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Kompendium: Gig Economy

Mit mehreren Jobs seinen Lebensunterhalt verdienen – im vorindustriellen England war das durchaus gang und gäbe.

Kompendium: Gig Economy

Das allseits beliebte Modell der lebenslangen Festanstellung bei ein- und demselben Unternehmen. Im Zuge des digitalen Wandels wird es zum Auslaufmodell.

Kompendium: Gig Economy

Die Digitale Bohème ist im Mainstream der Arbeitswelt angekommen: auf den Plattformen der Gig Economy.

Kompendium: Gig Economy

Auf den Plattformen der Gig Economy wird der Einzelne zum Franchisenehmer eines plattformkapitalistischen übermächtigen Geschäftsmodells.

Kompendium: Gig Economy

Mit der Digitalisierung sind die Jobs in der Gig Economy entstanden; doch mit deren weiterem Fortschreiten verschwinden sie möglicherweise genauso schnell, wie sie gekommen sind.

Kompendium

Die sogenannte Gig Economy bezeichnet einen relativ neuen Teil des Arbeitsmarktes: Formal Selbstständige verdienen ihren Lebensunterhalt mit einer Vielzahl an Aufträgen. Orchestriert werden die „Gigs“ auf Online-Plattformen. Wir wollen der Frage nachgehen, wie die Akteure mit individueller Freiheit und gleichzeitig fehlender sozialer Absicherung zurechtkommen.

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Selbstständige im 18. Jahrhundert – Spielball der Elemente

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Selbstständige im 18. Jahrhundert – Spielball der Elemente

Buchhändler, Bankier und Barbier in einem. Für die wohlhabende Klasse war das im 18. und 19. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Gemälde: Johannes Jelgerhuis (1820)

Mit mehreren Jobs seinen Lebensunterhalt verdienen – im vorindustriellen England war das durchaus gang und gäbe.

Anfang des 18. Jahrhunderts lebte in Manchester ein Mann namens Edmund Harrold. Sein Beruf: keiner und viele. In einem kleinen, gemieteten Laden ging er seiner Profession als Barbier nach. Nebenher trat er auch als Buchhändler und Auktionator auf. Und wenn er Geld übrig hatte, verlieh er dieses zu einem Zinssatz von 10 %. Und Harrold war kein Sonderfall: Es war durchaus üblich, mehreren Beschäftigungen parallel nachzugehen.

Harrold ist nur eines von vielen Beispielen, die von der Sozialhistorikerin Tawny Paul in verschiedenen Tagebüchern aus dem 18ten Jahrhundert aufgestöbert wurden. So wird deutlich: Auch wenn die Vermittlung von kurzfristigen Aufträgen bzw. „Auftritten“ (englisch: gig) auf Internet-Plattformen ein relativ neues Phänomen ist – die Gig-Arbeit selbst ist viel älter.

Das Äquivalent zum Uber-Pool von heute: ein Kutschentaxi. Gemälde: James Pollard (1835)

Tawny schaute sich die Biografien an und gewann dadurch Einblicke in eine faszinierende Erwerbswelt einer aufstrebenden Mittelschicht, die damals schon mit mehreren Jobs gleichzeitig zu jonglieren wusste. Es gelang ihr, herauszuarbeiten, wie die Arbeits- und Vorstellungswelt dieser unabhängigen Selbstständigen aussah.

Die Freiheit der Unabhängigkeit hat ihren Preis

Auch die Selbstständigen jener Tage schätzten ihre Unabhängigkeit, ärgerten sich aber häufig darüber, nicht genug Geld zu haben, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Sie hatten nur unsichere und schwankende Einkünfte; phasenweise kann man diese Gruppe von Menschen durchaus als Prekariat bezeichnen. Sie nahmen sich selbst als Tennisball des Glücks wahr: zeitweise waren sie im Höhenflug, doch es ging verlässlich wieder nach unten. Die Angst, mit ihrem Lebensentwurf zu scheitern, begleitete sie ständig auf ihrem Weg.

Das Tragen von Perücken galt im 18. Jahrhundert als sehr chic. Allerdings waren sie finanziell und zum Teil auch gesetzlich der Oberschicht vorbehalten.

Aus den Erfahrungsberichten dieser frühen Formen von Selbstständigkeit auf dem Arbeitsmarkt geht auch hervor, dass die Kombination unterschiedlicher Arbeitsformen und Arbeitsinhalte nicht nur ökonomischen Erfordernissen geschuldet war: Sie bedeuteten auch verschiedene Formen der Erfüllung. Bei einigen stand das Geldverdienen im Vordergrund, bei anderen ging es eher um die eigene Selbstverwirklichung oder um den sozialen Status, der mit den Tätigkeiten verknüpft war.

Wer seine Rechnungen trotz mehrerer Jobs nicht begleichen konnte, gab seine vermeintliche Unabhängigkeit während der Industrialisierung gern gegen ein Normalarbeitsverhältnis auf. Die Festanstellung war bereit, unser Verständnis von Berufen und allem, was dazugehört, grundlegend zu verändern.

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Lucas Gutierrez
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Samstags gehört Vati mir – Vorzüge der Festanstellung

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Samstags gehört Vati mir – Vorzüge der Festanstellung

Das in der Stadt verdiente Geld konnte ins traute Heim in der Vorstadt investiert werden. Foto: Evert F. Baumgardner

Das allseits beliebte Modell der lebenslangen Festanstellung bei ein- und demselben Unternehmen. Im Zuge des digitalen Wandels wird es zum Auslaufmodell.

Die langjährige Festanstellung bei ein- und demselben Unternehmen war und ist das bevorzugte Arbeitsmodell unserer Eltern und Großeltern. Wer kennt sie nicht, die Mahnungen und Wünsche der Wirtschaftswunder-Generation oder der Babyboomer im Hinblick auf die Sicherheit eines lebenslangen Jobs bei einem Großunternehmen oder einer staatlichen Behörde?

Dieses Modell war eine direkte Folge der durch Henry Ford Anfang des vergangenen Jahrhunderts eingeläuteten „Ära der kostensenkenden, effizienzsuchenden Massenproduktion für den Massenkonsum.“ So fasst der brasilianische Politikwissenschaftler Alfredo Valladão den Siegeszug des neuen demokratisierenden Produktions- und Konsummodells zusammen.

Der Arbeiter sollte auch an der Konsumkultur teilnehmen

Arbeiter an der ersten beweglichen Montagelinie stellen Magnetzünder und Schwungräder für Ford-Autos zusammen. Highland Park, Michigan, 1913

Der Industriepionier Ford vertrat stets das Ideal, dass selbst die Fließbandarbeiter die Produkte erwerben können sollten, an deren Herstellung sie beteiligt waren. Damit legte er den Grundstein für die nach ihm benannte Form der Warenproduktion: den Fordismus.

Damit sich die Arbeiter die Produkte auch leisten konnten, zahlte Ford einen vergleichsweise hohen Lohn. Das und die Festanstellung brachten Treue und emotionale Verbundenheit zum Unternehmen. Der Arbeiter bekam dafür soziale Absicherung, im Rahmen eines Sozialsystems einschließlich Krankenversicherung, Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Der Mann als Oberhaupt der Familie und als Brötchenverdiener

Dreh und Angelpunkt des Fordismus-Modells waren gut bezahlte Arbeitsplätze für die Männer, die meist gleichzeitig das Oberhaupt, die „Brötchenverdiener“, der Kleinfamilie darstellten. So konnte sich die Familie bald ein Häuschen im Grünen und einen gemeinsamen Urlaub leisten.

Dicht an dicht stehen die Reihenhäuser in Amerikas Vorstädten. Doch auch in Deutschland wird der Traum vom Eigenheim für viele wahr.

Wirtschaftliches Wachstum mit sozialem Aufstieg zu verbinden – das ist auch zentrales Element der Sozialen Marktwirtschaft. In Deutschland gehen die erkämpften Errungenschaften der Arbeiterbewegung, wie etwa Sozialversicherungssysteme, auf Bismarck zurück. Auch Arbeitslose, Rentner und Kranke wurden damit vor dem Risiko, in die Armut abzurutschen, bewahrt.

In den 70er Jahren wurden die ersten Stimmen laut, die auch ein Ende der fordistischen Arbeit voraussagten. Allmählich fand ein Wandel von der Industriellen zur Dienstleistungsgesellschaft statt, der den Nährboden für Gig-Arbeit bereitete. Die Digitalisierung machte die Gig-Economy in ihrer heutigen Form schließlich möglich.

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Lucas Gutierrez
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Mikrounternehmer unter dem Scheffel der Plattformen

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Mikrounternehmer unter dem Scheffel der Plattformen

In der Gig Economy müssen die Auftragnehmer sich nach den Plattformen richten. Foto: Xavier Sotomayor

Die Digitale Bohème ist im Mainstream der Arbeitswelt angekommen: auf den Plattformen der Gig Economy.

Vor etwa zehn Jahren machten Sascha Lobo und Holm Friebe einen neue Klasse urbaner Arbeiter aus. Jene tummeln sich im Umfeld der neu entstehenden Internet-Ökonomie um Blogs, Webdesign und digitale Freelance-Arbeit: „digitale Bohème, das sind Menschen, die sich dazu entschlossen haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, dabei die Vorteile der Technologie offen umarmen und die neuesten Kommunikationstechnologien nutzen, um ihre Handlungsspielräume zu erweitern“, schrieben sie.

Mittlerweile ist der Lebensentwurf dieser Subkultur mit seinem Abschied von der grauen Angestelltenkultur im Mainstream des digitalen Kapitalismus angekommen. Nichtlineare Biografien sind chic geworden. Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit gehören zu den Kerntugenden einer neuen Arbeitskultur; auf die auch Großunternehmen setzen. Die Gig Economy treibt diese Entwicklungen auf die Spitze.

Die Geburt der Gig Economy

Erstmalig betrat die Gig Economy die Weltbühne zunächst in den USA Anfang 2009. Damals erlebte die Finanzkrise ihren Höhepunkt. Für viele, die damals ihre Anstellung verloren hatten, war eine Kombination aus mehreren kleinen Jobs die einzige Alternative, um über die Runden zu kommen. Neue Onlineplattformen wie Uber (2009 gegründet) oder Lyft (2012) wurden damals ins Leben gerufen; der Begriff der Gig Economy etablierte sich in den darauffolgenden Jahren.

Auch alte Handwerkberufe digitalisieren ihre Prozesse zunehmend. Foto: Eddie Kopp

Das Gig-Modell unterscheidet sich von den Prinzipien der klassischen Freiberufler-Kultur, der unter anderem Handwerker, Designer oder Anwälte angehören, da meistens eine Onlineplattform als Vermittler zwischen Auftraggeber und dem Auftragnehmer steht. Die Verbreitung von Online-Plattformen, Smartphones und Dienstleistungen wie Geolokalisierung, Breitbandinternet oder 4G. machen diese Geschäftsmodelle erst möglich.

Die Plattformisierung der Arbeit

Die Plattformen bestimmen die Regeln, verfügen über die Daten der Beteiligten, und behalten in der Regel eine Vermittlungsgebühr ein: Man spricht deshalb auch von einer „Plattformisierung der Arbeit“. Auf den Plattformen der Gig Economy werden zumeist kleine Aufträge kurzfristig an eine Vielzahl von unabhängigen Freiberuflern vergeben. Bei MyHammer oder TaskRabbit werden Handwerks- oder Putztätigkeiten vermittelt; bei Twago oder Upwork können Firmen einzelne Aufträge oder Projekte an Designer, Übersetzer oder Texter vergeben. Uber-Fahrer oder Deliveroo-Boten bekommen Fahrten von der Plattform zugewiesen und hangeln sich so von einem Auftrag zum nächsten.

Die Freiberufler-Kultur hat sich etabliert. Doch was für Auswirkungen hat die zunehmende Selbstständigkeit auf die Arbeitswelt? Foto: Christin Hume

„Wir können eigenverantwortlich handeln, uns nach Belieben in diese neue, flexible Form des Arbeitens ein- und wieder ausklinken“.

So fasst Tom Slee in seiner Kritik der Sharing-Ökonomie die Verheißungen ebendieser zusammen. Dank ihr sollen eins machtlose Individuen die Kontrolle über ihr Leben zurückerlangen, indem sie Mikrounternehmer werden.

Lobo und Friebe glaubten an eine Umwälzung der gesamten Arbeitswelt hin zu einer digitalen bohèmistischen Freelancer-Welt – und sie sollten Recht behalten: „Atypische Beschäftigungsverhältnisse betreffen 40 % der deutschen Erwerbsbevölkerung“, konstatiert der amerikanische Autor Steven Hill. Die Festanstellung wird zum Auslaufmodell und die Online-Plattformen der Gig Economy kreieren einen neuen Mikro-Arbeitsmarkt, auf dem die Beschäftigten in der neuen Freelancer-Welt der digitalen Bohème vor allem eines gemein haben: deren Prekariat.

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Lucas Gutierrez
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Was passiert, wenn die Millennials alle für Uber fahren?

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Was passiert, wenn die Millennials alle für Uber fahren?

Die aggressiv expandierende Online-Plattform Uber ist derzeit in 450 Städten weltweit aktiv und an der Börse höher bewertet als General Motors, Ford oder Honda.

Auf den Plattformen der Gig Economy wird der Einzelne zum Franchisenehmer eines plattformkapitalistischen übermächtigen Geschäftsmodells.

Viele Amerikaner verabschieden sich vom traditionellen Nine-to-five-Job. Im Jahr 2016 waren fast 53 Millionen Amerikaner Freiberufler, das sind 34 % der arbeitsfähigen Bevölkerung. Experten schätzen, dass sich diese Zahl bis 2020 deutlich erhöhen wird.

Soziologisch getragen wird diese neue Arbeitssphäre von der Generation der Millennials, also der nach 1980 Geborenen. Die Millennials, die im Jahr 2020 über ein Drittel der weltweiten arbeitsfähigen Bevölkerung ausmachen werden, sind allesamt sogenannte Digital Natives: Sie sind mit Internet-Technologien groß geworden und haben die Werte der Sharing Economy akzeptiert: Nachhaltigkeit, Vernetzung und Flexibilität haben sie mit der Muttermilch aufgesogen.

Die Gig Economy an der Börse

Schnell und flexibel – das sind die Arbeitsplätze von Morgen.

Derzeit schätzt man die Zahl der weltweit für Uber bzw. „mit Uber“ (so lautet die offizielle Sprachregelung des Unternehmens) Fahrenden weltweit auf sieben Millionen Fahrerinnen und Fahrer. Uber gilt als Paradebeispiel für ein erfolgreiches Unternehmen in der Gig Economy: Seit der Gründung hat das Unternehmen ca. fünf Milliarden Fahrten vermittelt. Die aggressiv expandierende Online-Plattform Uber ist derzeit in 450 Städten weltweit aktiv und ist an der Börse höher bewertet als General Motors, Ford oder Honda. Für das Jahr 2020 hat das Unternehmen erste Versuche mit fliegenden Taxis geplant. Ubers Expansionspläne sind allerdings gefährdet: In vielen Städten ist das Dienstleistungsunternehmen in Rechtsstreitigkeiten verwickelt, insbesondere die Taxibranche läuft Sturm.

Ausbeutung 2.0.?

Und die Fahrer? Fahrerinnen und Fahrer verdienen im Schnitt 16 US-Dollar pro Stunde in US-amerikanischen Städten. Davon gehen noch Kosten für Treibstoff, Instandhaltung und der Wertverlust des Fahrzeugs ab. Von diesem Geld müssen auch Krankenversicherung und Altersvorsorge bezahlt werden, Urlaub und Feiertage gibt es nicht.

Die Mehrzahl der prekär Selbstständigen scheint dabei noch ganz zufrieden zu sein. Ganz wie bei ihren Vorgängern im 18. Jahrhundert schätzen sie ihre Freiheit bei der Zeiteinteilung, die Möglichkeit, individuell zu planen und mehrere Jobs miteinander zu verbinden. Für Alleinerziehende oder Studierende ist die Gig Economy oft die einzige Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen.

Mobilität im Berufsalltag verschafft nicht nur Freiheiten, sondern auch Risiken. Jedoch ist die Gig Ecomony als Arbeitsmodell für viele Menschen die einzige Möglichkeit, sich zu finanzieren.

Was bedeutet das für die Gesellschaft, wenn immer mehr Arbeitnehmer aus traditionellen Beschäftigungsverhältnissen aussteigen und in neue eintreten? Was würde passieren, wenn demnächst alle für Uber und Deliveroo fahren würden, ihre Fähigkeiten und Qualifikationen auf Plattformen anbieten und alle Unternehmerinnen und Unternehmer ihres eigenen Ichs werden würden?

Die Arbeit bekäme einen ganz neuen Stellenwert, die arbeitsfinanzierten Sozialsysteme würden obsolet. Größtes Problem sind die mangelnde Sicherheit, z.B. im Krankheitsfall und die Abhängigkeit von betriebswirtschaftlichen Entscheidungen der Plattform, die ständig an den Schrauben ihres Geschäftsmodells drehen, ohne „ihre“ Selbstständigen dabei zu konsultieren.

Zaghafte Versuche einer Pseudo-Sicherheit

Erste Plattformen gehen zaghafte Schritte, um ihren Beschäftigten entgegenzukommen. So arbeitet etwa Uber mit dem Versicherungsunternehmen Aon zusammen, welches es Fahrern ermöglichen soll, eine bestimmte Gebühr pro Meile auf ein Konto einzuzahlen. Im Falle eines Unfalls oder bei fälligen medizinischen Leistungen und Invaliditätszahlungen, kann auf dieses Konto zugegriffen werden.

Das Uber-Programm ist jedoch optional und verlangt von den Fahrern, auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Die Plattformen sind bisher sehr vorsichtig, wenn es um solche Modelle der sozialen Absicherung geht. Sie fürchten, dass aus Zugeständnissen an ihre Auftragnehmer eine Situation gefördert werden könnte, in der diese als Beschäftigte angesehen werden – dies möchten sie allerdings unbedingt vermeiden.

Sozialleistungen durch mehrere Arbeitgeber?

Die Vorteile der Selbstständigkeit sind oft an fehlende Sozialleistungen geknüpft. Wem die Aufträge weggebrechen, dessen Existenz kann unmittelbar bedroht sein.

Natalie Foster, Aktivistin für die Rechte von Arbeitnehmern in der Digitalwirtschaft, plädiert für „Mobile Sozialleistungen“. Dieses Konzept erlaubt es Selbstständigen eine Art Sozialversicherungskonto zu führen, welches von wechselnden Arbeitgebern gefüllt wird und nicht mehr an einen festen Arbeitsplatz geknüpft ist. Diese könnten sich stabilisierend auf die andernfalls prekären Verhältnisse dieser Arbeitsform des 21. Jahrhunderts auswirken.

Die Künstlersozialkasse als Innovationsmodell für die Weltwirtschaft

Bei uns in Deutschland haben wir bereits eine Sozialversicherung für Selbstständige, die viel älter ist als die Gig Economy. Ende der 70er Jahre gründete der sozialdemokratische Arbeitsminister Ehrenberg die Künstlersozialkasse. Selbstständige aus künstlerischen Berufen erhalten dadurch Zugang zur Sozialversicherung und bezahlen – im Gegensatz zu Selbstständigen, die freiwillig versichert sind – nur einen Betrag, der dem Arbeitgeberanteil entspricht.

Das Vermächtnis des vor kurzem verstorbenen Ministers der Schmidt-Ära wird heute unter dem Eindruck der Gig Economy als zukunftsweisendes Modell angepriesen – wir sollten die KSK weiterhin hegen und pflegen.

Weiterlesen Gigs und Grundeinkommen – ein Modell für die Zukunft?
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Lucas Gutierrez
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Gigs und Grundeinkommen – ein Modell für die Zukunft?

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Gigs und Grundeinkommen – ein Modell für die Zukunft?

Viele Jobs werden während der Automatisierung verloren gehen.

Mit der Digitalisierung sind die Jobs in der Gig Economy entstanden; doch mit deren weiterem Fortschreiten verschwinden sie möglicherweise genauso schnell, wie sie gekommen sind.

Was machen Uber-Fahrer im Jahr 2050? Möglicherweise verschwinden die Jobs bei solchen Fahrdiensten genauso schnell, wie sie gekommen sind. Heute schon experimentiert etwa Uber mit selbstfahrenden Roboter-Taxis und gehört zusammen mit Google und Tesla zu den Vorreitern beim autonomen Fahren, in San Francisco kann man den Service bereitsbuchen. Setzt sich diese Technologie durch, sind die „Jobs“ der weltweit etwa sieben Millionen Uber-Fahrerinnen und Fahrer gefährdet.

Die kurze Blütezeit der Gig-Economy

2050 halten wir menschengesteuerte Autos wohlmöglich schon für viel zu gefährlich.

Laut einer häufig zitierten Studie aus Oxford liegt die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten Jahren durch einen Roboter ersetzt zu werden, bei Taxis und Chauffeur-Diensten bei besorgniserregenden 89 %. Für Kurierfahrer sieht es noch düsterer aus. Mit 94% Wahrscheinlichkeit führen diese das Ranking an. Droht der Gig Economy also ein baldiges Ende?

Und wie sieht die Sozialversicherung aus, wenn die meisten Jobs von Robotern erledigt werden und auch die Millennials ins Pensionsalter kommen? Ansätze, wie die Ausweitung von Sozialleistungen auf Selbstständige, erweisen sich als überflüssig, wenn die Arbeit demnächst von Robotern und Algorithmen erledigt wird.

Das bedingungslose Grundeinkommen wird notwendig

Immer öfter werden Stimmen laut, insbesondere aus den Reihen der Digitalwirtschaft und dem Silicon Valley, dass wohl Steuern auf Roboter und eine Art bedingungsloses Grundeinkommen zukünftig unvermeidlich seien. Auch Tim O’Reilly, der Erfinder des Begriffs Web 2.0, mahnt davor, Festangestellte durch schlechtbezahlte kurzfristige Mikrounternehmer zu ersetzen. Die aktuelle Tendenz zeige genau dies auf und führe dazu, dass die Mikrounternehmer wie „Wegwerfartikel“ von den Algorithmen der Plattformen behandelt würden. O‘Reilly erachtet einen angemessenen Mindestlohn sowie einer Steuer auf Roboter, CO2-Emissionen und Finanztranskationen für notwendig, um dem zu begegnen.

Überoptimiert und arbeitslos?

Fortbewegung 2.0. – Wer braucht schon ein Uber, wenn man fliegen kann.

Theresa Hannings Roman Die Optimierer spielt in einem digitalkapitalistischen Kern-Europa im Jahr 2052. Nur wenige Privilegierte verrichten dort eine hochqualifizierte Arbeit. Die meisten Menschen haben in einer durch und durch automatisierten Gesellschaft nur unzureichende, gar unbrauchbare, Fähig- und Fertigkeiten. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist arbeitslos, da ihre Fähigkeiten in einer von Robotern dominierten Welt nicht mehr gefragt sind. Sogenannte Optimierer analysieren die Bürger, und verordnen ihnen ein Schicksal ohne Arbeit. Sie werden zwangsweise mit einer Art bedingungslosem Grundeinkommen ruhiggestellt, welches gerade so für das Allernötigste ausreicht: Essen, Wasser, Unterkunft und die Gesundheitsversorgung. Die Möglichkeit, sich innerhalb der Gig Economy frei zu entfalten, ist Geschichte. Eine Art prekäres Grundeinkommen für die Abgehängten verstärkt ihre Lethargie sowie ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit und lässt sie damit stärker ins soziale Abseits geraten. Ein Schreckensszenario, welches Grund genug sein sollte, diesen Trend so früh wie möglich zu stoppen.

Das Ende der Glorifizierung der Arbeit

Angestellte der Zukunft: Was früher von einem Menschen zugestellt werden musste, kann inzwischen per Drohne geliefert werden. Foto: Goh Rhy Yan

Unsere Arbeit ist insbesondere in Industrienationen wie Deutschland zum Statement geworden. Unser Identitätskonzept, aber auch der Lebensunterhalt, hängen daran. Die Gig Economy stellt genau dieses Konzept in Frage, eröffnet neue Perspektiven im Hinblick auf die Arbeit selbst und sorgt damit auch für eine neue gesellschaftliche Kultur – getragen von Millennials.

Damit die Gig Economy allerdings nicht zur Armutsfalle für einst erfolgreiche Selbstständige wird, die im Alter oder bei Krankheit verarmen, sind neue Sozialsysteme notwendig. Wahrscheinlich kann eine Kombination aus mobilen Sozialleistungen und einem Grundeinkommen sowie nicht-monetären Lösungen, wie der freie und kostenlose Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, eine Möglichkeit sein, um zu verhindern, dass wir uns selbst ins soziale Abseits „weg-optimieren“.

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