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Kompendium: Business of Deception

Weibliche Scammer dominieren die Popkultur: Während den einen das Hochstapler-Syndrom die Karriere erschwert, steigen andere auf, indem sie hochstapeln.

Kompendium: Business of Deception

Seit dem Ukraine-Krieg ist die Anzahl der Cyber-Angriffe aus Russland enorm gestiegen. Umso mehr wird Cybersecurity derzeit auch als Investment-Trend der Stunde gehandelt.

Kompendium: Business of Deception

2080 hat KI die digitale Sicherheit übernommen und Cybersecurity-Systeme nahezu perfektioniert. Doch auch Betrüger:innen haben aufgestockt.

Kompendium

Die Täuschung entwickelte sich über die Jahrtausende zu einem florierenden Wirtschaftszweig. Trotz Unsummen an daraus resultierenden Schäden gewinnen einige Betrüger:innen immer mehr an Ansehen. Doch woher kommt diese Faszination für Scammer? Wie können wir uns vor immer überzeugenderen Betrugsfällen im Zuge der Digitalisierung schützen? Und gehört ein bisschen Täuschung nicht zu jeder guten Businessidee dazu?

Kompendium: Business of Deception

Schon lange bevor sie als juristischer Tatbestand gehandelt wurden, waren Betrug und Täuschung gesellschaftlich relevant.

Kompendium: Business of Deception

Es ist nicht alles Gold, was glänzt – das gilt für die Roaring Twenties ebenso wie für die Hochstapelei von „Graf" Victor Lustig, der aus Betrug einen Beruf machte.

Kompendium: Business of Deception

Till Eulenspiegel: Der Meister der Täuschung im Mittelalter

Kompendium: Business of Deception

Till Eulenspiegel: Der Meister der Täuschung im Mittelalter

Bild: Markus Spiske

Schon lange bevor sie als juristischer Tatbestand gehandelt wurden, waren Betrug und Täuschung gesellschaftlich relevant. Zur Zeit des Spätmittelalters hielten sich einige Landstreicher:innen mit Hochstapelei über Wasser. Während sie aufgrund ihrer unehrlichen Methoden als Aussätzige gebrandmarkt wurden, idealisierten die weltberühmten Geschichten eines deutschen Betrügers ebenjene Praktiken.

Mehrere Dutzend Nasen ragen in die Höhe, um die neunzig Augenpaare stieren wie gebannt gen Himmel. Die Zuschauer:innen halten kollektiv den Atem an, keiner rührt sich. Lediglich rund sieben Meter über ihren Häuptern herrscht Bewegung. Auf dem Erker des Magdeburger Rathauses fuchtelt eine hagere Gestalt mit den Armen, als handele es sich um eine Amsel. Trotz ihrer sichtlichen Bemühungen wird die Masse bald ungeduldig. „Nun flieg doch endlich!“, tönt eine tiefe Stimme aus der Menge. „Ja, flieg!“, schreit ein Kind aus der ersten Reihe. Schon bald stimmen die Anwesenden in einen fordernden Singsang ein. „Wir wollen ihn fliegen sehen, wir wollen ihn fliegen sehen, wir wollen ihn fliegen sehen“, trällern sie einstimmig. Das kleine Männchen hoch über ihnen stoppt abrupt und zuckt mit den Schultern. „Ich will fliegen. Ich will ja. Das habe ich doch ausrufen lassen. Ich will, aber ich kann nicht! Denn ich bin nur ein Spaßvogel.“ Enttäuscht, doch wenig verärgert, löst sich die Menschenmenge unter ihm langsam auf – das ein oder andere Lächeln kann sich keiner der Anwesenden verkneifen. Schon wieder hat der Schelm sie getäuscht. Zwar hatte er tatsächlich nur gesagt, dass er fliegen wolle, doch die Bürger:innen Magdeburgs hatten buchstäblich gehofft, ihn fliegen zu sehen. Die Gestalt auf dem Erker zählt derweil all die Taler, die sie als Bezahlung für die Flugshow verlangt hat. Den vollen Betrag steckt sich der Gaukler auf dem Rathaus natürlich trotz des ausgebliebenen Flugs ein.

Till Eulenspiegel ist der wohl berühmteste deutsche Trickbetrüger aller Zeiten. Bild: Oskar Herrfurth: „Eulenspiegel und die Kürschner“. Public Domain.

Es ist eine von vielen Geschichten, die noch heute über die deutschen Grenzen hinaus an Till Eulenspiegel erinnern. Von Menschen bis hin zu ganzen Städten täuschte der Narr während des Spätmittelalters alles und jeden, der ihm über den Weg lief. In all den Schwänken, die vom Gaukler des 14. Jahrhunderts überliefert wurden, trat Eulenspiegel mal als Seiltänzer, mal als Bäcker, Schneider oder Knecht auf. Immer geleitet vom Hunger, arbeitete er hier und dort. Meist schaffte er es, andere auszutricksen, indem er sie zu wörtlich nahm oder andere ihn nicht wörtlich genug. So kaufte er kurzerhand einen Karren mit Erde, als ihn der Herzog von Celle seines Landes verwies. Im Karren herumfahrend setzte Till keinen Fuß auf dessen Boden und konnte so bleiben. Ein anderes Mal verkaufte Eulenspiegel einem Kürschner einen Hasen. Als dieser wenig später feststellte, dass es sich um eine Katze handelt, die lediglich in ein Hasenkostüm eingenäht war, war der Ärger groß.

Till Eulenspiegel als wandelbarer Scherzvogel und Betrüger

Was die Magdeburger damals nicht wussten: Um 1510 würde ein berühmtes Buch namens „Thyl Vlenspiegel“ erscheinen. Neben anderen Begebenheiten erzählt es auch von seinem bizarren Flugversuch und wurde binnen weniger Jahrzehnte zum weltweiten Bestseller. Wie Eulenspiegel Menschen an der Nase herumführte, sie betrog und wegen seines gewitzten Ulks glimpflich davonkam, imponierte den Menschen offensichtlich auch über das Spätmittelalter hinaus. Er ist womöglich der erste von vielen Betrüger:innen in Deutschland, für den die Menschheit eine regelrechte Faszination hegt. Obwohl oder gerade weil es sich bei seinen Streichen nicht um versöhnliche Scherze handelte. Eulenspiegel täuschte häufig falsche Tatsachen vor und verschaffte sich damit nicht selten vorsätzlich auf Lasten anderer einen Vermögensvorteil. Heute wissen Forscher:innen, dass sich die Kultfigur Till Eulenspiegel vermutlich aus mehreren historischen Persönlichkeiten zusammensetzt.

Das Titelbild des Liber vagatorum (1510) zeigt eine Bettlerfamilie auf dem Weg zur Stadt. Bild: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Thomas Anselm, Public Domain.

Bücher der Gesetzlosen warnten vor mittelalterlichen Betrugsmaschen

Anderen Landstreicher:innen, die sich zur selben Zeit mit kleineren und größeren Täuschungen durchs Leben kämpften, erging es ganz anders. Statt für ihre Trickbetrügereien gefeiert zu werden, ächtete man sie und warnte vor ihren Methoden. So erzählt das Bamberger Liber Proscriptorum, zu Deutsch Buch der Gesetzlosen, von 1414 bis 1444 beispielsweise von einem Mann, der in Tücher gewickelte Reliquien von Heiligen wie St. Bartholomäus oder St. Barbara verkaufte. In Wahrheit steckten unter den Tüchern jedoch nur gewöhnliche Holzstücke. Im Spätmittelalter tauchten immer wieder solche Stadtbücher auf, die einerseits Straftaten dokumentierten und auf straffällige Bettler hinwiesen, andererseits vor betrügerischen Methoden warnten. Das Liber Vagatorum, das 1510 in Pforzheim erschien, befasste sich dann mit verschiedenen Bettlertypen und ihren betrügerischen Methoden. Es listet 41 Praktiken auf und entlarvt die Taktiken all derer, die sich mit Täuschung und Betrug über Wasser halten mussten: von falschen Pilgern über vermeintlich Schwangere bis hin zu vorgetäuschten Kranken.

Das Mittelalter hatte viele Menschen mit Missernten, Hungersnöten und der Schwarzen Pest zu Ausgestoßenen gemacht. Verdammt zu einem Leben als Vaganten versuchten sie, sich mit betrügerischen Bettelmethoden oder Geschäften ihr Überleben zu sichern. So brachte diese Epoche eine ganz eigene Riege von Trickbetrüger:innen hervor: Menschen, die sich ähnlich wie Till Eulenspiegel auf Kosten anderer bereicherten, um satt zu werden. Zwar wurden nicht alle Armen des Spätmittelalters zwangsläufig zu Betrüger:innen, doch die Täuschung bot ihnen einen Ausweg, der sich mal langwierig, mal schnell und einfach gestaltete. Während Täuschung und Betrug in der Figur des beliebten Nationalnarren als kultig und beliebt gelten, wurden Menschen mit ähnlichen Taktiken zur selben Zeit ausgestoßen und verdammt. Ähnlich ambivalent und willkürlich sollte das Urteil über Betrüger:innen bis in die Gegenwart hinein bleiben.

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Bild: Husi Rass
Kompendium: Business of Deception

Die Roaring Twenties: Trickbetrug als glamouröser Vollzeitjob

Kompendium: Business of Deception

Die Roaring Twenties: Trickbetrug als glamouröser Vollzeitjob

Bild: Yochai Chodus

Es ist nicht alles Gold, was glänzt – das gilt für die Roaring Twenties ebenso wie für die Hochstapelei von „Graf” Victor Lustig. Er wollte unbedingt dazugehören, ganz ohne anstrengende Arbeit luxuriös leben und in prestigeträchtigen Unterkünften ein- und ausgehen. So schaffte er sich kurzerhand seinen eigenen Berufszweig und ermöglichte sich auf Kosten anderer einen gehobenen Lebensstandard.

Strahlende Perlenketten, leidenschaftlicher Tango, gehobener Wohlstand und Schwaden von Zigarettenrauch: Die Goldenen Zwanziger werden in Szenen aus Der große Gatsby als eine Zeit der kollektiven Sorglosigkeit, der ausgelassenen Feste und des übersprudelnden Reichtums dargestellt. Doch während sich einige von ihrem Geld in Champagner baden konnten, lebten andere am Existenzminimum. Wer zumindest ein bisschen Kapital hatte, wollte mithalten und möglichst schnell viel Geld verdienen. So sprossen Get-Rich-Quick-Schemes insbesondere in den Vereinigten Staaten nur so aus dem Boden. Menschen vertrauten vermeintlichen Investor:innen ihr Geld an, ließen sich auf ominöse Glücksspielangebote ein oder finanzierten betrügerische Unternehmen. Alles mit der Hoffnung auf den großen Gewinn, nur um nachher noch weniger Geld zu haben.

Einer von ihnen war der Trickbetrüger Victor Lustig, der im Jahr 1920 in die USA ging. Geboren im Böhmen der 1890er-Jahre, wuchs er als Sohn des Bürgermeisters im gehobenen Bürgertum auf. Lange vor dem prägenden Wirtschaftsaufschwung träumte Lustig von einem Leben im Reichtum. Dennoch erschien ihm ehrliche Arbeit uninteressant. Bereits mit 18 Jahren sah er erstmals ein Gefängnis von innen – in Prag saß er zwei Monate lang wegen Diebstahls ein. Es sollte nicht seine einzige Haftstrafe bleiben. Während seines Studiums an der Sorbonne in Paris perfektionierte er sein Poker-, Billard- und Bridgespiel. Aus dieser Zeit stammt eine charakteristische Narbe neben seinem linken Auge. Ob er den Spieler, der sie ihm verpasste, bereits damals mit seinen betrügerischen Taktiken verärgerte, bleibt unklar. Sicher ist dagegen, dass es ebendieser Berufsweg war, den Lustig schließlich einschlug.

Trickbetrüger Victor Lustig gelang es, die New Yorker Elite um ihr Geld zu bringen, bis er 1935 festgenommen wurde. Bild: Philadelphia Zeitungsauschnitt, 1935. Gemeinfrei.

Fake it till you make it – wie Lustig sich eine ganz neue Identität errichtete

Auf Überseedampfern zwischen Paris und New York zog er mit Betrugsmaschen beim Glücks- und Kartenspiel andere Passagiere ab. Bei Pferderennen gab er sich als erfahrener Kenner aus und sackte Einsätze von Zuschauer:innen ein, nur um kurz vor Schluss mit diesen zu türmen. Statt als falscher Pilger oder vermeintlich Kranker Almosen zu sammeln, mischte sich Victor Lustig, ebenso wie viele andere Hochstapler:innen seiner Zeit, als angesehener Geschäftsmann unter seine Mitmenschen. Mit teuren Klamotten, einem gepflegten Auftritt und einem geliehenen Graf“-Titel versprühte er einen gewissen Glamour und vermittelte hoch dotierten Händlern, einer von ihnen zu sein. Wo die Betrüger:innen des Mittelalters noch mit mitleiderregendem Elend punkteten, gelang der Sohn des Bürgermeisters mit der Rolle eines erfolgreichen Geschäftsmanns ans Ziel. Doch am üppigen Lifestyle der Reichen und Schönen teilzuhaben, bedeutet für Lustig auch, viele seiner ergaunerten Einnahmen wieder auszugeben. Im Paris der 1920er-Jahre verzockte er sich dabei so sehr, dass er alles an Reichtum verlor. Und da ein gewöhnlicher Job für den Hochstapler nicht infrage kam, musste schnellstmöglich ein neuer Coup her. Durch einen Zeitungsartikel, der von den hohen Instandhaltungskosten des Eiffelturms handelte, kam er schließlich zu der Idee, die ihn weltberühmt machen sollte.

Der Mann, der den Eiffelturm zweimal verkaufte

Mitte des Jahres 1925 erhält der Stahlhändler André Poisson einen Brief vom stellvertretenden Generaldirektor des Postministeriums. Er kommt der darin enthaltenen Einladung nach und trifft in einem angesehenen Hotel auf fünf weitere Schrotthändler. Von einem Beamten erfahren sie, dass der Eiffelturm abgerissen werden soll. Er teilt den anwesenden Händlern mit, dass sie aufgrund ihres Rufs als ehrliche Geschäftsleute ausgewählt wurden und somit als erste auf die 7000 Tonnen Eisen bieten dürfen. Poisson ist überzeugt: Der Deal mit dem weltberühmten Wahrzeichen könnte für seinen unbekannten Betrieb den Durchbruch bedeuten. Und tatsächlich ist er derjenige, der binnen weniger Tage einen Kaufvertrag unterschreibt und dem Beamten die vereinbarte Summe überreicht. Jeden Anflug von Zweifeln hatte dieser zuvor beiseite gewischt, indem er Poisson auf die Einmaligkeit des Angebots hinwies. Als er dann noch ein Bestechungsgeld verlangte, war der Stahlhändler sicher – es musste sich um einen echten Beamten handeln.

Victor Lustig erlangte als der Mann, der den Eiffelturm verkaufte, weltweite Bekanntheit. Bild: Public Domain, (CC BY-NC-SA 2.0).

Beide Parteien gehen zunächst überglücklich aus dem Geschäft heraus: Poisson mit dem Gedanken an den kommenden Prestigezuwachs seines Betriebs, der vermeintliche Beamte alias Victor Lustig mit über eine Million Francs, die er aus dem vermeintlichen Verkauf mitnimmt. Doch der Coup fliegt auf. Als der geschädigte Poisson von seinem Fehlkauf erfährt, schämt er sich für seine Leichtgläubigkeit und Naivität so sehr, dass er den Betrug niemals zur Anzeige bringt. Den Traum vom Durchbruch seines Betriebs kann er dank Lustigs dreistem Betrug vergessen. Nachdem der Schwindler feststellt, dass sein Eiffelturm-Coup nicht strafrechtlich erfasst wurde, wird er übermütig und versucht den Trick gleich ein zweites Mal, jedoch ohne Erfolg: Er wird gefasst. Doch Lustig kann fliehen und reist nach New York. Dort widmet er sich seiner liebsten Tätigkeit: Er verbreitet Falschgeld, biedert sich der New Yorker Elite als einer der ihren an und wird schließlich 1935 festgenommen. Die restlichen zwölf Jahre seines Lebens verbringt Lustig im Hochsicherheitsgefängnis Alcatraz, wo er 1947 an einer Lungenentzündung stirbt.

Täuschung und Betrug: Der ganz gewöhnliche 9-to-5-Job

Obwohl Lustig nie arbeiten wollte, ging er seine Betrugsmaschen ebenso gewissenhaft an, wie andere ihren vertraglich geregelten Beruf. In jahrelanger Ausbildung brachte er sich Kartentricks bei, tüftelte sorgfältig an Plänen und erschuf sich mit Lebenslauftricksereien eine Identität, mit der andere Geschäfte machen wollten. Darüber hinaus brachte er die nötigen Eigenschaften mit, die es für einen erfolgreichen Scammer braucht: Er konnte seine Mitmenschen lesen. Von ihren Unsicherheiten bis zu ihren Wünschen und Sehnsüchten nutzte er ihr Innerstes schamlos aus. Als wahres Verkaufstalent bot er ihnen immer genau das an, von dem sie noch gar nicht wussten, dass sie es begehrten. So gesehen schuf er beinahe wie ein gewöhnlicher Geschäftsmann Bedürfnisse, vermarktete Dienstleistungen und entwickelte Konzepte. Während seine Machenschaften für andere womöglich den Ruin bedeuteten, ging er fleißig der Berufung nach, die er sich auserkoren hatte: dem Geschäft der Täuschung. Für Lustig ging es längst nicht mehr ums Überleben. Stattdessen machte er den Betrug zum lukrativen Geschäft und die Hochstapelei zum glamourösen Lifestyle. Dafür wurde er über seinen Tod hinaus berühmt.

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Bild: Husi Rass
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Girl Bosses und Femmes Fatales: Frauen im Zeitalter der Scams

Kompendium: Business of Deception

Girl Bosses und Femmes Fatales: Frauen im Zeitalter der Scams

Bild: Aaon Epstein/Netflix

Durch die Digitalisierung sind wir 2022 anfälliger denn je für hinterhältige Betrugsmaschen. Heute lässt sich eine regelrechte Obsession für (weibliche) Scammer erkennen. Denn während den einen das Hochstapler-Syndrom die Karriere erschwert, steigen andere auf, indem sie hochstapeln.

Die globale Corona-Pandemie hat die Digitalisierung enorm beschleunigt. Immer und überall erreichbar, verlagert sich die Arbeit vieler auf ihr mobiles Endgerät und in das eigene Zuhause. Dass Nutzer:innen der neusten Technologien damit vulnerabler denn je sind, kommt vielen erst in den Sinn, wenn es bereits zu spät ist. Denn auch das Business der Scammer geht mit der technologischen Entwicklung mit und erreicht potenzielle Opfer heute einfacher denn je über Phishing-Mails und -Anrufe.

Trügerischer Alltag

So geht der Rentner von nebenan interessiert auf einen Anruf ein, in dem ihm die Teilnahme an einem Gewinnspiel schmackhaft gemacht wird. Nachdem seine pflegebedürftige Ehefrau vor sieben Monaten gestorben ist, klingt die Busreise nach Bad Kissingen wie eine Möglichkeit, endlich mal wieder rauszukommen. Vor lauter Aufregung gibt er neben seinem vollen Namen und der Adresse gleich noch seine Kreditkartennummer an. Und obwohl die Stimme am Telefon so vertrauensvoll klang, hört der Witwer nie wieder etwas von der versprochenen Reise. Stattdessen erhält er wenig später einen alarmierenden Anruf von seiner Bank: Eine nichtautorisierte Abhebung über 10.000 Euro konnte gerade so verhindert werden. Erstsemesterstudent Leon hat nicht ganz so viel Glück. Erst kürzlich hat er sich seinen eigenen PayPal-Account angelegt, um den Online-Kauf von Einrichtungsstücken und einem neuen Laptop noch einfacher zu machen. Als er eine Mail mit Firmenlogo des Bezahldienstes erhält, in der er aufgefordert wird, sein Passwort zu aktualisieren, geht er der Bitte nach. Beim Blick auf seinen Kontoauszug stellt er einige Wochen später jedoch erschrocken fest, dass ihm 2500 Euro fehlen. Und in seinen Account kann er sich auch nicht mehr einloggen. „Falsches Passwort“ steht da in roten Buchstaben.

Per E-mail versandte Phishing Scams wie dieser betreffen mittlerweile jede dritte Familie in Deutschland. Ganze 96 % der Phishing-Attacken erreichen die potenziellen Opfer per E-mail. Bild: Jenny Beck.

Versuche solcher Betrugsmaschen hat wohl jede:r schon erlebt, denn binnen weniger Jahre gingen solche Scams durch die Decke. Während betrügerische Telefonanrufe in den Vereinigten Staaten 2017 nur 3,7 Prozent aller eingehenden Anrufe ausmachten, waren es ein Jahr später bereits 30 Prozent. Schon 2018 waren also beinahe ein Drittel aller Anrufe in den USA betrügerischer Natur. Dabei ist das Telefon gar nicht unbedingt das Mittel der Wahl von Betrüger:innen: Lediglich ein Prozent der Phishing-Attacken geschehen telefonisch. Weitere drei Prozent finden auf Webseiten statt und ganze 96 Prozent erreichen die potenziellen Opfer per Mail. Imitationen von Firmenauftritten, vermeintliche Bestellbestätigungen und vorgetäuscht dringliche Anliegen sollen den Empfänger:innen sensible Informationen über ihre Person, ihren Wohnort, ihre Finanzen und Kontozugänge entlocken. Mit Erfolg: 2020 schadeten 57 Prozent der Phishing-Attacken Unternehmen, 2021 waren es bereits 83 Prozent. Zu dieser Erkenntnis kam der Bericht State of the Phish, der sich 2022 die Aufzeichnungen von 600 Sicherheitsexpert:innen und 3500 Arbeitnehmer:innen weltweit ansah. Betrugsmaschen, die Privatpersonen treffen, sind hier also noch gar nicht erfasst.

Audiovisuelle Medien glorifizieren Scammer zu Held:innen

Die Zahlen machen deutlich, dass sich Täuschung und Betrug zum boomenden Geschäftszweig entwickelt haben. Weltweit belaufen sich die Betrugsverluste in allen Bereichen der Wirtschaft aktuell auf über fünf Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt betrug 2020 3,806 Billionen US-Dollar. Trotz der offensichtlich steigenden Trefferquote und dem wachsenden Risiko, selbst einem Betrug zum Opfer zu fallen, steht die Popkultur 2022 ganz im Zeichen von Scams. Geschichten von Betrüger:innen wie Anna Sorokin alias Anna Delvey oder Elizabeth Holmes schaffen es auf die große Leinwand oder doch zumindest auf den heimischen Bildschirm.

Die Netflix-Show Inventing Anna über die Geschichte von Anna Delvey zeigt, wie Hustle Culture und Scam Culture miteinander einhergehen. Als vermeintliche Erbin mit Treuhandvermögen schlich sie sich systematisch in die New Yorker Elite ein. Mit Wissen über Finanzen, Wein und die Etikette der High Society verkörperte sie die vielversprechende Geschäftsfrau, von der sie immer geträumt hatte. Doch die Deutsche Anna Sorokin, die ihren Nachnamen passend zur Persona in Delvey umwandelte, wollte mehr als nur dazugehören. Ihr Geschäftskonzept des Mitgliederclubs Anna Delvey Foundation brachte sie bald in Verbindung mit Kreditgeber:innen, denen Anna vorgaukelte, demnächst Zugriff auf ihr Treuhandvermögen zu erhalten. Als ein Kreditinstitut misstrauisch wurde, zog sie ihren Antrag zurück. Nebenbei lebte sie in Hotels, ohne zu bezahlen, stellte ungedeckte Schecks auf ihren eigenen Namen aus und zahlte die Beträge auf verschiedene Konten ein, um schließlich Geld abzuheben. Anfang Oktober 2017 wurde Delvey festgenommen. Die Polizei hatte schon länger wegen Betrugs in mehreren Fällen gegen die Russisch-Deutsche Hochstaplerin ermittelt. Ihr angebliches Treuhandvermögen hatte es nie gegeben.

Die Netflix Show Inventing Anna erzählt die Geschichte der Betrügerin Anna Sorokin, die 2017 festgenommen wurde. Bild: Bergen County Prosecutor’s Office, New Jersey.

Obwohl sie mit ihrem Verhalten selbst engen Freund:innen schadete, wird Delvey als Heldin gefeiert. Auf Instagram scharrt sie eine Millionen Follower um sich, die sie mit Kommentaren wie „I love u Anna“, „FREE ANNA DELVEY“ und „I wish I could rescue you“ beweihräuchern. Gefragt, woher diese sonderbare Faszination um ihre Person kommt, antwortet Anna Delvey gegenüber RND: „Eine Visionärin wie mich trifft man nicht jeden Tag. Genies sind rar.“ Selbst hinter Gittern stapelt sie noch hoch. Letztlich ist aber nicht zu leugnen, dass sie aufgrund ihres selbstsicheren, betrügerischen Auftretens lange Zeit ein Leben in der New Yorker High Society führte, von dem andere nur träumen.

Sind Investor:innen visionärer Startups besonders anfällig?

Ähnlich verhielt es sich mit Elizabeth Holmes. Die US-Amerikanerin war 2003 trotz ihrer mangelnden medizinischen Expertise so überzeugt davon, mit ihrem Startup Theranos einen Blutschnelltester entwickeln zu können, dass sie Investitionen in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar an Land zog.

Erstmal nicht weiter verwunderlich, schließlich leben Startups von revolutionären Ideen und ihre Gründer:innen müssen diese vielversprechend an Investor:innen verkaufen. Man könnte fast meinen, dass ein wenig Hochstapelei zu jedem dieser Einfälle dazugehört. Doch Christoph Stresing vom Startup-Verband ist sich sicher: Es gibt eine klare Grenze zwischen Werbung und Täuschung –  letztere gehört zu Startups nicht dazu. „Ich will nicht bestreiten, dass es Hochstapelei oder auch Betrug gibt. Aber es ist eben nicht dem Ökosystem immanent“, so der Geschäftsführer. Dennoch zeigen Fälle wie der um Elizabeth Holmes, dass Vertrauen in motivierte Gründer:innen auch missbraucht werden kann. Nachdem sich 2015 herausstellte, dass Theranos‘ Test größtenteils unwirksam ist und Holmes darüber die ganze Zeit Bescheid wusste, wurde sie 2018 als Chefin abgelöst und die Firma schließlich geschlossen. Im Januar 2022 sprach man sie dann in vier von elf Anklagepunkten des Betrugs schuldig. Medienberichten zufolge hält sich Holmes aktuell in ihrem Anwesen im Wert von 135 Millionen US-Dollar in Kalifornien auf, während sie auf die Bekanntgabe des Strafmaßes wartet.

Elizabeth Holmes zog 2003 Investitionen in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar für ihr Startup Theranos an Land, um einen Blutschnelltester entwickeln zu können, der nie funktionierte. Bild: Max Morse/TechCrunch (CC BY 2.0).

Holmes und Delvey als erfolgreiche weibliche Geschäftsfrauen

Frei nach dem Motto „Fake it till you make it“ schummelten sich Anna Sorokin und Elizabeth Holmes scheinbar erfolgreich durch einige Jahre ihres Lebens und treffen beide heute noch auf Unterstützung. Obwohl Holmes im Gegensatz zu Sorokin kein millionenstarkes Social-Media-Following vorzuweisen hat, tauchten einige Fans im Januar mit „Girl Boss“-Shirts bei ihren Anhörungen auf. Sie erachteten das Urteil gegen ihr Idol zwar als fair, feierten sie als Person aber dennoch. Denn Holmes hat geschafft, wovon viele Frauen nur träumen können: „Sie ist eine Femme Fatale, die in einer Branche voller alter, spießiger Männer aufgestiegen ist und diese mit ihren eigenen Waffen geschlagen hat“, so einer ihrer Fans gegenüber INSIDER. Es ist also kein Zufall, dass insbesondere weibliche Hochstaplerinnen aktuell so viel Beachtung finden. Denn ihnen gegenüber stehen 75 Prozent der Frauen in Führungspositionen, die in ihrer Karriere eher mit dem Hochstapler-Syndrom zu kämpfen hatten. Und vermutlich weitaus mehr Frauen, die es aufgrund ihrer Selbstzweifel gar nicht erst in solche Positionen schaffen. Das Hochstapler- bzw. Imposter-Syndrom ist ein psychologisches Phänomen, das dafür sorgt, dass Menschen ihre eigenen Fähigkeiten ständig infrage stellen. Sie warten dann förmlich darauf, in ihrer vermeintlichen Unfähigkeit aufzufliegen. Obwohl sie keine Hochstapler:innen sind, fühlen sie sich als solche und erkennen ihre Begabungen so nie wirklich an. Während das Phänomen ursprünglich lediglich Frauen zugesprochen wurde, haben einige Studien mittlerweile belegt, dass Männer und Frauen in ähnlichem Ausmaß betroffen sind. In einer Welt, in der Frauen nach wie vor weitaus seltener Führungspositionen bekleiden, liegt es eben nicht fern, dass entschiedene, zielstrebige, aber eben betrügerische Frauen als Vorbilder glorifiziert werden. Und diese Attribute können aufmerksame Beobachter:innen wohl weder Sorokin noch Holmes absprechen.

Weiterlesen Täuschung am Finanzmarkt – Teil des Spiels um Geld?
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Bild: Husi Rass
Kompendium: Business of Deception

Täuschung am Finanzmarkt – Teil des Spiels um Geld?

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Täuschung am Finanzmarkt – Teil des Spiels um Geld?

Foto: Marcus Simaitis

Seit dem Ukraine-Krieg ist die Anzahl der Cyber-Angriffe aus Russland enorm gestiegen. Umso mehr wird Cybersecurity derzeit auch als Investment-Trend der Stunde gehandelt. Doch auch die Börse ist nicht frei von Betrug. Welche Täuschungs-Mechanismen und Gefahren am Kapitalmarkt existieren und wie sich Anleger:innen davor schützen können, darüber haben wir mit Dr. Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank gesprochen. Er hat seine Erfahrungen am Börsenparkett mit uns geteilt.

Würden Sie sagen, dass Täuschung einem Teil des Finanzmarkts innewohnt?

Man muss hier zunächst zwischen Finanzmarkt im Allgemeinen und Kapitalmarkt im engeren Sinne unterscheiden. Der Kapitalmarkt macht nur einen Teil des Finanzmarkts aus. Beim organisierten Kapitalmarkt, also im Börsenhandel, versucht man möglichst günstig zu kaufen und möglichst teuer zu verkaufen, um sich selbst einen finanziellen Vorteil zu erwirtschaften. Wir wissen alle, dass es dafür legale und illegale Maßnahmen gibt. Das fängt mit Bilanzbetrug an und es gibt verbotenen Insider-Handel. Darüber hinaus gibt es Strategien wie das Sniffing oder Spoofing – also das Ausspähen der Algorithmen konkurrierender Anleger oder das Vortäuschen hochpreisiger Angebote, um einen steigenden Wert zu vermitteln. Beide finden insbesondere im Bereich des Hochfrequenzhandels statt und sind natürlich nicht erlaubt. Deswegen müssen die Hochfrequenzhändler ihre Algorithmen auch bei der Aufsicht hinterlegen. Das ist die eine Seite, die dem Kapitalmarkt sehr inhärent ist, weil es einen finanziellen Anreiz gibt, sich Vorteile zu verschaffen. Auf dem Finanzmarkt sehen wir zudem Strategien wie das Ausspähen von Anlegern durch Phishing-Mails. Sie werden benutzt, um Leute regelrecht übers Ohr zu hauen und zu betrügen. Das ist dann allerdings keine finanzmarktspezifische Methode, sondern eine Frage der Sicherheit der digitalen Infrastruktur.

Können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal beruflich mit Täuschung oder einem Täuschungsversuch in Berührung gekommen sind?

Ich erinnere mich an einen Fall zu Beginn meines Berufslebens. Jemand hatte mit dem Geld einer älteren Dame an der Börse spekuliert und die Gewinne auf dem eigenen Konto verbucht. Als das herauskam, wurde er fristlos entlassen. Aufgrund solcher Vorfälle ist die Regulierung so wichtig, gerade für Banken. Es gibt heute kaum eine Industrie, die stärker reguliert ist als die Finanzindustrie. Fast täglich werden Schulungen zu Anti Financial Crime, Compliance und ähnlichen Themen durchgeführt. Zudem gibt es Pflichtzeiten von Mitarbeitenden, in denen die Aufgaben von anderen übernommen werden, damit niemand zu lange unbeaufsichtigt an einer Aufgabe arbeitet. Es wird genau überprüft, wer wann und wo systemseitig angemeldet ist. Und das ist auch richtig so, denn man kann nie hinter die Stirn des anderen gucken. Deswegen muss man entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Die finanziellen Anreize zu betrügen, sind einfach da, deshalb benötigt es einen sanktionsbewehrten Ordnungsrahmen am Kapitalmarkt.

Beim organisierten Kapitalmarkt, also im Börsenhandel, versucht man möglichst günstig zu kaufen und möglichst teuer zu verkaufen, um sich selbst einen finanziellen Vorteil zu erwirtschaften. Hier zu sehen ist der Hauptraum der Börse in Tokyo. Foto: Kakidai, CC BY-SA 4.0

Können Sie bestimmte Schwachstellen am Finanzmarkt identifizieren, die Betrüger:innen für ihre Zwecke nutzen?

Viele Kund:innen erledigen heutzutage ihre Bank- und Börsengeschäfte online. Da gilt es, die eigenen Transaktionen, Konten usw. vor einer Phishing-Attacke zu schützen und das ist eine Aufgabe von Cybersecurity. Wenn es um die eigene Geldanlage geht, sollte man zudem immer skeptisch sein bei Angeboten, die besondere Gewinnchancen versprechen. Auch wenn man selbst feststellt, dass ungewöhnliche Bewegungen am Kapitalmarkt stattfinden, die man plausibel nicht erklären kann. Schaut man darüber hinaus, wie betrügerische Strategien am Kapitalmarkt funktionieren, dann ist das eher eine Sache, auf die Privatanleger wenig Einfluss haben. Da kommen Aufsichtsbehörden ins Spiel, die den Markt permanent beobachten und schauen, ob es Unregelmäßigkeiten gibt. Das wären beispielsweise die sogenannten Flash-Crashs (Anm. d. Red.: Flash-Crashs bezeichnen plötzliche kurzzeitige Einbrüche des Börsenkurses). So etwas gibt es ja nicht nur marktweit, sondern oftmals auch in Einzeltiteln. 

Welche weiteren Red Flags lösen darüber hinaus ein ungutes Gefühl in Ihnen aus?

Wenn irgendwelche Informationen lanciert werden, die auffällig sind und Kurse stark in Bewegung setzen oder wenn Leute einen Lemming-Effekt ausrufen, dann wäre ich extrem vorsichtig. Das sieht man häufig bei Meme-Aktien, also sogenannten Hype-Aktien, wie vergangenes Jahr bei GameStop. Während große Hedgefonds darauf setzten, dass der Kurs fallen würde und fleißig Leerkäufe betrieben, schlossen sich Kleinanleger:innen in einem Reddit-Forum zusammen und trieben den Kurs in die Höhe. Einer ist dann aber immer der Letzte und steht als Verlierer da. Eins sollte allen klar sein: Es gibt nicht den schnellen Gewinn, den heißen Tipp am Kapitalmarkt. Man kann heute sehr diszipliniert und diversifiziert anlegen und damit eine ordentliche Rendite erzielen. Dafür muss man nicht dem heißen Tipp oder dem Börsenflüsterer hinterherlaufen, davon halte ich gar nichts.

Die ehemalige Wirecard-Zentrale in Aschheim. Foto: Kaethe17 CC BY-SA 4.0

In Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal wurde häufig die Unzulänglichkeit von gängigen Schutzmaßnahmen am Kapitalmarkt kritisiert, gerade was Schutzmaßnahmen für Privatanleger:innen angeht. Hat sich seitdem etwas getan?

„Es ist schwer, sich vor Betrug, bspw. Bilanzfälschung, zu schützen. Bei Wirecard gab es schon länger Gerüchte, man vermutete kriminelle Machenschaften und da kann man natürlich hellhörig werden. Wenn es dann aber Wirtschaftsprüfer-Testate gibt, wird es schwer, für einzelne Anleger.innen dagegen zu argumentieren. Ich glaube dennoch, man sollte wachsam sein und sich sehr genau überlegen, ob man nach solchen Gerüchten wirklich noch investieren möchte. Am Ende des Tages müssen wir hier sicherlich die Aufsicht, die Wirtschaftsprüfenden sowie politische Institutionen in die Pflicht nehmen. Private Anleger:innen können nur mit gesundem Menschenverstand an die Sache herangehen und sich immer vergegenwärtigen, dass es weder Free Lunch (Anm. d. Red.: Bezeichnung für einen risikolosen Gewinn) noch den heißen Tipp an den Börsen gibt. Mein Verständnis ist, dass seit dem Wirecard-Skandal intensive Diskussionen stattgefunden haben und auch nach wie vor stattfinden, um den Fall aufzuarbeiten und solche Vorfälle in der Zukunft zu vermeiden.

Mit dem Wirecard-Skandal rücken auch Täuschungen in der Start-up-Welt in den Fokus. Ist die Start-up-Branche mit den teils innovativen Zukunftsvisionen besonders täuschungsanfällig?

Die Start-up-Branche scheint für einen bestimmten Typ von Anleger:innen interessant zu sein. Es gibt Fonds, die all die Sachen vereinen, die junge Leute gut finden – mit besonders jungen, innovativen, dynamischen Unternehmen. Da muss man sich einfach immer auch des Risikos bewusst sein. Ich würde nicht per se sagen, dass Start-ups besonders täuschungsanfällig sind, aber sie lösen offensichtlich eine gewisse Faszination aus. So kann es schnell passieren, dass man sich dort engagiert, ohne die Anlage-Risiken ausreichend geprüft zu haben und sich derer bewusst zu sein.

Investments in Cybersecurity-Unternehmen werden immer interessanter, – Sie bezeichnen sie aber auch als risikoreich. Wie schätzen Sie die Entwicklung von Cybersecurity-Unternehmen ein? Nach welchen Innovationen halten Sie Ausschau?

Wenn ich gefragt werde, in welche Trends man in Zukunft investieren sollte, ist meine erste Antwort eigentlich immer Cybersecurity. Weil ich der Meinung bin, dass wir uns alle zunehmend auf Algorithmen und ähnliche Dinge stützen werden. Autos fahren von selbst, Kühlschränke bestellen vielleicht in Zukunft Milch für uns. Es gibt immer wieder Leute, die solche Systeme angreifen wollen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass man sich vor potenziellen Angriffen schützt. Deshalb sind große IT-Unternehmen, die in diesen Bereichen arbeiten, durchaus interessant, – auch aus Anleger:innen-Perspektive. Aber Anleger:innen sollten auch hier nicht einfach blind investieren, sondern immer die Entwicklung des Unternehmens beobachten. Gerade kleinere Betriebe im Cybersecurity-Bereich müssen besonders dynamisch und aktiv sein, sonst sind sie möglicherweise relativ schnell wieder raus aus dem Markt. Daher sollten sich Kleinanleger genau überlegen, welche Aspekte diese Unternehmen schützen und ob es eine Zukunft dafür gibt.

Der Zukunftstrend in dem sich eine Investition lohnt ist laut Dr. Ulrich Stephan der Bereich der Cybersecurity. Aber auch dort sollte man nicht einfach blind investieren, sondern die den Markt genau unter die Lupe nehmen. Illustration: Guerilla Buzz Blockhain

Die EU plant eine sichere digitale Identität, die es Bürger:innen ermöglichen soll, Dinge online schneller abzuwickeln. Dabei steht vor allem der Datenschutz im Vordergrund. Glauben Sie, dass die digitale Identität darüber hinaus auch mehr Sicherheit am Kapitalmarkt bringen kann?

Ich habe des Öfteren schon Diskussionen mit Vertreter:innen deutscher Kommunen und Gemeinden geführt. Dort diskutiert man dann, wann wir denn endlich eine Smart City haben werden. Interessanterweise scheitert das in Deutschland regelmäßig daran, dass wir für alles eine physische Unterschrift benötigen. Wenn man bei der digitalen Identität vorankäme, dank der Blockchain zum Beispiel, hätten wir große Gewinne, was Effizienz und Bequemlichkeit angeht, weil wir dann viele Dinge im Netz digital durchführen könnten. Wegweisend ist da die Distributed-Ledger-Technologie (Anm. Red. Technik verteilter Kassenbücher). Diese ermöglicht eine dezentrale Aufzeichnung von Transaktionen. Prüfungen wie: Wer öffnet ein Konto, ist er wirtschaftlich berechtigt, ist er nicht berechtigt, wer handelt, mit welchen Informationen handelt er, hat er Insiderwissen, etc., die wären damit deutlich einfacher. Bekommt man das vernünftig aufgesetzt, automatisiert und mit entsprechenden Prüfschleifen versehen, sind wir sicherlich einen großen Schritt weiter.

Wie wird der Kapitalmarkt in Zukunft sicherer oder auch unsicherer?

Der Kapitalmarkt wird weiter international zulegen, insofern wird es auch grenzüberschreitende Transaktionen geben und da hilft es, wenn man digital gestützte Prüfschleifen hat, um Handlungen zu verifizieren. Wir wissen um die Vorbehalte, die es gegenüber Kryptowährungen gibt, dass damit illegale Geschäfte gemacht werden, Geldwäsche betrieben wird, vielleicht sogar Terrorismus-Finanzierung stattfindet. Am Ende wird es niemals die totale Sicherheit geben, denn es gibt immer einen Zielkonflikt zwischen Sicherheit, Skalierung und Geschwindigkeit. Es wird aus meiner Sicht aber immer ein Zusammenspiel bleiben aus gesundem Menschenverstand und Vorsicht auf der einen Seite und den digitalen Verbesserungen auf der anderen Seite. Ich glaube allerdings, dass wir auf beiden Seiten noch viel tun können. Vor allem auf der digitalen Seite. Denn damit können frühzeitig betrügerische Muster erkannt und unterbunden werden.

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Kompendium: Business of Deception

Revival of the Scam: Die Grenzen von (digitaler) Sicherheit

Kompendium: Business of Deception

Revival of the Scam: Die Grenzen von (digitaler) Sicherheit

Bild: Regular Guy/Simon Lee

2080 sind digitale Phishing-Attacken beinahe Geschichte. Künstliche Intelligenzen haben digitale Sicherheit übernommen und Cybersecurity-Systeme nahezu perfektioniert. Doch auch Betrüger:innen haben aufgestockt: Ihre Angriffe erfolgen vollautomatisiert und seit einigen Monaten geht immer mal wieder einer durch. Der Rest des Geschäfts findet in altmodischer Manier offline statt.

Christinas C33 vibriert. Sie tippt zweimal auf den Bildschirm der schmalen Uhr und ein Hologramm entsteht vor ihren Augen. Eine schlanke Frau im Blazer verkündet ihr mit freundlicher Stimme, dass die C33s von zwölf ihrer näheren Kontakte angegriffen wurden. „Das Eindringen des Virus‘ konnte verhindert werden. Auf Nachrichten mit diesem oder jenem Absender solltest du trotzdem nicht reagieren“, fährt sie fort. Vor Christinas Augen ploppen nacheinander vier Bilder auf: zunächst die Layouts von zwei Textnachrichten, dann zwei gutaussehende Gesichter. Christina schließt das Hologramm. Das Sicherheitsprogramm ihrer S-watch C33 meldet sich selten zu Wort. Inspiriert von den Virus-Kontaktverfolgungen der globalen Pandemie von 2057 soll es Nutzer:innen der C33s vor virtuellen Angriffen schützen. Doch die erreichen die C33s ohnehin fast nie, die KI blockiert sie meist schon vorher. Dass dieser Angriff nun direkt ein Dutzend ihrer Kontakte erreicht hat, ist neu. Erst einmal hat Christina ein Virus-Hologramm mit eigenen Augen gesehen. Der junge Mann im Hologramm hatte ausgeprägte Wangenknochen und dunkles Haar. Mit weicher Stimme hatte er zu ihr gesprochen und Christina war fast ein wenig aufgeregt, als sie bemerkte, dass dies ein Phishing-Versuch sein könnte. Doch das Hologramm brach so plötzlich ab, wie es gestartet hatte. Wenig später erschien wieder Laney, Christinas ganz persönliches C33-Hologramm, und klärte sie über den versuchten Angriff auf.

Mit freundlicher Stimme verkündet Christinas Hologramm Laney, dass ihr Gerät von einem Virus angegriffen wurde. Bild: Becky Fantham.

2080 ist eine durch künstliche Intelligenz gesteuerte allumfassende Cybersecurity längst zum gewöhnlichen Alltag geworden. Sie läuft immer und überall im Hintergrund ab und macht sich selten bemerkbar. Künstliche Intelligenzen haben bereits vor Jahrzehnten den Alltag übernommen. Sie erkennen Täuschungsversuche innerhalb von Millisekunden und verbannen sie von mobilen Endgeräten, bevor die Nutzer:innen sie überhaupt entdecken. So läutete das Jahr 2060 zwei Dekaden der stillgelegten Cyberkriminalität ein. Digitaler Betrug existierte zwar, doch sein Erfolg war quasi nicht vorhanden. Doch seit knapp einem Jahr gehen plötzlich immer mal wieder Attacken durch und das Geschäft mit der Cybersicherheit läuft langsam wieder an. Denn anders als sonst haben sich die KIs nicht selbst an die neuen Methoden angepasst. Erstmals beschäftigen sich wieder menschliche IT-Expert:innen mit den Betrugsmaschen. Und das ist deutlich spürbar: Neben der Kontaktverfolgung für C33s schießen weitere Sicherheitsprogramme wie Pilze aus dem Boden. Allesamt sollen sie unerfahrenen Personen dabei helfen, betrügerische Attacken zu erkennen. Denn das haben viele Menschen längst verlernt. Warnungen vor betrügerischen Nachrichten oder gar Hologrammen kennen besonders die Jahrgänge ab 2060 lediglich aus dem Schulunterricht. Dazu gehört auch Christina. In den Cyber-Fächern hat sie zu ihrer Zeit alles über digitalen Betrug gelernt: wie er mit Beginn des Internets langsam entstand und dieses über die Jahrzehnte zum Kriminalitätsort Nummer eins machte.

2080 ist digitales Verbrechen zurück – und bedroht Existenzen

Die Angst vor einem Rückfall zu diesem Kriminalitätsort lodert 2080 erneut auf. Vor allem größere Unternehmen sind in Aufruhr, seit Betrüger:innen vor elf Monaten ein Schlupfloch der KIs gefunden haben. Wie aus heiterem Himmel wurde Unternehmer:innen plötzlich bewusst, dass sie sich jahrelang in falscher Sicherheit gewiegt hatten. Cyber-Scammer hatten gar nicht aufgegeben, sie arbeiteten nur am nächsten großen Ding. Der erste Betrieb, bei dem sie nach einem ganzen Jahrzehnt Erfolg hatten, ging wenig später bankrott. Die Kund:innen hatten ihr ganzes Vertrauen verloren. Aus Angst übergaben sie ihre Daten schnellstmöglich anderen Unternehmen, von denen sie höchste Sicherheit erwarteten. Doch die Illusion einer hermetischen Abriegelung ist ihnen längst genommen. Immer häufiger berichten Betriebe von versuchten und geglückten Angriffen. Eine kleine Randgruppe ist sogar der Meinung, dass Cybersecurity-Unternehmen das absichtlich machen – mit der Intention, ihr stagnierendes Gewerbe wieder aufzunehmen, neue Innovationen zu schaffen und für diese noch mehr Geld zu verlangen.

Seit Cyberkriminalität wieder angestiegen ist, beschäftigen sich erstmals wieder menschliche IT-Expert:innen mit den Betrugsmaschen. Bild: Sigmund Fa.

Personalisierte Angebote von analogen Scammern

Christina macht derweil eine ganz andere Entwicklung Angst: Ihr Nachrichtenhologramm Steve hatte ihr erst vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass eine besonders groteske Betrugsmasche ihr Unwesen treibt. Auf offener Straße sei demnach ein älterer Herr überredet worden, eine Reise zu buchen. Weil er ohnehin seit Tagen mit seinem Hologramm nach einem passenden Deal gesucht hatte und die junge Dame ihm versicherte, dass es mit all den digitalen Angriffen so doch viel sicherer sei, willigte er ein. Der Polizei gegenüber beschrieb er sie als unscheinbar, aber dennoch sehr hübsch. Ein wenig erinnerte sie ihn an seine Enkelin. So hegte er schnell Sympathien für die Fremde und vertraute ihr die Zugangsdaten zu seinem Kryptowallet an – schließlich sei es in Zeiten wie diesen analog viel sicherer. Christina erinnert diese Naivität an ihren eigenen Großvater, um den sie sich plötzlich sorgt. Denn der ältere Herr aus den Nachrichten war einem Betrug zum Opfer gefallen. Von der jungen Frau auf der Straße hörte er nie wieder etwas und auf sein Kryptowallet hatte er fortan keinen Zugriff mehr. Die Polizei ging sogar davon aus, dass die Betrügerin die Aktivitäten des Hologramms ihres Opfers ausgekundschaftet hatte und ihm so genau das anbieten konnte, wonach er suchte. Bei dem Gedanken, jemand könnte ihr eigenes Hologramm aushorchen, gruselt es Christina.

Sehen so vielleicht die Betrüger:innen der Zukunft aus? Unscharfe Hologramme die uns zu unsicherem Verhalten verführen. Foto: Vadim Bogulov

Berühmte Scams der Zukunft

Für Betrüger:innen fühlt sich 2080 aufgrund der vereinzelten erfolgreichen Durchstöße derweil an wie ein zweiter Frühling. Nachdem ihr Business jahrzehntelang eine Flaute verzeichnete und sie lediglich hier und da wenige Erfolge feiern konnten, steigt endlich wieder die Hoffnung auf ein kommendes lukratives Geschäft. Einige besonders mutige Scammer haben mit dem Glauben an den großen Gewinn sogar ihre Jobs als Verkäufer:innen oder Fahrer:innen von Magnetschwebebahnen gekündigt. Immer häufiger geben sich Betrüger:innen nun Gleichgesinnten zu erkennen. Gemeinsam träumen sie von einer Zeit, in der sie sich nicht länger verstecken müssen und offener mit ihrem Gewerbe umgehen können. Eine Zeit, in der digitaler Betrug nicht lediglich in zähen Geschichtsshows oder angsteinflößenden Nachrichten thematisiert wird, sondern in glorreichen Filmen und Serien – wie damals in den 2020ern. Denn Betrug und Täuschung sind 2080 für die wenigsten Scammer eine Notwendigkeit. Vielmehr geht es um den aufregenden Kick, in einer abgesicherten Welt Unsicherheit zu verbreiten; um die Freude, wenn aus ein wenig Arbeit ein beachtlicher Verdienst entsteht – und den großen Traum, irgendwann der:die Beste auf dem Gebiet zu sein. Irgendwann verehrt zu werden wie die berühmte/n Betrüger:innen der Vergangenheit: Anna Delvey, Till Eulenspiegel oder Victor Lustig.

Zum Anfang Till Eulenspiegel: Der Meister der Täuschung im Mittelalter
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