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Kompendium: Domesticated Ecosystems

Wir leben im Anthropozän. Es ist das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf der Erde geworden ist. Was bedeutet das für die Ökosysteme der Erde? Der Versuch einer Zustandsbeschreibung.  

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Im Rahmen der UN-Konvention über die biologische Vielfalt wollten die 196 Vertragsstaaten bis 2030 weltweit das Artensterben stoppen, Ökosysteme wiederherstellen und Entwicklungsländer im Naturschutz unterstützen. Keines der Ziele wurde erreicht. Wie sieht die Zukunft der biologischen Vielfalt aus?

Kompendium: Domesticated Ecosystems

„Künftig werden wir dem traditionellen Wissen indigener Völker Gehör schenken.” Florian Titze ist Referent für internationale Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland. Qiio hat mit ihm über ein Zukunftsszenario gesprochen, in dem der Mensch im Einklang mit der Natur lebt.

Kompendium

Wir Menschen sind eine recht junge Spezies auf der Erde, dennoch haben wir in kurzer Zeit Landschaften und Ökosysteme in einer Weise domestiziert, die unsere Nahrungsversorgung verbesserte, die Raubtiere und natürliche Gefahren reduzierte und den Handel förderte. Das führte jedoch auch zu unvorhergesehenen Veränderungen in den Ökosystemen, wobei nur wenige wirklich wilde Orte auf der Erde übrig geblieben sind. Angesichts der weiter fortschreitenden Domestizierung des Planeten versucht der Mensch, einzelne Ökosysteme gezielt zu schützen und sogar künstliche Ökosysteme zu schaffen, mit dem Ziel, den Planeten und somit auch sich selbst zu retten. Wird ihm das gelingen?

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Vor 10 000 Jahren begann der Mensch, systematisch Getreide anzubauen. Ackerbau und Viehzucht machten aus den Sammlern und Jägern sesshafte Menschen. Pflanzen wurden nicht nur angebaut, sondern auch domestiziert und damit ganze Landstriche verändert, wie sich im Reisanbau zeigt.

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Es ist das Jahr 1991, als in Arizona ein ambitioniertes Projekt unter dem Namen Biosphäre 2 startet: ein Modellversuch, künstlich ein autarkes Ökosystem zu schaffen und damit das Fortbestehen der Menschheit auf anderen Planeten zu sichern.

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Pflanzen und Tiere werden Untertanen – Der Beginn der Landwirtschaft

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Pflanzen und Tiere werden Untertanen – Der Beginn der Landwirtschaft

Der Reisanbau und die damit zusammenhängende Veränderung ganzer Landstriche ist ein Beispiel für den Beginn des menschlichen Umweltfußabdrucks. Bild: Rob M.

Vor etwa 10 000 Jahren begann der Mensch, systematisch Getreide anzubauen. Ackerbau und Viehzucht machten aus den nomadisierenden Sammlern und Jägern, die sich von Fleisch und essbaren Pflanzenteilen ernährten, sesshafte Menschen. Pflanzen wurden nicht nur angebaut, sondern im Laufe der Zeit auch domestiziert. Ein Beispiel dafür ist der Reisanbau in Korea seit ca. 3000 Jahren und die damit zusammenhängende Veränderung ganzer Landstriche. Der Beginn des menschlichen Umweltfußabdrucks.

Unwissentlicher Eingriff durch den Menschen

Als die Menschen vor etwa 10 000 Jahren begannen, Wildpflanzen anzubauen, begannen sie auch unwissentlich, die jeweiligen Pflanzen zu verändern. In Asien war es Reis, in Amerika Mais, in Afrika Hirse, in Vorderasien Emmer (ein Vorläufer des Weizen) und in nordischen Regionen Gerste und Roggen. Die schrittweise Domestizierung war in allen Regionen ähnlich: Pflanzen mit größeren Körnern wurden kleineren Körnern vorgezogen. Reife Körner, die nicht so schnell zu Boden fielen, wurden mehr gesammelt als jene von Pflanzen, deren reife Körner schnell zu Boden fielen, denn das Aufsammeln vom Boden war weniger bequem. Als der Mensch die gesammelten Körner dann auch aussäte, begann er, bestimmte Eigenschaften der Pflanzen zu selektieren. Für die Wildpflanzen war es weiterhin von Vorteil, ihre Körner schnell zu verstreuen, bei den vom Menschen angebauten Pflanzen hingegen war es besser, wenn die Körner lange an der Pflanze verblieben. Leichte Aussaat, leichte Ernte und höherer Ertrag lösten die natürliche Selektion ab. Im Laufe von Jahrtausenden entstanden Kulturpflanzen, die heute gänzlich von menschlicher Pflege abhängen. ​​Die systematische Domestizierung hat unsere Beziehung zum Boden und zu den Pflanzen grundlegend verändert.

Der Weg zur Sesshaftigkeit

Klima, Boden und landwirtschaftliche Tradition haben jeweils ihre ganz eigenen Formen und Besonderheiten der Kultivierung des Korns hervorgebracht. Wie beim Reisanbau deutlich wird, haben sie dabei auch immer die Landschaft geprägt. Es stellte sich heraus, dass es vorteilhaft war, den Boden von anderen Pflanzen zu befreien, bevor man gezielt Körner säte. Für den Anbau von Reis wurde die Bewässerung immer wichtiger, für die menschliche Strukturen wie Wasserreservoirs und Dämme notwendig wurden. Die Menschen benötigten für die immer stärkeren Eingriffe in die Landschaft nun eine Infrastruktur, die ein Nomadenleben unmöglich machte. Zudem wuchsen mit steigenden Ernten auch die Bevölkerungszahlen, sodass die Menschen letztlich auf eine sesshafte Lebensweise angewiesen waren, um ausreichend Nahrungsmittel produzieren zu können.

Für den Reisanbau entstanden mit der Zeit spezielle Terrassensysteme, die sich in die Landschaft schmiegten, als wären sie natürlich gewachsen. Bild: Jialiang Gao

Erster Nassanbau von Reis

Für den Reisanbau entstanden mit der Zeit spezielle Terrassensysteme, die sich in die Landschaft schmiegten, als wären sie natürlich gewachsen. Der genaue Ursprung des Reisanbaus ist umstritten. Die ersten eindeutigen Nachweise für den großflächigen Nassanbau von Reis vor ca. 3000 Jahren finden sich in Korea in Form von speziell angelegten Reisfeldern mit Terrassenbauweise und stetiger Wasserzufuhr. Über Kanäle, Tunnel und Aquädukte wurde Wasser zu den Reisfeldern geführt und es wurden hochgelegene Wassersammelbecken angelegt, um den Anbau des pflegebedürftigen Getreides zu ermöglichen. Heute sind Reisterrassen etwa auf Bali, den Philippinen und in Japan beliebte Touristenattraktionen. Aufgrund der Hanglage vieler Reisfelder war und ist viel Handarbeit notwendig und damals wie heute wurden häufig Wasserbüffel eingesetzt, um die Felder zu pflügen. Die künstlich angelegten Systeme benötigen intensive Pflege durch den Menschen, weshalb heute viele Reisterrassen infolge der Verstädterung dem Verfall überlassen sind.

So harmonisch die Reisterrassen aussehen mögen, ihre Auswirkungen auf die Umwelt sind schon lange erheblich und nehmen weiter zu. Pro Kilogramm geernteten Reis sind im Nassanbau 3000 bis 5000 Liter fließendes Wasser notwendig. Bild: Merbabu

Der Beginn des menschlichen Umweltfußabdrucks

So harmonisch die Reisterrassen aussehen mögen, ihre Auswirkungen auf die Umwelt sind schon lange erheblich und nehmen weiter zu. Heute stammt 90 % des weltweit angebauten Reis‘ aus Südasien, insbesondere aus China, Indien und Thailand. Pro Kilogramm geernteten Reis sind im Nassanbau 3000 bis 5000 Liter fließendes Wasser notwendig. Zudem ist der wassergetränkte, sauerstofffreie Boden idealer Nährboden für methanbildende Organismen, wodurch der Reisanbau einen erheblichen Anteil am Treibhauseffekt hat, denn Methan ist rund 25-mal klimaschädlicher als CO₂. Am Reisanbau zeigt sich, wie das Land und der Boden zur Ressource für das menschliche Wachstum wurden. Die Weltbevölkerung wuchs explosionsartig und damit auch die Ansprüche an die Ökosysteme. Mit der Domestizierung von Nahrungsquellen veränderte sich das Selbstverständnis des Menschen, der sich die Natur immer mehr zu untertan machte. Die natürliche Umwelt war nicht mehr nur Lebensraum, sondern wurde als Ressource wahrgenommen, um die menschliche Bevölkerung zu versorgen. Diese Abhängigkeit von der Landwirtschaft war nicht nur der Beginn unseres Umweltfußabdrucks, der bis heute kontinuierlich ansteigt, sondern auch von der Entfremdung zwischen den Menschen und allen anderen Organismen der Erde.

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Kompendium: Domesticated Ecosystems

Biosphäre 2 – eine Erde im Miniaturformat, wo das Überleben scheiterte

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Biosphäre 2 – eine Erde im Miniaturformat, wo das Überleben scheiterte

1991 startet in Arizona das Projekt Biosphäre 2: ein Modellversuch, künstlich ein autarkes Ökosystem zu schaffen, das das Fortbestehen der Menschheit auf anderen Planeten sichert. Bild: John de Dios

Es ist das Jahr 1991, als in Arizona in den USA ein ambitioniertes Projekt unter dem Namen Biosphäre 2 startet: ein Modellversuch, künstlich ein autarkes Ökosystem zu schaffen und damit das Fortbestehen der Menschheit auf anderen Planeten zu sichern.

Nur zwanzig Jahre nach der ersten Landung auf dem Mond wird der erste Versuch unternommen, das Leben auf der Erde in einem völlig geschlossenen Ökosystem nachzuahmen. Die Biosphäre 2 in der Wüste von Arizona soll die Biosphäre 1, die Erde, imitieren. Es ist das luftdichteste System, das je gebaut wurde, dreißigmal dichter als das Space Shuttle, das ein paar Jahre zuvor ins All geschickt wurde. Bei diesem Versuch werden keine Kosten und Mühen gescheut, um unter der imposanten Glaskuppel verschiedene Lebensräume nachzubilden und so eine künstliche Version der Erde zu erschaffen: Wüste, tropischer Regenwald, Savanne, Mangrovensumpf und Ozean. Auch Landwirtschaft und Wohnraum sind Teil des abgeschlossenen Bauwerks mit über 3800 Tier- und Pflanzenarten, die von allen Kontinenten zusammengetragen werden.

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Fortbestehen in Weltraumkolonien sichern

Ziel der Mission ist es, das Ökosystem Erde zu reproduzieren und zu erforschen, ob ein solches Modell menschliches Leben auf anderen Planeten ermöglichen kann, daher ist auch die NASA besonders interessiert an den Ergebnissen. Finanziert wird das Unterfangen von dem Erbmilliardär Edward Bass, dessen Vermögen ursprünglich aus Ölfirmen stammt und der sich nun dem Umweltschutz widmen möchte. Die Vision ist es, Erkenntnisse zu gewinnen, um den Fortbestand des Menschen zu sichern – auch auf dem Mond und dem Mars. Zu diesem Zweck verbringt ein achtköpfiges Forscher*innenteam genau zwei Jahre im Inneren der Glaskuppel, ohne Luft- und Materialaustausch mit der Außenwelt. Einzig Sonnenlicht und elektrische Energie dringen von außen in die Biosphäre 2 ein.

Um das Leben in einem geschlossenen Ökosystem nachzuahmen, verbringt ein achtköpfiges Forscher*innenteam zwei Jahre im Inneren der Biosphäre 2 Glaskuppel, ohne Luft- und Materialaustausch mit der Außenwelt. Bild: Katja Schulz

Den Forscher*innen geht die Luft aus

Trotz des enormen Aufwands, mithilfe von Pumpen, Ventilatoren und Filtern das autarke System aufrechtzuerhalten, werden die Lebensbedingungen für die Forscher*innen zunehmend schwieriger. Der Sauerstoff im Inneren reicht nicht aus, sodass von außen Sauerstoff zugeführt werden muss. Außerdem breiten sich Ameisen und Kakerlaken überproportional schnell aus. Vögel und Insekten sterben, wodurch die Nutzpflanzen nicht mehr bestäubt werden. Die Forschergruppe im Inneren verliert dramatisch an Gewicht und leidet zunehmend unter psychischen Problemen. Nach Beendigung des ersten Experiments startet einige Jahre später ein weiteres, doch auch beim zweiten Anlauf stellt sich heraus, dass die Biosphäre 2 das Ökosystem Erde nicht ersetzen kann. Der Versuch, die Ökosysteme der Erde zu imitieren, ist gescheitert.

Zwanzig Jahre nach dem ersten Earth Day im Jahr 1970 ist die Bilanz der zweiten Ausgabe des medienwirksamen Klimaschutztages im April 1990 verheerend. Das zeigen auch Bilder aus dem All, die die fortschreitende Entwaldung der Erde und Ölfilme auf den Ozeanen dokumentieren. Bild: DLR/Alejandro Morellon

Zwanzig Jahre nach dem ersten Earth Day

Die Experimente in Biosphäre 2 finden in einer Zeit statt, in der in den USA schon lange über Umweltfragen diskutiert wird. Zwanzig Jahre nach dem ersten Earth Day im Jahr 1970 ist die Bilanz der zweiten Ausgabe des medienwirksamen Klimaschutztages im April 1990 verheerend. Innerhalb von zwanzig Jahren sind Artensterben und Umweltverschmutzung auf der Erde nicht zurückgegangen, sondern ganz im Gegenteil immer weiter vorangeschritten. Das zeigen auch Bilder aus dem All, die die fortschreitende Entwaldung der Erde und Ölfilme auf den Ozeanen dokumentieren. In diesem Kontext entsteht dieser Modellversuch, der das Überleben der Menschen auf anderen Planeten sichern soll.

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Die Erde ist endlich, doch ihre Zerstörung geht weiter

Ein Fazit, das aus Biosphäre 2 gezogen werden kann: Die Erde ist zu komplex, als dass sie sich einfach in einem Riesengewächshaus reproduzieren und auf den Mars exportieren ließe. Die Unfähigkeit, genügend Luft zum Atmen, Trinkwasser und ausreichend Nahrung für nur acht Menschen zu erzeugen, trotz einer Investition von 200 Millionen Dollar und über 8350 Quadratmetern Biomasse, wird von vielen Wissenschaftler*innen als kolossaler Fehlschlag angesehen. Wie Biosphäre 2 gezeigt hat, kann es keine künstliche Bubble geben, die groß genug für alle sieben Milliarden von uns wäre und selbst wenn es sie gäbe, würden wir wahrscheinlich innerhalb weniger Monate ersticken. Obwohl der Name Biosphäre 2 nahelegt, es könnte sich um eine Weiterentwicklung der Biosphäre 1, der Erde, handeln, bleibt es bei einer schlechten Imitation. Trotz der Erkenntnis, dass sich die natürlichen Ökosysteme nicht künstlich erhalten oder gar auf andere Planeten verpflanzen lassen, ist der Schutz der Erde noch immer nicht zur obersten Priorität geworden. Das zeigt sich deutlich an der fortschreitenden Zerstörung der Erde.

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Domestizierte Ökosysteme – Nur noch 1,4% der Erde ist Wildnis

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Domestizierte Ökosysteme – Nur noch 1,4% der Erde ist Wildnis

Bild: Jet dela Cruz

Unsere Gegenwart wird gemeinhin als Anthropozän bezeichnet. Es ist das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf der Erde geworden ist. Was bedeutet das für die Ökosysteme der Erde? Der Versuch einer Zustandsbeschreibung.

Die Erde als Ressourcenlieferantin

In den letzten 70 Jahren hat der Mensch die Ökosysteme schneller und umfassender verändert als in jedem vergleichbaren Zeitraum in der Geschichte der Menschheit, vor allem um den schnell wachsenden Bedarf an Nahrungsmitteln, Frischwasser, Holz, Fasern und Brennstoffen zu decken. Dieser Einfluss hat zu einem erheblichen und weitgehend irreversiblen Verlust der Vielfalt des Lebens auf der Erde geführt.

Städte wachsen weiter

Städte sind sicherlich die intensivste Form der Domestizierung des Planeten. Jedes Element einer Stadt wird bewusst oder unbewusst durch den Menschen ausgewählt, wie zum Beispiel die Flora und Fauna, die sich oft deutlich von der in ländlichen Gebieten unterscheiden. Dazu kommt, dass jede Stadt Ressourcen importiert und Abfall exportiert, und zwar in eine Region, die räumlich viel größer ist, als es das Stadtgebiet selbst ist. Und obwohl Städte insgesamt eine relativ kleine Fläche der Erdoberfläche einnehmen, sind ihre Wachstumsprognosen erheblich. Bis zum Jahr 2030 wird es 1,75 Milliarden mehr Stadtbewohner geben, was zu einer neuen städtischen Gesamtfläche von der Größe Kaliforniens führen wird – eine Fläche größer als Deutschland.

Obwohl über 14 % der Landfläche der Erde als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist, steht der größte Teil dieser Landschaften dennoch unter dem Einfluss und der Nutzung des Menschen. Bild: Red Charlie

1,4 % der Erde ist Wildnis

Laut Stand von 2006 sind über 14 % der Landfläche der Erde als Naturschutzgebiet ausgewiesen, der größte Teil dieser Landschaften steht dennoch unter dem Einfluss und der Nutzung des Menschen. Die als Wildnisgebiete ausgewiesenen Gebiete machen nur 1,4 % der Landoberfläche der Erde aus. Die häufigste Form des Naturschutzes ist dabei die Einrichtung von Naturschutzgebieten oder Nationalparks. In Deutschland sind es übrigens gerade einmal 0,6 % Wildnisgebiete. Doch auch sie bekommen die menschengemachten Veränderungen wie den Klimawandel und die Verschmutzung der Umwelt zu spüren.

Domestizierte Natur in ihrer einfachsten Form bedeutet Natur, die ausgebeutet und kontrolliert wird. Zu diesem Zweck wurden etwa 50 % der Weltfläche in Weideland oder Ackerland umgewandelt. Bild: Dawid Zawila

50 % der Weltfläche sind Weideland

Domestizierte Natur in ihrer einfachsten Form bedeutet Natur, die ausgebeutet und kontrolliert wird. Zu diesem Zweck wurden etwa 50 % der Weltfläche in Weideland oder Ackerland umgewandelt. Mehr als die Hälfte der Wälder der Welt sind bei dieser Umwandlung verloren gegangen. Um sich und seine domestizierten Tiere zu schützen, hat der Menschen fast alle großen Raubtiere der Welt in die Nähe der Ausrottung getrieben und damit viele Ökosysteme aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Biomasse wildlebender Säugetiere ist um 82 % zurückgegangen, natürliche Ökosysteme haben etwa die Hälfte ihrer Fläche verloren und eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht, darunter ein Drittel der riffbildenden Korallen und fast ein Drittel aller anderen Meeresarten. All dies ist größtenteils das Ergebnis menschlichen Handelns, so eine 2019 veröffentlichte UN-Studie, die über drei Jahre hinweg von mehr als 450 Wissenschaftlern und Diplomaten erstellt wurde.

Menschliche Versuche der Risikobewältigung

Um Eigentum und Leben zu schützen, greift der Mensch erheblich in die Erde ein. Die vermeintliche Reduktion von Risiken durch Naturkatastrophen kann sich jedoch auch ins Gegenteil umkehren. Natürliche Waldbrände zum Beispiel treten ohne menschliche Eingriffe häufiger auf, sind aber weniger zerstörerisch. Die Brandbekämpfung durch den Menschen macht Brände seltener, aber wenn es brennt, sind die Waldbrände deutlich zerstörerischer und kaum zu kontrollieren. In sturmgefährdeten Küstengebieten können befestigte Deiche vor einer großen Welle schützen, doch befestigte Küstenlinien beeinträchtigen die Fähigkeit von Sümpfen und Feuchtgebieten, sich angesichts des steigenden Meeresspiegels einfach ins Landesinnere zurückzuziehen.

Allein in Europa sind 22 000 km2 der Küstenlinie künstlich mit Beton oder Asphalt bedeckt und dort, wo die Küsten stark erodieren, wird über die Hälfte durch künstliche Strukturen des Menschen stabilisiert. Heute sind Wanderer und Viehzüchter weniger gefährdet durch große Landraubtiere, aber Ökosysteme ohne große Fleischfresser erleben dramatische Ausbrüche von Pflanzenfresserpopulationen, die ökologische Verwüstungen anrichten. Zur Kontrolle von Flüssen für Bewässerung, Wasserkraft und Hochwasserschutz hat der Mensch so viele Dämme gebaut, dass in ihnen heute fast sechsmal so viel Wasser gespeichert wird als in frei fließenden Flüssen. Und nur noch ein Drittel aller Flüsse der Erde ist frei fließend.

Zur Kontrolle von Flüssen für Bewässerung, Wasserkraft und Hochwasserschutz hat der Mensch so viele Dämme gebaut, dass in ihnen heute fast sechsmal so viel Wasser gespeichert wird als in frei fließenden Flüssen. Bild: Boris Misevic

Die ungebremste Domestizierung des Planeten als Ressourcenlieferant steht im Widerspruch zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Das sehen wir z. B. in Europa, wo es nur noch wenig biologische Vielfalt, aber viele Monokulturen gibt und wo der Ressourcenverbrauch extrem hoch ist. Es ist eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung des Anthropozäns, grundlegende Veränderungen herbeizuführen, um die Ökosysteme auf dem Land und im Wasser zu bewahren. Ohne sie kann es auch die für uns lebensnotwendigen Ökosystemleistungen wie sauberes Wasser, frische Luft und Nahrungsmittel nicht geben. Zerstören wir sie weiter wie bisher, indem wir ungebremst Ressourcen entnehmen und die Erde verschmutzen, nehmen wir uns selbst die Lebensgrundlage. Die planetaren Grenzen der Erde sind erreicht. Wir können nicht auf andere Planeten ausweichen. Es führt kein Weg daran vorbei, unseren Umgang mit der Erde und ihren Ökosystemen grundlegend zu ändern. Und dafür bleibt nicht mehr viel Zeit.

Weiterlesen Wie retten wir die biologische Vielfalt? Ziele bis 2030!
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Kompendium: Domesticated Ecosystems

Wie retten wir die biologische Vielfalt? Ziele bis 2030!

Kompendium: Domesticated Ecosystems

Wie retten wir die biologische Vielfalt? Ziele bis 2030!

Vielleicht liegt in Zukunft der einzige Lebensraum vieler Arten hinter Glas oder Gittern. Bild: Vidar Nordli Mathisen

Wie grundlegend der Schutz der Erde für uns Menschen ist, wird auch Regierungen immer klarer. Die UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) hat sich zum Ziel gesetzt, weltweit Ökosysteme wiederherzustellen, das Artensterben zu stoppen und Entwicklungsländer im Naturschutz zu unterstützen. Die 196 Mitgliedstaaten haben nun konkrete Meilensteine bis zum Jahr 2030 formuliert, die helfen sollen, im Jahr 2050 ein „Leben im Einklang mit der Natur” zu erreichen.

Ein neuer globaler Rahmen für den Umgang mit der Natur bis 2030

Die Vision, die von den Mitgliedstaaten der UN Convention on Biological Diversity (CBD) formuliert wurde, lautet: „Leben im Einklang mit der Natur”. Diese Vision soll im Jahr 2050 erreicht sein. Um sich ihr anzunähern, verpflichten sich die knapp 200 Mitgliedstaaten zu konkreten Meilensteinen, die bereits bis zum Jahr 2030 erreicht sein sollen. Ursprünglich sollte die multinationale Erklärung bereits 2020 verabschiedet werden. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie soll dies nun im Frühjahr 2022 geschehen. Dann bleiben nur noch acht Jahre für das Erreichen der ambitionierten Ziele. Was haben sich die Mitgliedstaaten vorgenommen?

Die konkreten Umweltschutzziele bis 2030

Die neuen Ziele sollen weltweit mindestens 30 % der Land- und Meeresgebiete unter Schutz stellen, insbesondere jene, denen eine besondere Bedeutung für die biologische Vielfalt und den Menschen beigemessen wird. Gefährdete Arten sollen sich erholen können, sowohl in freier Wildbahn als auch in Nachzuchtprogrammen. Invasive, gebietsfremde Arten sollen bekämpft oder ausgerottet werden, um ihre negativen Auswirkungen zu verringern. Außerdem sollen zwei Drittel weniger Pestizide in die Umwelt gelangen als bisher. Es soll zudem keine Plastikmüllentsorgung mehr in die Umwelt erfolgen. In Anlehnung an das Pariser Klimaabkommen sollen mindestens zehn Gigatonnen CO2 pro Jahr dafür aufgewendet werden, die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren. Diese Menge entspricht ungefähr einem Drittel des jährlichen globalen Gesamt-CO2-Ausstoßes von ca. 36 Milliarden Tonnen Kohlendioxid.

Gefährdete Arten, wie dieser Hyazinth-Ara, sollen sich unter den neuen Umweltschutzzielen erholen können. Bild: Benny Kirubakaran

Darüber hinaus sollen Anreize reduziert werden, die der biologischen Vielfalt schaden, das können zum Beispiel staatliche Subventionen sein, die nicht nachhaltige Land- und Forstwirtschaft unterstützen. Diese Anreize sollen um 500 Milliarden Dollar pro Jahr reduziert werden. Ein wichtiger Bestandteil des Vertrages sind die mindestens 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr, die von den Staaten in die Umsetzung der Ziele investiert werden und von denen mindestens 10 Milliarden US-Dollar pro Jahr an Entwicklungsländer fließen sollen. Damit sollen ärmere Regionen in der Umsetzung der Umweltziele unterstützt werden. Indigenen Völkern wird die nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Lebensräume und somit der Erhalt ihrer Lebensgrundlage ausdrücklich zugesichert, auch in den als Schutzzonen ausgewiesenen Gebieten.

Hinter uns liegt ein verlorenes Jahrzehnt für den Schutz der Erde

Die UN-Konvention, deren Unterzeichnung unmittelbar bevorsteht, ist nicht die erste ihrer Art. Bereits im Jahr 1993 trat die erste UN-Konvention über die biologische Vielfalt in Kraft. Sie ist das wichtigste multilaterale Vertragswerk für den Schutz der Biodiversität auf der Erde mit all ihren Ökosystemen und ihrer Artenvielfalt. Die 196 Mitgliedsstaaten hatten sich das Ziel gesetzt, die Vielfalt des Lebens auf der Erde zu schützen, zu erhalten und deren nachhaltige Nutzung so zu organisieren, dass möglichst viele Menschen heute und auch in Zukunft davon leben können. Im Jahr 2011 wurden darauf aufbauend im japanischen Aichi durch die UN-Konvention die sogenannten Aichi-Ziele verabschiedet. Sie sollten tiefgreifende Veränderungen zum Schutz des Planeten bis zum Jahr 2020 erwirken (beim Bundesamt für Naturschutz ist eine deutschsprachige Fassung der Ziele abrufbar). Heute steht fest, dass keines der Ziele erreicht wurde – das geht aus dem Abschlussbericht der UN-Konvention hervor. Das Artensterben geht rasanter vonstatten denn je, Entwaldung und Landwirtschaft schreiten weiter voran und die Ausbeutung von Rohstoffen ist auf einem Höchststand angelangt. Die Weltgemeinschaft ist in ihren Schutzbemühungen extrem gescheitert.

Dieser Teil des Amazonas-Regenwaldes war vor wenigen Jahrzehnten noch tiefgrün. Bild: Astro Alex

Es ist noch nicht zu spät für eine Trendwende

Laut dem letzten Bericht der CBD ist es trotz des Scheiterns der Aichi-Ziele noch nicht zu spät, um den derzeitigen Trend der Umweltzerstörung umzukehren. Umweltschutzorganisationen begrüßen die neuen Ziele für das Jahr 2030. Doch angesichts des verlorenen Jahrzehnts, das hinter uns liegt, müssen wir hinterfragen, wie und ob sich die ambitionierten und dringend notwendigen Schutzbemühungen auch in die Tat umsetzen lassen. Da die UN-Konvention auf Selbstverpflichtung basiert, gibt es keine Sanktionen für die Nichteinhaltung der Ziele. Außerdem ist ein transparentes Monitoring der Umsetzung extrem schwierig, da jeder Staat selbst entscheidet, welche Informationen er weitergibt. So kann nicht transparent verglichen werden, welche Länder gut dastehen und welche Länder noch Unterstützung brauchen, damit sie die Ziele, zu denen sie sich bekannt haben, erreichen können. Noch immer ist der Schutz unserer Erde und ihrer endlichen Ressourcen nicht die oberste Priorität der Regierungen. Wenn jedoch die Ziele der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt konsequent umgesetzt werden, kann es schon im Jahr 2030 besser um die Erde stehen als heute. Dafür bedarf es größtmögliche Anstrengungen aus Politik, Wirtschaft und nicht zuletzt aus der Zivilgesellschaft.

Weiterlesen 2100: Nur noch Handeln nach dem Prinzip der planetaren Grenzen
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Kompendium: Domesticated Ecosystems

2100: Nur noch Handeln nach dem Prinzip der planetaren Grenzen

Kompendium: Domesticated Ecosystems

2100: Nur noch Handeln nach dem Prinzip der planetaren Grenzen

Bild: Kitkariver

Florian Titze ist Referent für internationale Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland. Für Qiio zeichnet er eine spannende Zukunftsvision für das Jahr 2100 und spricht über den Wert von Ökosystemen, fleischfreie Ernährung und ein Leben im Einklang mit der Natur.

Herr Titze, Sie sind direkt an den Verhandlungen der UN-Konvention über biologische Vielfalt CBD (Convention of Biological Diversity) beteiligt und kennen die Umweltschutzziele bis zum Jahr 2030 ganz genau. Eines der Ziele ist, dass 30 % der Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden sollen. Wie realistisch erscheint Ihnen das? (Im Kompendiumstext „morgen” geht es um die konkreten Ziele des Vertrags)

Es ist natürlich ein sehr ambitioniertes Ziel, weit weg von dem, was aktuell geschützt ist. Aber es ist absolut notwendig, um die Fläche zu schützen, die laut Wissenschaft notwendig ist. Es kommt hier auf den politischen Willen an, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen und auch das Geld bereitzustellen.

Was bedeutet das für die zu schützenden Flächen in Europa, das ja sehr stark durch den menschlichen Einfluss geprägt ist?

Wir haben hier ein Flächenproblem. Laut europäischer Biodiversitätsstrategie sollen 30 % geschützt und 10 % davon sogar stark geschützt werden. Viel Fläche bei uns ist degradiert, das heißt, sie liegt brach und funktioniert nicht als Ökosystem. Die Renaturierung dieser Fläche muss Teil der Lösung sein, sonst sind die Ziele gar nicht zu erreichen.

Florian Titze ist Referent für internationale Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland. Bild: Sonja Ritter

Entwickeln wir uns weiter auf eine gesteuerte Domestizierung von Ökosystemen zu? Oder halten sie eine De-Domestizierung von Natur für möglich?

Wir können nicht nur von Schutz einzelner Gebiete allein sprechen, sondern müssen auch die Veränderung von Ernährungssystemen hin zu nachhaltiger Produktion und nachhaltigem Konsum vorantreiben. Es muss einen ausbalancierten Ansatz geben. Wir können nicht sagen, wir nutzen die geschützten Flächen gar nicht mehr. Aber wir müssen sie so gestalten, dass sie Platz für Artenvielfalt bieten. Ein Ansatz ist z.B. Agro-Ecology, die Landwirtschaft und Artenvielfalt verbindet, anstatt weiterhin riesige Monokulturen zu betreiben. Wir brauchen beides: Naturschutz und Naturnutzung. Wir in Europa haben schon den Großteil der biologischen Vielfalt, die es hier mal gab, über Jahrhunderte hin zerstört. Wir haben die Verantwortung, gerade in den Schlüsselgebieten des Regenwaldes, wie dem Amazonas oder Indonesien, wo es extrem viel Artenvielfalt gibt, zu unterstützen, da diese Länder noch nicht ihre gesamten Ökosysteme zerstört haben.

Die bewirtschafteten Flächen müssen in Zukunft also anders genutzt werden?

Ganz klar, ja. Vor allem effizienter. Ich denke z. B. an die Flächen, die zur Fleischproduktion genutzt wird. Wenn wir auf eine pflanzliche Ernährung umsteigen, könnten wir Flächen sehr viel effizienter zur Nahrungsmittelproduktion nutzen. Ob wir als Menschen irgendwann gar kein Fleisch mehr essen, kann ich nicht absehen, aber es wäre ein notwendiger Bestandteil, um überhaupt die Fläche zum Schutz von Ökosystemen zur Verfügung zu haben.

Wie muss sich unser Konsumverhalten noch verändern, um Ökosysteme in Zukunft zu schützen?

Jahrhundertelang haben wir gewirtschaftet, als wären die Ressourcen der Erde unendlich. Erst seit wenigen Jahrzehnten ist uns die Begrenztheit unserer Lebensgrundlage wirklich bewusst. Was für den Konsum aus meiner Sicht künftig absolut notwendig ist, ist die Erfassung der ökologischen Kosten. Z. B. wenn man ein Fleischprodukt kauft, für das Futtermittel um die ganze Welt geschickt wurde. Wenn wir regional produzieren würden, wäre auch der ökologische Preis sehr viel geringer. Das Problem ist, dass der ökologische Preis nicht erfasst wird.

Agro-Ökologie ist ein Ansatz, der Landwirtschaft und Artenvielfalt miteinander verbindet, anstatt weiterhin riesige Monokulturen zu betreiben. Bild: S.N. Pattenden

Können Sie das genauer erklären?

Der Umweltökonom Partha Dasgupta hat im Auftrag der britischen Regierung einen wegweisenden Forschungsbericht veröffentlicht. Er kommt zu der Erkenntnis, dass unser Wirtschaftssystem eine große Lücke hat, denn es bezieht unsere Umwelt und die sogenannten Ökosystemleistungen nicht mit ein. In unseren Wirtschaftsberechnungen kommen die Konsequenzen für die Erde nicht vor. Diese Leistungen werden als umsonst betrachtet. Langfristig kann das nicht gut gehen.

Also müsste jedes Produkt Umweltkosten einbeziehen?

Ja, wir müssen langfristig den ökologischen Preis in die Kalkulation einbeziehen. Als Preis für die Erde, die ja die Grundlage ist für alles, was wir produzieren und konsumieren. Man kann momentan unendlich viel aus der Erde für Produktion und Konsum entnehmen und bezieht nicht ein, welche Kosten entstehen, wenn wir unsere Ökosysteme zerstören.

Was muss geschehen, damit das passiert?

Biodiversität muss als systemrelevant angesehen werden. Selbst das Weltwirtschaftsforum mit den führenden Ökonomen der Erde hat das erkannt und bittet die Politik, zu reagieren. Die globalen Ökosysteme sind die Grundlage unseres wirtschaftlichen Handelns. Wenn sie kollabieren, nehmen wir uns auch die Grundlage unseres Finanzwesens. Und auch die Öffentlichkeit muss biologische Vielfalt stärker einfordern. Die Menschen müssen verstehen, was der Verlust der ökologischen Vielfalt für sie persönlich, nicht zuletzt für ihren Wohlstand und für ihre Gesundheit bedeutet. Und ganz fundamental ist das Vertrauen in die Wissenschaft. Die Wissenschaft sagt uns, was wir tun müssen, doch sie ist nicht die lauteste Stimme momentan.

Lassen Sie uns einmal spekulieren: Wie könnte das Leben im Jahr 2100 aussehen, wenn die Vision der UN-Konvention über biologische Vielfalt erreicht ist und die Menschen „im Einklang mit der Natur“ leben, wie es darin heißt?

Zunächst müssen wir es geschafft haben, die Erderwärmung zu stoppen, also sagen wir das 1,5° Celsius Ziel ist eingehalten. Das ist die Grundvoraussetzung für alles andere. Dann geht es darum, global Produktions- und Konsumweisen zu nutzen, bei der die Natur nicht mehr ausgebeutet wird, als dass sie sich regenerieren kann. Das Prinzip der planetaren Grenzen muss in jeder Entscheidung von Wirtschaft und Finanzwesen berücksichtigt werden. Biodiversität, Umwelt, natürliche Ressourcen, Ökosysteme müssen einbezogen werden, damit wir nicht weiter unsere Lebensgrundlage ausbeuten.

Wie stellen sie sich das konkret vor?

In der Landwirtschaft würden wir Ernährungssysteme haben, die nicht nur den Anbau, sondern auch die Lieferketten berücksichtigen. Ich stelle mir vor, dass 2100 Fleisch nur noch ein seltenes Luxusgut ist. Und der Anbau von Lebensmitteln besteht nicht mehr aus Monokulturen. Es wird ausreichend geschützte Wälder und vor allem Meere geben, in denen sich die Biodiversität regenerieren kann. Und wir werden ein anderes System nutzen zur Messung von Wachstum, in dem die Bewahrung unseres Planeten in die Rechnung einbezogen ist. 

Die Renaturierung degradierter Fläche muss Teil der Lösung sein, sonst sind die ambitionierten Umweltschutzziele nicht zu erreichen, meint Florian Titze. Bild: Coralie Meurice

Wie sieht es mit der Umweltverschmutzung aus?

Wir werden uns verabschiedet haben von dem Prinzip Produzieren-Konsumieren-Wegwerfen. Ressourcen werden wiederverwertet. Nicht im Sinne von Recycling, sondern von wirklicher Circular Economy. Und zwar weltweit. Diese Faktoren werden z. B. auch in transatlantischen Handelsabkommen eine Rolle spielen.

Wie kann das gelingen?

Indigene Völker leben uns vor, wie man im Einklang mit Mutter Natur leben kann. Wir werden lernen, ihrem traditionellen Wissen Gehör zu schenken. Das muss auch in der Bildung passieren. Wir leben auf der Erde nicht in einem Vakuum. Wir Menschen sind Teil dieses globalen Ökosystems Erde und das werden wir im Jahr 2100 begriffen haben.

Kommen wir zuletzt auf die Städte zu sprechen, die sich immer weiter ausdehnen. Wie werden sie sich verändern?

Städte finden in den aktuellen Verhandlungen der UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) viel zu wenig Beachtung. Ein sehr großer Anteil der Weltbevölkerung wird in Zukunft in Städten leben. Momentan sind Städte artifizielle Umgebungen. Wir müssen biologische Vielfalt in den Städten schaffen. Grünflächen, ob horizontal oder vertikal, werden maximiert sein. Artenvielfalt, unter anderem von Insekten, wird in den Städten einkehren. Und durch die Renaturierung von Flussläufen und Auen werden wir auch bei Extremwetterereignissen besser geschützt sein. Die Natur muss Einzug finden in die Städte, mit deutlich größerer Biodiversität als heute. So wird in der Stadt ein neuer Bezug zur Natur entstehen.

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