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Kompendium

Armut und Ungleichheit sind ein Wachstumshindernis. Inklusion dagegen ist ein Katalysator für wirtschaftlichen Erfolg. Über die Geschichte der Menschheit hinweg lassen sich zahlreiche Beispiele dafür finden, wie wichtig es ist, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft oder eines Systems zu diesem auch Zugang erhalten – insbesondere schlechter gestellte oder diskriminierte Gruppen und Länder.

Kompendium: Inklusives Wachstum

Die Ablösung von den Grund- und Leibherren brachte den Bauern in der Vergangenheit Entscheidungsfreiheit. In der Folge verbesserte sich die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und die Mobilität zwischen Stadt und Land. Die Bauernbefreiung legte den Grundstein der Urbanisierung.

Kompendium: Inklusives Wachstum

Durch neuartige Technologien wie das Fließband werden im Fordismus Arbeitsprozesse effizienter und Produkte erschwinglicher. Der Staat interveniert, Löhne werden angehoben, die Nachfrage wird erhöht, die Wirtschaft angekurbelt.

Kompendium: Inklusives Wachstum

Irland ist ein Glanzbeispiel für inklusives Wachstum im EU-Kontext. Gleichzeitig wandelte sich Irland in kürzester Zeit vom Geringverdiener zur Steueroase für Tech-Giganten wie Apple und Google. Was ist passiert?

Kompendium: Inklusives Wachstum

Durch Mikrokredite erhalten die Benachteiligten dieser Welt eine Chance ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Kleinere Geldsummen sollten ihnen ermöglichen, Geschäfte wie Nähereien oder Kioske zu betreiben. Ein Blick in das Jahr 2030.

Kompendium: Inklusives Wachstum

Das Grundeinkommen, auch Bürgergeld genannt, hat es vom sozialpolitischen Experiment in den Mainstream geschafft und wird mittlerweile völlig bedingungslos verteilt.

Kompendium: Inklusives Wachstum

Die Bauernbefreiung – ein Erster Schritt

Kompendium: Inklusives Wachstum

Die Bauernbefreiung – ein Erster Schritt

Bauern im Jahr 1785 bei der Kornernte auf dem Feld. Foto: The Yorck Project.

Die Ablösung von den Grund- und Leibherren brachte den Bauern in der Vergangenheit Entscheidungsfreiheit. In der Folge verbesserte sich die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und die Mobilität zwischen Stadt und Land. Die Bauernbefreiung legte den Grundstein der Urbanisierung.

Wenn die Diversity-Beraterin Anise D. Wiley-Little von „profitabler Vielfalt” und „Inklusivem Wachstum“ spricht, dann meint sie damit ein Konzept, das die Kategorien Gender und Race genauso betrifft wie Klassen- und Armutsgrenzen. Intersektionales Denken wird dabei auf wirtschaftliche Erfolgsraten übertragen.

Wiley-Little argumentiert, dass wir die Vielschichtigkeit und Mannigfaltigkeit gesellschaftlicher Diskriminierung anerkennen und anfangen müssen, soziale Gleichstellung als Erfolgsmotor zu verstehen. Würde man diesen Gedanken auf das Deutschland des 19. Jahrhunderts übertragen, dann wäre die Bauernbefreiung – zumindest was die Klassengrenzen und soziale Mobilität betrifft – wohl ein Schritt in die richtige Richtung.

Der Bauer: vom Verwalter zum Bürger

 Dieser Schritt aber vollzog sich, anders als der Name suggeriert, keineswegs von heute auf morgen. Es war ein zäher, über 100 Jahre währender Reformprozess, in dem sich die herrschaftlichen Rechte des Adels an die Bauern stückweise auflösten. Bis dato waren die Bauern als Leibeigene der persönlichen Verfügung der Leibherren unterstanden: eine Vorstufe der Sklaverei, wenn man so will. Am Ende dieses Prozesses war der Bauer nicht mehr nur Land-„Wirt”, sondern gleichberechtigter Land-„Bewohner” – er wurde vom Verwalter zum Bürger. Doch die Reformen stärkten keineswegs nur die Bauern. Sie betrafen die Landwirtschaft als Ganze und trugen zu mehr Profit, gesellschaftlicher Stabilität und Sicherheit bei. Die Ungleichheit der vorangehenden Jahrhunderte erwies sich im Nachhinein als Hindernis für das Wirtschaftswachstum der damals noch im Entstehen begriffenen deutschen Gesellschaft, anstatt, wie einst vermutet, als ihr Garant.

Bauern im Jahr 1960 mit Melkmaschinen vor dem Kuhstall. Foto: Wittig von Wikimedia Commons.

Der revolutionäre Funke springt über

Die Schockwellen der französischen Revolution hatten zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch Preußen, Sachsen und die anderen deutschen Regionen erreicht. Wo die Leibeigenschaft in Frankreich bereits im Jahr 1779 aufgehoben worden war, sollte es hier noch knapp 50 Jahre andauern, bis der revolutionäre Funke übersprang. Es war das Jahr der Pariser Julirevolution, 1830: Aus der latenten Unzufriedenheit der deutschen Bauern wurde offener Aufruhr. Zollhäuser wurden gestürmt, Obrigkeiten entwaffnet. Die liberale Opposition in den deutschen Regionen setzte nach und nach Verfassungen und Gesetze durch, die die Abhängigkeiten der Bauern aufhoben und dem Adel seine landwirtschaftlichen Privilegien absprachen. Die Auflösung der einstigen Ordnung endete allerdings nicht bei den Rechten der Bauern: Sie führte zu einer umfassenden Veränderung der Gesellschaft auf dem Weg hin zur Moderne. Demokratie, Industrialisierung, Mobilität – all das wäre ohne die Bauernbefreiung von damals schwer vorstellbar gewesen.

Das Beispiel Hannover

Die Gesetze, die im Jahr 1931 und in den Folgejahren in Regionen wie Hannover verabschiedet wurden, waren zwar zu Beginn nur in verwässerter Form durchgesetzt worden. So beschreibt der Historiker Karl Heinz Schneider in seinem Standardwerk Geschichte der Bauernbefreiung, wie in Hannover noch über 30 Jahre nach Erlass der Ablösungsregelungen nur drei Viertel der feudalen Lasten aufgehoben waren. Von einem schlagartigen Befreiungsschlag kann also keine Rede sein. Dennoch, so Schneider: „Die Reformen [brachten] einen erheblichen Fortschritt. Die Bauern wurden freie Eigentümer ihres Landes, und es entstand ein freier Immobilienmarkt, der eine wichtige Voraussetzung für den Urbanisierungsprozess in Deutschland war.”    

Rückblickend war die Bauernbefreiung eine historische Chance: Auf ihr aufbauend wurden neue Bewirtschaftungstechniken entwickelt, erstmals Kunstdünger gefördert und neue Früchte angebaut. Die Getreideproduktion und die Viehbestände wuchsen. Letztlich ergänzten die Feudalablösung und die einsetzende Industrialisierung sich gegenseitig.

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Kompendium: Inklusives Wachstum

Wohlfahrtsstaat oder Dystopie? – Fordismus

Kompendium: Inklusives Wachstum

Wohlfahrtsstaat oder Dystopie? – Fordismus

Fließbandarbeit einer Industriearbeiterin im Getränkekombinat in Magdeburg. Foto: Thomas Uhlemann.

Durch neuartige Technologien wie das Fließband werden im Fordismus Arbeitsprozesse effizienter und Produkte erschwinglicher. Der Staat interveniert, Löhne werden angehoben, die Nachfrage wird erhöht, die Wirtschaft angekurbelt.

Aldous Huxleys Roman Brave New World gilt als ein Standardwerk der literarischen Staatskritik. Huxley beschreibt darin eine futuristische Dystopie, in der die Bürger lediglich die Rolle der ihnen genetisch vorprogrammierten Kaste ausführen. Es ist eine Welt von Alphas, Betas und Epsilons, eine Welt, in der Glück drogeninduziert ist und Promiskuität ein Gebot. Huxleys Vorbild und Inspiration dafür war der Fordismus, jenes Wirtschaftsmodell, das durch technische Neuerungen und Verbesserung der Lebensumstände der Arbeiter in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts den Weg für den US-Wohlfahrtsstaat ebnete. Das fraglos berühmteste Beispiel der fordistischen Warenproduktion, ist die Einführung des Fließbands in der Automobilherstellung der Ford-Werke in den USA und die damit einhergehende Anhebung der Löhne und Lebensstandards. Die Massenarmut und Not in den USA nahm ab, die Arbeitslosigkeit sank bis zur Vollbeschäftigung, das Proletariat verbürgerlichte, die sogenannte Mittelschichtsgesellschaft entstand.

Dystopie und Wirklichkeit

 Es ist jene Mittelschicht, die im Jahr 2015 im „Bericht der Kommission für Inklusive Prosperität” des Center for American Progress als Grundstein für Fortschritt, Inklusion und Wachstum bezeichnet wird. Der Bericht ist das Ergebnis der Arbeit einer 17-köpfigen Kommission, angeleitet vom ehemaligen US-Finanzminister Larry Summers und Ed Balls, Sprecher der britischen Labour Party. Die Kernbotschaft lautet: Industrielle Demokratien scheitern – zum ersten Mal seit der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre – daran, den Lebensstandard und die soziale Mobilität zu sichern und Ungleichheit zu bekämpfen. „Die Geschichte zeigt uns, dass Gesellschaften gerade dann Erfolg haben, wenn sie die Früchte des Wachstums gleichmäßig verteilen”, heißt es darin. „Doch ohne eine breite, fortschrittsorientierte Mittelschicht wird keine Gesellschaft je wirkliche Erfolge verbuchen können.”

Tatsächlich wirken die Empfehlungen des Berichts teils, als seien sie einem Katalog für historische Neuerungen der fordistischen Ära auf dem Weg zur sozialen Marktwirtschaft entnommen. Die Forderungen reichen von Maßnahmen wie der Anhebung des Mindestlohns über Förderung der Gewerkschaften, Lohnkostenzuschüsse für Geringverdiener, Investitionen in Infrastruktur und Bildung, bis hin zu progressiver Besteuerung.  

Henry Ford – Automagnat und Antisemit

Henry Ford und sein Acht-Zylinder Motor. Foto: Ndwariga / CC by 2.0.

Henry Ford wird in Huxleys „Schönen Neuen Welt“ sogar selbst namentlich genannt, als eine Art messianischer Übervater („Unser Ford”), was viel über die Antipathie des Autors gegenüber dem Automobilmagnaten verrät. Dass der Namensgeber des Fordismus, indem er die Fließbandproduktion standardisierte, tatsächlich das Wohl der Allgemeinheit im Blick hatte, darf  bezweifelt werden. Ford war nicht zuletzt auch brennender Antisemit, der die „Protokolle der Weisen von Zion” vertrieb und ein Buch schrieb, das Der Internationale Jude – Das Größte Problem der Welt hieß. Seine menschenverachtenden Ansichten können dennoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass das fordistische Produktionsmodell in den USA den Grundstein für eine Variante des Wohlfahrtsstaats legte.

Die enthusiastische Betrachtung des amerikanischen Modells seitens der Sovjets

Popularität erlangte der Fordismusbegriff besonders durch den italienischen Intellektuellen Antonio Gramsci, der im Fordismus eine „passive Revolution” zu erkennen glaubte und ihn als eine marxistische Ökonomiekritik interpretierte. Gramsci sah in den ökonomischen Wandlungen in den USA eine Umwälzung vom „alten” Individualismus hin zur Planwirtschaft – innerhalb des kapitalistischen Systems, versteht sich. „Allgemein”, schrieb er, „ließe sich sagen, dass der Fordismus aus einer inhärenten Notwendigkeit heraus die Organisation einer Planwirtschaft anstrebt.” In seinen Schriften stellte er zudem Überlegungen zur Möglichkeit der Übertragung des amerikanischen Modells auf andere Kontexte an, unter anderem den europäischen. Wer Gramscis Analyse liest, wird kaum überrascht sein, wie enthusiastisch der Fordismus von sozialistischen Staaten wie der Sowjetunion aufgenommen wurde. Die Sowjets ließen in den 20er und 30er Jahren sogar amerikanische Experten einfliegen und planten, US-Bautechniken in ihre Infrastruktur zu integrieren. Später hielt der Begriff des Fordismus Einzug in das wirtschaftliche Vokabular, auch fernab des Marxismus.

Der Preis der Reform

Das Beispiel des Fordismus zeigt eindrücklich, wie ein Mehr an Chancengleichheit und  Wohlstand zu mehr wirtschaftlichem Wachstum führen kann. Der für den Erfolg des Fordismus letztlich ausschlaggebendste Effekt war der ökonomische Erfolg des Modells. Die US-Wirtschaft war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weltweit führend, und die durch die Fließbandproduktion angestoßenen Wandlungen waren dabei kein unbedeutender Faktor. Ein anderer Effekt der Reform: Die Standardisierung des amerikanischen Lebensstils, die sich insbesondere im Massenkonsum und biedermeierlichen Konservatismus der 40er und 50er Jahre zeigte. Eine Art zu leben, die in Amerika letztendlich die Auflehnung der individualistischen Gegenkulturen der 60er und 70er Jahre provozierte.

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Kompendium: Inklusives Wachstum

Irland in der Europäischen Union – zwischen Wachstumsvorbild und Steueroase

Kompendium: Inklusives Wachstum

Irland in der Europäischen Union – zwischen Wachstumsvorbild und Steueroase

Der beliebte Stadtteil Tempelbar in Dublin. Foto: Diogo Palhais.

Irland ist ein Glanzbeispiel für inklusives Wachstum im EU-Kontext. Das Land profitierte mannigfaltig von den Zuwendungen der Europäischen Union. Gleichzeitig wandelte sich Irland in kürzester Zeit vom Geringverdiener zur Steueroase für Tech-Giganten wie Apple und Google. Was ist passiert?

Was den Brexit angeht, geht es in Europa heute nicht mehr um das Wie, sondern um das Ob. Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich befinden sich in einer kritischen Endphase. Klar ist: Das Ergebnis könnte Irland stärker treffen als das Vereinigte Königreich selbst. Denn Irlands wirtschaftliches Gleichgewicht basiert auf Exporten, und ca. 85 % davon verlaufen durch das zum Vereinigten Königreich gehörende Nordirland. Selbst wenn die umstrittene Backstop-Klausel ratifiziert wird – wenn die Grenze zwischen Irland und Nordirland in ihrer jetzigen Form, ohne einschneidende Grenzanlagen, bestehen bleibt –, ist klar: die Wirtschaft des irischen Inselstaats ist bedroht. Denn ein Post-EU-Vereinigtes Königreich wird mit großer Wahrscheinlichkeit weitreichende Spannungen im Handel verursachen, die Irland schaden könnten.

Die Erfolgsgeschichte Irlands dank Inklusiven Wachstums

Die mögliche Bedrohung der irischen Wirtschaft ist auch deshalb besorgniserregend, da sich in Irland in den letzten Jahrzehnten ein ökonomischer Wandel vollzogen hat, der wie ein kleines Wunder daherkommt. Noch zu Beginn der 80er Jahre war Irlands Pro-Kopf-Einkommen neben Griechenland eines der niedrigsten in Europa. Die Arbeitslosigkeit lag weit über 16 %. Doch kurz nach der Gründung der EU zeichnete sich ein Wandel ab. Das Pro-Kopf-Einkommen des Landes stieg kontinuierlich. Technologie-Giganten wie Apple, Microsoft und später auch Google lagerten ihre Firmenstandorte nach Irland aus. Hinzu kamen zahlreiche größere Pharma-Konzerne. Heute sind mehr als die Hälfte der irischen Exportprodukte Arzneimittel.

Die Tech- und Pharma-Unternehmen erschlossen sich den irischen Markt mit fragwürdigem Enthusiasmus. Was sie vorfanden, waren hochgebildete, englischsprachige Arbeitskräfte, die bereit waren, für einen Bruchteil dessen zu arbeiten, was US-amerikanische oder deutsche Arbeitnehmer verdienten. Doch schon bald änderten sich auch die Bedingungen des irischen Marktes. Nur knapp 15 Jahre später, zu Beginn des neuen Jahrtausends, lag Irlands Bruttoinlandsprodukt bei 130 % Prozent des EU-Durchschnitts. Erstmals in seiner Geschichte erlebte das Land Zuwanderung. Neben den neuen Wirtschaftszweigen im Hightech- und Pharma-Bereich begann der Inselstaat seine landwirtschaftlichen Betriebszweige und die Lebensmittelindustrie weiterzuentwickeln.

Apples Steuertricks sind Gift für das Wirtschaftskonzept der EU

Irlands Wirtschaftswachstum wurde oft auf die hohe Bildung und den Fleiß der Iren zurückgeführt, die endlich zu bekommen schienen, was sie verdienten. Zudem waren die ökonomischen Startbedingungen während der Hauptwachstumsphase weltweit besser als sonst: Sie fiel in eine Zeit, die Ökonomen als die „Great Moderation” bezeichnen – eine Abnahme der Konjunkturschwankungen in den Industriestaaten ab Mitte der 80er Jahre, die oft als Folge eines Politikwechsel der Zentralbanken interpretiert wurde.

Ein weiterer Faktor, der den Erfolg der irischen Wirtschaft befeuerte und in den letzten Jahren heftig diskutiert wurde, war das System an Steuervermeidungen, das ausländische Firmen wie Apple und Google in Irland anwendeten. Ein System das, wie Kritiker behaupten, von Irland selbst mitentwickelt wurde, im Gegenzug für die Bereitstellung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze durch genannte Konzerne. Dass sich dies folgenschwer auf die europäischen Märkte auswirkte – Apples Steuertricks allein kosteten die EU zwischen den Jahren 2015 und 2017 schätzungsweise bis zu 21 Milliarden Euro –, ist eine bittere Ironie. Denn es ist nicht zuletzt auch das Inclusive-Growth-Modell Europas, das Irland längerfristig konkurrenzfähig macht.

Inklusives Wachstum im EU-Kontext

Was heißt inklusives Wachstum im EU-Kontext? In der Theorie kann man sich die EU wie ein kreisrundes Tablett vorstellen: Je voller die darauf verteilten Gläser – Wasserfülle steht dabei für Wohlstand und Wachstum –, desto ausbalancierter ist das Tablett als Ganzes, desto unwahrscheinlicher ist, dass es dem Kellner aus der Hand rutscht. Anders gesagt: Je besser jeder einzelne Partner der EU steht, desto mehr profitiert die EU als großes Ganzes. In Zahlen der Europäischen Kommission ausgedrückt: Irland verbuchte seit dem Jahr 1976 einen Nettogewinn von 44,6 Milliarden Euro aus dem Budget, das die EU in das Land investierte.  

Ireland Flag Europe

In der Theorie kann man sich die EU wie ein kreisrundes Tablett vorstellen: Je voller die darauf verteilten Gläser verteilen, desto ausbalancierter ist das Tablett als Ganzes. Foto: Sara Kurfeß / Joshua Hoffman.

„Die Beschäftigungschancen, die Qualität der Arbeit, die Gesundheit, die Erziehung und die Möglichkeit, mit der Zeit reich zu werden – all das ist wesentlich für das Wohlbefinden der Menschen.” Das erklärte der OECD-Generalsekretär José Ángel Gurría in einem im Jahr 2014 vorgestellten Bericht zum Thema inklusives Wachstum. Die Kernthese des Berichts lautete: Das Bruttoinlandsprodukt und seine Steigerung können heute nicht mehr der einzige Gradmesser für Wohlstand und Glück sein. Wachstum muss umfassender bemessen werden. Wer die EU-Initiativen und Zuwendungen für Irland näher betrachtet, könnte meinen, Gurrías Worte seien dafür wie eine Art Stichwortkatalog herangezogen worden. So investierte die EU über die letzten Jahre seit Anbruch des neuen Jahrtausends etwa in ein „Youth Garantee”-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Sie engagierte sich zudem in Programmen zur Stärkung von Arbeiterrechten und in Initiativen zur Gleichstellung von Frauen und zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheitsversorgung. Kurz: Was die ökonomische Zukunft Irlands anbelangt, denkt und handelt die EU längerfristig. Damit das umgekehrt genauso der Fall ist, wird Irland seine Steuerpolitik wohl mindestens reformieren müssen.

Mehr Wachstumsprognosen zur Europäischen Union findet ihr auch bei DB-Research

Weiterlesen Die Vision einer gerechteren Welt durch Mikrokredite
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Kompendium: Inklusives Wachstum

Die Vision einer gerechteren Welt durch Mikrokredite

Kompendium: Inklusives Wachstum

Die Vision einer gerechteren Welt durch Mikrokredite

Ein Stoffhändler auf dem Weg zur Arbeit in Varanasi, Indien. Foto: Sujith Devanagari.

Durch Mikrokredite erhalten die Benachteiligten dieser Welt eine Chance ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Kleinere Geldsummen sollten ihnen ermöglichen, Geschäfte wie Nähereien oder Kioske zu betreiben. Ein Blick in das Jahr 2030.

Durch Mikrokredite lässt sich in nur knapp zehn Jahren die Armut in der Welt effektiv bekämpfen. Oft sind dafür nur wenige Hundert Dollar nötig – Startkapital, das Menschen zu Unternehmern werden lässt, denen man diesen Schritt zuvor kaum zugetraut hätte. Bosnien und Herzegowina, Äthiopien, Indien, Mexiko, Marokko: Dies sind nur einige Länder, in denen Darlehensnehmer von Mikrokrediten profitieren und stärker an Märkten teilhaben. Der Lebensstandard, gemessen am Haushaltseinkommen und Verbrauch, steigt. Er kann zwar noch nicht mit dem der Geberländer mithalten. Doch zumindest wurde erstmals Wettbewerbsfähigkeit hergestellt.

In jedem steckt ein Unternehmer

   Die Idee der Mikrokredite ist nicht neu. Populär wurde sie in den 1980er Jahren durch den bengalischen Ökonomen Muhammad Yunus, der von einer Vision getrieben war, wonach die Armen dieser Welt versteckte Unternehmer seien und sich aus ihrer Armut befreien könnten, sofern sie nur den nötigen Zugang zu einer kleinen Summe Startkapital erhielten.

Infografik: Deutsche Bank.

Im Zentrum des Mikrofinanz-Gedankens stehen nicht großzügige Almosen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe. Yunus hatte damit eine Form der Entwicklungshilfe erfunden, die den Hilfsempfänger selbst ernst nimmt und die somit besser in unsere Zeit passt. Im Jahr 2006 erhielt er für die Gründung des Mikrokreditinstituts Grameen Bank den Friedensnobelpreis. Yunus Neuerung trug, so die Begründung des Nobel-Komitees zur Preisvergabe, „zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung von unten” bei.

   In den Folgejahren erlebte die Mikrokredit-Bewegung ein explosives Wachstum. Banken begannen reihenweise, in ärmeren Ländern Mikrokredite zu verteilen. Unter den privaten Anbietern hatte die Deutsche Bank Ende der 90er Jahre eine Pionierfunktion. Die Methoden, die Ausfallrisiken zu verringern, waren dabei so mannigfaltig wie die Anbieter selbst. Die Grameen Bank vergibt Kredite so gut wie nur an Gruppen – wobei sich Gruppenmitglieder öffentlich verpflichten füreinander zu bürgen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen zusammenschließen, die sich für kreditwürdig halten. Zudem überwachen sich die Mitglieder beim Zurückzahlen des Kredits. Andere Banken bestehen darauf, dass die Schuldner regelmäßig kleinere Raten zurückzahlen. Wieder andere knüpfen die Kreditvergabe an Treffen mit Investitionsberatern. In Programmen von Entwicklungshilfeorganisationen werden Mikrokredit-Hilfsgelder fast ausschließlich an Frauen ausgezahlt, da man die Erfahrung gemacht hat, dass Frauen zuverlässiger als Männer mit Geld umgehen können.  

Können Mikrokredite längerfristig Armut bekämpfen?

Mikrokredite bedeuten ein Mehr an Möglichkeiten für den Einzelnen. Dass sie jedoch längerfristig Armut bekämpfen, halten viele Experten fragwürdig. Ohne Rechtsstaatlichkeit, gesicherte demokratische Verfahren und eine Aufhebung von Krisen lässt sich Armut so leicht eben nicht aushebeln. Auf die Grenzen des Mikrokredit-Modells verweist auch eine Studienreihe, die im Jahr 2015 von einem Team führender Mikrofinanz-Wissenschaftler der Universitäten Yale, Dartmouth und MIT veröffentlicht wurde. Die Studie verglich die Zuwächse des Lebensstandards von Kreditnehmern ärmerer Länder mit denen von Nicht-Kreditnehmerländern über einen längeren Zeitraum. Die Forscher kamen letztendlich zu dem Schluss, dass die Errungenschaften durch Mikrokredite in den untersuchten Ländern zwar beobachtbar waren – aber nicht transformativ. Nichtsdestoweniger: Dass Mikrokredite den Menschen mehr Zugang zu Märkten verschaffen und damit – zumindest potenziell – Ungleichheit schmälern, gilt heute als belegt.

Mehr über das Engagement von Deutsche Bank im Bereich Mikrokredite und inklusives Wachstum findet man hier.

Weiterlesen Das Grundeinkommen als Katalysator für Innovation
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Das Grundeinkommen als Katalysator für Innovation

Kompendium: Inklusives Wachstum

Das Grundeinkommen als Katalysator für Innovation

Foto: Leo Manjarrez.

Das Grundeinkommen, auch Bürgergeld genannt, hat es vom sozialpolitischen Experiment in den Mainstream geschafft und wird mittlerweile völlig bedingungslos verteilt.

Wir schreiben das Jahr 2099, es ist kurz vor der Jahrhundertwende und die Armut in Europa hat ein Ende. Das Grundeinkommen bekommt jede und jeder – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Talent. Der Betrag von 300 G-Münzen, das Krypto-Äquivalent für umgerechnet knapp 1.000 Euro, wird monatlich auf die Konten europäischer Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt. Bedarfsprüfungen und müßige Behördengänge sind dadurch überflüssig geworden. Das Grundeinkommen bietet allen Menschen Anreize bei der Arbeitssuche oder auf dem Weg zur Entwicklung neuer Ideen und der Gründung eigener Unternehmen. Indem mehr Menschen in wirtschaftliche Prozesse eingebunden wurden, ist das Wirtschaftswachstum auf dem europäischen Kontinent rasant angestiegen.

Muss die Vision des Grundeinkommens eine bloße Zukunftsphantasie bleiben? Wir haben mit Claudia Cornelsen gesprochen, Autorin des im Jahr 2019 erschienen Buches Was Würdest Du Tun? Zusammen mit Michael Bohmeyer, Gründer des Vereins Mein Grundeinkommen, untersucht sie echte Fälle von Menschen, die das bedingungslose Geld erhalten haben. Der Verein verlost per Crowdfunding finanziertes Geld: monatlich 1.000 Euro, die im Anschluss an die Verlosung über ein Jahr bedingungslos verteilt werden. Mehr als 250 Menschen haben die experimentelle Einkommenslotterie bereits gewonnen. Ihre Geschichten zeigen, was die Gewinnerinnen und Gewinner mit dem Geld vorhaben und wie sie es tatsächlich verwenden. Und auch, was das Geld mit ihnen macht.    

Claudia Cornelsen “Mein Grundeinkommen” von Foto: Oliver Betke.

Frau Cornelsen, worin besteht für Sie die Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens?

Das Grundeinkommen ist eine Existenzsicherung. Eine gesellschaftliche Verabredung, dass keiner unter das Existenzminimum rutscht: bis Betrag X bekommen alle das Gleiche, danach beginnt der Wettbewerb. Ein ähnliches Modell haben wir heute ja schon mit der Sozialhilfe. Aber die Sozialhilfe ist an individuelle Prüfungen und viel Bürokratie gebunden. Wenn wir Hartz IV in seiner jetzigen Form bedingungslos machen würden, dann hätten wir bereits ein Grundeinkommen.

Halten Sie diese Idee wirklich für realistisch?

Es gibt genug historische Beispiele für Dinge, die man sich früher nicht vorstellen konnte. Etwa das Frauenwahlrecht oder die Abschaffung der Prügelstrafe in deutschen Schulen. Heute ist es eher unvorstellbar, dass diese Dinge mal unvorstellbar waren. Ich sehe das mit dem Grundeinkommen ähnlich.

Was sagen Sie zu dem Argument, dass durch ein Grundeinkommen Arbeitsanreize verloren gehen würden?

Dass Arbeitsanreize wegfallen ist etwas, das immer gerne den anderen unterstellt wird. Deswegen fragen wir ja: „Was würdest du tun?”

Und das Verlosungsmodell simuliert die Idee?  

Das Verlosungskonzept ist wie ein Nichtschwimmerbecken. Man kann darin zwar noch nicht schwimmen, aber man weiß zumindest schon mal, wie sich Wasser anfühlt.

Stichwort inklusives Wachstum: Kann das Grundeinkommen längerfristig zu Wachstum beitragen?

Absolut, das Grundeinkommen soll ja Wirtschaft ermöglichen! Wir wollen nur weg vom paternalistischen Weltbild, weg vom staatlich gelenkten Misstrauen und den Sanktionen, hin zu mehr Freiheit und Empowerment. In unserer Studie gab es etliche Beispiele von Menschen in prekären Jobs, die das Grundeinkommen bekommen und trotzdem weitergearbeitet haben. Die wenigsten hören tatsächlich auf zu arbeiten. Die meisten nehmen noch nicht mal ein Sabbatical.

Woran liegt das in Ihren Augen?

Durch die monatliche Schichtung der 1.000 Euro entsteht eine Art Normalität. Viele Leute gönnen sich anfangs noch Luxusartikel. Dann aber stellen sich Fragen wie: „Was mache ich mit dem Geld? Was kann ich? Was will ich wirklich im Leben?” Viele Gewinner sagen im Vorhinein: Wenn ich das Geld bekomme, kündige ich meinen Job. Und wenn das Geld dann da ist, stellt sich plötzlich heraus: Ok, jetzt kann ich ja auch mal mit meinem Chef reden, Dinge verändern. Aus der Selbstwirksamkeitsoption, die das Grundeinkommen bietet, entsteht eine Selbstwirksamkeitskompetenz. Aus Fluchtträumen vom Auswandern werden Realitätsträume, die mehr Innovation bringen. Leute realisieren Dinge, die sie sich sonst nicht trauen würden.

Ließe sich denn durch das Grundeinkommen auch Armut bekämpfen?

Sicher. Wir hatten zum Beispiel einen Gewinner Ende 40, der sieben Jahre obdachlos war und bis dato Hartz IV bezogen hatte. Insofern waren die monatlichen 1.000 Euro zwar nicht viel mehr. Aber die Bedingungslosigkeit war eine befreiende Erfahrung. Er entwickelte neue Ideen, zog bei seiner Mutter ein, machte einen Führerschein, hörte auf zu trinken.

Und was heißt das auf die Gesellschaft übertragen?

Wenn man das Grundeinkommen flächendeckend denkt, dann wäre es natürlich eine Art Umverteilung. Aber für 90 % der Bevölkerung würde sich nicht viel verändern. Sehen Sie, in gewisser Weise haben wir ja bereits ein Grundeinkommen – in Form des Steuerfreibetrags. Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass die Sozialhilfehöhe und der Steuerfreibetrag immer dasselbe Niveau haben müssen. Wenn Sie Geld verdienen, bekommen Sie Ihr Grundeinkommen also steuerlich verrechnet. Und wenn nicht, dann bekommen Sie es so, nur eben ohne Bevormundung.

Ist das denn ökonomisch umsetzbar?

Ja, zahlreiche Ökonomen haben die Idee bereits durchgerechnet. Zum Stichwort Ökonomie. Das Grundeinkommen kann uns helfen zu überdenken, was Arbeit bedeutet. Wir sind ja heute sehr fixiert auf Industriearbeit, und lassen zum Beispiel die Kreativbranche viel zu sehr außer Acht. Wie aber finanzieren wir diese Märkte in Zukunft? Ein Mark Zuckerberg wäre in unserer Bedarfsprüfung sicherlich als studentischer Spinner abgetan worden. Wenn wir immer denken, wir wüssten, was in 20 Jahren passiert – oder, dass man eben geerbt haben muss, um innovativ zu sein – dann verbauen wir uns große Chancen für die Zukunft.

Frau Cornelsen, vielen Dank für das Gespräch.

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