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Bild: Pol Kurucz

Staring Contest mit Pol Kurucz: Zwischen Bling Bling und Politik

Der ungarisch-französische Fotograf Pol Kurucz macht digitale Kunst, Fotos und Animationen, bei denen man nicht wegschauen kann. Obwohl seine Arbeit voller Luxus ist, hinterfragt der in Rio de Janeiro lebende Künstler mit seinem „Glam-Trash-Stil“ das Konzept von Luxus. Zu jeder Portion Luxus fügt er ein kritisches Kontrastelement hinzu und wiegt Luxus unverkennbar gegen Machtstrukturen auf. Ein Gespräch zwischen Glam und Politik.

Pol, deine Arbeit ist sehr politisch. Woher kommt dein Interesse an Minderheitenpolitik?

Ich komme aus einer Familie, der sozialpolitische Themen immer am Herzen lagen. Mein Vater war Journalist und gelernter Afrikanologe. Er hat in den sechziger und siebziger Jahren einige afrikanische Revolutionen journalistisch begleitet. Meine Familie ist jüdisch, mein Vater kommt aus Ungarn und meine Mutter aus Frankreich. Die Familie meines Vaters verlor Angehörige im Holocaust, die Familie meiner Mutter floh 1956 aus Ägypten nach Frankreich. Ein Teil der Familie floh dann nach Israel, der andere Teil nach Paris, weil sie mit der Politik Israels gegenüber den Palästinenser*innen nicht einverstanden waren. Die progressiven politischen Werte, die meine Familie mir mitgab, wie zum Beispiel den Schutz von Minderheiten, sind auch in meiner Arbeit sehr präsent. Meiner Meinung nach sollte keine Minderheit leiden oder diskriminiert werden.

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Wie bist du nach Brasilien gekommen?

Bei einem Besuch in Salvador vor einigen Jahren habe ich mich in die Stadt, die Natur und die Menschen verliebt und bin dort geblieben. Ich fing an, dort zu arbeiten, einige Kurzfilme und Werbespots zu drehen, doch es stellte sich als sehr schwierig heraus, in Salvador Arbeit zu finden. Also bin ich nach Rio umgezogen. Damals war ich noch kein Fotograf, ich hatte nicht einmal eine Kamera. Ich komme eigentlich aus dem Film und Theater, in Europa war ich Theaterregisseur. Doch weil ich damals noch kein Portugiesisch sprach, konnte ich nicht am Theater arbeiten. In Ungarn habe ich ein künstlerisches Kollektiv namens „kolor” gegründet, was ich auch in Rio aufbaute. Wir besetzen Häuser in Rio und machten dort Kunstausstellungen und Events. Um die Events auf Facebook zu bewerben, musste ich diese fotografieren. Einen Fotografen zu bezahlen, wäre zu teuer gewesen, also habe ich mir eine kleine Kamera gekauft und die Fotos selber gemacht. Die Instinkte aus dem Theater kamen dann wieder zurück, mir hat es gefallen, wie im Theater die Regie zu übernehmen. Um interessantere Bilder zu bekommen, fing ich an, auf Partys mit queerem Publikum zu fotografieren. Die Gäste mochten meine Bilder und posteten sie. Dann luden mich ein paar Drags aus der Szene zum Fotografieren ein. Das Fotografieren machte mir immer mehr Spaß und irgendwann beschloss ich, mich ganz darauf zu konzentrieren.

Wie wäre deine Arbeit oder dein Leben ohne Instagram?

Die ganze Welt wäre anders. Es hätte auf jeden Fall Vor- und Nachteile. Ein Vorteil wäre zum Beispiel, dass man nicht alles im für Instagram üblichen vertikalen 4:5 oder 9:16 Format machen muss. Meine Bilder sind hochauflösend und haben viele Details, die in kleineren Formaten nicht wertgeschätzt werden können. Früher wurden solche Arbeiten vorrangig in Printmagazinen, Galerien und Museen ausgestellt, die Bilder hochauflösend und groß abgedruckt. Ich habe bereits in einigen Museen ausgestellt und muss sagen, dass es ein ganz anderes Gefühl ist, ein Foto in so großem Format zu sehen. Es ist wunderschön. Das ist ein großer Vorteil der Zeit vor Social Media, dass man frei in der Formatwahl war und zeitlich nicht begrenzt. Content auf Instagram geht in der Reizüberflutung der Plattform nach kurzer Zeit unter.

Pols Bilder provozieren spielerisch und drehen dabei altbekannte Rollenbilder um. Die Fetischisierung des Sarges in ein Bett der weiblichen Lust, behütet von der vulvaförmigen Jungfrau Maria, macht bewusst auf patriarchalische Klischees aufmerksam, die die weibliche Lust tabuisieren. Bild: Pol Kurucz

Auf der anderen Seite hat Instagram mir bei meiner Arbeit sehr geholfen, weil es einen direkten Kontakt zum Publikum ermöglicht. Es sind nicht die Galeristen oder studierten Kunsthistoriker, die darüber entscheiden, was dem Publikum gefällt, sondern das Publikum selbst. Keinen Filter zu haben, bzw. keine Elite, die darüber entscheidet, was gut ist und was nicht, ist eine unglaubliche Chance. Das Publikum auf Instagram ist diverser und gibt dir direktes Feedback. Wenn es ihnen nicht gefällt, signalisieren sie das sofort und geben mir dadurch Einblicke in ihren Geschmack.

Auf deinen Bildern zeigst du oft überspitzten Luxus wie pompöse Kleidung und Accessoires oder fliegende Dollarscheine. Was fasziniert dich so an virtuellem Luxus?

Ich würde es nicht als Luxus definieren, sondern als „Bling Bling”, als eine Kritik am Luxus. In meiner Arbeit präsentiere ich Luxus nie auf einem Podest. Es gibt immer ein Kontrastelement, das den Luxus kritisch hinterfragt. In meinen Augen ist Luxus die Übertreibung – Übertreibung im Vergleich zur Wirklichkeit der Welt. Als ich anfing zu fotografieren, definierte ich meinen Stil als „Glam Trash”, also als etwas, das sich über die Distanz von Ästhetischem und Sozialem definiert, zwischen den Komponenten, die Luxus repräsentieren und denen, die die Wirklichkeit repräsentieren. Dieses Kontrastelement ist auch wichtig, weil auf Instagram so viel Content ist, dass es Kontraste braucht, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen.

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Ist Luxus für dich materiell oder immateriell?

Beides. Ich bin überzeugt, dass Luxus ein Wert ist, der von innen kommt. Wenn man aber das Konzept Luxus verallgemeinert, kommt man am Konsum nicht vorbei. Was den Wert einer Person heute in unserer Gesellschaft definiert, sind Äußerlichkeiten wie Geld, Make-up oder materielle Objekte. Das ist an sich schon ein Problem. Mein Vater erzählte mir, dass in seiner Hippie-Zeit Drogen als Anti-Luxusprodukt gesehen wurden. Sie waren ein Instrument zur inneren Erkundung, das im Kontrast zum Tourismus und zu physischen Reisen mit Flugzeugen oder Yachten stand. Heute sind viele Drogen, allen voran Kokain, Teil der kapitalistischen Narrative eines luxuriösen Lebens.

Früher, erzählt Pol, waren Drogen ein Anti-Luxusprodukt, ein Instrument zur inneren Erkundung, das im Kontrast zum Tourismus und zu physischen Reisen mit Flugzeugen oder Yachten stand. Heute sind Drogen Teil der kapitalistischen Narrative eines luxuriösen Lebens. Bild: Pol Kurucz

Könnte virtueller Luxus für Länder wie Brasilien, wo materieller Luxus für den Großteil der Bevölkerung nicht zugänglich ist, eine Chance sein?

Wenn man sieht, wie viele ärmere Menschen in Brasilien mithilfe von virtuellem Luxus eine höhere Lebensqualität erreichen können, ja. Durch das Internet haben plötzlich Millionen Menschen Zugang zu Informationen und Entertainment, den sie vorher nicht hatten. Aber in dem Moment, in dem diese Menschen virtuellen Luxus genießen, wollen sie, dass er echt ist. Die brasilianische Bevölkerung ist stark von den Medien beeinflusst. Als in den brasilianischen Telenovelas in den frühen 2000ern das Vorstadtleben mit Haus, Garten und Auto angepriesen wurde, wollten alle genau das haben. Heute ist man bei Instagram täglich Bildern von Realitäten ausgesetzt, die man nicht haben kann. Das befeuert den Wunsch nach materiellem Luxus, man will diese Objekte dann besitzen. Um deine Frage zu beantworten: Ja und nein. Kurzfristig ist es gut, weil es eine gewisse virtuelle Gleichheit schafft, aber langfristig nährt es den Wunsch nach Konsum. Virtueller Luxus kann also materiellen Luxus noch unerreichbarer machen und die Kluft zwischen Luxus und Realität vergrößern.

Du hast bereits mehrere deiner Arbeiten als NFTs zur Versteigerung ins Netz gestellt. Wie, glaubst du, werden NFTs die Kunstwelt verändern?

Das weiß keiner. NFTs und Kryptowährungen sind in der Kunstwelt noch so neu, es wird sicherlich noch ein, zwei Jahre dauern, bis man abschätzen kann, wohin sich das entwickelt. Im März und April gab es einen riesigen Hype um NFTs und man konnte quasi alles verkaufen. Danach wurde es schwieriger. Langsam reift dieser Markt, aber es ist noch viel zu früh, um sagen zu können, wer verkaufen wird und wer nicht. Prinzipiell ist es eine unglaubliche Chance für den Kunstmarkt, weil jeder, der von Kunst leben will, der einen Stil hat, der nicht unbedingt in traditionelle Galerien passt, jetzt seine Kunst auf den Markt bringen kann. Eine Animation kann man nicht ausdrucken, deshalb gab es bisher keinen großen Anreiz, Animationen zu kreieren, aber jetzt gibt es den. Ob dieser Anreiz genug ist und wie der Markt sich entwickeln wird, das weiß ich nicht. Auch der Umschwung vom analogen zum digitalen Lesen war anfangs wie eine Wette. Wenn man der Logik der Digitalisierung folgt, wird sich die Welt wahrscheinlich stärker Richtung NFT bewegen.

Wie ist es, mit virtuellen Models zu arbeiten, die nicht wirklich existieren, wie beispielsweise mit der digitalen Influencerin Ophelia, die du fotografiert hast?

Vollkommene Freiheit. Ophelia und ich kennen uns schon lange, wir haben eine enge Freundschaft, deshalb habe ich gerne mit ihr zusammengearbeitet. Aber es gibt einen Nachteil: Obwohl die Welt sich immer mehr digitalisiert, bleiben die Menschen sehr anthropozentrisch. Sie möchten sich mit jemandem identifizieren, der real und organisch ist. Da stößt Virtualität an ihre Grenzen. Deswegen werde ich wohl nicht sehr häufig mit virtuellen Models arbeiten. Wir werden merken, wie wichtig der menschliche Aspekt ist, wenn die digitalen Doubles von Prominenten fotorealistisch werden. Noch sind sie das nicht, digitale Doubles können zum Beispiel Schauspieler noch nicht ersetzen, doch bald wird es so weit sein. Das wird die Welt revolutionieren, weil digitale Kunst dann nicht mehr digital sein wird, es wird einfach nur noch Kunst sein. Dann werden nur noch Verrückte reale Szenarien kreieren. Für kommerzielle Fotoshoots wird es keinen Anreiz mehr geben, Reales zu erschaffen, wenn es schon alles fotorealistisch gibt. Die Leute werden dann nicht mehr das Wort „digital” benutzen, sie werden „real” oder „nicht real” sagen. Ein Foto ist schließlich auch nicht real, also wird das Physische im Gegensatz zum Nichtphysischen den Unterschied machen.

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Werden digitale Doubles, virtuelle Modelle und Avatars eines Tages physische Modelle ersetzen?

Nein, nicht auf dieselbe Weise. Was die Qualität eines Models ausmacht, ist nicht die Haut oder der Körper, sondern der Vibe, der Blick und die Posen. Die Frage impliziert ja, ob künstliche Intelligenz eines Tages diese menschlichen Eigenschaften imitieren kann. Wenn das passiert, dann könnten virtuelle Modelle in der Tat echte Menschen ersetzen. Aber wenn das nicht eintritt, könnte ich mir eher vorstellen, dass berühmte Persönlichkeiten eigene digitale Doubles haben und das Bild von sich verkaufen. Es gibt bereits Agenturen für digitale Doubles. Aber wenn man sich deren Models anschaut, bemerkt man sofort, dass ihr Ausdruck leer ist, die Augen tot und die Posen nicht organisch sind. Es ist nicht leicht, mit 3D-Technologie diesen realistischen Vibe zu reproduzieren, weil es unendlich viele menschliche Ausdrücke gibt. Das menschliche Auge kennt nicht alle menschlichen Ausdrucksweisen, es kann sie aber wiedererkennen. Wenn ich dir ein realistisches digitales Double zeige, wirst du sofort erkennen, ob es real ist oder nicht, aber wenn ich dich frage warum, wirst du das nicht unbedingt benennen können.

Wie muss sich die virtuelle Welt verändern, um „realer” zu werden?

Die virtuelle 3D-Welt kommt aus der Sci-Fi- und Gaming-Welt und ist sehr von dieser geprägt. Diese Welt ist immer noch sehr männlich und das merkt man; es fehlt der weibliche Touch. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass 90 Prozent der Menschen, die an der technologischen Entwicklung von Bildproduktion arbeiten, männlich sind. Um sich weiterzuentwickeln, muss diese Welt weiblicher werden. Denn der meiste Content, der auf Instagram und TikTok viral geht, ist immer noch real. In Zukunft wird es wahrscheinlich eine Mischung von digital und analog geben: Man erschafft ein digitales Double von einem Model und dann kann man damit machen, was man will, aber die Basis wird die reale, organische Person bleiben.

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