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Kompendium: Global Lokal

Die Zukunft der EU ist hart umkämpft. In fast allen europäischen Ländern sind nationalistische und populistische Kräfte am Werk, die die EU auflösen wollen. Gleichzeitig bieten Zukunftsideen wie jene einer europäischen Verfassung einen Vorblick auf ein globaleres Weltverständnis.

Kompendium: Global Lokal

Die Risiken von AI klingen teils nach Science-Fiction. In der Realität durchdringt künstliche Intelligenz unseren Alltag jedoch bereits mehr als es viele glauben mögen. Die Möglichkeiten der AI-Technologie berühren Fragen der Mobilität genauso wie die globalen Herausforderungen unserer Zeit.

Kompendium

„Heimat“ und „Region“ wurden lange Zeit als Kampfbegriffe gegen den technischen Fortschritt und die Globalisierung mobilisiert. Heute haben Nationalismus und Regionalismus weltweit Konjunktur und das entsprechende Spannungsfeld hat sich verschoben. Ideen wie die einer europäischen Verfassung bieten Einblicke in ein globaleres Weltverständnis. Neuartige Technologien wie „Artificial Intelligence“ versprechen, uns bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel zu unterstützen.

Kompendium: Global Lokal

Im frühen 18. und 19. Jahrhundert revolutionierte die Erfindung der Dampfmaschine das Transportwesen. Dampfbetriebene Schiffe und Züge legten den Grundstein für die Globalisierung. Begriffe wie „Heimat“ und „Zugehörigkeit“ verloren dadurch an Bedeutung.

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Das Internet ermöglichte globale Vernetzung, mit der Digitalisierung sollte die Welt zum globalen Dorf werden: Kommunikationswege wurden kürzer und Ländergrenzen virtuell überflüssig.

Kompendium: Global Lokal

Regionales Essen ist heute nicht mehr nur bei Öko-Romantikern beliebt, sondern elementarer Bestandteil bewusst lebender Städter. Was bedeutet regionaler Konsum im globalen Kontext? Eine Begegnung mit Billy Wagner, Wirt, Sommelier und Inhaber des Berliner Regionalisten-Restaurants „Nobelhart & Schmutzig“.

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Die verdampfende Heimat-Idee

Kompendium: Global Lokal

Die verdampfende Heimat-Idee

Der Cunard-Liner Lusitania auf seinem Weg nach New York, 1907. Gemälde von Norman Wilkinson.

Im frühen 18. und 19. Jahrhundert revolutionierte die Erfindung der Dampfmaschine das Transportwesen. Dampfbetriebene Schiffe und Züge machten das Reisen zu einer bezahlbaren Erfahrung und legten den Grundstein für die Globalisierung. Begriffe wie „Heimat“ und „Zugehörigkeit“ verloren dadurch an Bedeutung.

Ein modernes Verständnis von Heimat

„Heimat“, so formulierte es der Literat Martin Walser, „ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit.“ Ein Bruch mit der Tradition. Denn insbesondere im deutschen Sprachraum wird Heimat als eine Art höhere Sinngebung nationaler Identität verstanden: eine Verbindung des Menschen mit dem Territorium, in das er zufälligerweise hineingeboren wurde. Begriffe wie „Heimat“ und „Region“ wurden früher – und teils noch heute – als verklärte Kampfbegriffe gegen den technisch-industriellen Fortschritt mobilisiert. Tatsächlich wurde das romantische Heimatverständnis des 19. Jahrhunderts auch aufgrund der technischen Entwicklung, insbesondere jener der Dampfmaschine, torpediert. Ihr Einsatz befeuerte eine Utopie globaler Mobilität, ermöglichte sie doch erstmals sicheres Reisen mit Schiffen und Zügen.

Begriffe wie „Heimat“ und „Region“ wurden früher – und teils noch heute – als verklärte Kampfbegriffe gegen den technisch-industriellen Fortschritt mobilisiert. Foto: Jonas Zagatta.

Die Erfindung der Dampfmaschine

    Ein kochender Teekessel soll den schottischen Erfinder der Dampfmaschine, James Watt, der Legende nach zur Entwicklung der Maschine inspiriert haben. Der dabei entstehende Dampf zwingt den Deckel des Kessels bekanntlich zum Aufsteigen. Watt erkannte darin die Kraft des Wasserdampfs. Er erfand die Dampfmaschine zwar nicht wirklich – ein Vorgängermodell existierte bereits – aber er verbesserte ihre Effektivität doch dramatisch. Im alten Modell wurde der Dampf im Zylinder mit kaltem Wasser kondensiert. Das daraus entstehende Vakuum zog den Kolben nach unten. Die alte Maschine schaffte so sechs bis acht Arbeitshübe pro Minute. Watt verlagerte die Kondensation aus dem Zylinder in ein separates Gefäß, in dem der Dampf nun schneller kondensierte: Der Zylinder blieb permanent heiß, die Maschine von Watt lief doppelt so schnell.

Die historische Bedeutung der Dampfmaschine

    Die Dampfmaschine, so argumentierte Karl Marx 1847 in seiner Schrift „Das Elend der Philosophie“, beendete die Feudalherrschaft und bereitete den Weg für die industrielle Revolution sowie das kapitalistische Produktionszeitalter:

Eine sogenannte Deutsche Einheitslokomotive der Deutschen Bundesbahn in Essen 1980. Foto: Tobias Nüssel.

„Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“ Sicher entsprang die Dampfmaschine einer Epoche voller kreativem Erfindergeist. Und gewiss ist ihr Stellenwert für die Einleitung des Industriezeitalters nicht zu unterschätzen.

Gleichzeitig würde es sicher nicht schaden, den daraus ableitbaren technologischen Determinismen mit Skepsis zu begegnen: Wie der Buchdruck nicht der alleinige Grund für die wissenschaftliche Revolution, die Pille nicht die einzige Ursache der sexuellen Revolution und das Internet nicht der alleinige Faktor der Kommunikationsrevolution unserer Zeit war, so lassen sich die wirtschaftlichen, politischen und sozial-kulturellen Veränderungen, die die industrielle Revolution nach sich zog, nicht allein auf die Dampfmaschine zurückführen.

Nichtsdestotrotz trieben Dampfmaschinen schon kurze Zeit nach ihrer Einführung Spinnmaschinen und Webstühle an, die mit bislang undenkbarer Geschwindigkeit Textilwaren produzieren konnten, welche damals in ganz Europa gefragt waren. Die Dampfmaschine wurde rapide weiterentwickelt und beschleunigte schon bald nicht mehr nur neue Produktionszweige, sondern auch den Gütertransport. Ihr Einsatz in Lokomotiven, Schiffsmotoren und Turbinen legte den Grundstein für das Transportwesen, wie wir es heute kennen.

Eine Familie bereit zur Abreise in Kidderminster, England. Foto: Jason Briscoe.

Sie revolutionierte das Schiffs- und Bahnsystem und ermöglichte länderübergreifendes Reisen für immer mehr Menschen. 1820 überquerte die „Savannah“ als erstes Dampfschiff den Atlantik. Der Linienverkehr für transatlantische Passagierreisen mit Dampfschiffen wurde knapp 20 Jahre später eröffnet. Segelschiffe machten 1870 noch 85 Prozent des gesamten Seeverkehrs aus, 1910 war dieser Anteil auf schmächtige 14 Prozent gesunken.

Das Ende der Heimatidee

    Der traditionelle Begriff der „Heimat“ verlor durch die mit der Dampfmaschine in Gang gesetzte Mobilisierung an Bedeutung. Die Wertigkeit aber, die wir heute mit dem Begriff einer globalen Weltgemeinschaft verbinden, als einem Gegenpol zum heimeligen Regionalismus, beförderte sie nicht. Die Dampfmaschine und die durch sie angestoßene Industrialisierung beschleunigten kapitalistische Produktionsweisen, führten zu Bevölkerungswachstum und zur Verarmung großer Teile der Gesellschaft. Neue Transportmöglichkeiten verstärkten die Nachfrage nach Produkten aus aller Welt. Für Waren und Macht beuteten europäische Kolonialmächte im 19. Jahrhundert ganze Kontinente aus und versklavten die dort lebenden Bevölkerungsgruppen. Darüber hinaus führten die meist auf Kohleverbrennung basierten Dampfmaschinen zu ganz neuen Herausforderungen für unser Ökosystem.

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Das globale Dorf trifft sich im Internet

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Das globale Dorf trifft sich im Internet

Das Internet ermöglichte globale Vernetzung, mit der Digitalisierung sollte die Welt zum globalen Dorf werden. Foto: NASA.

Das Internet ermöglichte globale Vernetzung, mit der Digitalisierung sollte die Welt zum globalen Dorf werden: Kommunikationswege wurden kürzer und Ländergrenzen virtuell überflüssig. In einem Zeitalter, in dem Migration die Sinnhaftigkeit von Grenzen an sich infrage stellt, dient digitale Kommunikation als hilfreiches Werkzeug.

Die Geschichte des Internets

Das globale Dorf, wie Marshall McLuhan es sich vorstellte, gibt es nicht. Denn dem Traum einer global vernetzten, digitalen Community sind noch immer Grenzen gesetzt: Das zeigt das Beispiel Nordkorea überdeutlich. Dort ist der Zugang zum Internet und insbesondere zu sozialen Medien strengstens limitiert und nur mit besonderer Genehmigung zulässig. Der Zugriff auf das Internet wird heute von vielen Ländern – wie etwa Frankreich und Finnland – als Menschenrecht angesehen. Bis zu der Funktionalität des Internets, wie wir sie heute kennen, war es allerdings ein langer Weg: Es entwickelte sich von einem Forschungs- und Vernetzungsinstrument des US-Verteidigungsministeriums, dem sogenannten ARPANET, zum World Wide Web und gewann erst dank des Siegeszugs des Personal Computers in den frühen Neunzigerjahren zunehmend an Bedeutung.

Der böse Zwilling

    Im Aufsatz „My First Flame“ des US-Journalisten John Seabrook aus dem Jahr 1994 werden einige

Der Journalist John Seabrook trat 1994 der globalen Vernetzung durch das Internet skeptisch entgegen. Foto: Rodrigo Fernández

der Sorgen und Hoffnungen deutlich, die Menschen in der Frühphase des Internets beschäftigten. Seabrook beschreibt dort etwa die soziale Kälte, die das Internet bereits damals durchdrang, und warnt vor den Gefahren, die von Codes und Kryptographie ausgehen.

Verschlüsselungstaktiken, die, wie er fürchtet, zu mehr Kriminalität und Verschwörungen führen würden. Obwohl Seabrook mit seinen Bedenken nicht unrecht hatte, erscheint es aus heutiger Sicht beinahe ironisch, dem Internet sein Geheimhaltungspotenzial anzukreiden, anstatt dem Gegenteil: die notorische Aushöhlung der Privatsphäre seiner User.    

Seabrook beobachtete aber noch einen weiteren Aspekt: „Wenn Sie Ihren Computer über eine Telefonleitung mit dem Internet verbinden, verwandeln Sie ihn in eine Druckmaschine und Ihre Telefonleitung in ein Rundfunksystem. Alles was Sie schreiben, kann von Millionen von Menschen gelesen werden. Sie müssen Ihre Nachricht dafür nicht in einer für die Veröffentlichung geeigneten Sprache formulieren. Sie müssen sich auch nicht die Mühe und Kosten machen, Zeit auf einem Fernsehkanal zu kaufen. Sie müssen keine Kopien Ihrer Nachricht an der nächsten Straßenecke verteilen. Sie müssen noch nicht einmal Verantwortung übernehmen für das, was Sie sagen.“ Im Zeitalter von Twitter und Fake News wirken solche Sätze von 1994 beinahe prophetisch. Seabrook erkannte richtig, dass „jedes gute Ding einen bösen Zwilling hat“, dass das Internet, wie jede technologische Neuerung vor ihm, sowohl progressive, als auch destruktive Konsequenzen nach sich zieht.

Die Fantasie der globalen Vernetzung

    Wie Seabrook Mitte der Neunzigerjahre beobachtete, war die potenzierte Reichweite sowie die Schnelligkeit und Direktheit, mit der User kommunizieren und Nachrichten verbreiten konnten, revolutionär. Lange vor der Erfindung von Social Media vernetzten sich die Menschen über E-Mails, in Online-Foren, -Chatrooms und über diverse Server. Das Internet ermöglichte eine neue Infrastruktur an Kommunikationswegen. Parallel zur Globalisierung der Märkte globalisierte das Internet die Kommunikation.

Der Weg zur Arbeit ohne sich über das Smartphone über sein Umfeld zu informieren? Nicht nur in Japan mittlerweile undenkbar. Foto: Jens Johnsson.

Entsprechend beflügelten die Anfangsjahre des Internet-Booms die Fantasie einer globalen Weltöffentlichkeit. Im virtuellen Raum waren Stadt- und Ländergrenzen zumindest theoretisch überflüssig. Marshall McLuhan’s Vorstellung eines globalen Dorfes, einer durch elektronische Vernetzung zusammengewachsenen Welt, schien sich zu materialisieren.

    In der Praxis, so argumentiert der Kommunikationstheoretiker Andreas Hepp, führte die Digitalisierungswelle aber eher zu kommunikativen Ballungsräumen: „Mit der Globalisierung geht weniger die Etablierung einer ‚Weltkommunikation‘ oder ‚Weltöffentlichkeit‘ einher“, schreibt er, „als vielmehr die Etablierung großregionaler Kommunikationsräume.“ Als Beispiele für solche Kommunikationsräume nennt er Lateinamerika, Nordamerika und China sowie den „Kommunikationsraum Europa“. Andere wie der Medienwissenschaftler David Hesmondhalgh bezeichneten diese Regionen etwa als „geokulturelle Märkte“. Gewiss ist seit der weltweiten Etablierung der sozialen Medien auch zwischen diesen Großregionen eine verstärkte Vernetzung möglich; grundsätzlich sind Menschen innerhalb dieser Kommunikationsräume jedoch enger miteinander vernetzt.

„Kommunikative Mobilität“

    Das vielfältige Potenzial der Digitalisierung, das durch E-Mail, Chats und Smartphones geschaffen wurde, war 2008 Anlass für eine Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Wirkung dieser Medien am Beispiel der Vernetzung von in Deutschland lebenden Migrationsgemeinschaften untersuchte. Die Studie kam zum Ergebnis, dass – kaum überraschend – mehr „kommunikative Mobilität“ ermöglicht wird. Konkret bedeutet das: Es bestehen mehr Vernetzungsmöglichkeiten durch digitale Medien im Vergleich zu den sogenannten neotraditionalen Medien (Audio- und Videokassetten oder Briefe).

Parallel zur Globalisierung der Märkte globalisierte das Internet die Kommunikation. Foto: Charles Deluvio.

Die Reichweite dieser neuen Mobilität zeigte sich spätestens 2015 überdeutlich. Mithilfe von GPS, WhatsApp, Facebook und diversen anderen Messenger-Dienste organisierten Flüchtende aus aller Welt ihre Routen, hielten Kontakt zu Bekannten und Familienmitgliedern oder informierten sich etwa auf der Balkanroute über die Situation in den Aufnahmeländern.

    Die Vernetzung durch Digitalisierung lässt auf eine Welt blicken, in der Regionalität und Herkunft die ihnen einst zugeschriebene Bedeutung verlieren. Im scheinbar grenzenlosen virtuellen Raum bilden sich neue kulturelle Formen und Identitäten heraus, die unabhängig von den lokalen Beschränkungen funktionieren. Doch selbst wenn sich die kulturellen und politischen Entwicklungen von heute in fast allen Bereichen mit den Möglichkeiten der Digitalisierung überschneiden: Um diese über die noch immer sehr realen nationalen und ideellen Grenzen hinweg zu vermitteln, bedarf es mehr.

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Brutal lokale Zutaten für ein globales Publikum

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Brutal lokale Zutaten für ein globales Publikum

Micha Schäfer bei Zubereitungen regionaler Zutaten im Nobelhart & Schmutzig. Foto: Mirko Seifert.

Regionales Essen ist heute nicht mehr nur bei Öko-Romantikern beliebt, sondern elementarer Bestandteil bewusst lebender Städter. Was bedeutet regionaler Konsum im globalen Kontext? Eine Begegnung mit Billy Wagner, Wirt, Sommelier und Inhaber des Berliner Regionalisten-Restaurants „Nobelhart & Schmutzig“.

Kirchturmdenken und Klimaschutz

    Regionale Lebensmittel und regionaltypische Zubereitungsarten sind längst nicht mehr nur auf Bauernmärkten und in Bio-Filialen anzutreffen: Sie schlagen sich hierzulande mitunter im Sortiment größerer Supermärkte nieder. Regionale Produkte werden hier inzwischen unter identifizierbaren Labels geführt. Seit 2014 gibt es zum Beispiel das „Regionalfenster“, das die Herkunftsregion der Ware eindeutig angibt. Als Reaktion auf die fortschreitende Globalisierung unserer Nahrung bedient dieser Lokaltrend Sehnsüchte nach Produktfrische, Natürlichkeit und Authentizität. So unklar die Bedeutung dieser Begriffe manch einem erscheinen mag, so sehr versprechen sie anderen Orientierung und Halt.

Weiterhin setzt regionales Essen ein Zeichen gegen Landrodungen und schlechte Arbeitsbedingungen in Regionen, aus denen Industrieländer wie Deutschland ihre Lebensmittel beziehen.

    Dieser Trend, der gerade im deutschen Kontext oft mit Zurück-zur-Natur-Denken und nationalistischem Geraune assoziiert wird, trägt aber auch zum Klimaschutz bei: Regional zu essen hilft dabei, Verkehrs- und Transportwege zu vermeiden. Zahlen der Verbraucherzentrale NRW zufolge werden beispielsweise bei einem Flugzeugtransport von peruanischem Spargel von Lima nach Frankfurt pro Kilo Spargel knapp 30 000 Gramm klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt. Vergleichsweise kann regionaler Spargel zur Saisonzeit per Lkw aus der Region geliefert werden, was bei einer Strecke von 100 Kilometern nur etwa 19 Gramm Treibhausgase pro Kilo verursacht. Weiterhin setzt regionales Essen ein Zeichen gegen Landrodungen und schlechte Arbeitsbedingungen in Regionen, aus denen Industrieländer wie Deutschland ihre Lebensmittel beziehen. Lokaler Konsum schützt überdies hierzulande bedrohte Landwirtschaften – so lautet zumindest die Argumentation der Regionalisten.

„Brutal Lokal“

    „Brutal Lokal“ wird dieser Lokaltrend, sofern er konsequent zu Ende gedacht wird, genannt. Im Zentrum steht dabei kulinarische Kreativität durch Selbstbeschränkung auf Regionales und die Orientierung von Menüfolgen an saisonal verfügbaren Zutaten. Das Konzept hat sowohl in der Slow-Food-Küche als auch in der zeitgenössischen Gastronomie Spuren hinterlassen. Hierzulande wird „Brutal Lokal“ schnell mit einem Namen assoziiert: Billy Wagner. Der Erfolg seines Restaurants „Nobelhart & Schmutzig macht deutlich, dass der Trend des lokalen Essens schon längst bei kosmopolitischen Städtern angekommen ist.

Der Kern von Nobelhart & Schmutzig, Konzeptionist Billy Wagner (l.) und Küchenchef Micha Schäfer (r.). Foto: Marko Seifert.

Deutschtümelei liegt Wagner fern: In den letzten Jahren sorgte er unter anderem deshalb für Furore und Kritik, weil er an der Fronttür seines Restaurants ein klar erkennbares AfD-Verbotsschild anbrachte. Bekannt wurde der Wahlberliner aber vor allem für die Lokalkreationen, die er und sein Küchenchef Micha Schäfer hier anbieten. Neben neu aufbereiteten Raritäten wie sprießendem Sauerampfer, harzig angereiftem Kohlrabi und eigens lokal ausgebrütetem Sulmtaler Huhn zeichnen sich Wagner und Schäfer durch ihre unkonventionellen Zubereitungsmethoden aus. Im „Nobelhart & Schmutzig“ wird eben nicht nur gekocht, sondern auch experimentiert, fermentiert, gepökelt und mariniert.

    Die Küche ist in Wagners Restaurant in den Gastraum integriert, die Nähe zum Produkt ist hier alles. Die Speisekarte präsentiert sich als wechselndes Zehn-Gänge-Fest, das aus aufwendig aufbereiteten heimischen Schätzen besteht. Sogar auf nicht-regionale Zusatzzutaten wie Olivenöl, Pfeffer, Zitrusfrüchte oder Vanille wird hier verzichtet. Ihm gehe es vor allem um die Wertigkeit und die Emotion, die Essen transportiert, sagt Wagner. „Regionales Fleisch und Gemüse schmeckt zwar nicht per se besser, in der Aufbereitung hat man aber zumindest die Chance, etwas mit Charakter auf den Teller zu bringen.“ Gemeint ist damit der unmittelbare Bezug zur Ware und zum Händler.

Im „Nobelhart & Schmutzig“ wird eben nicht nur gekocht, sondern auch experimentiert, fermentiert, gepökelt und mariniert. Foto: Marko Seifert

Wie ein Monolog von Lars Eidinger

    Während unseres Gesprächs bekommt Wagner von Micha Schäfer einen Gang zum Abschmecken serviert: in Kamillenbutter gegarte Karotte mit Sahnesauce, dazu ein Schluck blumiger Poulsard aus dem Jura. So wirklich überzeugt scheint Wagner jedoch nicht zu sein – hier sind Perfektionisten am Werk. „Unsere Gerichte sind sehr präzise“, sagt er, „kein Opferfeuerwerk im Mund, eher wie ein Monolog von Lars Eidinger, der dich tot quatscht; auf den Punkt, aufs Wesentliche reduziert.“ Die Auswüchse der Globalisierung hätten seiner Ansicht nach positive wie negative Seiten: „Was wir hier tun ist schon so ein Gegenmodell zur Globalisierung. Gleichzeitig leben wir natürlich aber auch von der Vielfalt an Leuten, die aus aller Welt herkommen, um unser Essen zu probieren.“

Regional, aber vielseitig

    Auf die Frage, wie eine ideale Welt für ihn aussehen würde, meint er: „Ideal wäre es, wenn wir eine Landwirtschaft hätten, die sich darüber im Klaren ist, was in der Region funktioniert und was nicht, gleichzeitig aber auch die Augen offen hält für kreative Ideen aus aller Welt.“ Im letzten Jahr, erzählt er, waren er und sein Team zum Beispiel regionale Pilze sammeln, die dann vor Ort eingeweckt wurden. Das mit dem Einwecken sei aber eigentlich keine deutsche, sondern eine rumänische Tradition. Und überhaupt: „Gute Küche lebt vom Zusammenkommen verschiedener Einflüsse aus unterschiedlichen Regionen.“ Das ist eine Philosophie, die er offenbar nicht nur auf das Essen, sondern das Leben allgemein anwendet: „Deutschland befindet sich im Herzen Europas. Wir hatten nie nur eine Identität, sondern immer schon viele verschiedene.“

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Die Zukunft der Europäischen Union

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Die Zukunft der Europäischen Union

Das Atomium in Brüssel bei Nacht. Foto: David Bruyndonckx

Die Zukunft der EU ist hart umkämpft, das zeigte die EU-Wahl mehr als eindrücklich. In fast allen europäischen Ländern sind nationalistische und populistische Kräfte am Werk, die die EU auflösen und ihren Werten eine Absage erteilen wollen. Gleichzeitig bieten Zukunftsideen wie jene einer europäischen Armee oder einer europäischen Verfassung einen Vorblick auf ein globaleres Weltverständnis.

EU 2019: Erleichterung auf Zeit

    Die Zukunft der EU liegt in unseren Händen: diese Botschaft schien bei der EU-Wahl 2019 angekommen zu sein. Nach Jahrzehnten schwindender Wählerzahlen wies sie eine Beteiligung von über 50 Prozent auf – ein Rekordhoch. Das lässt sich auch als Reaktion auf den Brexit, den Aufstieg der Euroskeptiker und die quer durch Europa spürbaren nationalistischen Tendenzen deuten. In Ländern wie Frankreich, Italien und Ungarn schnitten rechte Parteien zwar sehr gut ab, im Schnitt war das Wahlergebnis jedoch eine Erleichterung: In Deutschland, Österreich und Spanien holten die Populisten nur einen geringen Teil der Stimmen, in Dänemark und den Niederlanden noch weniger. Im neuen europäischen Parlament kommen die Rechten insgesamt auf knapp ein Viertel der Sitze. Sie sind damit zwar eine Kraft – allerdings keine, wie vor der Wahl befürchtet, bestimmende.

Der Saal des Parlaments während einer Plenarsitzung in Straßburg. Foto: By Diliff – Own work, CC BY-SA 3.0

Die „Grüne Welle“

    Der Erfolg der Grünen in dieser EU-Wahl spiegelt einen Bewusstseinswandel. Insbesondere jüngere Wählerinnen und Wähler erteilten den sogenannten Volksparteien eine klare Absage zugunsten klimaorientiertem Aktivismus. „Der Klimawandel“, so titelte die französische Zeitung „Libération“, „ist das Hauptkriterium politischen Handelns in der EU“. Doch die „Grüne Welle“ war geografisch begrenzt: In Süd- und Osteuropa war davon nur wenig zu spüren.

Herausforderungen für die Zukunft Europas

    Obwohl die Zahlen Asylsuchender in der EU seit 2016 stark rückläufig sind, wird die Migration nach Europa – auch mit Blick auf den Klimawandel – nicht abreißen. Bislang fehlt allerdings eine europaweite Antwort. Rechte Parteien nutzen das Thema weitläufig für sich aus. Außerdem liegt das jährliche Wirtschaftswachstum der EU seit 2008 bei weniger als einem Prozent. In seiner momentanen wirtschaftlichen Struktur – mit uneinheitlichen Steuerregelungen und ohne Fiskalunion – bleibt Europa weiter anfällig für Rezession, Bankenkrisen und politische Umwälzungen. Wer wird sich diesen Problemen annehmen? Wie kann Europa sich in den kommenden Jahrzehnten entwickeln? Über diese Fragen sprachen wir mit der Mitgründerin des Thinktanks „Polis180“ sowie Europa-Aktivistin Ana-Marija Cvitic.

Frau Cvitic, was hat Sie zur Europapolitik geführt?

    Das Thema EU-Politik ist für mich hyper-persönlich. Ich bin als Kind mit meiner Familie vor dem Jugoslawienkrieg nach Österreich geflohen. Unser Status hat sich aber erst viel später verstetigt, als Kroatien EU-Mitglied wurde. Bis dahin hatten wir nur befristete Aufenthaltstitel. Später studierte ich in Wien und Paris EU-Politik. 2016, kurz nach dem Brexit, habe ich in Berlin „Polis180 mitbegründet, einen Thinktank für Europapolitik. Später war ich Teil von „Operation Götterfunken“, einer großangelegten Kampagne zur Europawahl.

Die Mitgründerin des Thinktanks „Polis180“ sowie Europa-Aktivistin Ana-Marija Cvitic. Foto:Ana-Marija Cvitic

Worin bestand das Ziel dieser Initiativen?

    Das Ziel war es, eine Plattform zu schaffen, europapolitische Entscheidungen zu beeinflussen und junge Leute dazu zu bringen, sich für Europa zu engagieren. Dazu haben wir Mittel eingesetzt, die von der Tonalität und vom Design her auch junge Leute erreichen. Bei „Operation Götterfunke“ benutzten wir zum Beispiel das Hashtag #LebenOhneEU, nach dem Motto: „Wenn ihr nicht wählen geht, werden Populisten die EU eben abschaffen“. Aber es ging auch um konkrete Themen wie die Beitrittsverhandlungen von Albanien und Nord-Mazedonien, die Austeritätspolitik oder die Position zu Russland.

Wie schätzen Sie das Wahlergebnis ein?

    Ich denke, junge Leute sind heute sensibilisierter für die EU und wählen generell pro-europäischer. Wobei man sagen muss, dass Menschen in Deutschland das Thema ernster nehmen als jene in Mittel- und Südeuropa. Der Erfolg von Orbáns Fidesz-Partei oder des Front National in Frankreich lassen sich denke ich schon auch darauf zurückführen.

Was sagen Sie zu Ideen wie der einer gemeinsamen europäischen Armee oder Verfassung?

    Die Idee einer europäischen Armee halte ich für sinnvoll und nicht einmal für schwer umsetzbar. Was die Verfassung betrifft: Mit dem Lissabonner Vertrag haben wir gewissermaßen bereits eine Art EU-Verfassung. Was zählt, ist, dass Europa die Fragen unserer Zeit gemeinsam angeht.

Was für Fragen wären das?

    Nehmen wir die Migrationspolitik als Beispiel: Ich bin entschieden gegen „Dublin 2“, also die Richtlinie, nach der ein Asylsuchender, sobald er ein europäisches Land betritt, in diesem Land seinen Asylantrag stellen muss. Solche Fragen können wir nicht als Nationalstaaten lösen. Ich denke, es muss faire Verteilungsschlüssel geben. Länder, die zufällig die europäische Grenze bilden, dürfen beim Thema Migration nicht alleine gelassen werden. Auch, dass nur Deutschland oder Schweden Menschen aufnehmen, anstatt auch Länder wie Tschechien oder Polen, halte ich für falsch.

Was sind in Ihren Augen heute die größten Herausforderungen der EU?

Wir müssen uns unbedingt mehr den Fragen der Umwelt- und Digitalpolitik widmen. Die Bundesrepublik investiert im Bereich AI heute insgesamt so viel wie ein einzelnes chinesisches Großunternehmen. Wie sollen wir so als isolierter Nationalstaat mithalten? Zudem sehen wir mit der Digitalisierung und dem Klimawandel eine Umkehr des Generationenvertrags, der ja eigentlich besagt, dass Erwachsene die Welt so hinterlassen sollen, dass die nächste Generation gut darin leben kann und diese die Älteren im Gegenzug pflegt. Diese Umkehr wird beschleunigt, wenn wir uns abschotten und versuchen, globale Probleme national zu lösen. Deutschland altert, wir brauchen innereuropäische Migration. Wir müssen uns als EU mit der Frage beschäftigen, wie wir mit Migration umgehen. Nicht nationalstaatlich.

Was wären Wege, diesen Herausforderungen zu begegnen?

    Ich denke, wir müssen Lehrer befähigen, europäische Themen fächerübergreifend in den Unterricht einzubringen. Wenn Kinder über Napoleon lernen, sollten sie verstehen, dass das mit Europa zu tun hat und nicht einfach isolierter Geschichtsunterricht ist. Ich denke, bestehende Projekte wie Erasmus und Interrail müssten ausgebaut werden.

Wie sähe für Sie das ideale Europa aus?

    Drei Worte: „In Vielfalt vereint“. Das Ziel sollte eine europäische Bindestrich-Identität sein. Dafür müssen wir Werten, wie sie in der Charta der Menschenrechte verzeichnet sind, mehr Wertschätzung zukommen lassen und versuchen, sie auch in andere Gebiete einzupflegen, etwa die Technologie: Wir brauchen eine wertbasierte Digitalisierungspolitik.

Frau Cvitic, vielen Dank für das Gespräch.

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„Artificial Intelligence“: Der Globus in der Hosentasche

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„Artificial Intelligence“: Der Globus in der Hosentasche

Foto: Enrique Alarcon.

Die Risiken von AI klingen teils nach Science-Fiction. In der Realität durchdringt künstliche Intelligenz unseren Alltag jedoch bereits mehr als es viele glauben mögen. Die Möglichkeiten der AI-Technologie berühren Fragen der Mobilität genauso wie die globalen Herausforderungen unserer Zeit.

Die AI-Revolution: Mobilität und Verkehr

    „Artificial Intelligence“ alias AI revolutioniert bereits heute unsere Mobilität: In den USA bietet das Google-Tochterunternehmen Waymo einen selbstfahrenden Taxidienst für den öffentlichen Straßenverkehr an. Hinter dem Steuer sitzt dabei AI-Technologie. Zu Beginn dieses Jahres verkündete Bosch – der weltgrößte Hersteller für Autoteile – die Anzahl betriebsinterner AI-Experten bis 2021 auf 4 000 erhöhen zu wollen. Die Hauptbrutstätte der Technologie bildet aber ein Instrument, das viele von uns tagtäglich benutzen: Google. Unzählige Suchanfragen tragen hier zur Perfektion des maschinellen Lernens bei.

Waymo Self drivin taxi

In den USA bietet Waymo einen selbstfahrenden Taxidienst für den öffentlichen Straßenverkehr an. Foto: Waymo.

„Google Maps“: Der Globus in der Hosentasche

    Seit 2005 entwickelt Google „Maps“, seinen Karten- und Navigationsdienst, der in Echtzeit den Verkehr voraussagen, Straßen aus aller Welt abbilden und die Erde als Satellitenbild darstellbar machen kann. Obwohl „Google Maps“ in seiner jetzigen Form erst seit wenigen Jahren existiert, ist das Programm aus unserer täglichen Orientierung via Smartphone kaum mehr wegzudenken. Alternative Karten-Apps wie „Here Maps“ oder „Waze“ werden zwar auch weitläufig genutzt, im Vergleich mit Google wirken sie jedoch relativ unbedeutend.

    Auf Googles jährlicher I/O-Entwicklerkonferenz stellten Führungskräfte des Unternehmens im letzten Jahr eine Reihe von Ideen vor, wie „Maps“ sich zukünftig entwickeln soll: Selbstlernende Algorithmen sollen das Programm „persönlicher“ und „sozialer“ gestalten.

Dank Fortschritten in der AI-Technologie solle das Programm zu einer Art Guide werden, welcher der realen Welt vorgelagert werden kann.

Durch Googles mobile Bilderkennung, die in „Maps“ integriert werden soll, ließe sich das Smartphone dann einfach über einen Straßenzug schwenken, woraufhin Pop-ups auftauchen, die Orte in Echtzeit hervorheben. Mithilfe künstliche Intelligenz würde eine Art „Match Score“ integriert, eine Metrik, vergleichbar mit der Funktionsweise einer Dating-App, die angibt, wie wahrscheinlich es ist, dass der User Gefallen an einem Ort findet. Dass solche Anwendungen dieser Technologie unser räumliches Verständnis der Welt weiter verändern werden, steht außer Frage. Ob die Welt dadurch tatsächlich globaler und vernetzter wird – darüber haben wir mit der Direktorin der AI-Abteilung der Telekom, Claudia Pohlink, gesprochen. Claudia Pohlink wurde kürzlich von IBM mit einem „AI Women Leadership Award“ ausgezeichnet.

Die Direktorin der AI-Abteilung der Telekom, Claudia Pohlink. Foto: Claudia Pohlink.

Frau Pohlink, wie kamen Sie dazu, sich mit künstlicher Intelligenz zu beschäftigen?

    Ich komme aus dem Bereich der Data Science. AI hängt ja sehr stark von den zur Verfügung stehenden Daten ab und basiert auf analytischen Modellen und Methoden. So war es für mich nur ein logischer Schritt, sich in Richtung AI weiterzuentwickeln.

Worin bestehen in Ihren Augen Chancen und Risiken der AI für die Zukunft?

    Als neue Technologie bietet sie vielfältige Chancen, uns das Leben zu erleichtern und sicherer zu machen. Eintönige Aufgaben können automatisiert werden, sodass den Menschen mehr Zeit für kreative und geistige Tätigkeiten bleibt. Denn das sind die Felder, in denen wir im Vergleich zur AI unsere großen Stärken haben.

Schon jetzt kennen wir viele Anwendungsfelder im Alltag, in denen Sprachassistenten, Navigation oder Customer Experience beim Einkaufen diese Vorteile der AI greifbar machen. Aber auch in der Industrie bewegt sich schon viel, beispielsweise bei der Wartung der Netzinfrastruktur.

Wie bei jeder Technologie müssen wir natürlich auch realistisch bezüglich ihrer Risiken sein: AI kann beispielsweise in die Irre geleitet werden, sodass Ergebnisse verfälscht werden, was gefährliche Folgen haben kann. Diese Diskussion wird gerade unter dem Stichwort „Adversarial AI“ geführt.

In welchen Bereichen wäre ein solcher Missbrauch von AI besonders gefährlich?

    Vor allem beim autonomen Fahren und in der Medizintechnik. In solchen Bereichen müssen wir zu Recht sehr hohe Sicherheitsstandards anlegen. Neben dem aktiven Missbrauch können schlecht trainierte AI-Modelle zum Beispiel dazu führen, dass scheinbar objektive Ergebnisse Vorurteile verstärken. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz von AI bei der Personalauswahl, wo sie oft ungewollt bestimmte Bewerbergruppen diskriminiert.

Welchen Einfluss könnte AI auf unser Verständnis von Mobilität haben?

    Die Mobilität steht vor einem tiefgreifenden Wandel – und AI ist wesentlicher Bestandteil für viele dieser Veränderungen. Wir arbeiten beispielsweise an einem Piloten, der mithilfe von AI und dem künftigen 5G-Netzwerk einen Verkehrsstau minimieren kann, indem er Ampelschaltungen dynamisch optimiert. Wichtig beim Thema Mobilität ist für uns dabei zudem der positive Einfluss auf die Umwelt, denn effektiv geführter Verkehr reduziert die Umweltbelastung.

Selbstlernende Algorithmen sollen Google Maps „persönlicher“ und „sozialer“ gestalten. Foto: Annie Spratt.

Darüber hinaus wird AI dabei helfen, den Umstieg vom eigenen Auto auf einen flexibleren Mix von Carsharing, öffentlichem Nahverkehr sowie anderen Fortbewegungsmitteln einfach und bequem zu machen. Entsprechende Apps kombinieren mithilfe von AI alle möglichen Optionen und zeigen dem Nutzer automatisch die beste Kombination an.

Wie könnte AI in der Zukunft unsere Vorstellungen von Regionalität und Globalität beeinflussen?

    AI macht vor keiner Grenze halt. Wir stehen vor vielen globalen Problemen wie Erderwärmung, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, um nur einige zu nennen. AI kann zur Bewältigung dieser Herausforderungen wertvolle Beiträge leisten. Durch ihre Leistungsfähigkeit können Probleme besser analysiert, Folgen besser abgeschätzt und Lösungen besser geplant werden. Viele dieser Herausforderungen müssen auf globaler Ebene angegangen werden und hier hoffe ich, dass der Einsatz von AI uns stärker global zusammenarbeiten lässt. In den „Telekom Innovation Laboratories“ arbeiten wir etwa eng mit unseren AI-Sicherheitsexperten aus Israel zusammen. Nur durch eine solche internationale Kooperation können wir sicherstellen, dass wir unsere Anliegen schnell vorantreiben und die beste verfügbare Expertise einbringen.

Was sind in Ihren Augen ethische und technologische Herausforderungen, die wir dabei im Blick behalten müssen?

    Wie jede Technologie kann auch AI nicht in einem wertfreien Raum stattfinden. Viele große Unternehmen – so auch die Telekom – haben sich ethische Leitlinien zum Umgang mit AI gesetzt. Bezüglich der technologischen Aspekte wird die Verbindung von AI und „Quantum Computing“ in den nächsten Jahren noch von großer Bedeutung sein.

Mit Blick auf AI: Wie sähe für Sie die ideale Zukunft aus?

    Im Idealfall fiele AI in Zukunft gar nicht groß auf, sondern wäre einfach da und erleichtert uns das Leben – so ähnlich, wie wir heute Strom wahrnehmen.

Frau Pohlink, vielen Dank für das Gespräch.

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