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Kompendium

In die eigene Bildung investieren zu können, galt lange Zeit als Privileg und stellte für viele einen Kampf dar. Heutzutage greift die staatliche Unterstützung bei der Ausbildung unter die Arme, doch die Lösungsansätze reichen nicht – weltweit sind Millionen Student*innen verschuldet. Trotzdem zeichnet sich die Bildung als Wertanlage weiterhin als Trend ab, denn die Rendite lohnt sich. Welche Innovationen wird es in Zukunft geben, um Bildung zugänglicher und schneller zu gestalten?

Kompendium: Bildung als Wertanlage

Mayer Amschel Rothschild stieg im 18. Jahrhundert vom jüdischen Münzhändler zum Finanzberater des Kurfürsten Wilhelm IX. auf. Doch wie gelang ihm das?

Kompendium: Bildung als Wertanlage

Im 19. Jahrhundert gab es für Arbeiter- und Landfrauen keine Möglichkeiten auf Bildung. Die Adelige Ida von Kortzfleisch gründete 1897 die erste wirtschaftliche Frauenhochschule, aus der sich die „Reifensteiner Schulen“ entwickelten.

Kompendium: Bildung als Wertanlage

In vielen Ländern sind Alumni aufgrund ihrer hohen Studienkredite verschuldet. Die Corona-Krise zeigt, dass veraltete Businessmodelle weltweiten Krisen nicht standhalten. Eine Chance, den Bildungssektor zu reformieren?

Kompendium: Bildung als Wertanlage

Junge Menschen fordern mehr Nachhaltigkeit, gleichzeitig muss Bildung erschwinglicher werden. Die Talentschmiede Futury und Deutsche Bank haben einen Prototyp entwickelt, der Lösungen verspricht.

Kompendium: Bildung als Wertanlage

Im Jahr 2107 ist es möglich, Bildungschips zu kaufen und geballtes Wissen in verschiedenen Bereichen innerhalb weniger Sekunden zu erlangen – es ist nur eine Frage des Geldes. Die einen nutzen es, um extrem schnell ins Berufsleben einzusteigen, die anderen in ihrer Freizeit. Doch was muss die Gesellschaft tun, damit sich keine neue Bildungselite entwickelt?

Kompendium: Bildung als Wertanlage

Wie die Familie Rothschild erfolgreich in sich selbst investierte

Kompendium: Bildung als Wertanlage

Wie die Familie Rothschild erfolgreich in sich selbst investierte

Bild: “Der Geldwechsler” von Rembrandt van Rijn, 1627.

Mayer Amschel Rothschild stieg im 18. Jahrhundert vom jüdischen Münzhändler zum Finanzberater des Kurfürsten Wilhelm IX. auf. Während des Krieges mit Napoleon holte er seine fünf Söhne an den Hof, welche schnell die einflussreichsten Bankiers in Europa wurden. Sein oberstes Ziel dabei: das Finanzwissen ausschließlich innerhalb der Familie weiterzugeben und dieses streng zu reglementieren. Doch wie gelang ihm das?

Seit dem 15. Jahrhundert lebten Vorfahr*innen der Familie Rothschild im Frankfurter Judengetto, genauer gesagt in der damaligen Judengasse im „Haus zum Roten Schild“. 1744 wurde Mayer Amschel in den Kleinwaren- und Münzhandel seines Vaters geboren, den er mithilfe seiner eigenen Söhne innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer Finanzinstitution emporhob.

Vom Münzhändler zum Finanzexperten

1764 führte Mayer Amschel zunächst das Geschäft seines verstorbenen Vaters weiter und begann, immer mehr Münzen in Adelskreisen zu verkaufen. Er bat daraufhin den Kurfürsten Wilhelm IX., als Hoffaktor arbeiten zu dürfen, was ihm gewährt wurde. Unter dem Titel verstand man Kaufleute, die direkt am Hof angestellt waren, um beispielsweise Luxusgüter zu beschaffen. Das brachte dem Geschäft von Mayer Amschel erhebliches Ansehen ein und half bei seinen weiteren Schritten zum Aufstieg als Banker.

Mayer Amschel erarbeitete sich durch seine Tätigkeit als Hoffaktor bei Wilhelm IX. Ansehen und Vertrauen. 1804 konnte er zum ersten Mal eine Anleihe des dänischen Staates an den Kurfürsten verkaufen, womit er den Einstieg in seine anwachsenden Bankgeschäfte legitimieren konnte.

Weil seine höfischen Aufgaben aufgrund des Ausbruchs des Vierten Koalitionskrieges mit Napoleon immer komplexer wurden, holte er seine fünf Söhne ins Boot – der erste Schritt zum Familienunternehmen. Er zeigte ihnen seine bereits bestehenden Verbindungen auf und brachte ihnen alles bei, was er wusste. Als großes Vorzeigebeispiel ging Nathan Mayer daraus hervor. Auch, weil er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

Nathan, der Weise?

Nathan Mayer war ein paar Jahre zuvor bereits nach England ausgewandert, wo er zunächst als Händler im internationalen Textilgeschäft arbeitete. Vor allem aufgrund seines Wohnsitzes spielte er eine zentrale Rolle im Aufstieg des Familienunternehmens zur wichtigsten europäischen Finanzinstitution. Ein großer Teil des Vermögens von Wilhelm IX. bestand aus englischen Staatsanleihen. Napoleon hatte jedoch infolge des Krieges eine Wirtschaftsblockade über das Königreich und seine Kolonien verhängt. Sie erschwerte es, die in London ausgezahlten Zinsen der Staatsanleihen an den Fürstenhof zu transferieren.

Auf dem Bild zu sehen ist Nathan Mayer Rothschild (1744-1812), deutsch-jüdischer Bankier, Geschäftsmann und Finanzier. Bild: Lithografie von Friedrich Lieder, um 1830.

Nathan bekam daraufhin den Auftrag, sich bis Ende des Krieges um diese Zinszahlungen zu kümmern. Er siedelte von Manchester nach London um und gründete die Bank N M Rothschild & Sons Ltd. Somit konnten die Rothschilds, anders als ihre Konkurrenz, die Wirtschaftsblockade umgehen. Das Familienunternehmen expandierte nun auch international – ohne auf das Wissen und den Einfluss anderer angewiesen zu sein.

Ein engmaschiges Netz, das sich auszahlte

Nun gab es ein Stammhaus in Frankfurt und eine Filiale in London. Mayer Amschel teilte daraufhin allen fünf Söhnen sein Vorhaben mit, eine Bank zu gründen, die sich über den ganzen Kontinent erstrecken sollte. Er entsandte drei von ihnen nach Paris, Wien und Neapel, um weitere wichtige europäische Standorte zu besetzen. Den Männern wurden außerdem strenge finanzielle Regeln auferlegt und sie wurden angewiesen, sich mit ortsansässigen Adelsfamilien anzufreunden.

Vor allem im Wertpapierhandel zahlte es sich aus, dass die Rothschilds bereits nach kurzer Zeit so gut vernetzt waren. Sie kauften verschiedene Staatsanleihen, beispielsweise französische und britische, und konnten diese auf dem ganzen Kontinent absetzen. Die Käufer*innen bekamen ihre Zinsen wiederum in allen Ländern ausgezahlt, in denen die Rothschilds mit Banken ansässig waren.

Die Verwandtenheirat oder: Wie bleibt man erfolgreich unter sich?

Mayer Amschel beschäftigte vor allem, wie das wertvolle Finanzwissen und die etablierten Beziehungen der fünf Söhne gewahrt und vor fremden Einfluss geschützt werden konnten. In seinem Testament hielt er unter anderem die Forderungen fest, dass alle Schlüsselpositionen ausschließlich mit Familienmitgliedern zu besetzen seien und es keine juristischen Bestandsaufnahmen oder Veröffentlichungen des Familienvermögens geben solle.

Seit dem 15. Jahrhundert lebten Vorfahr*innen der Familie Rothschild im Frankfurter Judengetto, genauer gesagt in der damaligen Judengasse im „Haus zum Roten Schild“. Gemälde: Anton Burger, 1883.

Bis ins 19. Jahrhundert wurde dieser Wunsch durch die Verwandtenheirat eingehalten, indem Vettern und Cousinen verheiratet wurden. Ein Nebeneffekt aus über zwanzig geschlossenen Ehen war, dass auch die Mitgift innerhalb der Familie blieb. Im Endeffekt wurde sie also lediglich hin- und hergeschoben.

Geld bedeutet Macht, Macht bedeutet Angriffsfläche

Bis heute ist die Familie nach wie vor sehr erfolgreich im Finanzwesen tätig, vor allem im Investmentbanking. Das Gesamtvermögen inklusive Wirtschaftsgüter wird auf rund 1,6 Billionen Euro geschätzt. Dass (Finanz-)Wissen Macht bedeutet, vor allem politische, haben die Rothschilds also sehr früh begriffen und genutzt, indem sie unter anderem auch Kriege finanzierten. Eine Tatsache, die zu Recht Angriffsfläche bietet. Und natürlich könnte man sich auch fragen, wie es überhaupt möglich sein kann, dass eine Familie dermaßen viel Reichtum anhäuft. Diese Überlegung dient in Bezug auf die Rothschilds jedoch oftmals als Ausgangspunkt für Verschwörungstheorien und Hetzkampagnen, die sich meist in offenem Antisemitismus zeigen – beispielsweise als ein Mitglied der AfD Jacob Rothschild mit der bösartigen und gierigen Unternehmerfigur Mr. Burns aus der US-Serie „Die Simpsons“ verglich.

Das Vermögen extrem reicher Familien ist ein viel diskutierter Umstand: Der US-Politiker Bernie Sanders vertritt beispielsweise die Meinung, dass es gar keine Milliardär*innen mehr geben dürfe. Doch in all der Kritik an den superreichen Familien wirkt es manchmal so, als würden die Rothschilds die gesamte Verurteilung abbekommen – und dahinter stecken selten vertretbare Punkte, sondern vielmehr antisemitische Hetzkampagnen.

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Kompendium: Bildung als Wertanlage

Wie eine Adelige aus Langeweile ein revolutionäres Schulkonzept entwarf

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Wie eine Adelige aus Langeweile ein revolutionäres Schulkonzept entwarf

Der erste Jahrgang 1897–1898 einer Reifensteiner Schule in Nieder-Ofleiden. Abgebildet mit Freifrau von Schenck zu Schweinsberg, einer wichtigen Förderin der Schulen. Bild: Reifensteiner Verband (CC BY-SA 3.0).

Im 19. Jahrhundert gab es für Arbeiter- und Landfrauen keine Möglichkeiten auf Bildung. Das fiel auch der Adeligen Ida von Kortzfleisch auf, die sich zwar langweilte, jedoch Privatunterricht genießen durfte. Sie gründete 1897 die erste wirtschaftliche Frauenhochschule, aus der sich die „Reifensteiner Schulen“ entwickelten. Hier wurden Frauen zwar vor allem in der Haus- und Landarbeit geschult, sie bekamen damit jedoch die Chance auf Selbstständigkeit und Bildung.

Das Leben der 1850 in Ostpreußen geborenen Ida von Kortzfleisch könnte einem Roman von Jane Austen entsprungen sein: Kulturveranstaltungen, Bälle, Malen und Lesen, Spaziergänge mit Töchtern anderer Adelsfamilien – viel mehr passierte nicht. Deshalb begann sie sich schon recht früh zu langweilen, was aus den Tagebuchaufzeichnungen der damals 18-Jährigen herauszulesen ist. Sie genoss zwar gemäß ihrem Stand hochwertigen Privatunterricht, doch ihre Hauptaufgabe als adeliger Spross lag darin, sich gesellig zu geben und Kontakte anzustreben. Und das geschah vor allem im Rahmen von Tanzveranstaltungen oder Leseabenden.

Ida von Kortzfleisch gründete 1897 die erste wirtschaftliche Frauenhochschule, aus der sich die „Reifensteiner Schulen“ entwickelten.

Ein Blick über den Tellerrand

Nachdem sie während des Deutsch-Französischen Krieges in den Jahren 1870 und 1871 die hauswirtschaftliche Leitung eines Lazaretts in Ostpreußen übernahm, wurde ihr das Verdienstkreuz für Frauen überreicht. Von Kortzfleisch fiel es danach zunehmend schwer, in den Alltag einer privilegierten Adeligen zurückzukehren. Bei Besuchen anderer Landgüter stellte sie außerdem fest, dass sie zwar eine private Ausbildung genossen hatte, die Situation der weniger privilegierten Arbeiter- und Landfrauen jedoch ganz anders aussah. Obwohl diese die Verantwortung der Höfe mittrugen, hatten sie wenige bis keine Möglichkeiten auf Bildung. Ein Problem, das bereits bekannt war und aus dem sich um die Jahrhundertwende die deutsche Frauenbewegung im Kaiserreich entwickelte.

Der ersten Generation dieser Initiative war vor allem das Recht auf Bildung und Arbeit wichtig, um ihren eigenen Beitrag zur Gesellschaft leisten und finanziell unabhängig sein zu können. Genau dort setzte Ida von Kortzfleisch bereits 1894 an.

Von einer Denkschrift in der Zeitung hin zum Schulkonzept

In einem Zeitungsartikel, in dem sie ihr Vorhaben für „wirtschaftliche Frauenschulen“ vorstellte und für finanzielle Förderungen warb, argumentierte sie, dass Mädchen und Frauen in ihren „typisch weiblichen Anlagen“ gefördert werden sollten – unter anderem die Krankenpflege und Kindererziehung sollten gelehrt werden. Aus heutiger Sicht ein

Die Lehrküche Reifensteiner Schule
in Beinrode um 1930. Bild: Reifensteiner Verband.

fragwürdiger und mindestens sehr konservativer Ansatz, aus damaliger Sicht jedoch beinahe revolutionär. Im 19. Jahrhundert war es Frauen nämlich nicht möglich, das Abitur zu machen und da dieses wiederum ausschlaggebend für ein Studium war, blieb ihnen auch der Universitätsbesuch verwehrt.

1897 konnte die erste „wirtschaftliche Frauenschule“ eröffnen, die drei Jahre später nach Reifenstein in Thüringen verlegt wurde. Auf dem Ausbildungsplan standen neben der Hauswirtschaft und Landarbeit glücklicherweise auch wissenschaftliche Fächer wie Physik und Chemie sowie Deutsch und Rechnungswesen. Für deutsche Schülerinnen zwischen 18 und 38 Jahren belief sich die Ausbildungsgebühr auf rund 300 Mark vierteljährlich, für Ausländerinnen waren es etwa 400. Die Möglichkeit, Stipendien zu beantragen, gab es ebenfalls. 1909 wurden die mittlerweile bestehenden Schulen staatlich anerkannt und etablierten sich schnell.

Lehre in Gartenarbeit an einer Reifensteiner Schule
in Ofleiden 1898. Bild: Reifensteiner Verband.

Viel mehr als nur eine Ausbildung nach Lehrplan

Nicht nur die Bildung von Frauen wollte Ida von Kortzfleisch stärken. Wichtig war ihr auch, dass gesellschaftliche und persönliche Vorurteile untereinander abgeschafft wurden, sodass alle unabhängig von Herkunft und Stand die Möglichkeit bekamen, sich an den Reifensteiner Schulen ausbilden zu lassen. Und je bekannter und angesehener die Einrichtungen wurden, desto präziser ihre Forderungen: Die Schülerinnen sollten auch auf Führungsaufgaben vorbereitet werden und lernen, ihre eigenen Interessen in die Hand zu nehmen. Viele Absolventinnen übten Lehrberufe aus oder leiteten landwirtschaftliche Betriebe. Aber auch Marie-Elisabeth Lüders, die später in die Politik ging und sich als Frauenrechtlerin einen Namen machte, war Absolventin der Schule.

Dr. Marie-Elisabeth Lüders ist eine ehemalige Reifensteiner Schülerin und spätere Stadträtin, hier abgebildet im Januar 1949. Foto: Bundesarchiv.

Bis zur Schließung der letzten Schule im Jahr 1990 konnten rund 90.000 Frauen einen Oberschulabschluss absolvieren. Genannt wurden die Schülerinnen übrigens Maiden, was für Mut, Ausdauer, Idealismus und Demut stand – Letztere versprühte wohl außerdem eine Prise Konventionalität, die auch die Reifensteiner Schulen nicht abschütteln konnten oder wollten.

Women-Empowerment im 19. Jahrhundert

Ida von Kortzfleisch hatte ihre persönliche Ausgangslage nicht individuell behandelt und mit ihrer Umsetzung in die Bildung Tausender Frauen investiert. Am Ende erreichte sie mit ihrem Schulkonzept selbst die Unabhängigkeit von ihrer Familie sowie finanzielle Freiheit. Auch wenn man an den Reifensteiner Schulen nach einem recht konventionellen Konzept ausgebildet wurde, ist die Idee der Gründerin bis heute ein schönes Beispiel für die Stärkung von Frauen untereinander und den Weitblick, nicht nur die eigene, bereits privilegierte Situation zu verbessern, sondern alle anderen ebenfalls zu empowern.

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Kompendium: Bildung als Wertanlage

Mit Mitte zwanzig hoch verschuldet: Der Fluch der Elite-Universitäten

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Mit Mitte zwanzig hoch verschuldet: Der Fluch der Elite-Universitäten

Durch die Corona-Pandemie schlitterten jene Universitäten in die Krise, die ihren Schwerpunkt auf ausländische Student*innen legen. Bild: Mr.Autthaporn Pradidpong.

In vielen Ländern sind Alumni aufgrund ihrer hohen Studienkredite verschuldet, in den USA alleine sind es mehr als 40 Millionen Menschen. Die Coronakrise streut nun Salz in diese bestehende Wunde, denn sie zeigt, dass veraltete Businessmodelle weltweiten Krisen nicht standhalten. Doch sie ist auch eine Chance, den Bildungssektor zu reformieren.

In die eigene Bildung zu investieren, zahlt sich eigentlich langfristig aus. Die Bildungsrendite – das ist der prozentuale Zugewinn an Arbeitseinkommen aufgrund von zusätzlichen Bildungsmaßnahmen – steigt nämlich nach wie vor an. Das Problem vieler Schulabsolvent*innen liegt, global betrachtet, ganz woanders.

Der Campus der Universität Yale im Herbst 2011. Bild: Emilie Foyer.

Das Land der Abgehängten: Wo Hochschulbildung der Elite vorbehalten ist

Viele angesehene Universitäten weltweit sind für junge Menschen, die aus finanziell benachteiligten Haushalten oder dem Mittelstand kommen, unbezahlbar. Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel stellen die privaten Universitäten der Ivy-League in den USA dar: acht Elite-Hochschulen, angesiedelt im Nordosten des Landes.

Im Jahr 2015 machte die Geschichte von Ronald Nelson Schlagzeilen, der an allen Ivy-League-Schulen akzeptiert wurde, sich jedoch für ein Studium an der staatlichen University of Alabama einschrieb. Seine Begründung: Die angebotene Verringerung seiner Studiengebühren hätte ihm nur das erste Jahr ermöglicht – danach hätte die Familie Sparpläne auffahren und sich eventuell verschulden müssen. Die Universität in Alabama wiederum wählte ihn für ihr selektives Ehrenprogramm aus, was Vorteile wie Unterbringung auf dem Campus und diverse Stipendien beinhaltet. Fairerweise muss hier nun gesagt werden, dass Ronald Nelson als Beispiel für extrem begabte Student*innen steht. Das bedeutet: Für alle anderen ist es noch schwieriger.

Die Graphik zeigt den zeitlichen Verlauf der steigenden Schulden an Milliarden von Dollar unbezahltem Studienkredit in den USA bis zum Jahr 2020. Graphik: FRED.

Wie die Higher-Education-Bubble den amerikanischen Traum platzen lässt

Angesehene Studiengänge wie Medizin oder Jura können auch an staatlichen Universitäten bis zu 100.000 Dollar kosten. Zum Vergleich: Das Wintersemester 2020/21 an der LMU in München kostet 142,40 Euro inklusive Semesterticket. Rund 40 Millionen Amerikaner*innen haben bis zum Jahr 2019 Studienkredite aufnehmen müssen. Viele von ihnen sind auf unterstützende Bundesprogramme angewiesen, um ihre Schulden nach dem Abschluss in den Griff zu bekommen, zum Beispiel mithilfe des Rückzahlungsprogramms. Dieses passt die Höhe an das eigene Arbeitseinkommen an. Doch Abweichungen wie unterschiedlich hohe Lebenshaltungskosten werden nicht miteinbezogen – ganz zu schweigen vom Bürokratiedschungel und der Vielzahl an (teilweise dubiosen) Agenturen, die Beratungen dazu anbieten.

Wenn bereits junge Menschen hoch verschuldet sind, wirkt sich das langfristig auf ihre psychische Gesundheit sowie den Wert von Bildung aus. Und auch die Wirtschaft leidet darunter: In den USA wird seit Jahren die sogenannte Higher-Education-Bubble diskutiert, die unter anderem aufzeigt, dass verschuldete Absolvent*innen materielle Anschaffungen oder den Wunsch nach einem eigenen Haus – ein wichtiger Bestandteil des American Dream – aufschieben. Immer weniger besitzen mittlerweile ein Eigenheim. Stattdessen müssen sie sich an heftige Sparmaßnahmen halten, die ihnen Träume verwehren, welche sie sich aufgrund ihres Bildungsabschlusses eigentlich hatten erfüllen wollen.

Der Wunsch nach einem Eigenheim ist für viele Bestandteil des American Dream. Bild: Phil Hearing.

Dänemark yay, England nay?

Ein Blick auf die weltweite Lage zeigt, dass die Verschuldung durch ein Hochschulstudium sehr abhängig von der Bildungspolitik des jeweiligen Landes ist. Beispielsweise liegen die Studiengebühren der renommierten Nationaluniversität Taiwan bei umgerechnet 330 Euro pro Semester. In Dänemark bekommen Student*innen, die nicht mehr zu Hause wohnen, 800 Euro zur Unterstützung, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Sollte man während des Studiums schwanger werden, wird ein Jahr Mutterschutz angeboten, die finanzielle Unterstützung bleibt bestehen.

Doch nicht überall sieht es so rosig aus: In England beläuft sich die maximale Studiengebühr pro Jahr zwar auf rund 10.000 Euro, allerdings veranschlagen drei Viertel der Einrichtungen diesen Betrag. Auch hier kommt schnell eine schwindelerregende Zahl zusammen, wenn man in seine Bildung investieren möchte. Viele der dort ansässigen Bildungseinrichtungen setzen finanziell auf eine Vielzahl internationaler Student*innen – und haben in der Coronakrise nun ein riesiges Problem.

Wenn die Chines*innen nicht mehr kommen möchten und die Inder*innen nicht mehr kommen können

COVID-19 zwingt Universitäten weltweit, ihr Businessmodel zu überdenken – vor allem schlitterten diejenigen in die Krise, die ihren Schwerpunkt auf ausländische Student*innen legen. Doch die sitzen seit Monaten in ihren Heimatländern fest und manche Familien wurden so hart von der Krise getroffen, dass unklar ist, ob sie ihre Kinder überhaupt zurück ins Studium schicken können.

Viele dieser Universitäten sind in den USA, im UK und in Australien angesiedelt. Länder, die rund 678.000, über 200.000 respektive 264.000 internationale Student*innen verzeichnen. Da sie im Schnitt wesentlich höhere Studiengebühren zahlen müssen als Einheimische, fällt dieses Modell nun in sich zusammen. Simon Marginson, Professor für Hochschulbildung an der Universität Oxford, fasst es so zusammen, dass weltweit Chaos herrschen wird, weil die Chines*innen nicht kommen wollen und die Inder*innen nicht kommen können. Damit spielt er darauf an, dass gerade Asiat*innen bezüglich des Coronavirus in Zukunft vorsichtiger agieren könnten und vielleicht vermehrt im eigenen Land bleiben werden. Student*innen aus Entwicklungs- und Schwellenländern werden noch mehr finanzielle Probleme haben als sowieso schon.

Die Realität an Hochschulen weltweit zur Zeit der Corona-Krise: Sämtlicher Unterricht findet online über die Videocall-Plattform Zoom statt. Bild: Chris Montgomery.

Warum reines E-Learning (noch) zu viele Nachteile hat

Außerdem möchten immer weniger Student*innen während der Krise ihre hohen Gebühren für schnell aufgezogene Onlinekurse oder Zoom-Videos bezahlen, welche Interaktion und analogen Austausch nicht möglich machen. Zusätzlich wird es durch Onlineunterricht obsolet, das eigene Land zu verlassen, was bedeutet, dass ausländische Student*innen nicht in die Kultur der ansässigen Universität eintauchen können. Das ist jedoch ein wichtiger Bestandteil ihrer persönlichen Bildungsmaßnahme. Aus Sicht der Universitäten ist der Onlineunterricht kein gutes Tool, um die eigene institutionelle Macht zu demonstrieren. Zwischen Elite-Campus und Zoom-Klasse liegt eben ein meilenweiter Unterschied.

Die Coronakrise als Chance, den Bildungssektor zu reformieren

Die Krise streut Salz in die bereits klaffende Wunde der Studiengebühren und veralteten Businessmodelle. Forschungsgelder werden gestrichen und Gehälter an den Lehrstühlen gekürzt, viele Studiengebühren ausländischer Student*innen fallen nun weg. Das alles zeigt: Es braucht neue Lösungsansätze und stabile Entwürfe, um Bildung ausgeglichener finanzieren und auch während Krisen wie einer Pandemie möglich machen zu können. Außerdem haben globale Krisen immer einen Einfluss auf das Bildungsangebot: Die Nachfrage in Medizin, dem sozialen Sektor und der Nachhaltigkeit wird mit ziemlicher Sicherheit in den nächsten Jahren steigen.

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Kompendium: Bildung als Wertanlage

Ist Sustainable Finance der Bildungstrend von morgen?

Kompendium: Bildung als Wertanlage

Ist Sustainable Finance der Bildungstrend von morgen?

Die Teilnehmer des Projekts "The Mission" der Talentschmiede Futury. Foto: Futury.

Die Bildungseinrichtungen der Zukunft stehen vor großen Herausforderungen: Junge Menschen fordern mehr Nachhaltigkeit auf dem Themenplan, gleichzeitig muss Bildung erschwinglicher werden und praxisorientierter sein. Für die Challenge „Banking – Be Green“ der Talentschmiede Futury und der Deutschen Bank haben sich Adele Desana und Nadine Strauss zusammengetan und einen Prototyp entwickelt, der diesbezüglich viele Lösungen verspricht.

Eine Studie belegt, dass 91 % der internationalen Student*innen sich große Sorgen um das Klima machen. Sie wünschen sich außerdem mehr Werbung seitens ihrer Bildungseinrichtungen zu nachhaltigen Themen. Zu dieser Forderung gesellen sich auch andere: Bildung muss bezahlbarer werden und Student*innen brauchen mehr praktische Erfahrungen, bevor sie in den Arbeitsmarkt eintreten. Kurzum: Es gibt viele Verbesserungsmöglichkeiten.

Das sind Adele Desana (l.) und Dr. Nadine Strauss vom Team Education der Talentschmiede Futury. Foto: Futury.

Die Talentschmiede Futury bringt im Rahmen ihrer Initiative „The Mission“ junge Gründer*innen mit etablierten Unternehmen zusammen. Unter dem aktuellen Thema „Banking – Be Green“ werden derzeit fünf Projekte für nachhaltige Finanzlösungen entwickelt.

Adele Desana und Dr. Nadine Strauss schlossen sich zum Team Education zusammen und entwickeln eine Plattform, die Student*innen und Unternehmen im Bereich Sustainable Finance (nachhaltige Finanzwirtschaft) zusammenbringt. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, warum sie bezahlbare Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten möchten und ob Bildung im nachhaltigen Sektor für die Zukunft entscheidend sein wird.

Liebe Adele, liebe Nadine – ihr habt euch bei diesem Projekt zunächst auf die Problematik von Studienkrediten konzentriert. Warum seid ihr dann davon abgerückt?

Nadine: Untersuchungen des Centrum für Hochschulentwicklung haben ergeben, dass neben dem BAföG 90.000 Student*innen Kredite aufnehmen. Mehr als 70.000 von ihnen tun dies bei der KfW, sodass wir davon ausgegangen sind, dass die Zahl der Menschen, die wir erreichen könnten, sehr gering ist. Der zweite Grund für einen Richtungswechsel war für mich, dass ich im Allgemeinen kein Fan davon bin, wenn junge Menschen sich verschulden und – wie beispielsweise die Situation in den USA zeigt – lange verschuldet bleiben.

Futury strebt an engagierten Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr volles Potenzial durch die Entwicklung wertorientierter Innovationen zu entfalten. Foto: Futury.

Und so kam es, dass ihr die Idee für die Plattform GreEnFin entwickelt habt. Worum geht es dabei genau?

Nadine: Unsere Plattform bringt einerseits Student*innen zusammen, die mehr über nachhaltige Finanzen lernen möchten. Andererseits verbinden wir sie mit Unternehmen, die wichtig sind, wenn es darum geht, nachhaltige Prinzipien in der Praxis umzusetzen. Die Plattform ermöglicht es den Student*innen, mehr über nachhaltige Finanzwirtschaft zu lernen, sie gibt ihnen aber auch die Möglichkeit, das Gelernte in die Praxis umzusetzen – zum Beispiel in Form von Praktika oder Projekten. Außerdem wird es neben Informationen über Veranstaltungen auch eine Seite mit aktuellen Stellenangeboten geben.

Adele: Wir haben viel recherchiert und unseres Wissens gibt es nichts auf dem Markt, das mit GreEnFin vergleichbar wäre.

Warum ist der Fokus auf den nachhaltigen Finanzsektor wichtig?

Nadine: Der Finanzsektor hat ein riesiges Potenzial. Es gibt große Geldsummen, die für nachhaltige Projekte und alles andere, was dazu beiträgt, unseren Planeten grüner zu machen, verwendet werden können. Ich stimme mit den Forderungen von Fridays for Future völlig überein, aber wir müssen auch die Prinzipien des Marktes nutzen, um die Zukunft zu verändern. Unternehmen können nachhaltige Prinzipien in ihr Kerngeschäft integrieren. Wir können Betriebe dazu motivieren, dies zu tun, und gleichzeitig die nächste Generation darin ausbilden.

Wie wichtig wird Bildung im nachhaltigen Bereich zukünftig sein?

Adele: Das nachhaltige Finanzwesen wird in den kommenden Jahren eine große Rolle spielen. Die Universitäten versuchen langsam, dieses Thema einzubeziehen, was wichtig ist. Wie Nadine schon gesagt hat: Der Finanzsektor kann das vorantreiben und ein Beispiel für jeden anderen Sektor darstellen.

“Bildung sollte überall kostenlos sein.”, sagt Adele Desana. “Deshalb haben wir vor, einen Onlinekurs zum nachhaltigen Finanzwesen für eine sehr geringe Gebühr oder sogar kostenlos anzubieten.” Foto: Futury.

Warum haltet ihr es für wichtig, junge Menschen noch während ihres Studiums über Plattformen wie eure mit Unternehmen in Verbindung zu bringen?

Adele: Student*innen sind sehr daran interessiert, so früh wie möglich mit Unternehmen in Kontakt zu treten, denn das erleichtert ihnen den Einstieg in den Arbeitsmarkt nach dem Studium. Und die Firmen suchen jetzt nach Leuten mit Expertise, welche nur durch Berufserfahrungen gewonnen werden kann. Der Aufbau eines Netzwerks kann später enorm helfen.

Nadine: Viele der größeren Unternehmen haben Schwierigkeiten, junge Leute zu finden, weil diese die Welt verändern möchten und nicht viele Chancen bei ihnen sehen. Aber wir sollten die Unternehmen bei der Arbeit im Bereich der Nachhaltigkeit nicht zurücklassen. Sie spielen eine entscheidende Rolle in unserer Gesellschaft, sie stellen so viele Arbeitsplätze. Wir müssen ihre Funktion in unserem täglichen Leben anerkennen und ihnen helfen, sich an neue Standards anzupassen. Auf diese Weise werden sie wieder attraktiver für jüngere Generationen.

Die neue Plattform GreEnFin bringt einerseits Student*innen zusammen, die mehr über nachhaltige Finanzen lernen möchten. Andererseits werden sie mit Unternehmen verbunden, die wichtig sind, wenn es darum geht, nachhaltige Prinzipien in der Praxis umzusetzen. Foto: Futury.

Wo wir gerade davon sprechen: In das eigene Wissen zu investieren ist eine Sache, aber es gibt immer Unternehmen, die das auch tun. Denkt ihr, dass sich dieser Trend in Zukunft noch verstärken wird?

Nadine: Wir brauchen nach wie vor unabhängige Bildungseinrichtungen, die nicht von wirtschaftlichen Interessen getrieben werden, denn dies bedeutet weniger Kontrolle über das Gelehrte. Unternehmen können nützliche Erkenntnisse liefern, aber sie sollten traditionelle, unabhängige Bildungseinrichtungen nicht ersetzen.

Adele: Auf der anderen Seite sehen wir große Unternehmen wie Microsoft oder Google, die ihre eigenen Akademien hochziehen, an denen sie Student*innen ausbilden. Ich denke, in gewissem Maße wird das noch weiter zunehmen. Aber ich schließe mich da Nadine an – es sollte immer unabhängige Bildungseinrichtungen geben.

Viele haben jedoch Probleme, ihre Ausbildung zu finanzieren – beispielsweise gibt es teure Onlinekurse und Universitätsprogramme zum Thema Sustainable Finance. Warum ist das so und was wollt ihr daran ändern?

Adele: Kurse sind oft teuer, weil erfahrene Professor*innen einen wirklich hohen Preis für ihre Expertise verlangen und man oft auch für eine bestimmte Marke bezahlt. Das ist meiner Meinung nach nicht fair. Bildung sollte überall kostenlos sein. Deshalb haben wir vor, einen Onlinekurs zum nachhaltigen Finanzwesen für eine sehr geringe Gebühr oder sogar kostenlos anzubieten.

Nadine: Ich möchte noch hinzufügen, dass sich viele Weiterbildungskurse da draußen an Geschäftsführer*innen richten und von deren Unternehmen bezahlt werden. Ich stimme zu, dass Bildung für jede*n erschwinglich sein sollte. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob sie kostenlos sein sollte, denn für mich stellt sich eher die Frage, wer dafür bezahlt. Bildung sollte einen gewissen Wert haben, gleichzeitig muss sie zugänglich sein. Solche Überlegungen zeigen auf, wie gleichberechtigt unsere Gesellschaft ist und wer inwiefern befähigt wird.

„The Mission“ bringt in 12 Projekten Unternehmen und Studenten aus verschiedenen Branchen zusammen und arbeitet dabei an nachhaltigen Lösungen für die Zukunft. Foto: Futury.

Noch eine Sache: Gibt es etwas, das ihr euch für die Zukunft wünscht? Habt ihr eine utopische Idee oder eine Entwicklung im Kopf?

Nadine: Es tut sich etwas beim Thema, Bildung durch E-Learning in Entwicklungsländer zu bringen. Es gibt viele Möglichkeiten, was E-Learning betrifft, aber dieser Ansatz ist nicht so effektiv, wie in einem Klassenzimmer zu sitzen und miteinander zu interagieren. Wir müssen das Lernen mithilfe digitaler Werkzeuge verbessern, aber ich sehe noch nicht, dass das in der Praxis gut funktioniert.

Adele: Ich wünsche mir, dass die Universitäten und der gesamte Schulsektor zu der Leidenschaft zurückkehren, die sie früher einmal hatten, und dass sie wieder weniger von Profitabilität getrieben werden. Es wäre schön, wieder leidenschaftliche Professor*innen zu sehen – und zwar nicht nur an Elite-Universitäten.

Vielen Dank für das Gespräch!

„The Mission“ wird von der Deutschen Bank, der Gesellschaft Futury, welche zur privaten, unabhängigen Werte-Stiftung gehört, der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company, Green Cycle sowie der Handelsblatt Media Group unterstützt.

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Wissen per Knopfdruck – gebildet in wenigen Sekunden?

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Wissen per Knopfdruck – gebildet in wenigen Sekunden?

Sekundenschnell geballtes Wissen abrufen und eine vielversprechende Karriere dank teurer Bildungschips? Foto: Guilherme Stecanella.

Im Jahr 2107 ist es möglich, Bildungschips zu kaufen und geballtes Wissen in verschiedenen Bereichen innerhalb weniger Sekunden zu erlangen – es ist nur eine Frage des Geldes. Die einen nutzen es, um extrem schnell ins Berufsleben einzusteigen, die anderen in ihrer Freizeit. Doch was muss die Gesellschaft tun, damit sich keine neue Bildungselite entwickelt?

Zum 18. Geburtstag bekam Lydia ihren ersten Bildungschip. Zum einen lag es daran, dass sie volljährig wurde, zum anderen, weil genau 150 Jahre zuvor, am 04. Oktober 1957, das Zeitalter der Raumfahrt begonnen hatte.

Der „Sputnik-Schock“, der alles ins Rollen bringt

Der Artikel über den Start des Sputnik-Satelliten in der Washington Post aus dem Jahr 1957.

Lydia hatte sich Monate zuvor durch die Onlinemodule ihres Schulprogramms geklickt und war auf das Kapitel „Der Sputnik-Schock“ gestoßen. Es war mit einem grünen Häkchen versehen, was bedeutete, dass es sich um ein verifiziertes Modul handelte – frei von Fake News. Dafür sorgte das KI-Programm, das im Hintergrund die eingegebenen Informationen scannte. Sie spielte das Wissen mittels eines Grundlagenchips, den alle Schüler*innen kostenfrei zur Verfügung gestellt bekamen, auf ihr Gehirn über und wusste ein paar Sekunden später Folgendes: Vor fast 150 Jahren war der erste künstliche Erdsatellit durch die damalige Sowjetunion ins Weltall gestartet worden. In den Jahren darauf entfachten vor allem in den USA – die am Wettlauf ins All mit der Sowjetunion am stärksten beteiligt waren – viele Diskussionen darüber, warum sie nun abgehängt wurden. Es gab laute Forderungen nach einer Reformation des Bildungssystems, viele davon wurden umgesetzt. Ziel war es vor allem, noch bildungsferne Gesellschaftsschichten zu erreichen und ihr Potenzial zu nutzen.

How to be a nerd in 3, 2, 1!

Nachdem Lydia das Kapitel beendet hatte, bat sie ihre Eltern um ein besonderes Geschenk zu ihrem 18. Geburtstag. Sie sagte, es sei kein Zufall, dass er auf das Jubiläum des Beginns der Raumfahrt fiel und sie seit Jahren nur eine Sache interessierte: die Astrophysik. Ihre Eltern wussten das, sie hatten es nur nie richtig ernst genommen, denn Lydia war ihrer Meinung nach vor allem sprachbegabt. Doch Lydia wünschte sich einen Bildungschip 3.0 mit einem darauf gespeicherten Kurs in Astrophysik. Ihre Eltern wussten natürlich von den verschiedenen Chips. Der Staat bezahlte seit Jahren sogenannte Grundlagenchips, damit Schüler*innen ihr Abitur machen konnten.

Im Jahr 2107 ist es möglich, Bildungschips zu kaufen und geballtes Wissen in verschiedenen Bereichen innerhalb weniger Sekunden zu erlangen. Foto: Mahdis Mousavi.

Doch alle weiteren Exemplare waren eine Frage des Geldes. Binnen weniger Sekunden konnte man sich medizinisches Wissen aneignen oder Beethovens Sinfonien dirigieren. Je nach Umfang der gespeicherten Informationen kostete ein Bildungschip mit Nischen- und Aufbauwissen zwischen 5.000 und 80.000 Global Dollar, Lydias Kurs in Astrophysik lag bei 30.000. Geld, das ihre Eltern hatten, weil sie seit den ersten Forschungsergebnissen an den Chips darauf sparten. Sie wussten damals nicht, wie sich ihr Kleinkind entwickeln würde, also gingen sie kein Risiko ein und wollten Lydia einen schnellen Zugang zu Bildung ermöglichen. Astrophysik wäre ihnen jedoch nie in den Sinn gekommen.

Kein Haken in Sicht – oder?

Gemeinsam mit ihren Eltern studierte Lydia die Bildungsrendite ihres Chips. Es lohnte sich sehr, jetzt in die Astrophysik zu investieren, weil eine Sättigung an Forscher*innen in diesem Feld nicht in Sicht war und spezielle Aufgabengebiete noch nicht von Robotern übernommen wurden. Schließlich willigten ihre Eltern ein. Sie wussten ja, dass Lydia durch den Chip vollkommen fehlerfreies Wissen erlangte und nicht Gefahr lief, ein Studium abbrechen zu müssen, weil es zu anspruchsvoll werden würde.

Wenige Wochen nach ihrem 18. Geburtstag arbeitete Lydia bereits an einem Lehrstuhl und investierte einen Teil ihres Gehalts in zwei Bildungschips mit Aufbaukursen zu ihren Grundlagen. Ein Jahr später ist sie nun Forscherin an einem angesehenen Institut. Zeitgleich kritisiert ein Finanzhistoriker, dass sich nach „zehn Jahren Bildungschips“ noch immer nichts am fehlenden Zugang für niedrige Einkommensschichten geändert habe. Er warnt vor einer Bildungselite, wie die Geschichte sie schon bereits etliche Male erlebt hatte.

Binnen weniger Sekunden konnte man sich medizinisches Wissen aneignen oder Beethovens Sinfonien dirigieren. Je nach Umfang der gespeicherten Informationen kostete ein Bildungschip mit Nischen- und Aufbauwissen zwischen 5.000 und 80.000 Global Dollar. Foto: Christian Wiediger.

Bildungschips mit Grundlagenwissen müssen zugänglich für alle sein

Lydia erinnert sich an die Erzählungen ihrer Großmutter und wie hart es für sie und auch ihre Mutter, Lydias Urgroßmutter, gewesen war, ihre Schulden nach einem langen Studium zu tilgen. Das will sie nicht erleben und auch ihren Kindern soll es erspart bleiben. Ein plötzliches Erwachen wie den Sputnik-Schock gilt es ihrer Meinung nach zu verhindern.

Sie gründet mit mehreren Kolleg*innen eine Plattform. Diese setzt sich dafür ein, Chips mit Grundlagenwissen frei zugänglich zu machen. Finanzieren sollen das vor allem diejenigen, die aufgrund der Chips einen hohen Grad an Bildung (bestimmte Anzahl gewisser Chips) und Einkommen (muss noch festgelegt werden) genießen sowie selbst schuldenfrei sind. Prozentuale Anteile ihres Verdienstes gehen damit direkt an Menschen, die sich für einen Chip registrieren – zurückzahlen müssen sie nichts davon, jedoch selbst irgendwann reinvestieren. Außerdem sollen durch diese Verknüpfung die Bildungschips wieder an Wert gewinnen und weniger als Zeitvertreib reicher Menschen dienen.

Vor fast 150 Jahren war der erste künstliche Erdsatellit durch die damalige Sowjetunion ins Weltall gestartet worden. Foto: Alex Franzelin.

Wissen to go: schöner Schein mit Ablaufdatum?

Ihre Bildung per Knopfdruck erlangt zu haben, bereitet Lydia kein schlechtes Gewissen, denn sie bekleidet einen wichtigen Job, der ihr so viel Geld bringt, dass sie Bildungsreisen unternehmen, viel spenden und ihre Eltern finanziell unterstützen kann. Außerdem nutzen die meisten ihrer Freund*innen ebenfalls die Chips, einige investieren bereits auch in ihre Plattform. Wie lange das so funktioniert und ob die Gesellschaft genug dafür tut, um den Wert von Bildung weiterhin aufrechtzuerhalten, weiß sie nicht. Doch sie findet es nur fair, dass jede*r andere dieselbe Möglichkeit erhält wie sie.

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Header Credit: Alicia Kassebohm.