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Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Während der Romantikepoche strebte man danach, sich auf einen Weg zu begeben, das Ziel rückte dabei allerdings in den Hintergrund. Anstatt das Reisen mit religiösen Fragen zu verknüpfen, wandten sich die Menschen der Natur zu – und einer unstillbaren Sehnsucht nach Unendlichkeit.

Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Reisen war noch nie so einfach und billig wie heute. Flüge können online genauso schnell und günstig gekauft werden wie die neue Jeans. Doch der Preis, sich weltoffen und kosmopolitisch zu geben, ist hoch – denn das Fliegen ist eine ökologische Katastrophe.

Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Die große Sinnkrise, in der viele Menschen in ihren Zwanzigern stecken, bewegt vermehrt zum Reisen. Die Möglichkeit, bereits in jungen Jahren in unbekannte Welten aufzubrechen, ist heute einfach und bequem. Deshalb zeichnet sich bereits jetzt ein Trend ab: Verschiedene Bedürfnisse werden mittels Erlebnisreisen und einzigartigen Unterkunftskonzepten abgedeckt.

Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Virtuelles Reisen wird in ferner Zukunft die Sehnsucht nach der tatsächlichen Fortbewegung nicht ablösen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie man sich von der Digitalisierung des Alltags erholen wird und ob aufgrund des Klimawandels ausschließlich regionale Ziele bereist werden können.

Kompendium

Schon seit langer Zeit begeben sich die Menschen auf Reisen, um Selbsterkenntnis zu erlangen und Antworten auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens zu erhalten. Raus aus dem Alltag, hinein ins Unbekannte. Im Laufe der Geschichte hat sich das Wie der Reisenden verändert, nicht aber ihr Warum.

Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Das Pilgern ist die wahrscheinlich älteste Form der Sinnsuche mittels Reisen. Nicht nur im Christentum haben sich bereits früh die Menschen auf den Weg zu heiligen Stätten gemacht, sondern auch Anhänger anderer Glaubensrichtungen.

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Erst die Reise, dann die Erleuchtung

Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Erst die Reise, dann die Erleuchtung

Schon seit der Anthike pilgern Gläubige zu ihren heiligen Stätten. Foto: Luca Santos

Das Pilgern ist die wahrscheinlich älteste Form der Sinnsuche mittels Reisen. Nicht nur im Christentum haben sich bereits früh die Menschen auf den Weg zu heiligen Stätten gemacht, sondern auch Anhänger anderer Glaubensrichtungen.

Siddhartha Gautama hatte alles. Er wurde 563 v. Chr. in ein nordindisches Adelsgeschlecht geboren und lebte mit seiner Frau in einem Palast, der keine Wünsche offen ließ. So zumindest die Überlieferung. Sein Name bedeutet übersetzt „der, der sein Ziel schon erreicht hat“. Doch von Geburt an alles erreicht zu haben, lässt wenig Spielraum, um sich auszuprobieren und sich selbst zu hinterfragen.

Von der Befreiung des Leidens

Auf seinen Ausflügen sah Siddhartha etwas, das sein Leben veränderte: menschliches Leid. Er entsagte daraufhin dem Überfluss seines Lebens. Stattdessen ging er auf Wanderschaft, genauer gesagt lebte er als Asket, er lernte Yoga und Meditation. Während er sechs Jahre durchs Tal des Ganges pilgerte, wurde ihm klar, dass menschliches Leid mit den eigenen Denk- und Verhaltensmustern zusammenhing. Seine Überzeugung: Wo kein Begehren, da kein Leiden.

Abraham erhält auf seinem Pilger Weg eine Segnung von König Melchisedek von Salem. Bild: Dieric Bouts, the older. At The Church of Saint Peter, Leuven, Belgium

Glaubt man der Überlieferung, dann fand Siddhartha, tief verneigt unter einer Pappelfeige in einer Vollmondnacht sitzend, Erleuchtung. Dieser Zustand, Nirwana, bedeutet tiefe Ruhe und vollkommene Gelassenheit. Aus der Sinnsuche wurde somit Sinnstiftung – denn der Pilger war nun Buddha, ein erwachter Mensch, der den Grundstein des Buddhismus legte.

Doch nicht nur im fernen Asien wurde gepilgert. Es ist anzunehmen, dass das Pilgern als die älteste Form des Reisens betrachtet werden kann, denn bereits die alten Ägypter pilgerten zu heiligen Tempeln.

Viele Wege führen zu Abraham

Einer der bekanntesten in der Geschichte des Pilgerns war Abraham, der Vater des Judentums, Islams und Christentums. Das Pilgern ist demnach auch in diesen drei monotheistischen Religionen fest verankert. Die Bibelstelle zu seinem Aufbruch lautet: Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.

Daraus geht hervor, dass das Pilgern eine Reise ins Unbekannte war, ein Verlassen der vertrauten Umgebung, ein Vertrauen in Gott.

Oft machten sich die Anhänger dieser drei Weltreligionen auf den Weg nach Jerusalem, ihr heiliges Zentrum. Unterwegs konnte Buße getan oder spirituelle Weisheit erlangt werden. Es war jedoch schon Abraham, dem es während des Reisens vielmehr um den Weg als das Ziel ging, das ihm in Form eines konkreten Ortes gar nicht bekannt gewesen war.

Das Ritual des Pilgerns tauchte früh in vielen Religionen auf, damit war das Streben nach einem höheren Sinn beim Reisen automatisch mit einem religiösen Glauben verknüpft. Doch das sollte sich im Laufe der Geschichte ändern.

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Nik Macmillan, Yuan Thirdy, Glen Jackson, Ramdan Authentic, Rawpixel, Jakob Owens via Unsplash.
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Die Natur als Reiseabenteuer

Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Die Natur als Reiseabenteuer

"Vor allem beim bekanntesten deutschen Maler Caspar David Friedrich und in der Literatur wurde oft das Bild des einsamen Wanderers dargestellt, umhüllt von nahezu mystischer Natur, er selbst ". Bild: Caspar David Friedrich - Photographic reproduction: Cybershot800i

Während der Romantikepoche strebte man danach, sich auf einen Weg zu begeben, das Ziel rückte dabei allerdings in den Hintergrund. Anstatt das Reisen mit religiösen Fragen zu verknüpfen, wandten sich die Menschen der Natur zu – und einer unstillbaren Sehnsucht nach Unendlichkeit.

Die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik erstreckte sich über das 18. und 19. Jahrhundert. Die Industrialisierung hatte zur Verstädterung geführt, der damit einhergehende Wohlstand machte das Reisen nicht mehr nur dem Adel möglich, sondern auch der Bourgoisie. Die Gründung des ersten deutschen Verlags für Reisehandbücher, Karl Baedeker, im Jahr 1827, entfachte die Reiselust zusätzlich.

Auf der anderen Seite flüchteten sich viele Menschen aus den überwältigenden Großstädten hinaus und hinein in eigene Traumwelten. Das Panorama wurde erfunden, eine visuelle Unterhaltungsform, welche die ersten immersiven Erfahrungen möglich werden ließ. Viele Menschen wandten sich vom gesellschaftlichen Leben ab und begaben sich in einen Zustand des individuellen, nahezu verträumten Daseins, der genährt wurde von einer Sehnsucht nach Unendlichkeit.

Das getriebene Selbstbild

Diese Sehnsucht fand man auch in der Natur, da sie Schutz bot, den man in der Gesellschaft nicht fand. Die Sinnsuche der Romantiker ist am Wandermotiv der Epoche deutlich zu erkennen. Vor allem beim bekanntesten deutschen Maler Caspar David Friedrich und in der Literatur wurde oft das Bild des einsamen Wanderers dargestellt, umhüllt von nahezu mystischer Natur, er selbst getrieben und melancholisch.

Mit seinem Tagebuch “Italienische Reise” macht Goethe das Land zu einem Sehnsuchts-Reizeziel für die kommenden Generationen. Bild: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein – Abfotografiert im Städel-Museum Frankfurt von Martin Kraft.

Die Suche nach Selbstverwirklichung aus einer inneren Unruhe heraus stand im Vordergrund. Ein bekanntes literarisches Beispiel ist Joseph Eichendorffs Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts: Ein junger Mann, vom Vater als Taugenichts verspottet, wird auf Wanderschaft geschickt. Er geht von Ort zu Ort und entzieht sich dabei seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Selbst am Ende der Novelle, als er ein Schloss besitzt und glücklich verheiratet ist, denkt er stets an das Weiterziehen.

Das „Land, wo die Zitronen blüh’n“

Auch Goethe flüchtete vor seinen bürgerlichen Pflichten und bereiste zwei Jahre lang Italien in einer Pferdekutsche. Am Weimarer Hof war er für politische und administrative Dienste angestellt und fühlte sich seiner Lust am Schaffen beraubt. Während seiner Reise fand er schließlich zurück zu seiner Kreativität. Seinem Tagebuch „Italienische Reise“ stellte er ursprünglich das Motiv „Auch in Arkadien!“ voran. Damit bezog er sich weniger auf die geologisch isolierte Landschaft auf der Peleponnes, sondern auf den sogenannten Mythos Arkadien, ein in der Kunst genutztes Narrativ, das ein Idyll frei von gesellschaftlichen Zwängen beschreibt. Auch Goethe reiste nicht an einen bestimmten Ort, er zog in Italien immer weiter und unterstrich somit das oftmals an die Sinnsuche geknüpfte Verhalten, in Bewegung zu sein, statt anzukommen.

Die Abenteurerin Jeanne Baret

Jeanne Baret. Bild: Unkwown.

Jeanne Baret ist ebenfalls eine Persönlichkeit, die ebenfalls viel in Bewegung war, jedoch eine ganz andere Geschichte erzählt. Sie widmete sich in ihrem Leben insbesondere zwei Dingen: dem Abenteuer und der Natur. Ganz im Gegensatz zu Goethe, der bequem durch Italien reiste, heuerte die Naturforscherin auf einem Segelschiff an. Da dies jedoch Frauen verboten war, verkleidete sie sich als Mann und gab sich, obwohl sie über exzellente botanische Kenntnisse verfügte, als Assistenz ihres Geliebten Philibert Commerçon aus.

Auf dem Expeditionsschiff L’Étoile war sie somit ein Teil der ersten französischen Weltumsegelung. Barets Tarnung flog jedoch in Tahiti auf, sie ging mit Commerçon in Mauritius vorzeitig von Bord und reiste nach dessen Tod zurück nach Europa. Die Botanikerin gilt heute als die womöglich erste Frau, die die Welt komplett umrundet hat. Eine Abenteurerin und Kämpferin, die tausende von Pflanzenarten sammelte, ging mit einer Leidenschaft für unentdeckte Naturreiche in die Geschichte ein – und hinterließ der Nachwelt einen sinnhaften Mehrwert ihrer Reise.

Weiterlesen Zwischen Selbstverwirklichung und Umweltkatastrophe
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Zwischen Selbstverwirklichung und Umweltkatastrophe

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Zwischen Selbstverwirklichung und Umweltkatastrophe

Foto: Ben Neale

Reisen war noch nie so einfach und billig wie heute. Flüge können online genauso schnell und günstig gekauft werden wie die neue Jeans. Doch der Preis, sich weltoffen und kosmopolitisch zu geben, ist hoch – denn das Fliegen ist eine ökologische Katastrophe.

Was haben Steve Jobs und Uschi Obermeier gemein? Beide reisten während der 60er und 70er Jahre auf dem Hippie trail, der sich aus vielen verschiedenen Reiserouten auf dem Landweg zusammensetzte. Die Hippies unternahmen damals Reisen in ferne Länder, um Selbsterkenntnis zu erlangen – auch heute noch dient dieser Wunsch vielen Backpackern als Vorbild.

Sinnsuche im Schnelldurchlauf

Der große Unterschied zwischen der heutigen und der damaligen Zeit: Mit den ersten Billigfliegern der 90er Jahre wurde die Sehnsucht nach einer Fernreise schnell größer und noch schneller möglich.

Während die Menschen auf dem Hippie trail von Europa nach Asien monatelang unterwegs waren und viel Reisevorbereitung benötigten, macht das Fliegen nun alles einfacher: Wer sich auf Sinnsuche in Bali begeben möchte, kann sich dazu Inspiration auf Instagram suchen, das Yoga-Retreat per Handy buchen und ein gutes Flugangebot online erwerben. Dafür muss man nicht mal das Sofa verlassen.

Ferne Reiseziele wie Indien sind dank der heutigen Möglichkeiten schnell zu erreichen. Foto: Annie Spratt

Zum MoMa nach New York jetten, wandern gehen in Norwegen oder im indischen Ashram schweigen lernen – die Reisen zur Suche nach dem Sinn des Lebens stellen keine einzigartige Lebensaufgabe mehr dar – denn nie zuvor haben die Deutschen so häufig ferne Länder bereist wie im Jahr 2017. Eine Sinnsuche, die langfristig einen großen Preis verlangt. Denn das Flugzeug gilt als eine der größten ökologischen Katastrophen des Massentourismus.

Das Verhängnis der Bequemlichkeit

Unter den Vielreisenden sind auch die Millennials vertreten. Gerade die machen häufig über Social Media auf Umweltschutz aufmerksam, Zero Waste-Bewegungen und Kampagnen gegen die Verschmutzung der Weltmeere stehen für ein neues Bewusstsein. Wie passt Fernreise mit Umweltschutz zusammen?

„Der größte Teil der jungen Facebook-Community der Klimaaktivist/innen hat Berge von Fernreise-Fotos im Account. Dies deutet an, worum es beim Reisen eigentlich geht, neben der Angst vor Sinnmangel und Endlichkeit: sich selbst und anderen zu zeigen, was für ein kosmopolitischer Mensch man ist“, sagt der Soziologe Felix Ekardt zu dieser Thematik.

„Das Faktenwissen und selbst die Werthaltungen beeinflussen unser Verhalten nur begrenzt, trotz all der schönen Umweltbildung. Hinzu kommen ganz rationales Eigennutzenkalkül und die unterschiedlichsten Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung“, schreibt Ekardt, der sich mit der Theorie zur Nachhaltigkeit und dem gesellschaftlichen Wandel befasst.

Der Wert des sinnhaften Reisens

Markus Steiner, Buchautor und Reisender, unterscheidet zwischen zwei Dingen: „Beim Reisen geht es um Wachsein, Respekt, Hunger nach Erfahrung und Entdeckung. Beim Massentourismus geht es ums Dösen, Zerstörung und Verschwendung.“ Steiner lebt und arbeitet in einem Bus, gerade war er im westafrikanischen Guinea-Bissau: „Um 18 Uhr senkte sich die Sonne. Es gab kein künstliches Licht. So beginnt die Konfrontation mit reiner Zeit und Existenz. Die meisten nennen das Langeweile. Für mich beginnt damit eine Selbstbegegnung, die bereichert.“

Menschen wie Markus Steiner entscheiden sich bewusst gegen den Massentourismus und erleben das Reisen neu. Foto: Steve Halama

Der Autor reist, wie viele seiner Zeitgenossen es nicht tun – bewusst, nachhaltig und reflektiert. Er sucht nicht nur, sondern findet auch. Seine Erfahrungen teilt er, indem er darüber schreibt und somit einen Mehrwert schafft. „Wenn ich in einem Bergdorf ankomme und mir am Abend ein Huhn geschlachtet wird, obwohl ich Vegetarier bin, dann frage ich mich: Wie soll ich mich benehmen? Dann kann ich mich wunderbar selbst erfahren“, sagt er dazu und grenzt das Reisen stark vom Tourismus ab. Der rücksichtsvolle Umgang mit endlichen Ressourcen sei Verpflichtung, so Steiner. Ebenso wie die Frage nach dem Sinn und Wert einer Reise.

Doch die Einfachheit, aus Tagesroutinen auszubrechen und sich ins Unbekannte zu stürzen, ist in der schnelllebigen Gegenwart sehr verführerisch. Und wird damit zum ökologischen Verhängnis.

Weiterlesen Die Reisemodelle der Quarterlife Crisis
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Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Die Reisemodelle der Quarterlife Crisis

Kompendium: Reisen als Sinnsuche

Die Reisemodelle der Quarterlife Crisis

Junge Menschen haben in der Welt von Morgen die Möglichkeit noch schneller die unterschiedlichsten Orte zu bereisen. Foto: Ibrahim Rifath

Die große Sinnkrise, in der viele Menschen in ihren Zwanzigern stecken, bewegt vermehrt zum Reisen. Die Möglichkeit, bereits in jungen Jahren in unbekannte Welten aufzubrechen, ist heute einfach und bequem. Deshalb zeichnet sich bereits jetzt ein Trend ab: Verschiedene Bedürfnisse werden mittels Erlebnisreisen und einzigartigen Unterkunftskonzepten abgedeckt.

Ein Ausblick in die nahe Zukunft zeigt, inwiefern dieser Wunsch von der Tourismusbranche aufgefangen wird. Ein Gespräch mit dem Touristikprofessor Torsten Kirstges.

Herr Kirstges, wer in der Quarterlife Crisis steckt, ist unsicher, genährt wird das auch durch den Druck, den Social Media ausübt. Viele junge Menschen richten deshalb ihre Reisen danach aus, ob diese im Netz vorzeigbar sind. Wie schätzen Sie den Trend ein?

Das stimmt, für einige Reisedestinationen wurde das festgestellt. Gewisse Hot Spots werden von InfluencerInnen gepostet und dann von vielen überrannt. Diesen Effekt gibt es, er ist aber nicht so gewaltig, wie er dargestellt wird. Die große, gesamtheitliche Tourismusbranche beeinflusst er nicht so stark. Es stimmt zwar, dass es oftmals mehr um das Dokumentieren des „Da gewesen Seins“ geht, anstatt des „Da Seins“ geht, doch diese Kritik gab es auch schon in den 80er Jahren. Heute wird sie durch die Selfie-Welle noch einmal verstärkt.

Wird das Erlebnis der Reise denn wichtiger werden als das Reiseziel selbst?

Das Reiseziel wird immer austauschbarer werden, abgesehen von sehr speziellen Zielen. Wenn Sie heute nach Spanien, Griechenland oder Südfrankreich fahren, sehen Sie bereits die gleichen Hotelketten, ähnliche Geschäfte und Standards.

Reisen zur Sinnsuche definieren sich immer weniger über das Zielgebiet, es geht mehr um die Erfahrung und das Erlebnis. Nehmen wir beispielsweise das Kloster – das kann auch in der Eifel stehen.

“Reisen zur Sinnsuche definieren sich immer weniger über das Zielgebiet, es geht mehr um die Erfahrung und das Erlebnis.” Foto: Jared Rice

Sie sprechen bereits das Kloster an. Viele Menschen, die sich immer mehr vom Reisen versprechen, probieren Aufenthalte im indischen Ashram aus, buchen Bergsteigertouren auf den Mount Everest oder gehen mal eben ins Kloster. Kann die Tourismusbranche auf diesen Zug mitaufspringen?

Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Zum einen weiß nicht jeder, wo er nach einem Ashram oder Kloster suchen muss, das heißt, die Tourismusindustrie kann die Rolle des Vermittlers einnehmen. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass hier der inszenierte Erlebnistourismus stattfinden kann. – Vielleicht werden in Zukunft statt Erlebnisparks Schweige-Offline-Parks gebaut, speziell für eine gewisse Zielgruppe.  Im chinesischen Luoyangzhen befindet sich eine Wohnsiedlung namens Hallstadt, sie ist der gleichnamigen österreichischen Stadt nachempfunden, Teile von ihr wurden kopiert. Warum dann auch nicht in der Meditations-Nische?

Was wir jedoch bedenken müssen: Das bleiben vorerst kleine Segmente, in naher Zukunft sind diese Entwicklungen noch nicht interessant genug für große Tourismusanbieter. Die Spezialisten fangen an, dann springen die Großen mit auf.

 

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Dann bleiben wir in der Nische der Sinnsuchenden: Wie funktioniert eine Erlebnisreise, die konkret angeboten wird?

Indem mehr inszeniert wird. Studienreisen beispielsweise waren früher trocken, heute werden sie interessanter gestaltet. Es kann in Zukunft noch mehr Erlebnis-Bausteine geben, die individuell kombinierbar und buchbar sind. Dann hat man das Gefühl, den Urlaub selbst zusammenzustellen, bekommt jedoch die Sicherheit der Organisation mit dazu. Und verschiedene Bedürfnisse werden ebenfalls abgedeckt, beispielsweise Sport, Erholung, Natur, Abenteuer, Romantik.

Ist das denn noch authentisch?

Inszinierte Erlebnisreisen versuchen die Sehnsucht junger Menschen nach Sinn zu befriedigen. Foto: Fredrik Ohlander

Ob man ein inszeniertes Erlebnis als authentisch bezeichnen kann, ist fragwürdig. Die Inszenierungsgesellschaft erleben wir allerdings überall, da müssen wir nur den Fernseher anschalten. Dass diese Reisen weniger spontan ablaufen werden, das ist klar. Aber zu glauben, eine Reise vollkommen unabhängig zu organisieren, ist ohnehin eine Utopie, mit Ausnahme derjenige vielleicht, die sich in einen Bus setzen und ohne Plan irgendwohin fahren. Sobald ich einen Flug oder ein Hotel online buche, werden Daten über mich gesammelt und ich begebe mich in die Hände der Tourismusindustrie.

Welchen Reisetrend sehen Sie konkret für Menschen der Quarterlife Crisis in naher Zukunft?

Ich kann mir vorstellen, dass bereits bestehende Modelle wie Work & Travel noch stärker professionalisiert werden. AbiturientInnen kann zum Beispiel eine Sinnreise angeboten werden, die sich aus verschiedenen Erlebnissen zusammensetzt und damit viele Bedürfnisse von Heranwachsenden abdeckt.

Spannend wird vor allem sein, wie die Veranstalter die Digital Natives erreichen werden. Diese Zielgruppe ist für sie sehr interessant, durch ihre Affinität zu modernen Medien muss technisch und philosophisch noch stärker auf sie eingegangen werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kirstges.

Weiterlesen Wenn die Malediven verschwunden sind
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Wenn die Malediven verschwunden sind

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Wenn die Malediven verschwunden sind

Einsitge Urlaubsziele sind aufgrund des Kilmawandels nur noch Erinnerung. Foto: Jeremy Bishop

Virtuelles Reisen wird in ferner Zukunft die Sehnsucht nach der tatsächlichen Fortbewegung nicht ablösen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie man sich von der Digitalisierung des Alltags erholen wird und ob aufgrund des Klimawandels ausschließlich regionale Ziele bereist werden können.

In der Mittagspause nach Sansibar fliegen. Abschalten, erholen, auftanken. Mithilfe des virtuellen Reisens ist es bereits möglich, dem Alltag zu entfliehen, ohne dafür vom Bürostuhl aufstehen zu müssen. Für eine tatsächliche Sinnreise wohl zu kurz, könnte die Technik jedoch bei sinnstiftenden Erlebnissen wie Meditation unterstützen. Wird man in 100 Jahren also gar nicht mehr verreisen müssen, um sich auf Sinnsuche zu begeben?

Der Zukunftswissenschaftler Ulrich Reinhardt sagt dazu: „Virtuelles Reisen wird auch zukünftig nur eine Ergänzung darstellen und das reale Reisen nicht ersetzen können. Schließlich geht es dabei um Kontakt und Gemeinschaft. Das lässt sich nicht virtuell abbilden. Genauso wenig wie Spontaneität und Authentizität.“ Die Zutaten für eine spannende Reise. Doch was ist, wenn die Umwelt Weltreisen einfach nicht mehr zulässt?

Der Einfluss des Klimawandels auf das Reisen

VR-Reisen machen die Mittagspause in der Wüste möglich. Foto: Averie Woodard

Extreme Hitzewellen, starke Niederschläge und Eisschmelze sind seit Jahren spürbar. Der Grund dafür sind stark ansteigende Treibhausgase. Der Weltklimarat IPCC, der regelmäßig den wissenschaftlichen Stand zu der vom Menschen gemachten Erderwärmung mitteilt, hat den Panikknopf gedrückt: Wenn sich bis zum Ende des Jahrhunderts die globale Erwärmung von 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Klima begrenzen, kann der Klimawandel beherrscht werden. Sollte sich die Erde um 2 Grad oder mehr erwärmen, muss die Menschheit mit extremen Veränderungen rechnen – und damit einhergehend mit vielen Klimaflüchtlingen, statt mit Reisenden.

Unabhängig davon, wie sich die globale Erderwärmung entwickeln wird – die Menschheit steckt bereits mitten drin im selbstgemachten Klimawandel. Traumziele wie die Malediven und Seychellen werden auf lange Sicht verschwinden. Bleibt die Frage, ob sich die Entfernung anvisierter Destinationen verringert und man dorthin zurückkehrt, wo die Menschen einmal gestartet sind: zu den regionalen Zielen.

Auf zu neuen Mikroabenteuern

Der Autor Alastair Humphreys hat den Begriff Mikroabenteuer geprägt. Dahinter verbirgt sich der Ausflug, der bereits über Nacht erlebt werden kann, wie das Campen im nahegelegenen Wald. Mikroabenteuer sind kleine Fluchten in die Natur und für diejenigen interessant, denen für das Reisen das Geld oder die Zeit fehlt. Oder das passende Klima.

Zukunftswissenschaftler Reinhardt bestätigt die Entwicklung des bereits bestehenden Trends, wieder mehr im eigenen Land und den angrenzenden Destinationen zu reisen.

Um virtuelles oder Mikroabendteuer – die Möglichkeiten zu Reisen haben sich verändert. Foto: Jamie Fenn

Die Weiterentwicklung der Reisemöglichkeiten

Da der Fokus auf der Art des Reisens liegt und sich weniger um das Ziel selbst dreht, entwickelt sich das Reiseverhalten stark weiter. „Von Roadtrips über Airbnbs bis hin zu Eventreisen wird es alle drei Reiseformen auch in Zukunft geben, jedoch weiterentwickelt“, prognostiziert Reinhardt. „Beim Roadtrip wird es die Art der Mobilität sein, Stichwort: autonomes Fahren. Beim Städtetrip werden kleine Städte interessanter werden als überfüllte Metropolen. Bei Eventreisen werden sich die Erlebnisse ändern und Ereignisse präsentiert werden, an die wir heute noch nicht einmal denken.“

Es gibt viele Einflüsse, die das Reisen bestimmen und formen werden. Eine Sache bleibt wohl beständig: Der Drang des Menschen, sowohl innerlich wie äußerlich in Bewegung zu bleiben. Und indem sie ihren Mitmenschen davon erzählen können sie so zumindest in ihrer Fantasie andere an ihrer Reise teilhaben lassen.

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