Ein Bad in einem Onsen, Japans heiße vulkanische Quellen, gilt seit Jahrhunderten als erholsames und spirituelles Reinigungsritual von Körper, Geist und Seele. Erst mit der Kazusa-Bori-Tiefbohrtechnologie, die im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelt wurde, konnten öffentliche Bäder im großen Stil entstehen. Onsenbesuche wurden damit in der wachsenden Bevölkerung zum Massenphänomen.
Die Hitze knabbert an der Haut, der feste Druck der heißen Wassermassen umschließt den Körper wie eine wohltuende Umarmung und die dampfenden Wolken scheinen sich, heute genauso wie vor hunderten von Jahren, wie ein besänftigender Schleier über die hektisch hüpfenden Gedanken des Tages zu legen.
Seit jeher raucht, brodelt, zischt und blubbert in Japan überall da die Erde, wo sich ein Onsen, so nennt man die heißen vulkanischen Badequellen genauso wie die Wellness- und Kurorte drum herum, im Boden auftut.Schon im Mittelalter gönnte sich von der Landbevölkerung über den Städter bis hin zu den Königen jeder ein wohltuendes mineralisches Bad, das, neben einer äußerlichen Reinigung, allen voran ein inneres Reinigungsritual für Körper, Geist und Seele ist.
Ein langes Leben, eine glückliche Ehe, Gesundheit, Reichtum, Kindersegen – im Onsen traf sich nicht selten das ganze Dorf zu religiösen Baderitualen oder im Glauben an dessen mystische und heilende Wirkung.
Eine neue Technologie sorgt für Massenentspannung
Es muss zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielerorts aber nicht nur gedampft und geblubbert, sondern vor allem gehämmert und gewummert haben. Denn vulkanische Quellen gibt es im Land der 265 Vulkane zwar viele, allerdings ist es erst auf die Erfindung der Kazusa-Bori-Technologie im ausgehenden 19. Jahrhundert zurückzuführen, dass der Zugang zum wohltuenden Bad, dessen mineralisches Wasser tatsächlich einen positiven Effekt auf das Immunsystem, den Metabolismus und die Haut hat, auch wirklich einem Großteil der wachsenden Bevölkerung ermöglicht wurde.
Kazusa-Bori ist eine einfache, aber effektive Bohrtechnologie, die ursprünglich zum Erreichen tief liegender Trinkwasserressourcen entwickelt wurde und bei der die Spannkraft einer Bambusfeder für die Bohrung eingesetzt wird. Mit dieser Arbeitsweise lässt sich auch das brodelnde Wellnesswasser aus dem Boden befördern. Weil die Technik simpel ist, verbreitete sie sich so schnell im Land wie einem die Hitze im Onsen zu Kopf steigt. Mit den künstlichen Bohrungen hatte sich die Zahl der Badestellen mit natürlichem Wasser schnell vervielfältigt.
Karōshi bedeutet auf Japanisch „vor Überarbeitung sterben“
Bis heute ist ein Urlaub in einem der heute knapp 28 000 heißen Badequellen in über 6000 Onsen-Orten die beliebteste Form des japanischen Inlandstourismus, der oft in Form eines Kurztrips stattfindet. Angebote gibt es in allen Preiskategorien. Tatsächlich scheinen die Japaner ihre Wellness-Kurztrips auch wirklich nötig zu haben, immerhin kennt das Land mit Karōshi sogar ein Wort dafür, wenn man an Überarbeitung stirbt. Und der Etikette wegen werden nur selten alle einem zustehenden Urlaubstage eingereicht.
Heute schätzen jedenfalls auch Japanbesucher das „authentische“ Bad, das mittlerweile auch exportiert wird — dann aber meist als luxuriöses Spa-Konzept für die Oberschicht. Der einstige Zugang für alle durch technischen Fortschritt erlebt damit in der Gegenwart gewissermaßen eine Umkehr.