Die einst größte Stadt der Welt war ziemlich klein. Das alte Babylon gilt als Beispiel für ein Phänomen, das alle Stadtzentren prägte: War ein Ort nicht an einem Tag zu Fuß erreichbar, war dieser einfach zu weit weg.
2,5 Kilometer lang, 1,5 Kilometer breit, in der Mitte getrennt durch den Fluss Euphrat: In seiner Blütezeit war Babylon die größte Stadt der Welt – und dabei nach heutigen Maßstäben dennoch ziemlich klein. Doch viel mehr Fläche konnten sich die Metropolen der alten Zeit nicht erlauben. Sie wären in jeder Hinsicht unbeherrschbar geworden. Die urbane Mobilität war der limitierende Faktor: Was nicht an einem Tag zu Fuß erreichbar war, war zu weit weg.
Das Herz der Stadt war deshalb ein dicht besiedeltes Areal von knapp vier Quadratkilometern. Es war damit in etwa so groß wie der Englische Garten in München, etwas größer als der Central Park in New York. Mit anderen Worten: nicht groß. Außerhalb der inneren Stadtmauern lag fruchtbares Land mit Gärten für Früchte und Gemüse, Gerstenfelder und, natürlich, Dattelpalmen. Auch im Umland lebten Menschen, jedoch nicht so dicht gedrängt wie in der Stadt.
Konkurrenz in den Straßen
Bevor es Städte gab, folgten die Menschen ihren Nahrungsquellen. Später orientierten sie sich an den Gottheiten und der Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Bewegungsradius wurde kleiner. „Der Mensch der Vorgeschichte war Fußgänger“, schreibt der Historiker Winfried Reinhardt in seiner „Geschichte des öffentlichen Personenverkehrs“. Was sie erreichen müssen, um sich und ihre Familien zu versorgen, müsse sich in einem Radius von etwa zwei Kilometern befinden. Dabei dürfen wir aber nicht die langen, geraden Wege über weite Steppen, Felder oder befestigte Straßen im Kopf haben: Schutt oder Pflasterstraßen, dichtes Gedränge und die Konkurrenz von Menschen und Warentransport prägten die Wege.
Die Menschenmassen und der bisweilen schlechte Untergrund erschwerten es den Priestern, Gottesbilder sicher vor die Mauern des Tempels zu ziehen. Zu groß war die Gefahr, dass ein Wagen kippte und die Kultstatue zerstört wird. Zur Lösung experimentierten die alten Babylonier mit den Vorgängern von Schienen. Sie schlugen Spurrinnen in den Stein, zum Beispiel vor dem Ishtar-Tempel. Ähnliche Vorläufer der Schienen befinden sich auch in alten griechischen Städten, beschreibt Neuburger.
Die Lösungen der Stadtplaner
Ausgrabungen belegen, dass schon im alten Babylon Stadtplaner am Werk waren. Die Stadt ist also alles andere als zufällig gewachsen: Zielorientierte Planung war auch für die Menschen Mesopotamiens wichtig. Um dem Gewimmel Herr zu werden und die Fortbewegung zu beschleunigen, schufen die Planer ein praktikables Wegenetz.
„Babylons Stadtplanung, soweit sie aus den verschiedenen Epochen bekannt ist, zeigt eine Mischung aus organischem Wachstum und Planung“, schreibt der Assyriologe Olof Pedersén. Ausgrabungen legten Straßenzüge frei, die schachbrettartig geplant sind. Dies ist ein Merkmal, das in vielen Städten Mesopotamiens zu finden ist. Pedersén schränkt jedoch ein, dass dies vor allem für die Gebiete mit mehr öffentlichen Gebäuden gelte. In Gegenden mit Privathäusern finden sich mehr Hinweise auf gewachsene Strukturen.
Der Assyriologe Friedrich Delitzsch beschreibt Babylon als Labyrinth. Nicht weil die Straßen willkürlich angeordnet wären, schließlich verlaufen sie alle gerade, so zitiert ihn Neuburger. Schuld sei vielmehr die Einheitlichkeit, die es erschwere, einen Weg durch die langen Häuserreihen zu finden, falls man nicht aus der Stadt stammte.
Eine frühe Form der Stadtautobahn
Für die Bewohner*innen war es dagegen praktisch: Als effiziente Schnellwege dienen zentrale Straßen, die in gerader Linie zu wichtigen Orten der Stadt führten. Babylons Prozessionsstraße führte vom Ishtar-Tor zum Palast des Königs, dann an Tempeln vorbei und zum Etemenanki, den Bibelfeste als Turm zu Babel kennen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass für diese Prozessionsstraße etwa 700 Jahre vor Christus schon Asphalt verwendet wurde. Diese wurde mehrfach angehoben, um sie vor Überflutung zu schützen.
Neuburger geht davon aus, dass die meisten Straßen mit Schutt befestigt waren. Wenn dieser Schutt zu Staub zertreten war, brachte man neuen auf. In Babylon finden sich auch Hinweise darauf, dass die Straßen gewölbt waren, damit sich das Wasser nicht auf ihnen sammelte.
Babylons Stadtplaner waren also schon vor mehr als 3000 Jahren mit vielen der Kniffe vertraut, die auch bei heutigen Stadtplanungen zum Einsatz kommen. Und dennoch konnte die Stadt nicht überdauern. Immer wieder wurde sie von verschiedenen Mächten erobert. Unter Alexander dem Großen blühte Babylon ein letztes Mal auf. Als Alexanders Reich nach dessen Tod unter seinen Generälen aufgeteilt wurde, spalteten die Kämpfe die Stadt, woraufhin die Menschen sie verließen.
Nadelöhr Flussüberquerung
Auch um die Nutzung der Brücken wurde konkurriert. Städte siedelten sich oft an Flüssen an, weil diese für den Transport von Gütern so entscheidend waren. Das machte die Grundstücke am Rand besonders begehrt. Der Euphrat war mit gigantischen Mauern befestigt, 8 bis 10 Meter breit, etwa 25 Meter hoch. Sie dienten der Verteidigung gegen Feinde und sollten gleichzeitig verhindern, dass der Fluss bei Hochwasser über seine Ufer trat. Wer ihn überqueren wollte, nutzte oft die einzige Brücke, denn der Euphrat war ein unzuverlässiger Wasserweg, wie es die Geografin Ellen Churchill Semple im Jahr 1919 beschrieb. Mal führte er kaum Wasser, mal war die Strömung so stark, dass Boote drohten, abgetrieben zu werden.
Die Brücke gilt laut dem deutschen Technikhistoriker Albert Neuburger als sehr früher Beweis von echter Brückenbaukunst. Getragen wurde sie von Steinpfeilern, die Breite schätzt er auf knapp zehn Meter. Ein Nadelöhr ist sie dennoch: Wer auf die andere Seite und wieder zurückgelangen möchte, teilt sich diesen Weg mit allen anderen Stadtbewohnern.
Ins Reich der bislang unbewiesenen Mythen gehört die Idee, dass die Babylonier einen Tunnel unter dem Euphrat gegraben haben. Vielleicht gab es einen, vielleicht auch nicht, wir wissen es nicht. Der erste Tunnel unter einem Fluss, von dem wir definitiv wissen, ist der Tunnel unter der Themse. Im wachsenden London des 19. Jahrhunderts wurde der Druck auf die Stadtmobilität plötzlich sehr, sehr groß. Menschen antworteten mit Innovation.