Mayer Amschel Rothschild stieg im 18. Jahrhundert vom jüdischen Münzhändler zum Finanzberater des Kurfürsten Wilhelm IX. auf. Während des Krieges mit Napoleon holte er seine fünf Söhne an den Hof, welche schnell die einflussreichsten Bankiers in Europa wurden. Sein oberstes Ziel dabei: das Finanzwissen ausschließlich innerhalb der Familie weiterzugeben und dieses streng zu reglementieren. Doch wie gelang ihm das?
Seit dem 15. Jahrhundert lebten Vorfahr*innen der Familie Rothschild im Frankfurter Judengetto, genauer gesagt in der damaligen Judengasse im „Haus zum Roten Schild“. 1744 wurde Mayer Amschel in den Kleinwaren- und Münzhandel seines Vaters geboren, den er mithilfe seiner eigenen Söhne innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer Finanzinstitution emporhob.
Vom Münzhändler zum Finanzexperten
1764 führte Mayer Amschel zunächst das Geschäft seines verstorbenen Vaters weiter und begann, immer mehr Münzen in Adelskreisen zu verkaufen. Er bat daraufhin den Kurfürsten Wilhelm IX., als Hoffaktor arbeiten zu dürfen, was ihm gewährt wurde. Unter dem Titel verstand man Kaufleute, die direkt am Hof angestellt waren, um beispielsweise Luxusgüter zu beschaffen. Das brachte dem Geschäft von Mayer Amschel erhebliches Ansehen ein und half bei seinen weiteren Schritten zum Aufstieg als Banker.
Mayer Amschel erarbeitete sich durch seine Tätigkeit als Hoffaktor bei Wilhelm IX. Ansehen und Vertrauen. 1804 konnte er zum ersten Mal eine Anleihe des dänischen Staates an den Kurfürsten verkaufen, womit er den Einstieg in seine anwachsenden Bankgeschäfte legitimieren konnte.
Weil seine höfischen Aufgaben aufgrund des Ausbruchs des Vierten Koalitionskrieges mit Napoleon immer komplexer wurden, holte er seine fünf Söhne ins Boot – der erste Schritt zum Familienunternehmen. Er zeigte ihnen seine bereits bestehenden Verbindungen auf und brachte ihnen alles bei, was er wusste. Als großes Vorzeigebeispiel ging Nathan Mayer daraus hervor. Auch, weil er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.
Nathan, der Weise?
Nathan Mayer war ein paar Jahre zuvor bereits nach England ausgewandert, wo er zunächst als Händler im internationalen Textilgeschäft arbeitete. Vor allem aufgrund seines Wohnsitzes spielte er eine zentrale Rolle im Aufstieg des Familienunternehmens zur wichtigsten europäischen Finanzinstitution. Ein großer Teil des Vermögens von Wilhelm IX. bestand aus englischen Staatsanleihen. Napoleon hatte jedoch infolge des Krieges eine Wirtschaftsblockade über das Königreich und seine Kolonien verhängt. Sie erschwerte es, die in London ausgezahlten Zinsen der Staatsanleihen an den Fürstenhof zu transferieren.
Nathan bekam daraufhin den Auftrag, sich bis Ende des Krieges um diese Zinszahlungen zu kümmern. Er siedelte von Manchester nach London um und gründete die Bank N M Rothschild & Sons Ltd. Somit konnten die Rothschilds, anders als ihre Konkurrenz, die Wirtschaftsblockade umgehen. Das Familienunternehmen expandierte nun auch international – ohne auf das Wissen und den Einfluss anderer angewiesen zu sein.
Ein engmaschiges Netz, das sich auszahlte
Nun gab es ein Stammhaus in Frankfurt und eine Filiale in London. Mayer Amschel teilte daraufhin allen fünf Söhnen sein Vorhaben mit, eine Bank zu gründen, die sich über den ganzen Kontinent erstrecken sollte. Er entsandte drei von ihnen nach Paris, Wien und Neapel, um weitere wichtige europäische Standorte zu besetzen. Den Männern wurden außerdem strenge finanzielle Regeln auferlegt und sie wurden angewiesen, sich mit ortsansässigen Adelsfamilien anzufreunden.
Vor allem im Wertpapierhandel zahlte es sich aus, dass die Rothschilds bereits nach kurzer Zeit so gut vernetzt waren. Sie kauften verschiedene Staatsanleihen, beispielsweise französische und britische, und konnten diese auf dem ganzen Kontinent absetzen. Die Käufer*innen bekamen ihre Zinsen wiederum in allen Ländern ausgezahlt, in denen die Rothschilds mit Banken ansässig waren.
Die Verwandtenheirat oder: Wie bleibt man erfolgreich unter sich?
Mayer Amschel beschäftigte vor allem, wie das wertvolle Finanzwissen und die etablierten Beziehungen der fünf Söhne gewahrt und vor fremden Einfluss geschützt werden konnten. In seinem Testament hielt er unter anderem die Forderungen fest, dass alle Schlüsselpositionen ausschließlich mit Familienmitgliedern zu besetzen seien und es keine juristischen Bestandsaufnahmen oder Veröffentlichungen des Familienvermögens geben solle.
Bis ins 19. Jahrhundert wurde dieser Wunsch durch die Verwandtenheirat eingehalten, indem Vettern und Cousinen verheiratet wurden. Ein Nebeneffekt aus über zwanzig geschlossenen Ehen war, dass auch die Mitgift innerhalb der Familie blieb. Im Endeffekt wurde sie also lediglich hin- und hergeschoben.
Geld bedeutet Macht, Macht bedeutet Angriffsfläche
Bis heute ist die Familie nach wie vor sehr erfolgreich im Finanzwesen tätig, vor allem im Investmentbanking. Das Gesamtvermögen inklusive Wirtschaftsgüter wird auf rund 1,6 Billionen Euro geschätzt. Dass (Finanz-)Wissen Macht bedeutet, vor allem politische, haben die Rothschilds also sehr früh begriffen und genutzt, indem sie unter anderem auch Kriege finanzierten. Eine Tatsache, die zu Recht Angriffsfläche bietet. Und natürlich könnte man sich auch fragen, wie es überhaupt möglich sein kann, dass eine Familie dermaßen viel Reichtum anhäuft. Diese Überlegung dient in Bezug auf die Rothschilds jedoch oftmals als Ausgangspunkt für Verschwörungstheorien und Hetzkampagnen, die sich meist in offenem Antisemitismus zeigen – beispielsweise als ein Mitglied der AfD Jacob Rothschild mit der bösartigen und gierigen Unternehmerfigur Mr. Burns aus der US-Serie „Die Simpsons“ verglich.
Das Vermögen extrem reicher Familien ist ein viel diskutierter Umstand: Der US-Politiker Bernie Sanders vertritt beispielsweise die Meinung, dass es gar keine Milliardär*innen mehr geben dürfe. Doch in all der Kritik an den superreichen Familien wirkt es manchmal so, als würden die Rothschilds die gesamte Verurteilung abbekommen – und dahinter stecken selten vertretbare Punkte, sondern vielmehr antisemitische Hetzkampagnen.