Magisch und geheimnisvoll sehen die Schriftzeichen der alten Ägypter, die ab 3.200 v. Chr. verwendet wurden, für uns aus. Ein Zeichen reiht sich an das andere, man entdeckt Tiere, Figuren und vereinzelte Symbole. Mit dem Untergang des Alten Ägyptens ging auch das Wissen über diese Schriftzeichen verloren. Nicht weniger als 1.400 Jahre mussten vergehen, bis im Jahr 1822 das Geheimnis um die Bedeutung der einzelnen Hieroglyphen gelüftet werden konnte.
Ihr genialer Entdecker war der französische Sprachforscher Jean-François Champollion, der erstmalig belegen konnte, dass Hieroglyphen aus drei verschiedenen Arten von Zeichen bestehen: Einige stehen nur für einzelne Laute (Phonogramme), manche für Begriffe (Ideogramme) und wieder andere dienen als Deutzeichen (Determinative), die nicht ausgesprochen werden, für das Verständnis der anderen Zeichen allerdings essentiell sind. Steht hinter dem Zeichen für Wasser bspw. das Deutzeichen für „etwas, das mit dem Kopf gemacht wird“, ergibt das in Kombination das Wort „trinken“. Sprich: Die Zeichen, die wir sehen, müssen nicht automatisch auch diese stilisierte Bedeutung haben.
It’s magic!
Die Hieroglyphen sehen übrigens nicht nur magisch aus, sondern galten damals auch als magisch. Sie zierten alle Gegenstände und Gebäude, die eine mystische Funktion erfüllten. Königspaläste, Göttertempel, Gräber, Statuen oder auch Amulette und Schmuck.
Was für uns heute wie eine zufällige Aneinanderreihung von schematischen Zeichnungen aussehen mag, ist im Prinzip eine der wichtigsten Innovationen der Menschheit: Schließlich war die Hieroglyphenschrift eines der ersten bekannten Schriftsysteme der Menschheitsgeschichte, welches es ermöglichte, das gesagte Wort vom Sprecher, Raum und Zeit zu lösen und in materieller Form festzuhalten.
Weniger Kunst, mehr Praktikabilität
„Hieroglyphen wurden zu einer ganz besonderen Art, durch Bilder zu schreiben“ („stille Zeichen“), schreibt der Künstler Simon McKeown in seinem Werk The International Emblem: From Incunabula to the Internet (S. 97-111). Darin lässt er die Historie der Kommunikation vom ersten Wiegendruck bis zum Zeitalter des Internets Revue passieren. Doch allein kunstvolle Bilder konnten der steigenden Nachfrage nach alltagstauglichen Kommunikationsmitteln im Alten Ägypten auf Dauer nicht dienen – die Praktikabilität und Schnelligkeit fehlte.
So entwickelten sich die in Stein gemeißelten Hieroglyphen mit der Zeit zur hieratischen Schrift, auch „die Kursive“ genannt, weiter. Diese meisterte die Ablösung als Privileg, welches ausschließlich der Elite vorbehalten war, hin zum alltäglichen Kommunikationsmittel. Für den Alltag waren Steinplatten als Oberfläche allerdings ebenfalls nicht besonders geeignet: Man stelle sich eine alt-ägyptische Hausfrau vor, die mit Hammer und Meißel ihrem Mann eine Einkaufsliste in den Granit klopft. Eine weitere Innovation musste also her: das Papier. Der Stein hatte damit als wichtigster Schriftträger ausgedient und wurde vom Papyrus abgelöst.
Während die älteren Formen der Hieroglyphenschrift „nur“ 700 verschiedene Schriftzeichen kannten, zählen jüngere Schriftsätze bis zu 7.000. Eine Dimension, die weit über das lateinische Alphabet hinausgeht. Zerlegt man diesen Text, den Du hier liest, nämlich in seine Einzelteile zerlegen, zählen wir lediglich 26 verschiedene Buchstaben, zwölf Satzzeichen und neun Zahlen – es ist naheliegend, dass die Schriftzeichen des Alten Ägyptens mit ihrer Komplexität eine ganz besondere Wirkung auf uns haben.