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Kompendium: Prediction Markets

2050 haben viele Gemeinden das Konzept von Prediction Markets für die Kommunalpolitik übernommen. Sie haben sich für eine neue Art der Demokratie entschieden: Futarchy bedeutet, die Politiker überlassen das Entscheiden den ExpertInnen der Prediction Markets und setzen den Ausgang einer Wette zugunsten des Allgemeinwohls pragmatisch um.

Kompendium

Auf den sogenannten Prediction Markets, den Prognosemärkten, geht es um die gebündelte Weisheit vieler, die die nahe Zukunft vorauszusagen. Bereits in der Antike halfen kollektive Vorhersagen, das Wetter zu bestimmen und damit die Ernten zu sichern. Heute wetten Menschen auf politische Wahlergebnisse ihr Geld. Könnten Prognosemärkte in Zukunft sogar  politische Entscheidungen beeinflussen oder gar den Finanzmarkt vorhersagen?

Kompendium: Prediction Markets

Heute wird das Wetter von Wetterexperte Jörg Kachelmann vertwittert. Doch der erste, der Wettervorhersagen überhaupt möglich machte, war der griechische Philosoph Aristoteles. Er räumte mit den Mythen des Wettergottes auf und verfasste die erste wissenschaftliche Abhandlung; und den Bauern ein Handbuch für üppige Ernten. Dank kollektiver Wettervorhersagen wurde so das Überleben gesichert.

Kompendium: Prediction Markets

Was haben der frühere US-Präsident John F. Kennedy und die ehemalige Beraterfirma Cambridge Analytica gemeinsam: Vereinfacht gesagt, die Auswertung von Millionen von NutzerInnendaten, um so durch gezielte Botschaften, bekannt als „targeted advertising“, die WählerInnen zu beeinflussen.

Kompendium: Prediction Markets

Der Prediction Market ist die Online-Wettbörse von heute. Es geht nicht um Glück im Spiel, sondern um die beste Vorhersage: Wer beim Fußball gewinnt, wie ein Kinofilm ausgeht oder wer die französischen Präsidentschaftswahlen im April 2022 gewinnen wird.

Kompendium: Prediction Markets

In zehn Jahren werden Algorithmen nicht nur die Risiken an der Börse abschätzen, sie könnten sich hitzige Debatten mit interdisziplinären ExpertInnen-Teams zur besten Anlagestrategie liefern. Wir haben einen Experten dazu befragt, ob und wie so ein Szenario denkbar wäre.

Kompendium: Prediction Markets

Die Prophezeiung reicher Ernten – der Beginn der Wetterwissenschaft

Kompendium: Prediction Markets

Die Prophezeiung reicher Ernten – der Beginn der Wetterwissenschaft

Bild: George Catlin, "Rainmaking among the Mandan"

Heute wird das Wetter von Wetterexperte Jörg Kachelmann vertwittert. Doch der erste, der Wettervorhersagen überhaupt möglich machte, war der griechische Philosoph Aristoteles. Er räumte mit den Mythen des Wettergottes auf und verfasste die erste wissenschaftliche Abhandlung. Damit gab er Bauern und Bäuerinnen ein Handbuch für üppige Ernten. Dank kollektiver Wettervorhersager wurde so das Überleben gesichert.

Before facts, there was religion: Bis zur wissenschaftlich fundierten Wettervorhersage waren die Menschen den Launen der Götter ausgeliefert. In vielen Kulturen dachten sie, dass wenn sie nicht untertänig waren, die Strafe sprichwörtlich von oben herabhageln und sie mit schlechten Ernten bestraft würden. Und so ein Ernteausfall bedeutet dann de facto Hungersnöte und Massensterben. Um die allmächtigen Götterwesen da oben gnädig zu stimmen, mussten in ein paar Kulturen sogar Menschenopfer herhalten, um mit ihrem Blut die Erde zu wässern. Am besten dokumentiert ist das bei der mesoamerikanischen Kultur der Azteken im Südamerika des 14. bis 16. Jahrhunderts. Historische Quellen verweisen aber bereits bei der ersten großen mexikanischen Hochkultur (ca. 1600 bis 400 vor Christus), den Olmeken, auf einen blutdürstigen Regengeist.

Der Philosoph Aristoteles räumte 340 vor Christus in seinem Traktat “Meteorologica” mit dem animistischen Glauben an überirdische Kräfte auf. Bild: Jastrow

Weniger brutal waren dagegen die Regentänze der indigenen Urvölker Nordamerikas: Der Regen wurde herbei getanzt und böse Geister gleich mit vertrieben. Das taten sie wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren. Seit wann genau, weiß man nicht, denn die Tänze wurden per Oral History, also mündlich weitergegeben und so kollektiv überliefert.

Physikalische Vorgänge analysieren – und Zeus kann abdanken

Irgendwann kam dann aber doch die Wissenschaft ins Spiel: In der griechischen Antike wollte man der Natur als Ganzes auf den Grund gehen und ihre Urkräfte ermitteln. Der Philosoph Aristoteles räumte 340 vor Christus mit dem animistischen Glauben an überirdische Kräfte auf. Er ist zwar nicht der Erste, der atmosphärische Störungen auswertete und erkannte, dass sie Auswirkungen auf die Witterungsverhältnisse haben. Es ist aber sein Regelwerk, das den Beginn der Meteorologie (aus dem Altgriechischen „Meteorologica“, der Untersuchung der Himmelskörper) bedeutete, – der wissenschaftlichen Annäherung an die Wettervorhersage. Das bedeutete auch: Jede und jeder konnte damit im Prinzip die Zeichen der Natur beobachten und deuten und mit diesem Wissen den Ausgang der Ernten beeinflussen.

Wissenschaftliche Wetterdeutung verspricht ökonomische Sicherheiten

Bild: Zentralbibliothek Zürich

Aristoteles‘ Schüler und Nachfolger war der Philosoph Theophrast aus Eresos, ein vielseitig interessierter Zeitgenosse. Leider sind von ihm nur seine naturwissenschaftlichen Schriften erhalten geblieben. Diese bringen ihm immerhin den verdienstvollen Titel „Vater der Botanik“ für seine detaillierte Pflanzenkunde ein. Er verfeinerte das Werk seines Meisters und verfasste eine praktische Anleitung, die Zeichen des Wetters zu erkennen: In seinem „Buch der Zeichen“ wird anhand von 200 Regeln erklärt, wie etwa die Farbe des Himmels („gerötet bei Morgengrauen“) baldigen Regen in den nächsten drei Tagen verspricht.

Aus Theophrasts Wetterabhandlung entwickelten sich ab dem 16. Jahrhundert allgemein gebräuchliche Bauernregeln, die sich aus Naturbeobachtungen der Schwarmintelligenz im Verbund mit volkstümlichen Wetterprognosen zusammensetzten.

Darüber hinaus hatte Aristoteles behauptet, dass Blitz und Donner gar nicht vom Göttervater Zeus stammen, sondern durch aufeinanderstoßende Wolken. Theophrast fügte hinzu, dass beides gleichzeitig entsteht, aber von den Menschen zeitlich versetzt wahrgenommen beziehungsweise gehört wird. Daraus entstand die bis heute gebräuchliche Methode, die Zeit zwischen Blitz und Donnerknall zu zählen: Die abgelaufenen Sekunden durch drei geteilt ergeben die ungefähre Entfernung eines Gewitters in Kilometern.

2000 Jahre lang war Theophrasts Wetterabhandlung unangefochten. Aus dem Handbuch zum Wetter entwickelten sich ab dem 16. Jahrhundert die allgemein gebräuchlichen Bauernregeln. Diese setzten sich aus Naturbeobachtungen der Schwarmintelligenz im Verbund mit volkstümlichen Wetterprognosen zusammen. Durch die Erfindung des Buchdrucks konnten sich die Regeln unter anderem im deutschsprachigen Raum verbreiten und gaben jeder Bäuerin und jedem Bauer – und damit der Kollektive – die Chance, das Wetter vorauszusagen. Das sicherte den entscheidenden Vorteil für gute Ernten und damit das Überleben.

Ständig durch die Schwarmintelligenz optimiert, haben sich diese Regeln über die Jahrhunderte hinweg bewährt. Sie sind bis heute im Einsatz, auch wenn sie sich, wie es Wetterexperte Jörg Kachelmann zu bedenken gab, seit Einführung des Gregorianischen Kalenders verschoben haben. Eine Schwarmvorhersage lässt sich aber nicht nur optimal für das Wetter nutzen, ebenso dynamisch und unberechenbar gestalten sich Politik und freie Marktwirtschaft.

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Bild: Alicia Minkwitz
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Wenn sich die Intelligenz gegen den Schwarm richtet

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Wenn sich die Intelligenz gegen den Schwarm richtet

Bild: Davide Ragusa

Was haben der frühere US-Präsident John F. Kennedy und die ehemalige Beraterfirma Cambridge Analytica gemeinsam? Vereinfacht gesagt, die Auswertung von Millionen von NutzerInnendaten, um so durch gezielte Botschaften, bekannt als „targeted advertising“, die WählerInnen zu beeinflussen.

In seinem Essay „The use of knowledge in society“ erklärte der österreichisch-britische Ökonom Friedrich Hayek 1945 in der American Economic Review das Konzept der kapitalistischen Marktwirtschaft und ihrer Überlegenheit gegenüber der sozialistischen Planwirtschaft: Kapitalistische Mechanismen würden durch Schwarmvorhersagen gesteuert. Ein Einzelner, der von oben alles bestimmt, habe nicht das gleiche Wissen wie die Gesellschaft als Ganzes. In der freien Marktwirtschaft seien Informationen dezentral gestreut, Entscheidungen würden besser mit dem lokalen Wissen vor Ort gefällt und damit am Ende effizienter. Mit seiner ökonomischen Theorie legte Hayek den Grundstein für Prognose-Plattformen, die den Ausgang von Ereignissen voraussagen, heute auch bekannt zum Beispiel als Online-Wettbörsen. Erst mehr als dreißig Jahre später erhielt er unter anderem für seinen Essay den Nobelpreis.

Mit seiner ökonomischen Theorie legte Friedrich Hayek 1945 den Grundstein für Prognosemärkte. Bild: Mises Institute

Von der freien Marktwirtschaft zum targeted advertising

Hayeks Essay von 1945 war seiner Zeit weit voraus. Es dauerte bis ins Jahr 1959, als die erste Firma Hayeks Theorie umsetzte und sich die Schwarmvorhersage zunutze machte. 1959 in New York von Sozialwissenschaftler Ithiel de Sola Pool mitgegründet, gab der Firmenname der Simulmatics Corporation bereits ihre Ausrichtung vor. Zusammengesetzt aus den Wörtern Simulation und Automation wollte die Marktforschungsfirma die Zukunft mithilfe von Daten vorhersagen: Man müsste nur genügend Daten von NutzerInnen sammeln und mit genügend Rechenpower – heute würden wir von Algorithmen sprechen – auswerten. Dann ließen sich nicht nur ihre Aktionen voraussagen. Vielmehr ließe sich jeder Geist simulieren und dazu passende, gezielte Botschaften generieren, mit dem dieser Geist dann beeinflusst werden könnte.

Die Marktforschungsfirma wurde im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 1960 engagiert und sollte zunächst dem demokratischen Kandidaten Adlai Stevenson zum Sieg gegen die Republikaner verhelfen, – den später jedoch John F. Kennedy (gegen Richard Nixon) für sich entscheiden wird. Simulmatics Project Macroscope wertete in einer bis dahin beispiellosen Aktion alle Meinungsumfragen bis zum Jahr 1952 aus und generierte daraus etwas, das die Firma „massive data“ nennt – und wir heute als Big Data kennen. Anhand dessen identifizierte sie 480 Wählertypen und 52 Wählergruppen. Das Team nutzte die Programmiersprache Fortran, um die kommenden Wahlen zu simulieren. Stellte man dem Programm eine Frage, wie der Kandidat politisch agieren wird, simulierte sie, wie die WählerInnen darauf reagieren werden. Durch verschiedene Szenarien konnten sie schließlich ermitteln, welches Wählersegment die Demokraten benötigten, um die entscheidenden Prozentpunkte zum Sieg zu ergattern.

Wie von der Simulmatics Simulationsmaschine anhand von Daten vorhergesagt, gewann Kennedy am 8. November 1960 knapp die Präsidentschaftswahlen in den USA. Bild: History in HD

Das Ergebnis der Auswertung: die Afro-Amerikaner in den nördlichen Städten könnten mit einem Wahlprogramm, das mehr Gewichtung auf die Bürgerrechte legt, überzeugt werden, die Democrats zu wählen. Simulmatics arbeitete direkt für das Wahlteam von John F. Kennedy, die Datenanalyse der Firma beeinflusste seine Kommunikation im Wahlkampf in eine entscheidende Richtung. Der Kandidat, der in den Umfragen bis dahin hinter Nixon lag, holte langsam auf und gewann schließlich knapp die Präsidentschaftswahlen am 8. November 1960 – ganz so, wie es Simulmatics Simulationsmaschine vorhergesagt hatte.

Der Grundstein für die heutige Data Science – und Cambridge Analytica

Auch wenn Simulmatics in weiteren Projekten für die US-Regierung versagte, legte sie doch mit ihrer Datenauswertung den Grundstein für ein heute beliebtes Feld – die Datenwissenschaft. Dass die Analyse von Millionen NutzerInnendaten auch problematisch sein und missbraucht werden kann, wird erst Jahrzehnte später für einen weltweiten Skandal sorgen.

2007 organisierte David Lazer, ein datengetriebener Politikwissenschaftler der Universität Harvard, die Konferenz „Computational Social Science“. Es ging unter anderem um die Auswertung von NutzerInnenverhalten anhand von Netzwerk- und Mobilfunkdaten, – ein heißes Thema, heute bekannt als Big Data und die Überwachung durch Unternehmen. Die WissenschaftlerInnen veröffentlichten 2009 ein Statement mit Prinzipien, welche den Zugang zu diesen Daten problematisierten und die möglichen Konsequenzen, die ein Missbrauch für die Privatsphäre des Einzelnen bedeuten, aufzeigten.

Nur ein paar Jahre später trat genau das ein: Die britische Beraterfirma Cambridge Analytica nutzte Millionen UserInnendaten aus Facebook genau dafür. Sie ermittelte WählerInnen-Typen, um sie mit gezielten Botschaften zu manipulieren und versuchte, sie bei den US-Wahlen von 2016 zugunsten der republikanischen Kandidaten Ted Cruz und Donald Trump zu beeinflussen.

Die britische Beraterfirma Cambridge Analytica nutzte Millionen UserInnendaten dafür, potenzielle WählerInnen mit gezielten Botschaften zu manipulieren, um sie bei den US-Wahlen von 2016 zugunsten der republikanischen Kandidaten Ted Cruz und Donald Trump zu beeinflussen. Bild: Book Catalog

87 Millionen UserInnendaten frei Haus

Um an die Schwarmvorhersage zu kommen, nutzte das Team ein perfides Mittel: 32.000 Facebook-NutzerInnen erhielten jeweils ein paar Dollar, wenn sie an einem Persönlichkeits-Test teilnahmen und ihre Account-Daten wie etwa die Kontakte für die Firma freigaben. Daraus konnte Cambridge Analytica 50 Millionen NutzerInnendaten analysieren. Aus den Resultaten des Persönlichkeits-Tests zusammen mit den Likes aus Facebook wurden umfangreiche persönliche Profile erstellt. Diese wurden mit dem amerikanischen Wahlregister abgeglichen, sodass zunächst 2 Millionen UserInnen extrahiert werden konnten. Diese wiederum wurden dann mit personalisierter Werbung auf Facebook gezielt angesprochen, um sie zu beeinflussen. Am Ende wurden die Daten von 87 Millionen UserInnen ohne deren Einverständnis ausgewertet. Wofür? Es ist nach wie vor unklar, inwieweit das Microtargeting, eine personalisierte Facebook-Werbung, Millionen von WählerInnen wirklich beeinflussen kann. Klar war jedoch der Missbrauch der Daten.

2018 gelangten die Machenschaften an die Presse, nachdem Christopher Wylie, ein ehemaliger Mitarbeiter von Cambridge Analytica, in Interviews mit der New York Times und dem Guardian auspackte. Facebook-CEO Mark Zuckerberg musste vor dem US-Kongress aussagen, Cambridge Analytica meldete Insolvenz an.

Damit ist der Datenmissbrauch an sich natürlich nicht aus der Welt, Schwarmvorhersagen haben sich aber nach wie vor bewährt. Nur eben nicht unwissentlich, sondern heute spielen die NutzerInnen freiwillig mit – auf Prediction Markets mit Gamification.

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Prediction Markets: auf dem Jahrmarkt der kollektiven Prophezeiungen

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Prediction Markets: auf dem Jahrmarkt der kollektiven Prophezeiungen

Bild: Noah Silliman

Der Prediction Market ist die Online-Wettbörse von heute. Es geht nicht um Glück im Spiel, sondern um die beste Vorhersage: Wer beim Fußball gewinnt, wie ein Kinofilm ausgeht oder wer die französischen Präsidentschaftswahlen im April 2022 gewinnen wird.

Die Schwarmvorhersage von heute geschieht spielerisch und freiwillig, die herkömmlichen Wettmärkte haben es vorgemacht. Die Prediction Markets sagen den Ausgang von Ereignissen voraus. Oft geht es da um nationale oder internationale Politik.

James Fransham ist Datenjournalist beim Wirtschaftsmagazin The Economist und einer der Experten, wenn es um Prediction Markets geht. Er erklärt uns dazu folgendes Beispiel: „Wie stehen die Chancen, dass der französische Präsident Macron die Wahlen im April wiedergewinnt? Schaut man auf die Umfragen, scheint es, dass er einen Stimmanteil von 25 Prozent hat. Das bedeutet, die Chancen stehen zu 40 oder 50 Prozent, dass er die Wahl gewinnt. Schaut man aber bei einem Prediction Market, wird sein Wahlgewinn dort mit Chancen von 75 oder 80 Prozent geschätzt.“

James Fransham ist Datenjournalist beim Wirtschaftsmagazin The Economist und einer der Experten, wenn es um Prediction Markets geht. Bild: James Fransham

Der Einsatz der Personen, die bei den Prediction Markets abstimmen kann (viel) Geld sein, Kryptowährungen wie Bitcoin, aber auch Spielgeld, wenn es die Regularien eines Landes nicht zulassen. Will heißen: In den USA wird mit Spielgeld gewettet, in Europa oder im UK mit richtigem Wetteinsatz. Das kann einen teuer zu stehen kommen. Der globale Glücksspielmarkt wird bis 2023 auf knapp 93 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das heißt auch, wer auf die Zukunft wetten will, muss sich sehr gut auskennen, wenn er sein eigenes Geld dabei auf den Kopf haut. Das bedeutet auch: Wer nun etwa auf die Wiederwahl von Präsident Macron setzt, hat sich die Faktenlage ganz genau angeschaut und vielleicht noch mehr Informationen als die gewöhnliche WählerIn zur Hand.

Bei den Prediction Markets wird in der Regel eine Frage in die Runde gestellt, die die Wettenden mit einem klaren Ja oder Nein beantworten können. Es gibt sogar eine eigene Maßeinheit für die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Vorhersage – der Brier Score zwischen 0 und 1. Hat ein Prediction Market besonders viele zutreffende Vorhersagen zu bieten, nähert sich sein Brier Score der Null an. 

Bei den Prediction Markets geht nicht um Glück im Spiel, sondern um die beste Vorhersage. Bild: Gene Divine

Wetteinsatz für soziale Anerkennung

Ob bei Prognosemärkten wie PredictIt (circa 30.000 NutzerInnen), Iowa Electronic Markets (IEM), Smarkets (etwa 200.000 UserInnen jährlich), Manifold Markets oder Futuur: Jeder Markt hat seinen inhaltlichen Schwerpunkt. Mit vielen wissenschaftlichen Fragen etwa beschäftigt sich Metaculus. Die amerikanische Plattform arbeitet nicht mit finanziellen Wetteinsätzen, u.a. weil sie das aufgrund der Regularien nicht darf, sondern mit Gamification. Sie gibt soziale Bonuspunkte aus, auch weil das in ihrer NutzerInnen-Gemeinde, die eher aus WissenschaftlerInnen besteht, besser ankommt. Zusätzlich gleicht ein Algorithmus die Voraussagen der Crowd mit den Vorhersagenden mit den meisten Erfolgen ab. Die kollektive Intelligenz wird hier also noch einmal durch die KI optimiert, was der Plattform zu einem guten Brier Score verholfen hat. Aber lässt sich das Konzept auch auf gesellschaftliche oder politische Fragen ausdehnen?

Vorhersagen für Regierungen

„Menschen werden Prediction Markets immer mehr nutzen, um komplexe Events zu verstehen,“ sagt James Fransham. Das haben auch Regierungen begriffen. So nutzt die britische Regierung kollektive Vorhersagen von Experten von der Plattform Cosmic Bazaar. Sie stammt von der britischen Beraterfirma Cultivate Labs. Seit zwei Jahren befragt sie etwa 1.300 britische und internationale BeamtInnen, DiplomatInnen, NachrichtendiensterInnen und PolizistInnen nach geopolitischen Ereignissen und anderen. James Fransham erklärt: „Sie versuchen, Ereignisse vorherzusagen, die bei der Regierung einfließen. Daraus kann diese dann Entscheidungen ableiten.“

Auf Online Prognosemärkten wie PredictIt können UserInnen von Politik bis Wissenschaft auf alles Mögliche wetten, je nach inhaltlichem Schwerpunkt des Prognosemarktes. Bild: Screenshot PredictIt

Wie wurden diese ExpertInnen ausgewählt? Dazu hatte der kanadisch-amerikanische Politikwissenschaftler Philip Tetlock bereits an der Universität Pennsylvania geforscht. Das Spannende dabei war: Im Grunde ist nicht die Fachrichtung oder die Ausbildung eine Voraussetzung für ExpertInnentum – entscheidend ist eine diverse Denkweise. Besonders gute VorhersagerInnen besitzen die Fähigkeit, ihre Meinung ständig an die aktuelle Datenlage anzupassen. Außerdem wissen sie um ihre Voreingenommenheiten und können diese gut umgehen.

Wetten auf einen zukünftigen Profit 

Haben diese Vorhersagen damit auch das Potenzial, die Politik zu verändern? „Nein, das glaube ich nicht“, sagt James Fransham. „Bei einer funktionierenden Demokratie wählen die Bürger die Politiker. Deren Entscheidungen sind im Prinzip eine Kanalisierung des Meinungskonsens innerhalb dieser Gesetzgeber.“

Der Einfluss von Schwarmvorhersagen wäre damit limitiert. Jedoch ist er an einer anderen Stelle umso größer: auf dem Aktienmarkt. James Fransham: „Im Grunde ist der Aktienmarkt ein Prediction Market. Wenn man in eine Firma investiert, tut man dies im Bewusstsein, dass die Anteile profitabel sein werden. Der Profit ist aber nicht der Profit von heute, sondern der, den man in der Zukunft erwartet.“

Wir wissen nun: Eine gute VorhersagerIn denkt divers und passt ihre Meinung der aktuellen Lage an. Gleichzeitig kann eine KI eine kollektive Vorhersage noch genauer schärfen. Das sollten doch eigentlich ideale Bedingungen für Prediction Markets auf dem Finanzmarkt sein, oder?

Weiterlesen Wie könnten Schwarmvorhersagen die Börse verändern?
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Kompendium: Prediction Markets

Wie könnten Schwarmvorhersagen die Börse verändern?

Kompendium: Prediction Markets

Wie könnten Schwarmvorhersagen die Börse verändern?

Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden, Deutsche Bank, Frankfurt/M., Foto:Tim Wegner/Deutsche Bank

In zehn Jahren werden Algorithmen nicht nur die Risiken an der Börse abschätzen, sie könnten sich hitzige Debatten mit interdisziplinären ExpertInnen-Teams zur besten Anlagestrategie liefern. Wir haben einen Experten dazu befragt, ob und wie so ein Szenario denkbar wäre.

Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank für Privat- und Firmenkunden. Er erklärt, warum das Konzept von Prediction Markets nicht so einfach auf den Aktienmarkt übertragen werden kann, – aber wie Künstliche Intelligenz zusammen mit Schwarmvorhersagen Finanzmarktprognosen in Zukunft durchaus erfolgversprechend unterstützen könnten.

Herr Stephan, wie funktionieren exakte Prognosen für den Finanzmarkt?

(lacht) Da muss ich sofort einhaken, denn exakte Prognosen für den Finanzmarkt gibt es nicht. In der Effizienzmarkthypothese, die der amerikanische Nobelpreisträger Eugene Fama 1970 aufgestellt hat, wird das sehr gut erklärt. Darin geht es um die Informationen, die in Aktienkursen enthalten sind. Finanzmärkte sind effizient, weil neue Informationen sehr schnell inkorporiert werden (nicht, weil sie immer richtig liegen). Da die neuen Informationen im Vorhinein unbekannt sind, weiß man nicht, in welche Richtung sich der Kurs verändert. Das bedeutet, dass Meinungen und Prognosen nur aufgrund der Informationen gebildet werden können, die zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung zur Verfügung stehen. Ändern sich die Informationen, ändert sich auch die Lage. Meinen Kunden sage ich: Sie müssen Risiken managen und nicht die Performance, weil das schlichtweg nicht geht.

Viele behaupten, dass sie Prognosen für den Markt abliefern können. Was ist an solchen Aussagen dran?

Sicher ist nur der risikolose Zins. Und der liegt in Europa wahrscheinlich im negativen Bereich. Wenn jemand Ihnen 1 % Rendite oder mehr verspricht, ist das definitiv ein Scharlatan. Für jeden Basispunkt Performance über dem risikolosen Zins müssen InvestorInnen in irgendeiner Form Risiken eingehen, wie zum Beispiel die Laufzeit, bestimmte Anlageklassen, Produkte oder bestimmte Regionen. InvestorInnen sollten also weniger über Erträge nachdenken, sondern eher Risiken beurteilen und diese bewusst eingehen, wo man meint, diese einschätzen zu können.

Was ist das Problem bei einer Risikoeinschätzung?

Man hat nur dann die Möglichkeit, Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten zukünftiger Ereignisse zu beziffern, wenn sich die Rahmenbedingungen für diese Ereignisse nicht ändern. Das ist wie beim Würfelspiel. Mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu sechs wird immer eine der Zahlen erscheinen. Wenn jedoch an den Ecken des Würfels gefeilt wird und ich nicht weiß, wie sich das auf das Ergebnis auswirkt, kann ich die neue Wahrscheinlichkeit nicht berechnen. Und so verhält es sich auf dem Finanzmarkt, da wird überall am „Würfel” gefeilt und keiner weiß, wie sich das auswirken wird. Deshalb unterscheidet man in der Entscheidungstheorie zwischen Risiko und Unsicherheit. Beim Risiko können wir Wahrscheinlichkeiten angeben, bei Unsicherheiten nicht. In einer unsicheren Welt kann man nur mit Heuristiken arbeiten.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes auf dem Time Magazine. Bild: Time Magazine – December 31, 1965

Inwieweit beeinflusst sich der Schwarm der AnlegerInnen an der Börse gegenseitig?

Der britische Ökonom John Maynard Keynes hat das sehr gut in seinem Spieltheorie-Experiment von 1936 erklärt. Die Börse wird darin wie ein Preisausschreiben eines Schönheitswettbewerbs in einer Zeitung beschrieben. Dort werden verschiedene Teilnehmerinnen mit Fotos abgebildet und die LeserInnen dürfen entscheiden, wer die Attraktivste ist. Diese Art der öffentlichen Schönheitswettbewerbe klingt heute ziemlich chauvinistisch, war damals aber tatsächlich üblich. Die LeserInnen, die im Vorfeld auf die richtige Frau getippt haben, bekommen einen Preis. Keynes argumentiert, dass in diesem Szenario die LeserInnen nicht mehr aus ihrer subjektiven Sicht auf die hübscheste Kandidatin wetten, sondern sie wählen diejenige aus, von der sie glauben, dass die Mehrheit der LeserInnen sie am schönsten findet. Das ist an der Börse nicht viel anders. Man versucht auch immer das Verhalten aller anderen AnlegerInnen mitzubedenken. Besonders ersichtlich ist es bei den IPOs, den „Initial Public Offerings“ beim Börsengang einer Firma.

Wie kann Schwarmintelligenz für Anlagenbewertungen dann funktionieren?

Dazu braucht es ExpertInnen mit fundierten und begründeten Meinungen zu einem Thema, am besten mit verschiedenen Blickwinkeln und aus unterschiedlichen Disziplinen. So ergibt das Wort Schwarmintelligenz aus meiner Sicht überhaupt einen Sinn, wenn die Meinungen unabhängig voneinander gebildet werden. Das funktioniert bei homogenen Teams nicht. In dem Moment, in dem jeder weiß, wie der jeweils andere denkt, wird sie oder er ein Stück weit beeinflusst. Deswegen brauchen wir eine gewisse Ambiguität und Meinungsvielfalt.

Die fehlende Unabhängigkeit voneinander verhindert damit kollektive Einschätzungen?

Wir benötigen eine intellektuelle Eigenständigkeit. Auf neue Lösungen kommen wir nur, wenn jede und jeder seine eigene Meinung einbringt und die aus möglichst unterschiedlichen Richtungen kommt. Dafür braucht man heterogene Teams. Wenn das gelingen würde, könnte ich mir vorstellen, dass diese Art von Schwarmintelligenz stärker berücksichtigt wird.

  „Wir brauchen mehr heterogene Teams im Finanzmarkt.“

“Wenn alle wissen, was der richtige Kurs ist, dann findet kein Handel mehr statt. Dann wäre die Börse obsolet”, so Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank Bild: MerowingerNB

Wie setzen Sie Algorithmen bei der Risikoeinschätzung ein?

Wir haben bei der Deutschen Bank einen Robo Advisor. Dafür setzen wir eine Allokation auf, das bedeutet die Aufteilung zwischen riskanten und weniger riskanten Anlageklassen. Dann startet der Algorithmus und passt die Verteilung aufgrund seiner Risiko-Arithmetik laufend an. Das Problem ist jedoch, dass bei unsicheren Situationen diese Allokationen sehr stark aus dem Risiko herausgehen. Da beispielsweise die Volatilität ein wichtiger Inputfaktor für ein hohes Risiko des Portfolios für den Algorithmus ist, schichtet dieser bei entsprechend hoher Volatilität von risikoreichen Papieren in vermeintlich risikolosen Papieren um. Je nachdem, wie hoch die Volatilität mit einem Kursrutsch verbunden ist, geht der Algorithmus sehr stark aus dem Risiko. Typischerweise findet aufgrund der historischen Daten, die diese Algorithmen nutzen, aber nur zeitversetzt eine Wiederanlage statt. Das Erholungspotenzial des Portfolios ist somit begrenzt. Diesem Umstand tragen wir bei der Deutschen Bank insofern Rechnung, dass wir die Startallokation, mit der der Algorithmus optimiert, jeden Monat neu setzen. Daher sehen wir uns genau an, wie sich der Algorithmus verhält. Wenn der Algorithmus eine Risikowarnung abgibt, nehmen wir das auf und handeln entsprechend.

Welches Potenzial sehen Sie für Machine Learning für den Finanzmarkt in zehn Jahren?

Algorithmen können aufgrund von historischen Daten ziemlich gut Risiken einschätzen. Was heutige Algorithmen nicht gut können, ist die Ertragsseite erfassen. Und womit sie natürlich gar nicht umgehen können, sind Trendbrüche durch sich ändernde Bedingungen am Finanzmarkt, wie anfangs anhand des Würfelbeispiels erläutert. Ebenfalls eine Auswirkung auf die Märkte haben auch unvorhergesehene politische Entwicklungen, wie wir das gerade bei Russland und der Ukraine beobachten können. Das bedeutet, dass kurzfristige Prognosen nicht möglich sind. Wir müssen eher langfristig überlegen, wo Chancen liegen und wo Risiken, die wir bewusst eingehen wollen. Algorithmen können Risiken ganz gut erfassen, die Chancen eher nicht. Daher empfehlen wir bei der Deutschen Bank auch die Kombination aus Investments in aktiv gemanagten Fonds und durch den Roboadvisor.

Was wäre, wenn es für den Anlagemarkt in Zukunft akkurate Schwarmvorhersagen gäbe?

Eine Implikation der Effizienzmarkthypothese ist auch: Wenn alle wissen, was der richtige Kurs ist, dann findet kein Handel mehr statt. Dann wäre die Börse obsolet. Daher braucht der Aktienhandel unterschiedliche Impulse und Meinungen. Am Ende werden Märkte nicht gut prognostizierbar sein, weil Menschen sehr unterschiedlich und irrational handeln und sich permanent auf neue Gegebenheiten einstellen müssen. Viele AnlegerInnen schauen stark auf historische Performance-Zahlen und leiten daraus zukünftige Kursentwicklungen ab, anstatt sich auf die Risikoabwägung zu verlassen. Außerdem wird es immer unterschiedliche Risikopräferenzen der AnlegerInnen geben sowie die einschränkende Regulatorik, welcher institutionelle Investoren wie Versicherungen, Stiftungen und Pensionskassen unterliegen.

Heißt das im Umkehrschluss, dass auch technologische Innovationen an dieser Dynamik nichts ändern werden?

Wir beobachten derzeit, dass die Instrumente zur Datenverarbeitung und daraus resultierend zur Risikokalkulation immer genauer werden. Möglicherweise werden dann Finanzinstrumente eingesetzt, welche die Kalkulation von Risiken besser steuern. Das würde allen AnlegerInnen zugutekommen. Aber, dass ein Tool vorhersagen kann, wo die Aktie X oder der Markt Y in einem Jahr stehen wird, halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Morgen werden die Risiken an der Börse von der KI Hand in Hand mit interdisziplinären Teams eingeschätzt. Übermorgen könnten die Einschätzungen nicht nur für die Aktien sein, sondern auch, wie wertvoll ein CEO für ein Aktienunternehmen ist – oder ob er ersetzt werden sollte.

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Futarchy – die Rettung der Demokratie?

Kompendium: Prediction Markets

Futarchy – die Rettung der Demokratie?

Bild: Brian McGowan

2050 haben viele Gemeinden das Konzept von Prediction Markets für die Kommunalpolitik übernommen. Sie haben sich für eine neue Art der Demokratie entschieden: Futarchy bedeutet, die Politiker überlassen das Entscheiden den ExpertInnen der Prediction Markets und setzen den Ausgang einer Wette zugunsten des Allgemeinwohls pragmatisch um.

Der moderne Verfechter der Prognosemärkte ist Wirtschaftsprofessor Robin Hanson von der George-Mason-Universität. Sein Konzept der „Futarchy“ formulierte er zwar erstmals im Jahr 2000. Doch erst 50 Jahre später, 2050, wird der Einsatz von Prediction Markets vermehrt auf kommunaler Ebene von Stadtverwaltungen wie auf überregionaler Ebene bei mehreren Bundesländern ernsthaft umgesetzt.

Wirtschaftsprofessor Robin Hanson ist der moderne Verfechter der Prognosemärkte. Sein Konzept der „Futarchy“ formulierte er erstmals im Jahr 2000. Bild: Andy Miah

Wetten auf den Bau einer Schnellstraße

Das Konzept klingt in folgendem Szenario einleuchtend: Eine Gemeinde lässt über Vorhaben in einem Prediction Market wetten. Möchte sie zum Beispiel eine neue Schnellstraße zur Gemeinde bauen, um mehr Touristen anzulocken, stimmen ExpertInnen mit zwei Wetten im Prediction Market ab. Bei der ersten Wette wird gewettet, ob eine neue Straße den erhofften Touristenzuwachs haben wird oder nicht. Bei der zweiten Wette wird abgestimmt, ob die Gemeinde auch ohne die neue Straße mehr Touristen bekommen wird oder nicht.

Hanson sieht in der Demokratie von 2022 Lücken: Oft wurden Richtlinien und Gesetze wider besseren Wissen eingeführt. Nicht nur hätten es oft die Politiker vorher besser wissen müssen, auch die zur Beratung herangezogenen sogenannten ExpertInnen haben offensichtlich nicht die Konsequenzen einbezogen beziehungsweise dabei nur an ihre eigenen Interessen gedacht. Das Problem in einer Demokratie war, dass nicht alle verfügbaren Informationen für eine Meinungsbildung zugänglich gemacht wurden. Jedoch konnten das die Wettmärkte liefern, in denen sich die MitspielerInnen eine Expertise zum Thema angeeignet haben und gleichzeitig politisch unvoreingenommen handeln.

Im Futarchy Konzept würde eine Gemeinde zum Beispiel darüber Wetten abschließen, ob der Bau einer neuen Schnellstraße zu einem Touristenzuwachs führen würde. Bild: Leslie Wong

„Wähle Werte, aber lass auf Überzeugungen wetten.”

Bei dem Beispiel mit der Schnellstraße zur Gemeinde haben die ExpertInnen des Prediction Markets im Gegensatz zu den LokalpolitikerInnen keine Benefits in der Angelegenheit: Sie haben keine Beziehung zur lokalen Baufirma und ihnen gehört auch nicht das Stück Land, auf dem die Straße gebaut werden könnte. Sie entscheiden also unvoreingenommen von außen. Robin Hanson sagt: „Wähle Werte, aber lass auf Überzeugungen wetten.” Wähle also deine LokalpolitikerInnen, aber gib die kommunalen Entscheidungen an unabhängige ExpertInnen eines Prediction Markets ab.

„Lasst uns Wettmärkte zu den kontroversesten Fragen schaffen und die aktuellen Marktquoten als unseren besten ExpertInnenkonsens behandeln. Die wahren Expertinnen (vielleicht Du) würden dann für ihren Beitrag belohnt, während ahnungslose Gelehrte sich fernhalten.“ – Robin Hanson

Robin Hanson argumentiert, dass bei ernsthaften Prediction Markets die Laien schnell wegbleiben, da sie ziemlich sicher um ihr Geld gebracht werden. Nur die wirklichen Profis wetten um ihr Geld. Dieses Konzept ließe sich auf die Politik übertragen, um die Demokratie zu optimieren: Im Prediction Market wird etwa darauf gewettet, ob eine neue Richtlinie das Allgemeinwohl der Bürger hebt oder nicht, und ob das Allgemeinwohl ohne die neue Richtlinie steigt oder nicht. Daraufhin entscheidet sich die Stadtverwaltung beziehungsweise die Landesregierung für oder gegen diese Richtlinie.

Es gibt keinen Krieg – der ist für die Bevölkerung zu teuer

Eine von Futarchy bestimmte Politik würde auch ganz anders bei außenwirtschaftlichen Beziehungen handeln müssen. Das Ergebnis: Es gibt keine Kriege mehr – die Politik handelt nur noch für das Gemeinwohl der BürgerInnen, für eine Gewinnmaximierung des Landes und nicht mehr aus strategischen Lenkungen heraus. Kriege sind zu teuer und verschlechtern das Bruttoinlandsprodukt. Hinzu kommen Sanktionen und teurere Preise für Energiequellen. Deswegen investiert das Land das Kriegsbudget besser in den Ausbau seiner maroden Infrastruktur wie den Brücken.

CEOs werden bei Unrentabilität für die Firma ausgewechselt

Auch in der Geschäftswelt hat Hansons These viele Anhänger überzeugt: Es wird immer öfter zur Praxis, in regelmäßigen Abständen auf die Zukunft eines Unternehmens zu wetten. Auf einem Prediction Market wird darüber gewettet, wie viel ein Unternehmen an Wert verliert, sollte der CEO dieses nach einem Quartal verlassen. Aus dieser Wette schlussfolgert sich nämlich der Wert eines CEOs für die Firma. Je nach Wettausgang kann der Aufsichtsrat des Unternehmens entscheiden, ob er den CEO feuert oder nicht. Diese Methode ist disruptiv und hat bereits ein paar Firmen völlig umgekrempelt – manche zum Guten, manche haben jedoch die schnellen Führungswechsel nicht gut verkraftet.

Deswegen verweigern sich die großen Konzerne dieser neuen Unternehmensführung bislang. Sie wollen sich nicht von einem Prediction Market einen Realitätsabgleich und etwaige Konzernfehler vor Augen führen lassen und bleiben lieber bei ihren alten Entscheidungen. Denn sie haben sich einmal eine Meinung gebildet und die bleibt unumstößlich.

Dabei wurde doch vor Jahren bereits bewiesen, dass diejenigen die beste Vision für die Zukunft haben, die ihre Meinung ständig den aktuellen Gegebenheiten anpassen können und sich ihrer eigenen Voreingenommenheit bewusst sind. Doch diese Konzerne halten unbeirrbar an den beschlossenen Gegebenheiten fest, während andere in einer dynamischen Welt an ihnen vorbeiziehen. Ob diese Firmen auch auf lange Sicht noch eine Zukunft haben, darauf bleibt zu wetten.

Zum Anfang Die Prophezeiung reicher Ernten – der Beginn der Wetterwissenschaft
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Bild: Alicia Minkwitz