erfahrung, am besten.

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Utopie in Action: Die Reise zum Mars als Festival

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Utopie in Action: Die Reise zum Mars als Festival

So sollen Partygäste zu einem spektakulären Festival auf dem Mars geflogen werden. Foto: Pixabay.

Die Utopie erträumen und auch gleich leben, nichts weniger verspricht eine Reiseagentur, deren CEO ein Fortschrittsprediger ist. Seine Anhänger feiern ihn als Guru. Der neueste Coup: ein Festival auf dem Mars.

„Kurzum: Es wird das Event des Jahrhunderts“, schließt der CEO seine Präsentation. Die Gäste im Auditorium klatschen begeistert Beifall. Was er soeben enthüllt hat, ist nichts weniger, als ein kühnes Milliardenprojekt, das die Grenzen alles bisher Dagewesenen sprengen wird. „Der Ultimative Escape“, „Mal die Sorgen der Erde auf der Erde zurücklassen“, „Über den Dingen schweben“ – mit diesen Slogans wird das „Superhappening“ beworben. Mit diesen Versprechungen soll es die neue Generation dazu bewegen, zum Mars zu fliegen, um dort eine „Party, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat“ zu feiern. Die geheime Hoffnung: Mehr Siedler für das Marsbesiedlungsprojekt der ISA, der International Space Agency, zu gewinnen. Denn auf der Erde wird der Lebensraum knapp. 

In unserem Interview erklärt der CEO der Eventagentur SpaceTravelX, wie man sich das Event des Jahrhunderts vorstellen darf.

Warum wollen Sie die Menschen zum Aufbruch zum Mars gewinnen?

Zehn Milliarden Menschen leben auf der Erde, diese Zahl ist seit Jahren recht stabil. Doch durch schmelzende Polarkappen, steigende Meeresspiegel und unberechenbare Wetterphänomene sind alle Gewissheiten von Bord gegangen und ehemals bewohnbare Gebiete unbewohnbar geworden. Die internationalen Machtverhältnisse haben sich verschoben. Ein aufregendes Leben in einer Kolonie – solch ein Neustart ist doch eine spannende Alternative zum ungewissen Leben auf der Erde. 

Ein Festival auf dem Mars als Werbung für das Marsbesiedlungsprojekt der ISA. Foto: Yuliya Kosolapova.

Ähnlich wie einst der Aufbruch in die Neue Welt, den amerikanischen Kontinent, zieht das Marsprojekt bisher vor allem Displaced People an, die ohnehin keine andere Wahl haben, als ihre Heimat zu verlassen. Der Klimawandel treibt sie auf den roten Planeten. Wen wollen Sie mit dem Festival erreichen?

Das Festival richtet sich an die gut ausgebildete Creative Class der Erde. Sie braucht man dort als Führungskräfte. Naturwissenschaftler, Ingenieure, Geisteswissenschaftler. Vor allem Agrarwissenschaftler sind besonders willkommen. 

Das Werbevideo für das Festival verspricht dekadente Feierei, perfekte Bilderbuchmomente wie gemacht für die sozialen Medien und ein Erlebnis, von dem die Teilnehmer noch ihren Enkelkindern – ob sie auf dem Mars oder der Erde geboren werden, sei dahingestellt – erzählen werden. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Reise kein „Fyre Festival Part Deux” wird?

Die Videoaufnahmen der Festivalkatastrophe vom Fyre Festival Anfang des letzten Jahrhunderts kennt natürlich jeder – allerdings wurden hier aus unserer Sicht Anfängerfehler begangen. Wie jede neue Technologie bisher, wurden auch die sozialen Medien damals ohne Sinn und Verstand verwendet. Die Media Literacy für diese neuen Medien war noch nicht so gut wie heute. Die User verstanden nicht, welchen Quellen sie vertrauen konnten. Wenn ein Werbevideo gut gemacht war, dann glaubten die Konsumenten, dass das Event auch gut werden würde. Und von Veranstalterseite hat man sich einzig und allein auf die Vermarktung konzentriert. Hier waren ganz klar Stümper am Werk.

Wie gehen Sie konkret an die Planung?

„Über den Dingen schweben“ – mit diesen Versprechungen will man die neue Generation dazu bewegen, zum Mars zu fliegen, um dort eine „Party, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat“ zu feiern. Foto: NASA.

Hier muss unsere Agentur SpaceTravelX ganze Arbeit leisten. Wir fragen uns: Wie kommen die circa 70.000 sehr anspruchsvollen Besucher zum Mars? Wie werden sie die 150 Reisetage im Raumschiff verbringen? Wie sind sie vor Ort, auf dem Mars, untergebracht? Unsere Gäste erwarten nichts weniger als den absoluten Luxus – und den sollen sie bekommen – ein immersives Erlebnis.

Was erwartet die Festivalteilnehmer?

Wir haben ein nie zuvor dagewesenes Line-Up. Die Künstler aus allen Sparten sind die besten auf ihren Gebieten. Es wird Meditationssessions und Yogaausbildungen geben, während der Reisezeit lässt sich alles lernen, was man möchte: Schnitzen, töpfern, Fremdsprachen, Origami, Aquarellmalen, all diese Dinge, die Menschen früher konnten, die heute keiner mehr macht. Wir haben vergessen, wie erfüllend das alles sein kann. Auch das persönliche Gespräch.  

Also Back to the Roots?

Ja! In unserer modernen Welt sind wir ständig connected, aber selten im gleichen Raum. Deshalb legen wir bei SpaceTravelX hauptsächlich Wert auf interpersonelle Kommunikation, Face-to-Face meine ich. Wir matchen die Reisegruppen mittels AI auf ihre optimale Kompatibilität. Während der Reise wird es daher jede Menge spaßige Möglichkeiten zur persönlichen Interaktion geben, und natürlich ist dabei für Abwechslung gesorgt. Das Community Building formt das Rückgrat unserer Experience. „Meaningful Connections” ist das Schlüsselwort. 

Die Reisenden sollen also eine Schicksalsgemeinschaft werden?

Ja, stellen Sie es sich ein bisschen wie die Pilger auf der Mayflower vor. Nur mit besserem Essen und ohne Ratten (lacht). Also, der Mars, das ist eine neue Chance für uns. Den Festival-Teilnehmern steht natürlich frei, nach dem einwöchigen Festival zur Erde zurückzukehren. Aber wir hoffen, dass diese Life-Changing Experience sie so stark zusammenschweißt, dass sie auf dem Mars eine neue, bessere Welt errichten werden – nach ihren eigenen Vorstellungen natürlich.

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