
Mehr als nur das Nötigste: Mit dem Privateigentum entstehen neue Machtstrukturen. Demonstrativer Müßiggang und demonstrativer Konsum definieren nun die Stellung des Individuums in der Gesellschaft. Im Zentrum von all dem steht das Kaufhaus.
Es ist ein milder Oktobertag, an dem Denise und ihre Brüder zum ersten Mal das Kaufhaus „Das Paradies der Damen“ in Émile Zolas gleichnamigem Werk erblicken. Hohe Glastüren, goldener Zierrat, glitzernde Schaufenster künden von der Ankunft der Moderne im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Diesem gegenüber, sowohl geografisch als auch metaphorisch, steht der dunkle, verstaubte Laden des Onkels: Eine Tuch- und Flanellhandlung, wie es sie damals zu Tausenden gab. Bereits auf den ersten Seiten des Buches, für dessen Recherche Zola umfangreiche betriebswirtschaftliche und soziologische Studien durchführte, wird klar, wem die Zukunft und das Herz der Konsumenten gehören wird – das Kaufhaus hat seinen unaufhaltsamen Siegeszug angetreten. Das Nachsehen hat der spezialisierte kleingewerbliche Einzelhandel, der mit diesem Fortschritt nicht mithalten kann – ein Blueprint einer Narrative, die sich in der Geschichte des Handels noch häufiger wiederholen wird.
Die ersten Kaufhäuser sind Ausflugsziele fürs Wochenende
So reisten die Menschen extra an, um die ersten Kaufhäuser zu besuchen. Da seit dem Jahr 1828 die ersten Omnibusse durch Paris fuhren, konnten auch die Bewohner entlegener Stadtviertel bequem in das Zentrum zum Le Bon Marché fahren, das 10 Jahre später in Paris eröffnete. In Deutschland besuchte man ab dem Jahr 1876 die rapide expandierenden Wertheim-Warenhäuser. „Wenn man heute in einer Familie hört: Wir gehen zu Wertheim“, stellte Gustav Stresemann im Jahr 1900 fest, „so heißt das nicht in erster Linie, wir brauchen irgend etwas besonders notwendig für unsere Wirtschaft, sondern man spricht von einem Ausfluge, den man etwa nach irgend einem schönen Orte der Umgebung macht.“
Man muss sich das einmal bildlich vorstellen: Der schiere Luxus der abendlichen elektrischen Beleuchtung, der ausladenden Kaufhausarchitektur und der ungewohnten Warenpracht waren ein Novum für die Besucher dieser Konsumtempel. Nun konnte jedermann einen Moment dessen kosten, was es bedeutet, Geld zu haben und die Annehmlichkeiten der Moderne zu genießen. Auch damals schon war es der Kick des Neuen, die Experience, der die Leute in die Läden lockte.

Das Einkaufszentrum “Le Bon Marché” eröffnete 1838 in Paris. Foto: Albert Chevojon (1865-1925), photo vers 1900, domaine Public – Intérieur du Bon Marché, Archives Moisant-Savey, Photo vers 1900 Domaine public, Gemeinfrei
Verführung durch psychologische Tricks
Zeitgenossin Kate Chopin beschreibt in ihrer Kurzgeschichte, A Pair of Silk Stockings, die im Jahr 1897 in der amerikanischen Vogueerschien, über die verführerische Kraft dieser Konsumtempel. Darin gönnt sich eine Frau, die Tag ein Tag aus um das Auskommen ihrer Familie kämpft, nach dem zufälligen Berühren eines Paars Seidenstrümpfe, die als „schlangengleich“ beschrieben werden, einen Tag des Luxus, ohne über die – möglicherweise verheerenden – finanziellen Konsequenzen nachzudenken. Sie kauft die Seidenstrümpfe, und, weil es sich so gut anfühlt, kauft sie auch gleich noch Maßhandschuhe. Anschließend nimmt sie im Restaurant eine nachmittägliche Stärkung zu sich und kauft für den Abend ein Theaterticket.
Dass sich hinter den Verlockungen des Konsums auch damals schon psychologisches Kalkül verbarg, beschreibt Zolá ebenfalls in seinem Kaufhaus-Roman: „Alles lief auf die Ausbeutung der Frauen hinaus. Die Warenhäuser […] lockten sie in die Falle ihrer Gelegenheitskäufe. Sie weckten neue Wünsche in den Frauen, sie bildeten eine ungeheure Versuchung, der jede zum Opfer fiel, ob sie auch anfangs als gute Hausfrau nur billig einzukaufen gedachte […] Und unter Mourets [Anm d. Red. der Inhaber des Kaufhauses] liebenswürdigem Wesen verbarg sich die Mißachtung [sic] des Mannes der Frau gegenüber, die die Dummheit begangen hat, sich ihm hinzugeben.“ So gab es zum Einkauf auch damals schon ein schlechtes Gewissen (und einen gehörigen Schuss Frauenhass) obendrauf.
Das ausgehende 19. Jahrhundert etablierte das Shoppen als Freizeitbeschäftigung. Im angehenden 20. Jahrhundert setzte sich dieser Trend fort; er wurde zunehmend demokratisiert. Das Kaufhaus bleibt ein fester Bestandteil der Handelslandschaft, doch es bekommt auch neue Konkurrenz.