Im mittelalterlichen Handwerk haben wir bereits erste Züge von Happiness Management gesehen: Lehrlinge bekommen von ihren Meistern Unterkunft und Kost gestellt; die Zünfte agieren als Selbsthilfeeinrichtungen für die Zunftmitglieder. Die Unternehmenskultur der Zünfte basiert auf einer christlichen Ethik der Nächstenliebe.
Handwerkszünfte waren fortschrittlicher als ihr Ruf
Das Handwerk organisierte sich im Mittelalter in Zünften. Sie gehörten zu den bekanntesten Organisationen Europas mit einer etablierten Arbeitskultur. Zünfte waren Zusammenschlüsse von Handwerkern, entweder aus einem bestimmten Handwerk oder aus mehreren Bereichen. Sie bildeten sich vor allem in den Reichsstädten im Hochmittelalter heraus. Im Verbund konnten die Meister die Rohstoffversorgung, Preisgestaltung und andere wirtschaftliche Prozesse regulieren. Darüber hinaus übernahmen sie Verantwortung für Witwen und andere Notleidende. Kurzum: Sie sorgten dafür, dass es ihren Mitgliedern gut ging – das machte sie so attraktiv und ihr Handeln ist letztendlich eine frühe Form von Happiness Management.
Vom Lehrling zum Meister: ein Lebenslauf
Betrachten wir den Werdegang eines Mustergesellen. Hans wurde in einer deutschen Reichsstadt im 14. Jahrhundert geboren und ist Sohn eines einfachen Schneiders. Er möchte mit Holz arbeiten und wird deswegen bei einem Zimmermann vorstellig. Hans wird akzeptiert, zieht beim Zimmerer ein und bekommt dort eine Unterkunft, Essen und ein zunftgerechtes Gehalt. Im Betrieb arbeiten noch andere: ein weiterer Lehrling, der bereits seit sieben Jahren beim Meister ist, legt sein Gesellenstück ab. Hans ist beeindruckt: Jetzt wird aus dem ältesten Lehrling ein Geselle.[1]
Nach ein paar Jahren wird Hans schließlich selbst zum Gesellen ernannt. Zunächst ist er Junggeselle, der jüngste Geselle im Betrieb des Meisters. Bald langweilt er sich. Der Meister arbeitet seit Jahren mit den gleichen Techniken. Aus diesem Grund geht Hans auf die Walz: Die Wanderschaft wird mindestens ein Jahr dauern müssen und ihn durch viele deutsche Reiche, neue Betriebe und unbekannte Abenteuer führen. Dabei wird er nicht allein sein. Reisen waren im Mittelalter üblich und Wandergesellen aus allen Handwerksgruppen vielerorts gesehen.
Kommt Hans an einen neuen Ort, wird er dort bei der Zunft vorstellig. Auf seiner Reise lernt er neue Techniken kennen, neue Holzarten und neue Menschen. In einem Betrieb begegnet er einer Gesellin. Das hatte es bei seinem Meister nicht gegeben, im Mittelalter waren weibliche Gesellen jedoch durchaus üblich. Hans schließt die Walz nach ein paar Jahren ab und will Meister werden. Dazu kehrt er zurück in den Meisterbetrieb seiner Ausbildung und wird dort nach weiteren Jahren zum Altgesellen. Er spart viel und lebt von wenig: Die Zulassung zum Meister wird teuer sein. In seiner Zunft gehört ein Meistergeld dazu, zudem erlangt er durch die Zulassung das Bürgerrecht. Auch das Meisterstück muss er selbst finanzieren. Es soll eine große Holzfigur werden. Nach vielen Jahren wird aus dem Schneidersohn ein Zimmermeister und ein vollwertiger Bürger der Stadt, der heiraten und einen eigenen Betrieb eröffnen darf.
Das Handwerk dachte das Happiness Management bereits mit
Hans Geschichte zeigt uns: Nicht nur die Meister übernahmen durch die Zünfte Verantwortung füreinander. Auch die Gesellen und Auszubildenden des Handwerks wurden gefördert. Aus moderner Sicht lässt es sich so formulieren: Die Arbeitgeber hatten das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter bereits im Blick und leisteten aktiv einen Beitrag zur Leistungsfähigkeit ihrer Arbeitnehmer. Die Hierarchien waren zudem eindeutig, jeder Geselle konnte, bei entsprechender Befähigung, Meister werden.
Die Gleichzeitigkeit von ökonomischer und sozialer Interessenvertretung macht die Zünfte zu einem politischen Sprachrohr des Handwerks. In einer Zeit, in der die Ständegesellschaft als Gott gegebene Ordnung die Welt bestimmte, war dieses Denken revolutionär. Die Zünfte stiegen so neben dem Adel und dem Klerus zu einer Gruppe auf, die Macht und Einfluss ausüben konnte. Auch wenn ihr Einflussbereich lokal war und es keine gesamtdeutsche oder gar gesamteuropäische Zunft gab, erreichten die Zünfte viel für ihre Mitglieder. Ihre Ethik fußte auf der christlichen Nächstenliebe und geht damit der protestantischen Revolution der Arbeitsethik voraus.
[1] Das Wort stammt aus dem Althochdeutschen „gisello” und bezeichnet einen Hausgenossen.