
Was, wenn die Muße und nicht die Arbeit der Idealzustand wäre? Bereits in der griechischen Philosophie treffen wir bei Aristoteles auf eine Einteilung des Lebens in zwei Bereiche: die scholé auf der einen Seite, die ascholé auf der anderen. Dabei ist die Muße (scholé) der positive Zustand, während die Arbeitszeit (ascholé) als ein negierter Zustand beschrieben wird, markiert durch das „a”. An den Begriffen selbst wird die Gewichtung der beiden Seinszustände deutlich:

Die Muße war ein Idealzustand, die Arbeit das Gegenteil davon. Künstler: Frank Blackwell Mayer
Die Muße ist der Bereich des Lebens, der Kreativität zulässt. Ein Bereich, in dem die Energien fließen, in dem wir frei sind. Die Arbeit hingegen ist eine Notwendigkeit, die uns zwangsläufig unfrei macht. Deswegen müssen wir uns von der Arbeit abgrenzen, uns von ihr erholen und in den Zustand der Muße übergehen. Sokrates bezeichnet die Muße daher als „Schwester der Freiheit”. Bei Aristoteles heißt es weiter, dass Arbeit und Tugend einander gar ausschließen.
Der hier zugrundeliegende Begriff der Muße umfasst ein breites Bedeutungsspektrum: Er meint die schöpferische Muße, wie wir sie auch heute noch verstehen. Die sprachliche Nähe zwischen Schule und scholé ist keineswegs Zufall. Studium und Muße bedingen sich gegenseitig. Muße kann aber auch Verlangsamung bedeuten und so sehen wir hier bereits den ersten Hinweis auf eine Wahrnehmung der Geschwindigkeit von Zeit. Während die Arbeit uns mit ständiger Eile beansprucht, kommen wir in der Muße zur Ruhe. Die Arbeit ist Beschleunigung, die Muße die Entschleunigung.

Aristoteles teilte das Leben in Muße und Arbeit ein. Hier unterrichtet er Alexander den Großen. Gravierung: Charles Laplante
Es wird deutlich: Je mehr ein Mensch der Arbeit entbunden ist, desto eher kann er sich der Muße hingeben. Der soziale Status eines Menschen bestimmt seinen Zugang zur Möglichkeit, seine Zeit frei zu gestalten. Die Muße war bereits in der Antike, obgleich ein Ideal, ein rares Gut. Das antike Rom übernahm die Ideen der griechischen Philosophie: Hier treffen wir auf die Begriffe vita contemplativa (das beschauliche Leben) und vita activa (das aktive Leben). Dabei ist das aktive Leben hier nicht nur Arbeit, sondern auch Politik und deckt ein soziales Zusammenleben ab. Doch was passiert, wenn sich die antike Bedeutung des aktiven Lebens neu gedeutet wird?