Im frühen 18. und 19. Jahrhundert revolutionierte die Erfindung der Dampfmaschine das Transportwesen. Dampfbetriebene Schiffe und Züge machten das Reisen zu einer bezahlbaren Erfahrung und legten den Grundstein für die Globalisierung. Begriffe wie „Heimat“ und „Zugehörigkeit“ verloren dadurch an Bedeutung.
Ein modernes Verständnis von Heimat
„Heimat“, so formulierte es der Literat Martin Walser, „ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit.“ Ein Bruch mit der Tradition. Denn insbesondere im deutschen Sprachraum wird Heimat als eine Art höhere Sinngebung nationaler Identität verstanden: eine Verbindung des Menschen mit dem Territorium, in das er zufälligerweise hineingeboren wurde. Begriffe wie „Heimat“ und „Region“ wurden früher – und teils noch heute – als verklärte Kampfbegriffe gegen den technisch-industriellen Fortschritt mobilisiert. Tatsächlich wurde das romantische Heimatverständnis des 19. Jahrhunderts auch aufgrund der technischen Entwicklung, insbesondere jener der Dampfmaschine, torpediert. Ihr Einsatz befeuerte eine Utopie globaler Mobilität, ermöglichte sie doch erstmals sicheres Reisen mit Schiffen und Zügen.
Die Erfindung der Dampfmaschine
Ein kochender Teekessel soll den schottischen Erfinder der Dampfmaschine, James Watt, der Legende nach zur Entwicklung der Maschine inspiriert haben. Der dabei entstehende Dampf zwingt den Deckel des Kessels bekanntlich zum Aufsteigen. Watt erkannte darin die Kraft des Wasserdampfs. Er erfand die Dampfmaschine zwar nicht wirklich – ein Vorgängermodell existierte bereits – aber er verbesserte ihre Effektivität doch dramatisch. Im alten Modell wurde der Dampf im Zylinder mit kaltem Wasser kondensiert. Das daraus entstehende Vakuum zog den Kolben nach unten. Die alte Maschine schaffte so sechs bis acht Arbeitshübe pro Minute. Watt verlagerte die Kondensation aus dem Zylinder in ein separates Gefäß, in dem der Dampf nun schneller kondensierte: Der Zylinder blieb permanent heiß, die Maschine von Watt lief doppelt so schnell.
Die historische Bedeutung der Dampfmaschine
Die Dampfmaschine, so argumentierte Karl Marx 1847 in seiner Schrift „Das Elend der Philosophie“, beendete die Feudalherrschaft und bereitete den Weg für die industrielle Revolution sowie das kapitalistische Produktionszeitalter:
„Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“ Sicher entsprang die Dampfmaschine einer Epoche voller kreativem Erfindergeist. Und gewiss ist ihr Stellenwert für die Einleitung des Industriezeitalters nicht zu unterschätzen.
Gleichzeitig würde es sicher nicht schaden, den daraus ableitbaren technologischen Determinismen mit Skepsis zu begegnen: Wie der Buchdruck nicht der alleinige Grund für die wissenschaftliche Revolution, die Pille nicht die einzige Ursache der sexuellen Revolution und das Internet nicht der alleinige Faktor der Kommunikationsrevolution unserer Zeit war, so lassen sich die wirtschaftlichen, politischen und sozial-kulturellen Veränderungen, die die industrielle Revolution nach sich zog, nicht allein auf die Dampfmaschine zurückführen.
Nichtsdestotrotz trieben Dampfmaschinen schon kurze Zeit nach ihrer Einführung Spinnmaschinen und Webstühle an, die mit bislang undenkbarer Geschwindigkeit Textilwaren produzieren konnten, welche damals in ganz Europa gefragt waren. Die Dampfmaschine wurde rapide weiterentwickelt und beschleunigte schon bald nicht mehr nur neue Produktionszweige, sondern auch den Gütertransport. Ihr Einsatz in Lokomotiven, Schiffsmotoren und Turbinen legte den Grundstein für das Transportwesen, wie wir es heute kennen.
Sie revolutionierte das Schiffs- und Bahnsystem und ermöglichte länderübergreifendes Reisen für immer mehr Menschen. 1820 überquerte die „Savannah“ als erstes Dampfschiff den Atlantik. Der Linienverkehr für transatlantische Passagierreisen mit Dampfschiffen wurde knapp 20 Jahre später eröffnet. Segelschiffe machten 1870 noch 85 Prozent des gesamten Seeverkehrs aus, 1910 war dieser Anteil auf schmächtige 14 Prozent gesunken.
Das Ende der Heimatidee
Der traditionelle Begriff der „Heimat“ verlor durch die mit der Dampfmaschine in Gang gesetzte Mobilisierung an Bedeutung. Die Wertigkeit aber, die wir heute mit dem Begriff einer globalen Weltgemeinschaft verbinden, als einem Gegenpol zum heimeligen Regionalismus, beförderte sie nicht. Die Dampfmaschine und die durch sie angestoßene Industrialisierung beschleunigten kapitalistische Produktionsweisen, führten zu Bevölkerungswachstum und zur Verarmung großer Teile der Gesellschaft. Neue Transportmöglichkeiten verstärkten die Nachfrage nach Produkten aus aller Welt. Für Waren und Macht beuteten europäische Kolonialmächte im 19. Jahrhundert ganze Kontinente aus und versklavten die dort lebenden Bevölkerungsgruppen. Darüber hinaus führten die meist auf Kohleverbrennung basierten Dampfmaschinen zu ganz neuen Herausforderungen für unser Ökosystem.