Ein Interview mit der Autorin Isabell Prophet über Bullshit-Jobs und die Gründe dafür, dass die Suche nach sinnstiftender Arbeit nur mit Eigenverantwortung funktioniert.
Der Autor David Graeber prägte den Begriff „Bullshit Jobs“: Beschäftigungsformen, die keinen Nutzen haben und sogar schädlich sein können. In Zeiten der Automatisierung und einer jungen Generation, für die vermehrt die Selbstverwirklichung im Zentrum des Berufes steht, verwundert es, wie viele überflüssige Jobs nach wie vor ausgeführt werden.
In unserem Gespräch mit der Autorin und Journalistin Isabell Prophet sprechen wir über vermeintliche Bullshit-Jobs sowie darüber, wie die heutige Wirtschaft funktioniert und welche Weichen für eine Purpose Economy gestellt werden müssen.
Prophet studierte Wirtschaftswissenschaften und beschäftigt sich in ihrem Buch „Happy Monday! Von der Kunst, seinen Job zu lieben“ damit, dass es Selbstverantwortung braucht, um beruflich glücklich zu sein.
In unserem Gespräch mit der Autorin und Journalistin Isabell Prophet sprechen wir über vermeintliche Bullshit-Jobs sowie darüber, wie die heutige Wirtschaft funktioniert und welche Weichen für eine Purpose Economy gestellt werden müssen. Foto: Isabell Prophet.
Isabell, was ist für dich ein Bullshit-Job?
Ein Job, der aus keinem Blickwinkel Sinn ergibt. Natürlich gibt es Berufe, die im ersten Moment überflüssig wirken. Das ist aber eben nur von einer Seite betrachtet.
Und was sind die anderen Seiten, die beleuchtet werden müssen?
Nehmen wir als Beispiel eine Rezeptionistin, die nichts zu tun hat. Sie braucht Geld, etwa für ihre Miete, vielleicht hat sie auch ein Kind. Der Job erfüllt also diesen Zweck. Wenn die Frau nicht Rezeptionistin bleiben will, sondern eine Ausbildung zur Sekretärin machen möchte, dann könnte sie das dem Chef mitteilen. Nehmen wir an, er ist ihr wohlgesonnen, und sagt, dass sie für die Ausbildung lernen darf, sobald es am Empfang nichts zu tun gibt. Sie kann also wachsen. Vielleicht studiert die Rezeptionistin auch Entwicklungshilfe. Wenn der Job es ihr ermöglicht, dass sie später einmal einen großen Dienst an der Gesellschaft leisten kann, handelt es sich nicht mehr um einen Bullshit-Job. Wir müssen immer das große Ganze betrachten.
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„Das Gefühl, Eigenverantwortung zu übernehmen, ist super.“
Den Schritt vom vermeintlichen Bullshit-Job in eine Richtung, die mehr Sinn für einen selbst ergibt, muss jeder selbst tun. Foto: Retha Ferguson.
Wenn jemand im Job versauert, liegt das Problem dann darin, dass er/sie die Verantwortung für die eigene Situation abgibt?
Ja! Wir sollten Menschen nicht als Opfer sehen, weil sie sich immer weiterentwickeln können. Der vermeintliche Bullshit-Job ist eine Plattform, von der ausgehend man so viel erreichen kann. Die Rezeptionistin, die nichts zu tun hat, kann ihn als bezahlte Zeit betrachten und in dieser etwas anderes machen. Wichtig ist nur, dass sie nicht die Verantwortung abgibt oder erwartet, dass ihr etwas von außen gegeben wird. Mein Rat: Nimm es dir bitte selbst. Finde heraus, was deinem Leben einen Sinn verleihen würde, und dann bewege dich in diese Richtung. Das Gefühl, Eigenverantwortung zu übernehmen, ist super.
„Bei einer 40-Stunden-Woche blicken Menschen nicht mehr über den Tellerrand. Wann auch?“
David Graeber spricht in seinem Buch am Ende an, dass das (passive) Grundeinkommen ein Weg heraus aus den Bullshit-Jobs ist. Was sagst du dazu?
Ich stimme ihm zu, dass ein Grundeinkommen helfen kann, sich aus Bullshit-Jobs zu befreien. Das gelingt aber nur, wenn die gesellschaftliche Wahrnehmung sich ebenfalls ändert – wir müssen durch das Grundeinkommen frei werden. Wenn wir weiterhin 40 Stunden arbeiten müssen, haben am Ende alle einfach nur mehr Geld. Schlimmer noch: Traditionell ausbeutende Branchen wie Pflege, Kunst oder Logistik hätten eine Grundlage, die Arbeit noch geringer zu entlohnen. Wir müssen die angenommene Normalität eines „Vollzeit“-Jobs abschaffen. Zwar haben wir heute alle technischen Möglichkeiten dazu, trotzdem halten wir an unserem alten Konstrukt fest. So fehlen den Menschen Zeit und Energie, Erfüllung zu finden. Sie blicken nicht mehr über den Tellerrand. Wann auch?
Und was können wir nun konkret tun?
“Wir müssen lernen, unsere Ziele zu bestimmen.” Foto: Smart Photo Courses.
Wir müssen lernen, unsere Ziele zu bestimmen. Vielleicht sollten mehr Menschen einen Gründerkurs besuchen. Die wichtigsten Fragen im Rahmen eines solchen: Was will ich erreichen? Wie komme ich da hin? Dafür braucht es die Offenheit dazu, dass das „Was“ nicht immer ein Karriereziel sein muss. Es heißt oft, Familie und Karriere seien schwer unter einen Hut zu bringen. Und natürlich ist es hart. Aber so richtig klug stellen wir uns auch nicht an, wenn wir erwarten, dass wir in allen Lebensbereichen 100 Prozent geben können.
„Wenn jemand heute etwas verkaufen will, muss er den Menschen ein Problem einreden – und da sind wir bei der Selbstoptimierungsökonomie.“
Das klingt sehr logisch – stehen wir uns etwa selbst im Weg?
Was ich oft erlebe, ist, dass Menschen auf eine große Sache hinarbeiten und diese für das eine Lebensziel halten. Das gibt es aber nicht, außer vielleicht, möglichst lange und gesund zu leben. Für ein sinnstiftendes Leben muss man seine verschiedenen Ziele kennen und sie als veränderlich akzeptieren. Wenn man 27 ist und frisch von der Uni kommt, hat man eventuell das Ziel, erst einmal Geld zu verdienen, also legt man den Fokus auf Karriere. Später, mit Anfang 40, stellt man womöglich fest, dass man zusätzlich etwas Künstlerisches oder Handwerkliches ausprobieren möchte. Es hilft, immer wieder aktiv zu überprüfen, welches Ziel oder Bedürfnis gerade aktuell ist.
Die Zeichnerin Emma Ahlqvist alias „fromthepine“ hat einen Comic veröffentlicht, in dem sie sich wünscht, sie wäre weniger interessiert an allem. Der Grund: Sie fühlt sich so zerrissen. Dahinter steckt der Wunsch, sich auf etwas festzulegen. Also bitte: Legt euch fest! Legt los!
Unterstützt uns die heutige Wirtschaft dabei, so zu leben?
Nicht wirklich. Früher war das anders, schauen wir uns die Jobs an: Die Konsument*innen hatten ein Problem und es wurde gelöst, beispielsweise durch Technologien. Kochen über offenem Feuer war blöd, heute haben wir Cerankochfelder. Mittlerweile sind unsere Bedürfnisse gestillt; das heißt, wenn jemand heute etwas verkaufen will, muss er den Menschen ein Problem einreden – und da sind wir bei der Selbstoptimierungsökonomie. Die steht jedoch der Art, wie wir leben möchten, diametral entgegen. Wir Menschen bewegen uns hin zum Minimalismus, zum „einfachen Leben“. Gleichzeitig haben viele von uns Jobs, die zwar dem Unternehmen viel bringen, allerdings nicht den Arbeitern selbst. Das führt dazu, dass jetzt und in Zukunft viele hoch qualifizierte Menschen so nicht mehr arbeiten möchten.
„Wer mehr vom Leben und von der Welt sieht, kann und will besser arbeiten.“
Was sind demnach wichtige Schritte hin zu einer Purpose Economy?
Hier spielt erneut die gesellschaftliche Norm der 40-Stunden-Woche eine Rolle. Sie gilt als 100 Prozent. Wer es wagt, auf 80 Prozent oder weniger herunterzuschrauben, hat dadurch die Möglichkeit, sich umzusehen – Kurse belegen, reisen oder sich der Familie widmen. Wir probieren das zu Hause gerade aus und der Effekt ist großartig! Übrigens nicht nur für unsere Familie, sondern auch für uns Eltern als Berufstätige: Wer mehr vom Leben und von der Welt sieht, kann und will besser arbeiten. Warum? Weil wir beruflich fast immer etwas für andere machen – zumindest theoretisch. Wer also mehr Zeit hat, sieht mehr, was andere tun, wollen, brauchen.
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Das heißt, die Arbeitszeit steht nicht mehr im Vordergrund?
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die Lohnarbeit das Zentrum der Existenz ist. Drumherum baut man alles andere auf. Aber was ist, wenn wir damit beginnen, das Leben als Mischkalkulation zu sehen, die aus verschiedenen Faktoren wie Freizeit, Liebe, Geld, Genuss, Pflege, Ehrenamt und so weiter besteht? Dann könnte es möglich sein, dass der eine Job eine andere Beschäftigung finanziert, bei der ich meiner Berufung nachgehen kann. Wenn wir die Gewohnheit wegdenken, sind wir frei.
„Bildung, Kunst, Kultur und Natur werden an Bedeutung gewinnen.“
“Bildung, Kunst, Kultur und Natur werden an Bedeutung gewinnen.” Foto: Paige Muller
Kommt die Karriere also aus der Mode? Schließlich kostet sie Lebenszeit und davon wollen wir doch gerade am allermeisten.
Ich denke schon, dass es für kommende Generationen anders aussieht. Vielleicht wird in 30 Jahren das Wirtschaftssystem, das uns Lücken einredet, die wir füllen sollen, überwunden sein. Im Moment müssen sich die meisten ihre Rente finanzieren und um die eigene Altersvorsorge kümmern. Deshalb mag es erforderlich sein, dass man sich zeitweise auf einen Bullshit-Job einlässt – das kann sich aber ändern.
Gibst du uns einen persönlichen Ausblick?
Momentan wird viel über Angst verkauft. Produkte dienen der Absicherung, vom Superfood bis zur Shaping-Jeans. Wenn wir heute Geld verdienen wollen, dann müssen wir den Menschen einreden, dass ihnen etwas fehlt oder dass ihnen etwas droht. Und zur Beseitigung dieser Angst zahlen sie dann. Die heutige Wirtschaft ist in großen Teilen nur eine Umverteilung von Geld gegen gefühlte Sicherheit vor einer erfundenen Bedrohung. Aber wer will denn so leben? Klären wir also auf und reden wir über eine neue Lebensordnung. Ich spekuliere mal: Bildung, Kunst, Kultur und Natur werden an Bedeutung gewinnen.