Sie sind das Musterbeispiel für Disruption. In wenigen Jahrzehnten veränderten Kühlschränke die Lebensmittelwirtschaft radikal.
Vom Reagenzglas zum Designermöbel
Bereits im 18. Jahrhundert experimentierte der Mediziner und Chemiker William Cullen mit einer Substanz, die er durch Unterdruck zum Verdampfen brachte. Dem Reaktionsgefäß wurde Wärme entzogen und es entstanden geringe Mengen Eis. Obwohl das Experiment seiner Zeit wenig Beachtung fand, legte Cullen einen Grundstein für die Entwicklung künstlicher Kühlsysteme. Bis der Kühlschrank, wie wir ihn heute kennen, sich in Privathaushalten etablierte, sollten aber noch knapp 200 Jahre vergehen. Der Ingenieur Carl von Linde trieb seine Entwicklung durch ein technisches Verfahren zur Verflüssigung von Luft voran. Ein Modell, das dieses Verfahren mit einigen technischen Verfeinerungen in einen designten Kasten installierte, gehörte in den USA bereits in den 1930er-Jahren zur Standardausstattung von Küchen.
Eisblöcke mit Kühlfunktion
Bis der Kühlschrank in den Zwanziger- bis Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts massentauglich wurde, gab es in vielen Ortschaften und Gemeinden noch Gemeinschaftskühlhäuser, in denen Eis gelagert wurde. Darauf oder daneben bewahrten Gemeindemitglieder Gemüse, Fleisch und weitere Lebensmittel auf. Andere griffen auf einfache Eisblöcke zurück, die in Eisfabriken hergestellt und in Eisschränken gelagert wurden. Letztere waren hölzerne Kisten, die in ihrem Design schon dem Kühlschrank von heute ähnelten. Ausgefeilte Varianten besaßen mit Zink und Zinn versehene Fächer und waren mit Dämmstoffen ausgelegt, um die Korrosion des Kastens und das Austreten von Eiswasser zu verhindern. Um für ausreichende Luftzirkulation zu sorgen, wurde das Kühlgut darin auf Gitterrosten gelagert. In den USA florierte der Markt mit der Eisblockkühlung im 19. und frühen 20. Jahrhundert wie nirgendwo sonst. Im Winter wurden auf großen Seen im Nordosten des Landes gigantische Mengen Eis geschnitten, in Eisfabriken verarbeitet und von dort aus ins ganze Land verfrachtet.
Ein frühes Beispiel von Disruption
Vor der Erfindung des Kühlschranks war die Möglichkeit, Lebensmittel zu kühlen oder einzufrieren, ein Luxus. Denn Eisblöcke waren nicht nur schwer und unhandlich zu tragen: Ihre Verwendung in Eisschränken war – zumindest in Europa – nur einer wohlhabenden Schicht vorbehalten. Selbstverständlich gab es für weniger privilegierte Menschen auch andere Möglichkeiten, die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern: Man konnte diese etwa räuchern, pökeln, einmachen oder in Tongefäßen im Keller lagern. Generell ging man jedoch eher täglich auf den Markt anstatt wie heute wöchentlich oder monatlich und verkochte Lebensmittel direkt. Der Kühlschrank ermöglichte es, viele verschiedene Lebensmittel über längere Zeiträume nebeneinander zu lagern; seine Einführung bedeutete damit nicht nur eine Demokratisierung der Kühlmöglichkeiten, sondern auch eine größere Vielfalt im Speiseplan.
Letztlich durchlief die Eisindustrie Innerhalb von nur wenig mehr als 70 Jahren drei Revolutionen: Natürliches Eis, das meist von zugefrorenen Seen abgetragen wurde, wich Eisfabriken, in denen Eis maschinell hergestellt wurde. Diese wiederum wurden durch die Einführung von Kühlschränken überflüssig gemacht. Für Unternehmenskulturen lässt sich daraus ableiten, dass eine gewisse Grundflexibilität notwendig ist, um nicht von disruptiver Innovation überholt zu werden. Die erfolgreichsten Unternehmen sind offenbar oft diejenigen, die in der Lage sind, sich auf Disruption sowie Veränderungen einzulassen und sich ihnen anzupassen.
Die Zukunft des Kühlschranks
Neben Kunststoffen und Metallen sind moderne Kühlschränke oft auch Depots für eine Fülle von umweltschädigenden Stoffen. Insbesondere die vor 1995 hergestellten Geräte enthielten ozonschädigende Substanzen, potente Treibhausgase und FCKW-haltige Isolierstoffe. Deshalb kann ein alter Kühlschrank, wenn er einfach in den Müll geworfen und nicht sachgerecht recycelt wird, bis zu 3,7 Tonnen CO₂-Äquivalent freisetzen. Dies entspricht der Menge, die ein PKW auf einer Strecke von 17.500 km zurücklegt. Eine merkwürdige Ironie der Geschichte: Eine Innovation, die Eis erhalten sollte, könnte es letztlich zum Schmelzen bringen.