Auf den Plattformen der Gig Economy wird der Einzelne zum Franchisenehmer eines plattformkapitalistischen übermächtigen Geschäftsmodells.
Viele Amerikaner verabschieden sich vom traditionellen Nine-to-five-Job. Im Jahr 2016 waren fast 53 Millionen Amerikaner Freiberufler, das sind 34 % der arbeitsfähigen Bevölkerung. Experten schätzen, dass sich diese Zahl bis 2020 deutlich erhöhen wird.
Soziologisch getragen wird diese neue Arbeitssphäre von der Generation der Millennials, also der nach 1980 Geborenen. Die Millennials, die im Jahr 2020 über ein Drittel der weltweiten arbeitsfähigen Bevölkerung ausmachen werden, sind allesamt sogenannte Digital Natives: Sie sind mit Internet-Technologien groß geworden und haben die Werte der Sharing Economy akzeptiert: Nachhaltigkeit, Vernetzung und Flexibilität haben sie mit der Muttermilch aufgesogen.
Die Gig Economy an der Börse
Schnell und flexibel – das sind die Arbeitsplätze von Morgen.
Derzeit schätzt man die Zahl der weltweit für Uber bzw. „mit Uber“ (so lautet die offizielle Sprachregelung des Unternehmens) Fahrenden weltweit auf sieben Millionen Fahrerinnen und Fahrer. Uber gilt als Paradebeispiel für ein erfolgreiches Unternehmen in der Gig Economy: Seit der Gründung hat das Unternehmen ca. fünf Milliarden Fahrten vermittelt. Die aggressiv expandierende Online-Plattform Uber ist derzeit in 450 Städten weltweit aktiv und ist an der Börse höher bewertet als General Motors, Ford oder Honda. Für das Jahr 2020 hat das Unternehmen erste Versuche mit fliegenden Taxis geplant. Ubers Expansionspläne sind allerdings gefährdet: In vielen Städten ist das Dienstleistungsunternehmen in Rechtsstreitigkeiten verwickelt, insbesondere die Taxibranche läuft Sturm.
Ausbeutung 2.0.?
Und die Fahrer? Fahrerinnen und Fahrer verdienen im Schnitt 16 US-Dollar pro Stunde in US-amerikanischen Städten. Davon gehen noch Kosten für Treibstoff, Instandhaltung und der Wertverlust des Fahrzeugs ab. Von diesem Geld müssen auch Krankenversicherung und Altersvorsorge bezahlt werden, Urlaub und Feiertage gibt es nicht.
Die Mehrzahl der prekär Selbstständigen scheint dabei noch ganz zufrieden zu sein. Ganz wie bei ihren Vorgängern im 18. Jahrhundert schätzen sie ihre Freiheit bei der Zeiteinteilung, die Möglichkeit, individuell zu planen und mehrere Jobs miteinander zu verbinden. Für Alleinerziehende oder Studierende ist die Gig Economy oft die einzige Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen.
Mobilität im Berufsalltag verschafft nicht nur Freiheiten, sondern auch Risiken. Jedoch ist die Gig Ecomony als Arbeitsmodell für viele Menschen die einzige Möglichkeit, sich zu finanzieren.
Was bedeutet das für die Gesellschaft, wenn immer mehr Arbeitnehmer aus traditionellen Beschäftigungsverhältnissen aussteigen und in neue eintreten? Was würde passieren, wenn demnächst alle für Uber und Deliveroo fahren würden, ihre Fähigkeiten und Qualifikationen auf Plattformen anbieten und alle Unternehmerinnen und Unternehmer ihres eigenen Ichs werden würden?
Die Arbeit bekäme einen ganz neuen Stellenwert, die arbeitsfinanzierten Sozialsysteme würden obsolet. Größtes Problem sind die mangelnde Sicherheit, z.B. im Krankheitsfall und die Abhängigkeit von betriebswirtschaftlichen Entscheidungen der Plattform, die ständig an den Schrauben ihres Geschäftsmodells drehen, ohne „ihre“ Selbstständigen dabei zu konsultieren.
Zaghafte Versuche einer Pseudo-Sicherheit
Erste Plattformen gehen zaghafte Schritte, um ihren Beschäftigten entgegenzukommen. So arbeitet etwa Uber mit dem Versicherungsunternehmen Aon zusammen, welches es Fahrern ermöglichen soll, eine bestimmte Gebühr pro Meile auf ein Konto einzuzahlen. Im Falle eines Unfalls oder bei fälligen medizinischen Leistungen und Invaliditätszahlungen, kann auf dieses Konto zugegriffen werden.
Das Uber-Programm ist jedoch optional und verlangt von den Fahrern, auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Die Plattformen sind bisher sehr vorsichtig, wenn es um solche Modelle der sozialen Absicherung geht. Sie fürchten, dass aus Zugeständnissen an ihre Auftragnehmer eine Situation gefördert werden könnte, in der diese als Beschäftigte angesehen werden – dies möchten sie allerdings unbedingt vermeiden.
Sozialleistungen durch mehrere Arbeitgeber?
Die Vorteile der Selbstständigkeit sind oft an fehlende Sozialleistungen geknüpft. Wem die Aufträge weggebrechen, dessen Existenz kann unmittelbar bedroht sein.
Natalie Foster, Aktivistin für die Rechte von Arbeitnehmern in der Digitalwirtschaft, plädiert für „Mobile Sozialleistungen“. Dieses Konzept erlaubt es Selbstständigen eine Art Sozialversicherungskonto zu führen, welches von wechselnden Arbeitgebern gefüllt wird und nicht mehr an einen festen Arbeitsplatz geknüpft ist. Diese könnten sich stabilisierend auf die andernfalls prekären Verhältnisse dieser Arbeitsform des 21. Jahrhunderts auswirken.
Die Künstlersozialkasse als Innovationsmodell für die Weltwirtschaft
Bei uns in Deutschland haben wir bereits eine Sozialversicherung für Selbstständige, die viel älter ist als die Gig Economy. Ende der 70er Jahre gründete der sozialdemokratische Arbeitsminister Ehrenberg die Künstlersozialkasse. Selbstständige aus künstlerischen Berufen erhalten dadurch Zugang zur Sozialversicherung und bezahlen – im Gegensatz zu Selbstständigen, die freiwillig versichert sind – nur einen Betrag, der dem Arbeitgeberanteil entspricht.
Das Vermächtnis des vor kurzem verstorbenen Ministers der Schmidt-Ära wird heute unter dem Eindruck der Gig Economy als zukunftsweisendes Modell angepriesen – wir sollten die KSK weiterhin hegen und pflegen.