Die Effizienzsteigerung von Schlaf sicherte dem frühen Menschen das Überleben – und verhalf ihm zu komplexem Denken und Kreativität, was ihn an die Spitze der Evolutionspyramide beförderte
Nach Anbruch der Dunkelheit beginnt es in den dichten Wäldern der Urzeit zu rascheln. Immer wieder starren Augen zwischen den Blättern hindurch, nähern sich Tiere ihrer potenziellen Beute: Der Homo erectus will schlafen – doch die Natur mit all ihren Gefahren ist gerade erst erwacht.
Wir schreiben das Zeitalter des Altpleistozäns, etwa vor zwei Millionen Jahren, irgendwo in Afrika oder Asien. Was müssen das für prägende Zeiten gewesen sein für unseren Vorfahren, aus dem der heutige Mensch – der Homo sapiens – vor rund 300.000 Jahren vermutlich hervorgegangen ist. Der Homo erectus ist nämlich die erste Gattung Homo, die aufrecht geht, Feuer benutzt, das Jagen kultiviert – und durch eine neue und effizientere Art des Schlafens an die Spitze der Evolutionspyramide befördert wird. Denn Schlaf wird für ihn zum kognitiven und kreativen Kapital, das überhaupt erst die Grundlage für den modernen Menschen legt und so seine Überlegenheit unter den Arten sichert.
Eine neue Technologie befeuert die Schlafleistung der Urmenschen
Diesen Prozess des Wandels skizziert der Neurowissenschaftler Matthew Walker in „Why We Sleep. The New Science of Sleep and Dreams“. Laut Walker hätten noch die Vorfahren des Homo erectus auf den Bäumen geschlafen. Diesem sei das durch seine neue Physiognomie mit verkürzten Armen und weniger dehnbaren Fußgelenken erschwert worden: Er wurde zum Bodenschläfer. Auf dem Erdboden war er den Gefahren der Wildnis nun allerdings ausgeliefert. Das Überleben sicherte dem Homo erectus zunächst eine neue Technologie: das Feuer, das er als Erster benutzte. Denn wilde Tiere hielt es genauso fern wie sein Rauch die Insekten.
„Trotzdem war Feuer keine perfekte Lösung“, schreibt Walker, da das Schlafen grundsätzlich eine gefährliche Angelegenheit blieb. Die Evolution habe den Schlaf laut dem Neurowissenschaftler deshalb kürzer, aber effizienter gestaltet, insbesondere durch Verstärkung der REM-Schlafphase.
REM-Schlaf als Boost für kognitive Intelligenz und Kreativität
Die REM-Phase wird mit derjenigen Schlafphase assoziiert, die beim Menschen genauso für das Träumen zuständig ist wie für den Aufbau des prozeduralen Gedächtnisses. Bedeutet: Für das Gehirn und seine Komplexität sowie Konnektivität wirkt der REM-Schlaf dabei wie ein Brandbeschleuniger aufs Feuer. Mit festem Boden unter sich und im Halbschutz des Feuers konnte der Mensch diesen „Hochqualitätsschlaf“, wie es bei Walker heißt, endlich auskosten und vertiefen: Auf dem Baum hatte er immer die Schwerkraft gefürchtet und konnte sich nie ganz dem Schlaf hingeben.
Auch andere Primaten schlummern im REM-Modus. Anders als der Mensch allerdings nur durchschnittlich 9 Prozent, bei uns Homo sapiens sind es 20 bis 25. Dass unsere Gehirne heute auf Hochtouren arbeitende Kunstwerke sind, die uns einerseits zu soziokultureller Komplexität befähigen und andererseits zu kognitiver Intelligenz, haben wir laut Walker also dem REM-Schlaf zu verdanken. So geht auf dessen Konto zudem unser emotionaler IQ als auch unsere Kreativität.
An die Spitze der Evolution
Den Zusammenhang zwischen REM-Phase und gesteigerter Kreativität bestätigt auch eine Studie von Wissenschaftlern um Sara Mednick Denise Cai von der Universität von Kalifornien in San Diego. Probanden sollten dabei Aufgaben lösen, welche Kreativität erforderten. Die Gruppe mit den Testpersonen, welche zuvor in der REM-Phase geschlafen hatten, bewältigte diese erfolgreicher.
Ausreichend REM-Schlaf wurde für unsere Vorfahren entsprechend zu einer Währung: Je mehr sie davon abbekamen, desto größer die Chancen ihres Überlebens und evolutionärer Selektion. In der Ökonomie des Schlafens liegt insofern das moderne Menschsein begründet.