Fast alle sind von irgendetwas angewidert. Aber warum? Wie der Ekel in der Evolution des Menschen als Vehikel für unser Reinheitsverständnis herhielt und warum wir uns von Dingen, die uns anekeln, oft auch etwas angezogen fühlen.
Geekelt hat sich jeder schon mal. Vor Dingen mit aufdringlicher, scheinbar unausweichlicher, ja widerlicher Präsenz: vor dem Geruch von Kot, verdorbenem Fleisch oder gar vor Leichen. Vor dem Anblick von Schimmel, einer eiternden Wunde oder der Begegnung mit Ratten, Mäusen, Würmern oder Maden. Manchen Menschen reicht bereits ein zu starker Schweißgeruch oder zu viel Körperbehaarung, um ein ernsthaftes Ekelgefühl auszulösen. Die Empfindung des Ekels führt bei vielen zum sich-Abwenden, manchmal sogar zum Erbrechen oder bis zur Ohnmacht. Ekel ist universell. Und dennoch ist seine Empfindung nicht angeboren. Neugeborene ekelt tatsächlich nichts wirklich. Erst mit knapp zwei Jahren beginnen Kleinkinder sich zu ekeln – zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich langsam aber sicher von ihren Eltern unabhängig machen.
Der Ekel als Entwicklungsschranke des Menschen
Lust und Ekel, schlussfolgert der Kulturtheoretiker Winfred Menninghaus in seiner Abhandlung „Ekel – Theorie und Geschichte einer starken Empfindung”, sind sich so gesehen viel ähnlicher als man es auf den ersten Blick vielleicht vermuten würde. Der Ekel sei eine fundamentale Erfahrung „ungewollter Nähe”, schreibt er. Wo die Funktion des Appetits und des Begehrens darin bestehe, eine zuvor bestehende Distanz zu überbrücken, gehe es beim Ekel ganz im Gegenteil darum, eine falsche Nähe abzuwehren, sich ihr geradezu gewaltvoll entgegenzustellen – wie eine Art instinktives Neinsagen, zum Zweck des Überlebens.
Dass die Lust der Gegenpart des Ekels ist und sich ihre Gegenstände sogar teils überschneiden, wir gegenüber Dingen, die uns anekeln, also oft auch eine sonderbare Art der Anziehung empfinden, zeigt Menninghaus anhand unseres Verhältnisses zu Körperflüssigkeiten und Fetischen. Für Freud, den Vater der Psychoanalyse, ist der Ekel sogar noch enger mit der Sexualität verknüpft. Er verstand den Ekel als Symptom einer Unterdrückung archaischer Sexualtriebe, einer „analen Erotik”, die auf eine kindliche Entwicklungsphase zurückging. Im „Trend zur Sauberkeit” des 20. Jahrhunderts erkannte Freud eine Tendenz, die zwar nach außen hin durch hygienische Erwägungen gerechtfertigt wurde, ihm zufolge aber ebenfalls als Ausdruck verdrängter Sexualität angesehen werden musste.
Die psychologische Erklärung des Ekelgefühls
Heute sind sich Psychologen, was den evolutionären Ursprung des Ekelgefühls angeht, weitgehend einig: Seine Entstehung, so wird angenommen, sei eng mit dem Würgereflex verknüpft. Von Beginn an hatte der Ekel also eine Art instinktive Schutzfunktion, vor Krankheitsübertragung und gesundheitsschädlicher Nahrung. Simone Schnall, Cambridge-Dozentin für experimentelle Sozialpsychologie und Mitherausgeberin einer Studie zur „Entwicklung des Verhaltens zur Vermeidung von Krankheitserregern und Parasiten” vermutet, dass dem Ekel sowohl genetische, als auch erlernte Komponenten innewohnen. Zusammen mit ihren Kollegen versucht sie zu ergründen, warum manche Menschen anfälliger für Ekelgefühle sind als andere.
Für die leichter angeekelte Gruppe sei es schlicht einfacher, Anzeichen gesundheitlicher Gefahren oder Krankheit zu erkennen, behauptet Schnall. In jedem Fall liege dem Ekel aber auch ein Lernprozess zugrunde: „Das ist so etwas wie: Ich habe das angefasst und es hat mich krank gemacht.“ Die Cambridge-Studie unterscheidet in sechs fundamentale Ekelkategorien, Säulen des Ekels, wenn man so will: An erster Stelle steht, kein Wunder, mangelnde Hygiene. Dazu kommen weitere Faktoren: ein atypisches Erscheinungsbild, krankheitsübertragende Tiere, sichtbare Verwundungen und Anzeichen einer Infektion, verfallende Lebensmittel und bestimmte sexuelle Handlungen.
Der Ursprung des Ekels ist nicht klar datierbar
Wann genau sich die Menschheit jedoch zu ekeln begann, und wie genau der Ekel auf die Hygiene-Bewegung zurückwirkt, das lässt sich kulturgeschichtlich nur sehr schwer bestimmen. Erste historische Erwähnungen des Ekels finden sich bereits in der Antike. Klar ist: Die Funktion des Ekels, nämlich den Menschen vor Dingen zu schützen, die ihm gefährlich werden könnten, leiten auch die Überlegungen zur Hygiene an. Weder der Ekel noch die Hygiene des Menschen lassen sich völlig unabhängig vom Überlebensinstinkt des Menschen verstehen. Gleichzeitig ist Ekel erlernt und kontextabhängig. Manche Vegetarier ekeln sich vor einem saftigen Steak so sehr wie manch andere vor dem Geruch toten Fleisches. Vorstellbar wäre, dass sich das Ekelgefühl der Menschheit evolutionär weiterentwickelt und wir uns vor rußenden Schornsteinen, verunreinigten Gewässern oder umweltschädlichen Verhaltensweisen einmal genauso sehr ekeln könnten wie wir das bereits heute vor potenziell krankheitsübertragenden Tieren oder starken Gerüchen tun.