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Kompendium

Mit den Panoramen des 19. Jahrhunderts hat man bereits erste immersive Erfahrungen machen können. Im Laufe der darauffolgenden Jahrhunderte werden die Illusionen immer perfekter – allerdings auch invasiver. Heute sprechen wir noch von einer Virtuellen Realität – morgen könnte die erweiterte Wahrnehmung dauerhaft in unsere Körper eingepflanzt sein.

Kompendium: Realität 4.0

Vor der Erfindung der Fotografie und der Verbreitung der Zeitung, konnte ein interessiertes Publikum durch Panoramen zum ersten Mal die Welt der Wissenschaft und Geschichte erkunden.

Kompendium: Realität 4.0

Die ersten virtuellen Räume werden geschaffen. Doch sind die Menschen bereit dafür? Sie machen die ersten Gehversuche mit Virtual Reality in der Welt der Videospiele.

Kompendium: Realität 4.0

Die Virtuelle Realität ist zurück: In den Hosentaschen vieler Menschen befinden sich leistungsstarke Computer. Die Anwendungen für neue Realitäten werden konkreter und greifen sogar in die politische Entscheidungsfindung mit ein.

Kompendium: Realität 4.0

Die Entwicklung von Augmented Reality wird soweit sein, dass sie sich immer nahtloser in unser Leben einfügt.

Kompendium: Realität 4.0

Technik wird unsichtbar – aus den Gadgets werden kleine Implantate. Ein neuer Realitätsbegriff wird sich durchsetzen – und jeder schafft sich eine eigene Welt.

Kompendium: Realität 4.0

Moderne Panoramen: die ersten immersiven Erfahrungen

Kompendium: Realität 4.0

Moderne Panoramen: die ersten immersiven Erfahrungen

Ein Georama hat schon im 19. Jahrundert die Illusion einer anderen Realität geschaffen. Bild: The named newspaper qualified the picture "The Giant Globe, unknown. Interior of Wyld's Great Globe, The Illustrated London News, 1851.", so the source is older than 70 years, the autor was unknown in 1851, the status is public domain. - The Illustrated London News, 1851

Im frühen 19. Jahrhundert ist das Panorama eine der beliebtesten visuellen Unterhaltungsformen seiner Zeit gewesen. Vor der Erfindung der Fotografie und der Verbreitung der Zeitung, konnte ein interessiertes Publikum durch sie zum ersten Mal die Welt der Wissenschaft und Geschichte erkunden.

Staunende Besucher erhalten ganz neue Perspektiven

Paris zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Durch einen verdunkelten Gang gelangen die Besucher in das runde Gebäude. Die Augen gewöhnen sich nur langsam an das dämmrige Licht. Nach und nach entstehen die Konturen einer Welt, die sie so vor ihren Augen noch nie gesehen hatten.

Auch Dioramen, Schaukästen mit bestimmten Szenen und Landschaften, geben realistische Einblicke in ferne Länder und andere Zeiten. Foto: Stefano Stabileedited by SunOfErat – 2014-05-04 – from File: Diorama – Museo civico di storia naturale (Milan)

Man kann sich vorstellen, wie groß das Staunen der Menschen warn, als sie die gewölbten eDecken und Wände betrachteten auf denen Malereien und Bilder zu sehen waren. Derartiges hatte es zuvor noch nie gegeben. Der gerundete Verlauf der Illustration an der Wand schaffte die Illusion, sich mitten im Geschehen zu befinden. Landschaften aus fernen Ländern, historische Schlachten oder gar die Imitation einer Reise mit dem Schiff auf hoher See wurde mittels dieser riesigen Installationen dargestellt. Manche Installationen waren begehbar, andere hatten sogar durch Mechanik bewegliche Teile, die die Illusion einer realen Erfahrung verstärkten. Ihnen war allen gemein, dass sie die Menschen in eine andere Realität führen sollten. Die Erfindung des Panoramas reicht bis ins späte 18. Jahrhundert zurück. Federführend soll dabei der Ire Robert Barker gewesen sein, der 1787 ein Patent darauf anmeldete. Darin definierte er das Panorama wie folgt: „an entire view of any country or situation, as it appears to an observer turning quite round”.

Illusion an der Grenze zwischen Kunst und Unterhaltung

Das Panorama selbst nahm viel Platz und Raum ein: Ganze Gebäude aus Holz etwa mussten dafür gebaut werden. Architekten, die sich für die Konstruktion jener neuartiger Illusionen begeisterten, entpuppten sich dafür als Schlüsselfiguren. Sie arbeiteten mit Malern zusammen, die die riesigen Gemälde anfertigten, die notwendig waren, um das Panorama auszukleiden. Im Falle des Georamas, einer Imitation der Erde, wurde gar eine begehbare Kugel gebaut.

Das Bürgertum will die Welt erkunden

Mit dem Film erlebten die Menschen die nächste Stufe der Immersion. Foto: Jake Hills

Die aufwendige Herstellung dieser Objekte musste durch ein zahlungsfähiges Publikum wieder ausgeglichen werden; dieses ließ sich im aufstrebenden Bürgertum finden. Jene Schicht sehnte sich nach Abenteuern und neuen Erfahrungen, vermied es damals jedoch, die mühsamen Strapazen einer echten Reise antreten. Außerdem bestand ein verstärktes Interesse daran, sich näher mit der Welt und ihren wissenschaftlichen Hintergründen auseinanderzusetzen. Das Panorama war ein Medium, in dem die Wissensvermittlung,  Unterhaltung und Kunst miteinander vermischt wurden. Es gilt als eines der Vorläufer des Films und lässt sich aus heutiger Sicht auch als ein Vorläufer von Virtuellen Realitäten (VR) verstehen. Hier sind bereits alle Elemente einer immersiven Erfahrung enthalten. Doch wenn die Menschen im 19. Jahrhundert schon bei runden Gemälden ins Staunen geraten sind, was hätten sie dann zu Brillen gesagt, die sie in neue Dimensionen entführen?

Weiterlesen Massenmedien ermöglichen neue Erlebniswelten
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Lucas Gutierrez
Kompendium: Realität 4.0

Massenmedien ermöglichen neue Erlebniswelten

Kompendium: Realität 4.0

Massenmedien ermöglichen neue Erlebniswelten

Die voranschreitende Entwicklung der Technologie macht das Eintauchen in virtuelle Welten einfach. In Video-Spielen kann man mit dieser sogar interagieren. Foto: Federica Galli

Die ersten virtuellen Räume werden geschaffen. Doch sind die Menschen bereit dafür? Sie machen die ersten Gehversuche mit Virtual Reality in der Welt der Videospiele.

Mitten drin statt nur dabei: Vom Fußball zum Cyberspace

Das 20. Jahrhundert erhält durch das Fernsehen eine nie zuvor dagewesenes Gerät zur Erweiterung der Wahrnehmung seiner Zuschauer. Live-Übertragungen von Fußballspielen bringen ganze Nationen dazu vor dem Fernseher zu sitzen und mitzufiebern. So, als seien sie im Stadion – ihr Wohnzimmer haben sie allerdings nie verlassen. Was ist überhaupt noch real in einer Welt, in der es immer mehr Medien gibt? Diese Frage stellte sich bereits in den 70er Jahren der Philosoph und Medientheoretiker Jean Beaudrillard. Er postuliert, dass wir in einer Welt leben, die voller Ähnlichkeiten steckt, die uns von einem direkten Erleben  der unmittelbaren Realität trennen. Diese Ähnlichkeiten nennt er Simulakrum.

Auf dem Spielfeld oder hunderte Kilometer entfernt – seit es TV-Übertragung gibt, können Zuschauer von überall mitfiebern. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-N0716-0314 / Mittelstädt, Rainer

Beim zuvor beschriebenen Fußballspiel sind wir zwar zeitgleich zum (Spiel-)Ereignis über ein Medium , dem Fernseher, mit dem Spiel verbunden, und doch von ihm getrennt. Es besteht lediglich eine Ähnlichkeit: Die Übertragung ist ein Simulakrum. Durch Radio, Fernsehen, Zeitung und später auch das Internet haben wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Zugang zu einer Welt, die nicht Teil unserer direkt erfahrbaren Realität ist. Unsere Sinne entgrenzen sich immer weiter – und sie gewöhnen sich an den Zustand der dauernden Simulation. Doch zu welchem Preis?

Macht das Internet die Menschen krank?

In den 1990ern ist das Internet in vielen Privathaushalten angekommen. Debatten um den Einfluss, den das neue Medium auf seine Nutzer hat, schlagen große Wellen. Kritiker befürchten, dass der „Cyberspace” zu einer alternativen Realität wird, die den Menschen einsam und zum Einzelgänger macht. Studien gehen davon aus, dass das Internet einen negativen Effekt auf die psychologische Gesundheit hat. Eine Studie bezeichnet dies als Paradox des Internets – eine soziale Technologie, die uns vereinsamt. Der Cyberspace wird zur Bedrohung für das gesellschaftliche Zusammenleben. Die Sorge: Die Internetnutzer ziehen sich aus dem öffentlichen Leben zurück, die Anonymität des Internets leistet dadurch Depressionen und Angststörungen Vorschub.

Cyberspace zum Erleben: die Virtuelle Realität

Vor einem viertel Jahrhundert kam bereits der Vorgänger der VR-Brille auf den Markt. Foto: SEGA

Die Sehnsucht nach einer anderen Realität bedient die Spieleindustrie schon länger. So bringt der Videohersteller SEGA 1993 das erste VR-Headset auf den Markt. Das Projekt scheitert am klobigen Design des Headsets und der schlechten grafischen Leistung. Der Traum eines direkt erlebbaren Cyberspace als Raum, den wir betreten, bleibt weiterhin Wunschdenken. Die Virtuelle Realität liegt in ihrer Entwicklung von jetzt an brach: Andere Gebiete erlangen mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Das Internet entwickelt sich weiter; aus dem Cyberspace wird ein Marktplatz für Waren und Emotionen.

Weiterlesen Ein virtueller Wald entscheidet über die Zukunft des Klimas
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Lucas Gutierrez
Kompendium: Realität 4.0

Ein virtueller Wald entscheidet über die Zukunft des Klimas

Kompendium: Realität 4.0

Ein virtueller Wald entscheidet über die Zukunft des Klimas

Foto: Tom Holmes

Die Virtuelle Realität ist zurück: In den Hosentaschen vieler Menschen befinden sich leistungsstarke Computer. Die Anwendungen für neue Realitäten werden konkreter und greifen sogar in die politische Entscheidungsfindung mit ein.

Entscheidungshilfen im virtuellen Raum

Das finnische Parlament steht vor einer schwierigen Entscheidung; eine der Abgeordneten weiß nicht was sie erwartet. Sie hat bisher nur die trockenen Zahlen eines Berichts und den offenen Brief einer Gruppe Wissenschaftler gelesen. Noch einmal durchatmen, dann setzt sie die VR-Brille auf. Ein wenig mulmig ist ihr schon. Dann entsteht vor ihr ein virtueller Wald. Durch Bewegen ihres Kopfes kann sie sich umsehen. Eine Stimme begrüßt sie freundlich. Ein animierter, nahezu real wirkender Mensch kommt auf sie zu. „Willkommen im virtuellen Wald. Darf ich Sie auf eine Reise durch das Wunder der Photosynthese mitnehmen?” spricht die Figur sie an.

Was sich wie ein entferntes Zukunftsszenario anhört, ist heute längst in Arbeit. In Finnland diskutiert die Politik derzeit die Implementierung einer neuen Regelung zur Abholzung von Wäldern. Die Idee: Der Wald als nachwachsender Rohstoff lässt sich besser nutzen, als andere, CO2-intensivere Alternativen, wie z. B. Plastik. Forscher aus Finnland warnten allerdings in einem offenen Brief.davor, sich auf reine Zahlenspiele zu berufen. Sie sagen, dass durch die Rodung der Wälder die Biodiversität und das Alter der Wälder sinken; langfristig werde sich dies negativ auf den Klimawandel auswirken. Das Forschungsfeld hinter diesen Prozessen ist komplex. Doch wie sollen die Abgeordneten, denen die Entscheidung vorgelegt wird, abwägen? Die Universität von Helsinki (Department of Forest Sciences) unterstützt den Meinungsbildungsprozess mit einem Pilotprojekt: Virtual Reality soll die konkreten Konsequenzen der Abholzung erlebbar machen. Die wichtigsten Informationen werden für die Politiker visuell und narrativ in einer immersiven Erfahrung aufbereitet. Für dieses Projekt arbeitet die Universität mit dem Designstudio NEEEU an zusammen: Die Designexperten gestalten in Zusammenarbeit mit den Forschern die virtuelle, begehbare Erzählung.

Jede Entscheidung ist auch eine emotionale Entscheidung

Die Frage, ob ein Abgeordneter politische Entscheidungen basierend auf rein faktischen Grundlagen treffen sollte, stellt sich für Raffael Ziegler, der das Projekt bei NEEEU betreut, nicht. Für ihn ist klar, dass Virtuelle Realität nur unterstützend wirken kann,  jedoch niemanden von etwas überzeugen wird, das konträr zum eigenen Standpunkt erscheint. Die Stärke von VR sieht Ziegler darin, insbesondere komplexe Zusammenhänge veranschaulichen zu können tR.

iAnimal, ein Projektder Gruppe Animal Equality, geht weitaus drastischer vor. Die 360-Grad-Filme öffnen den Zuschauern die Augen  was die Herstellung von tierischen Nahrungsmitteln angeht. In einer immersiven Erfahrung werden Szenen aus einem Schlachthaus erfahrbar gemacht. Überzeugte Fleischesser werden den Schock dieser Bilder wohl schnell verkraften. Wer allerdings am eigenen Fleischkonsum zweifelt, für den kann eine solche Aufbereitung den letzten Anstoß zur Abkehr davon geben.

Eine neue Ebene der Realität: Augmented Reality

Mit den Smartphones in der Tasche haben wir Hochleistungscomputer dabei, die jedem von uns ganz neue Möglichkeit eröffnen. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Tartaruga Feliz hat NEEEU eine App programmiert, die das Smartphone zu einem Fenster in eine verzauberte Welt verwandelt. Die Ausstellung ist in der Realität ein Arrangement von simplen weißen Objekten. Die App liest Marker auf jenen Objekten aus und legt dann mithilfe von Mapping-Technologie animierte Welten über die realen Objekte. Durch den Bildschirm betrachtet, befinden sich die Besucher so in alternativen, Erweiterten (augmented) Realitäten. Die süßen Animationen der Künstlerin sind schön anzusehen und unterhaltsam. Welche Anwendungsmöglichkeiten diese Technologie in Zukunft bringen wird, können wir derzeit nur über Gedankenspiele abwägen. Wie sähe der Kindergarten von morgen wohl aus? Welche Folgen hat es, wenn Kinder mit Virtuellen und Erweiterten Realitäten aufwachsen?

Weiterlesen Der Kindergarten von morgen reicht über Kontinente hinweg
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Lucas Gutierrez
Kompendium: Realität 4.0

Der Kindergarten von morgen reicht über Kontinente hinweg

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Der Kindergarten von morgen reicht über Kontinente hinweg

"Die Technologie erlaubt den Kindern neue Räume zu betreten, ohne dass sie physisch dort anwesend sein müssen." Foto: Robert Collins

Die Entwicklung von Augmented Reality wird soweit sein, dass sie sich immer nahtloser in unser Leben einfügt. Im Kindergarten von morgen wird den Kindern mit Hilfe von Erweiterter Realität das Lernen erleichtert.

Heute auf dem Stundenplan: Sprachtandem mit virtueller Hilfe

Am Anfang wurde Augmented Reality noch zu technisch gedacht, doch im Laufe der Jahre kommen immer mehr Anwendungsbeispiele auf den Markt. Folgendes Gedankenspiel bietet sich an: 2035 wird ein Berliner Kindergarten zum Labor für ein Pilotprojekt. In Zusammenarbeit mit Forschern sollen Kinder hier schon früh an die Nutzung von immersiven Erfahrungen heranführt werden. Mit Hilfe von leichten, bruchsicheren Brillen, die virtuelle Objekte in das Gesichtsfeld projizieren, können Kinder spielerisch lernen. Die Technologie erlaubt den Kindern neue Räume zu betreten, ohne dass sie physisch dort anwesend sein müssen.

Kleine Kinder kommen auch in Zukunft früh in Konntakt mit immersiven Welten – nur das diese noch realer erscheinen. Foto: Kelly Sikkema

Für den kleinen Paul steht jeden Mittwoch ein Sprachtandem auf dem Stundenplan. Mit einer Betreuerin geht er in einen Raum, der mit einer Kamera ausgestattet ist. Paul trägt eine der speziellen Brillen. Das Projekt entsteht in Zusammenarbeit mit einem Partner-Kindergarten in Japan. Dort betritt die kleine Tomoko in der gleichen Montur einen Raum. Auch wenn Paul und Tomoko sich noch nie getroffen haben: Sie spielen jeden Mittwoch miteinander. In ihrem Sichtfeld wirkt es so, als sei der jeweils andere im Raum. Sie spielen mit virtuellen Gegenständen, die sie einander zuschieben und werfen können. Dabei übernimmt eine App die Übersetzung der Wörter in Bildern, sodass die Kinder spielerisch voneinander lernen können. Paul und Tomoko sollen später die Sprache des jeweils anderen erlernen und eine Langzeitstudie will herausfinden, wie der frühe Austausch sich auf den Spracherwerb der Kinder auswirkt.

Erst ab 18: Alkohol, Tabak, Smartphone

Verschiedene Realitäten schüren auch verschiedene Bedenken – sind virtuelle Welten hilfreich oder schädlich? Foto: Igor Starkov

Doch nicht alle Eltern wollen ihre Kinder in einen voll-technologisierten Kindergarten schicken. Seit die Bundesregierung eine Initiative zum digitalen Jugendschutz gestartet hat, findet ein gesamtgesellschaftliches Umdenken statt. In öffentlichen Schulen ist die Nutzung von Smartphones untersagt. Pauls Schwester Sarah darf keine sogenannten Wearables in die Schule mitbringen. Dazu gehören auch Smartwatches, Smartfashion und Smartglasses. Auch wenn Pauls und Sarahs Eltern die beiden schon früh an Technik herangeführt haben, wollen sie zugleich sicherstellen, dass sie nicht von der Technik  abhängig werden. Es ist längst nicht mehr in allen gesellschaftlichen Schichten ein Zeichen des Fortschritts, dass Kinder schon früh unbegrenzten Zugang zu digitalen Medien haben. Studien wollen belegen, dass die immersiven Erfahrungen im Kindesalter zu einer Störung der Realitätswahrnehmung führen können. Soweit wollen Pauls Eltern nicht gehen, denn andere Studien wiederum argumentieren, dass der sinnvolle Umgang mit Mixed Reality in der digitalisierten Gesellschaft eine wichtige Fähigkeit ist und der mündige Umgang mit einer frühen Heranführung an diese Medien einhergeht. Ähnlich wie in der Debatte der 90er Jahre gibt es hier keine eindeutigen Positionen. Macht die neue Realität krank oder erweitert sie unser Bewusstsein? Das wird die Zeit zeigen. Doch die Integration von Erweiterten Realität scheint im Jahr 2035 nicht mehr aufzuhalten.

Weiterlesen Die ständige Erweiterung der Realität
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Lucas Gutierrez
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Die ständige Erweiterung der Realität

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Die ständige Erweiterung der Realität

Die eine Realität? Gibt es nicht mehr! Denn in der Zukunft schafft jeder seine eigene. Foto: Joshua Earle

Technik wird unsichtbar – aus den Gadgets werden kleine Implantate. Ohne störende Geräte wird es uns auch immer leichter fallen, die Erweiterte Realität als gegeben wahrzunehmen. Ein neuer Realitätsbegriff wird sich durchsetzen – und jeder schafft sich eine eigene Welt.

Virtuell kommen wir uns näher, vermissen werden wir uns weiter

Tom studiert Geschichte und befasst sich gerade genauer mit der Geschichte der Digitalisierung. Während er in der Cafeteria der Universität sitzt und wartet, ruft er die Notizen aus einem Seminar über die historische Entwicklung der Erweiterten Realität auf. Gedanklich geht er noch einmal die Schritte der technischen Evolution durch:  von den Panoramen des 19. Jahrhunderts, die noch mit Malerei arbeiteten, über den  jungen Cyberspace der 90er Jahre und die primitiven Computer aus der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Weiter über die noch holprige Virtuelle Realität der 2010er Jahr und die ersten Experimente mit Augmented Reality.

Smartphones sind Vergangenheit. Über Wearables und Implantate wird unsere Umgebung zu der, die wir gerade brauchen. Collage aus Fotos von: Neil Sonni und Pete Bellis

Er erinnert sich an eine Geschichte seines Großvaters: Dieser erzählte von einem Spiel, das zu den ersten Augmented Reality-Anwendungen gehörte, die populär wurden. PokemonGo stellte den Spielern über ihre Smartphones eine Technologie zur Verfügung mit der eine neue Realität wahrgenommen werden kann. Tom kennt diese Technologie bisher nur. aus dem Museum. Er schmunzelt bei dem Gedanken. Das Abschlussexamen in der kommenden Woche wird er handschriftlich und ohne technische Hilfsmittel ablegen müssen. So möchte die Bildungsbehörde garantieren, dass die Studenten sich nicht komplett auf ihre virtuellen Hilfsmittel verlassen. Es gilt als wichtiges Werkzeug der neurobiologischen Entwicklung handschriftlich zu schreiben, auch wenn andere Techniken zur Verfügung stehen.

Wir werden unsere Realität selbst programmieren

Toms Freundin Anna ruft an – dies macht sich in Toms Sichtfeld durch eine Veränderung der Lichtsituation bemerkbar. So hat er seine Erweiterte Realität eingestellt.h Doch jeder hat seine eigenen Vorlieben für das, was sich erweitern lässt. Seine Mutter kann mit diesen subtilen Änderungen nicht umgehen. Sie hat ein schwebendes Telefonzeichen in ihrem Gesichtsfeld, sobald Tom sie anruft. Anna erscheint und setzt sich auf einen Stuhl neben ihm. Sie haben sich lange nicht gesehen. Während Anna erzählt, werden ihre Geschichten durch kleine Videoausschnitte erweitert, die sie Tom rüberschiebt. Der lässt Anna an seinem atmosphärischen Licht-Interface teilhaben, das er selbst programmiert hat. Mit der Entwicklung der Stimmung in ihrem Gespräch verändert sich ebenfalls die Stimmung des Lichts.  Als es um sie herum voller wird, dreht Tom die Lautstärke der Umgebung ein wenig herunter, damit er Anna besser verstehen kann. Ihre Kleidung ist expressiv: Wenn Anna erzählt, verändert sich auch die Form ihrer Kleidung. Kleine Lichtlinien umgeben sie, ihre Geschwindigkeit und Farbe ändern sich entlang der Klangfarbe ihrer Stimme. Das hat Anna sich selbst beigebracht: Sie studiert Modedesign und entwickelt gerade eine Kollektion mit stimmungsabhängigen Modifikationen  von Augmented Fashion. Sie will den Menschen so dabei helfen, sich besser auszudrücken. Tom verzichtet auf dieses Gadget, auch wenn Anna es ihm seinem Interface zur Verfügung stellen könnte. Am Ende ihres Gesprächs verabschieden sie sich mit einer Umarmung: An dieser Stelle wird Tom schmerzlich bewusst, dass sie keinen echten Raum miteinander geteilt haben. Die Umarmung ist auf seiner Haut nicht spürbar. Dennoch hat er kurz das Gefühl, eine Berührung gespürt zu haben.

“Am Ende ihres Gesprächs verabschieden sie sich mit einer Umarmung: An dieser Stelle wird Tom schmerzlich bewusst, dass sie keinen echten Raum miteinander geteilt haben.” Foto: Priscilla du Preez

Reality 4.0 – oder alles eine Simulation?

Werden wir irgendwann die Unterscheidung virtuell und real überhaupt noch vornehmen? Je fortgeschrittener die Modulation unserer Wahrnehmung durch Technologie wird, desto mehr müssen wir uns fragen, wie weit wir gehen wollen. Wir können nur mit den Medien wachsen, während wir sie nutzen und sie so einsetzen, dass wir von ihnen profitieren. Zugleich bleibt unsere körperliche Präsenz nicht simulierbar. Simulationen haben vielleicht einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung, die direkte sinnliche Erfahrung jedoch wird immer Vorrang vor einer Erweiterten Realität haben. So wird die Erweiterung ein Wahrnehmungsbaustein, ein Lebenswerkzeug, vielleicht sogar ein sechster Sinn – aber keine neue Lebensrealität.

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