facebook-likehamburgerlupeoverview_iconoverviewplusslider-arrow-downslider-arrow-leftslider-arrow-righttwitter
Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Ehevertrag, Sparpläne, Kinderbetreuung: Es gibt genügend Themen, mit denen sich Paare und junge Familien beschäftigen müssen. Die Finanzexpertin Margarethe Honisch spricht mit der Paartherapeutin Dr. Sharon Brehm darüber, wie sich finanzielle Angelegenheiten negativ auf Beziehungsdynamiken auswirken und was Paare besser machen können.

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wird laut des World Economic Forums erst im Jahr 2154 erreicht. Deshalb ist es gerade für Frauen wichtig, finanziell unabhängig zu werden.

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Unabhängig von sexueller Neigung und Geschlecht werden Menschen von ihren Herkunftsfamilien in der Care-Arbeit und Wohnsituation unterstützt, die wiederum vom Staat finanziert wird. So entstehen wertvolle Fürsorge-Systeme, welche die Partner:innen entlasten und Raum für mentale und finanzielle Unabhängigkeit und für mehr Liebe geben.

Kompendium

Heute wollen viele Menschen gleichberechtigt lieben, – doch wie geht das in patriarchalen Strukturen, welche vor allem die grundlegende Care-Arbeit nicht wertschätzen? Und welche finanziellen Innovationen wirken sich positiv auf Beziehungsdynamiken aus?

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Im Römischen Reich war es üblich, eine Manus-Ehe zu schließen, bei der die Ehefrau in den Besitz des Mannes überging. Sie zog dabei den Kürzeren in allen Belangen.

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Das Gleichberechtigungsgesetz hatte einen großen Einfluss auf die Ehe und warf die wichtige Frage auf: Sollte Care-Arbeit bezahlt werden?

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Wie im spätrömischen Reich eine Frau ihr Vermögen behielt – und es in einen Mann investierte

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Wie im spätrömischen Reich eine Frau ihr Vermögen behielt – und es in einen Mann investierte

Bild: Aegidius Sadeler, Portrait von Terentia Albia, "CCO 1.0 Dedication"

Im römischen Reich war es üblich, eine Manus-Ehe zu schließen, bei der nicht nur die Ehefrau, sondern auch die Mitgift in den Besitz des Mannes überging. Sie zog dabei den Kürzeren in allen Belangen – bis sich die Manus-freie Ehe durchsetzte. Terentia, die Ehefrau von Cicero, verfügte deshalb selbständig über ihr Geld, unterstützte damit jedoch vor allem seine politische Karriere. 

Außer ihren Gefühlen gehörte der Frau nichts

„In seiner Hand” könnte der Titel eines Hollywood-Thrillers sein, ist aber tatsächlich die Übersetzung des lateinischen Begriffs „manus”. Im Römischen Reich war es bis ca. 133 vor Christus üblich, dass Mann und Frau durch ihre Hochzeit die Manus-Ehe eingehen – und die Frau damit in die „Hände des Mannes” fiel. Und wie könnte es anders sein, als dass diese Hände ausschließlich Nachteile für die Frau mitbrachten.

In der Manus-Ehe ging die Frau vom Besitz des Vaters in den des Mannes über. Sie brachte eine Mitgift in den Bund, über die sie selbst jedoch nicht verfügen durfte. Auch hatte sie keinen Einfluss auf das eheliche Vermögen: Am Ende des Tages, unabhängig davon, ob sie in finanzielle Überlegungen mit einbezogen wurde, durfte der Mann ganz alleine über alle ökonomischen Angelegenheiten entscheiden.

Hinter jedem erfolgreichen Mann steht …

Im 3. Jahrhundert v. Chr. setzte sich schließlich die Manus-freie Ehe durch. Nicht, weil man die Emanzipation einläutete, sondern weil man feststellte, dass die Manus-Ehe das Vermögen der weiblichen Herkunftsfamilie destabilisierte – im Falle ihres Todes war die Verwandtschaft nämlich vom Erbe ausgeschlossen.

Im Römischen Reich war es bis ca. 133 vor Christus üblich, dass Mann und Frau durch ihre Hochzeit die Manus-Ehe eingehen – und die Frau damit in die „Hände des Mannes” fiel. British Museum, (CC BY-SA 4.0).

Auch eine Scheidung war nun einfacher zu vollziehen, denn es reichte eine Willenserklärung und der Auszug aus dem gemeinsamen Haus – Mitgift inklusive. Ein Schritt in die Richtung finanzieller Unabhängigkeit, der jedoch weniger das Wohl der Braut im Auge hatte, sondern vielmehr das Vermögen ihres Vaters. 

Es gibt ein bekanntes Beispiel dafür, dass die Manus-freie Ehe zumindest in elitären Kreisen vollzogen wurde: Als der Politiker Cicero die aus einer einflussreichen Familie stammende Terentia heiratete, brachte diese 400.000 Sesterzen mit in die Ehe. Das Geld investierte sie in seine Karriere, war es doch genau der Betrag, den er benötigte, um als Senator zu kandidieren.

Ciceros Meilensteine? Exil, Scheidung, Kinderehe

Weil Cicero Caesar, Pompeius und Crassus im Weg stand, musste er 58 v. Chr. ins Exil, wodurch sein Besitz konfisziert wurde. Doch Terentia hielt an dem Eheversprechen fest und stand weiterhin zu ihm. Sie begann sogar, eigene Landgüter zu verkaufen, um sein Vermögen zu stabilisieren. Während der Anfangszeit im Exil schrieb er ihr aus diesem Grund mehrere Briefe, in denen seine Zuneigung zum Ausdruck kam.

Nachdem Terentia ohne seine Zustimmung Tochter Tullia mit dem Politiker Dolabella verheiratete, wuchs ihm ihre Selbstständigkeit wohl doch über den Kopf. Nach seiner Rückkehr reichte er die Scheidung ein. Ob viele Tränen auf beiden Seiten geflossen sind, ist unklar.

Als der Politiker Cicero die aus einer einflussreichen Familie stammende Terentia heiratete, brachte diese 400.000 Sesterzen mit in die Ehe. Das Geld investierte sie in seine Karriere, war es doch genau der Betrag, den er benötigte, um als Senator zu kandidieren. Bild: Public domain

Fakt ist jedoch, dass Cicero kurze Zeit später die fünfzehnjährige Publilia heiratete, die aufgrund ihres Alters unter seiner Vormundschaft stand. Mithilfe ihrer Mitgift zahlte er das Geld an Terentia zurück, wozu er aufgrund der Manus-freien Ehe verpflichtet war. Terentia brach also mit vollen Taschen wieder auf – die einer anderen wurden dafür jedoch geleert. 

Als das politische System von der Republik in die Kaiserzeit überging, erließ Herrscher Augustus während seiner Amtszeit (31 v. Chr. bis 14 n. Chr.) strenge Ehegesetze – eins davon untersagte, eine Ehe mit einer Ehebrecherin einzugehen, wodurch erneut Frauen die Leidtragenden waren. Wer also nach dem Ehebruch Single war, stand alleine da und bekam die Konsequenzen eines Systems zu spüren, das die heteronormative Eheschließung bevorzugt.

Im Kampf um Gleichberechtigung kam es in der Geschichte immer wieder zu heftigen Rückschritten. Deshalb gingen einige Aktivistinnen in die Politik, um dies zu ändern – ihnen verdanken wir die Errungenschaften von heute.

Weiterlesen Frauenbewegung zwischen finanzieller Selbstbestimmung und unbezahlter Care-Arbeit
Seite 1 | 2 | 3 | 4 | 5
Header-Bild
Headerbild: Alicia Minkwitz
Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Frauenbewegung zwischen finanzieller Selbstbestimmung und unbezahlter Care-Arbeit

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Frauenbewegung zwischen finanzieller Selbstbestimmung und unbezahlter Care-Arbeit

Bild: Library of Congress

Vom Nadelgeld zum Gleichberechtigungsgesetz und der Erlaubnis, selbstständig arbeiten zu dürfen: Diese Errungenschaften für Frauen hatten einen großen Einfluss auf das Konzept Ehe und warfen die wichtige Frage auf: Sollte Care-Arbeit bezahlt werden?

Bis 1958 war es in Deutschland üblich, dass der Ehemann seiner Frau ein sogenanntes Nadelgeld zur Verfügung stellte. Dabei handelte es sich um eine festgelegte Geldsumme, die sie für kleinere Ausgaben wie Kosmetik oder Kleidung nutzen durfte – ein Taschengeld, was die Unterordnung der Frau sichtbar machte. Bis dahin herrschte nämlich das Bestimmungsrecht des Mannes über alle ehelichen Finanzangelegenheiten. Und das, obwohl neun Jahre zuvor im Grundgesetz der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt” verankert wurde.

Es ist vier Politikerinnen zu verdanken, dass es ab 1958 nicht bei einer inhaltsleeren Formulierung blieb – das Gleichberechtigungsgesetz trat endlich in Kraft.

Frieda Nadig, Helene Weber, Helene Wessel und Elisabeth Selbert wurden als die „Mütter des Grundgesetzes” bekannt.

Vier Köpfe für eine Revolution

Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel werden als die „Mütter des Grundgesetzes” bezeichnet. Als Mitglieder des Parlamentarischen Rates haben sie sich dafür eingesetzt, die Gleichberechtigung auf den Weg zu bringen – ein mühsamer Kampf, der jedoch für die damalige Zeit einen bedeutenden Grundstein legte:

Im Rahmen des Gleichberechtigungsgesetzes wurde 1958 das Bestimmungsrecht des Mannes gestrichen. Auch war es von nun an möglich, dass die Frau ihr mit in die Ehe gebrachtes Vermögen eigenständig verwalten durfte. Und es wurde ihr zumindest erlaubt, einem Dienstverhältnis nachzugehen, solange es mit den ehelichen und familiären Pflichten vereinbar war. Trotzdem blieb die „Hausfrauenehe”, bei der die Frau für die Care-Arbeit da war und der Mann einer Lohnarbeit nachging, weiterhin von beiden Geschlechtern angestrebt. Grund hierfür war, dass berufstätige Frauen derart unterbezahlt waren, dass es sich kaum lohnte, diese neue Möglichkeit wahrzunehmen.

Es ist ein trauriges Beispiel dafür, dass es nicht reicht, nur Gesetze zu erlassen, wenn die realistische Umsetzung von staatlicher Seite aus behindert wird, denn: Care-Arbeit wird bis heute als selbstverständliche Aufgabe der Frau angesehen, ist gleichzeitig jedoch die Basis dafür, dass der Mann ohne Einschränkungen seiner Arbeit nachgehen kann – und der Kapitalismus überhaupt funktioniert.

Zwischen Hausfrauenehe und Zerrüttungsprinzip

1977 war es Frauen endlich möglich, selbstständig zu entscheiden, ob und in welchem Verhältnis sie erwerbstätig sein wollten – die Hausfrauenehe war von da an Geschichte. Trotzdem wurden auf dem Arbeitsmarkt Männer bevorzugt und besser bezahlt: 1978 lag der durchschnittliche Bruttostundenlohn von Arbeitern bei 12 Mark 68, der von Arbeiterinnen bei 9 Mark 24.

Die Emanzipation zeigte sich vor allem in der steigenden Scheidungsrate. Während sie in den 1960er-Jahren noch bei rund 10 Prozent lag, sprang sie in den nächsten zwanzig Jahren auf über 28. Grund dafür war die Abschaffung des Verschuldensprinzips im Jahr 1977. Es besagte, dass ein:e Partner:in die komplette Schuld am Scheitern der Ehe übernehmen musste und damit schlechte Karten im Zuge finanzieller Angelegenheiten hatte. Auch konnte die Person den Kürzeren ziehen in der Frage nach der Kinderbetreuung. Als das Zerrüttungsprinzip in Kraft trat, galt ab sofort, dass beide Partner:innen Schuld trugen und auf Basis dessen verhandelt wurde. Das stellte vor allem für Frauen, die noch immer finanziell abhängig waren, die Möglichkeit dar, eine faire Aufteilung des gemeinsamen Vermögens zu bekommen. 

Die italienische Philosophin und Aktivistin Silvia Federici sprach sich bereits 1972 dafür aus, diese Sorgearbeit zu bezahlen. Bild: Marta Jara, (CC BY-SA 3.0 ES).

Wie die Wirtschaft Frauen bis heute finanziell ausbeutet

Weil die Care-Arbeit weiterhin Frauensache war, bedeutete sie gerade für Alleinerziehende die Belastung zweier Tätigkeiten, von denen eine bis heute nicht entlohnt wird. Die italienische Philosophin und Aktivistin Silvia Federici sprach sich deshalb bereits 1972 dafür aus, diese Sorgearbeit zu bezahlen. Wer sich um die Kinder, den Haushalt und die pflegebedürftige Großmutter kümmert, hat nämlich gar keine Möglichkeit, die finanziellen Möglichkeiten auszuschöpfen, die einem vor die Nase gehalten werden. Es ist ein Unterdrückungsmechanismus des Patriarchats, Frauen ständig verfügbar zu machen und die Care-Arbeit als emotional erfüllende Tätigkeit zu sehen. Dann muss sie nämlich nicht entlohnt werden und kann weiterhin als unsichtbares Rückgrat der Marktwirtschaft fungieren. Dieses Vorgehen führt zu einer extremen Erschöpfung der Frauen, die nicht immer die Kraft haben, für fehlende Gerechtigkeit zu kämpfen.

Weiterlesen Wie radikal kann man Liebe und Finanzen trennen?
Seite 1 | 2 | 3 | 4 | 5
Header-Bild
Headerbild: Alicia Minkwitz
Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Wie radikal kann man Liebe und Finanzen trennen?

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Wie radikal kann man Liebe und Finanzen trennen?

Bild: Anastasia Sklyar/Ibrahim Boran

Ehevertrag, Sparpläne, Kinderbetreuung: Es gibt genügend Themen, mit denen sich Paare und junge Familien beschäftigen müssen. Die Finanzexpertin Margarethe Honisch spricht mit der Paartherapeutin Dr. Sharon Brehm darüber, wie sich finanzielle Angelegenheiten negativ auf Beziehungsdynamiken auswirken und was Paare besser machen können.

Margarethe, Sharon, ihr seid beide in einer Partnerschaft. Wie handhabt ihr eure Finanzen?

Margarethe Honisch: Bei uns wird alles getrennt. Wir nutzen eine App, in die wir eintragen, wer was gekauft hat, – das umfasst auch größere Anschaffungen. Es funktioniert für uns sehr gut, weil wir finanziell unabhängig voneinander sind. Aber die Situation wäre eine andere, wenn einer von uns wesentlich weniger verdienen würde. Dann würden wir über Lösungen sprechen, wie den Anteil der Miete an das jeweilige Einkommen anzugleichen.

Dr. Sharon Brehm: Mein Freund und ich zahlen monatlich denselben Betrag auf ein Gemeinschaftskonto ein. Urlaube und Einkäufe gehen dann von diesem Konto ab. Dass das gut klappt, hängt auch bei uns damit zusammen, dass wir beide ähnlich gut verdienen.

Sollte es mal zu einer größeren Investition kommen, steht die Frage im Raum: Wie stemmen wir das als Team und weniger als Paar? Es kann immer passieren, dass man sich trennt, und mit der Beziehung sollte man nicht auch noch seine Altersvorsorge verlieren.

Margarethe: Diesen Gedanken finde ich so weitsichtig, Sharon. „Hope for the best, prepare for the worst.”

Sharon: Wie handhaben das denn die Frauen in deinem Bootcamp, in dem sie alles zum Vermögensaufbau lernen?

Margarethe: Spätestens, wenn sie heiraten, legen viele Paare ihr Geld zusammen. Das hat mich anfangs überrascht. Eine Frau ist mir besonders im Kopf geblieben: Mitte 50, Eigenheim, erwachsene Kinder, nun die Scheidung. Sie lebt alleine in einem großen Haus, an das sie emotional gebunden ist – aus finanzieller Sicht total unlogisch, noch dazu muss sie nun Sanierungskosten alleine stemmen. Ich sage immer: Macht euch auf alle Eventualitäten gefasst.

Ein persönliches Beispiel: Mein Freund und ich sind erst nach über sechs Jahren zusammengezogen, weil ich lange Zeit wusste: Wenn wir früher zusammenziehen, kann ich mir im Falle einer Trennung keine Wohnung alleine leisten, die auf dem gleichen Niveau sein wird. Und ich würde definitiv nicht zurück in eine WG oder ein 1-Zimmer-Apartment wollen. Erst als ich wusste, dass ich sie finanzieren könnte, bin ich den Schritt gegangen.

Margarethe Honisch ist Finanzexpertin und hilft Frauen, ihre Finanzen selbst in die Hand zu nehmen. Dr. Sharon Brehm ist Paartherapeutin und Podcasterin. Bild: Marcus Witte/Elias Hassos.

Sharon, verändert sich die Beziehungsdynamik in Hetero-Partnerschaften, in denen Frauen finanziell unabhängig sind?

Sharon: Bei einem Paar ohne Kind bewahren sich viele ihre Unabhängigkeit. Wenn Kinder kommen, ändert sich vieles, weil meistens die Frau zu Hause bleibt. Das hat einen starken Einfluss auf die Beziehungsdynamik und führt oft zu Frust. Ihre Abhängigkeit von ihm fühlt sich schlimm an, was er oft nicht nachvollziehen kann. Manche Frauen sagen, dass sie plötzlich in Mustern gefangen seien, in denen ihre Mutter bereits steckte. Hier kommt es dann schnell zu Konflikten.

Da zeigt sich vor allem, dass selbst wenn man heute gleichberechtigt lieben will, oft am kapitalistischen System scheitert. Welche Tipps habt ihr für diese Paare?

Margarethe: Eine Statistik zeigte auf, dass Männer und Frauen bis zum 35. Lebensjahr ähnlich viele Rentenpunkte aufbauen. Ab da wird die Schere immer größer. Eine Idee wäre also, dass der Mann ab da die ETF-Sparpläne vollständig übernimmt. Bevor sich ein Paar entscheidet, eine Familie zu gründen, sollte außerdem jede:r ausrechnen, wie viel ihn oder sie dieses Kind kosten und ob das machbar sein wird. Auch die Diskussion, sich die Mutterschaft vom Ehemann bezahlen zu lassen, finde ich spannend. Sorgearbeit wird ja nicht entlohnt und noch dazu kann die Frau währenddessen nur schwer etwas Eigenes aufbauen. Mein Tipp ist daher auch, diese gemeinsamen Überlegungen unbedingt losgekoppelt zu sehen von der Liebe.

Sharon: Spielen wir mal das Szenario durch. Bei vielen meiner Paare ist die Frau zu Hause geblieben, während dem Mann gleichzeitig eine Beförderung angeboten wurde. Dadurch kommt er noch später heim, was das Gefälle zwischen beiden nur noch verstärkt. Das frustriert die Person, die zu Hause bleibt, und kann sich in Konflikten ausladen.

Eine wichtige Frage ist deshalb im Vorfeld der Entscheidung: Wie kompensieren wir Kompromisse? Man könnte einen Businessplan für die Beziehung aufstellen. Auch hier wieder: Als Team sehen und die romantische Ebene verlassen.

Margarethe: Über das zukünftige gemeinsame Leben zu sprechen, empfinde ich als romantisch, weil man zusammen in die Zukunft schaut.

Wisst ihr, wie viele Paare heutzutage Eheverträge schließen?

Margarethe: Ich befürchte viel zu wenige und sage 20 Prozent.

Sharon: Ich wünsche mir, dass es mehr sind, und sage 30 Prozent.

ImmobilienScout24 hat bei einer Umfrage festgestellt, dass nur 7 Prozent von 1000 Geschiedenen einen Ehevertrag haben. Was sagt ihr dazu?

Sharon: Einen Ehevertrag empfinde ich als wichtig, denn wenn Menschen verletzt sind und sich scheiden lassen, werden sie nicht unbedingt freundlicher. Besser ist es, im Vorfeld liebevoll zu kommunizieren und ihn aufzusetzen, während beide glücklich sind.

In Zeiten von Krieg, Inflation und Altersarmut: Könnt ihr euch vorstellen, dass Partnerschaften wieder an ökonomische Gesichtspunkte geknüpft werden?

Margarethe: Ja. Und ich finde es nicht schlimm, aus ökonomischen Gründen zu heiraten. Wichtig ist nur, sich konkrete Fragen zu stellen …

Sharon: … und transparent damit umzugehen. Es gibt auch die „pragmatische Liebe”, bei der Menschen sich einfach umeinander kümmern möchten. Oder Co-Elternschaften. Für sichere Beziehungen ist Transparenz wichtig.

Margarethe: Eine amerikanische Studie hat gezeigt, dass in Partnerschaften teils Konten und Schulden geheim gehalten werden. Das nennt man finanzielle Untreue. Dahingegen plädiere ich für die finanzielle Treue: offen mit den eigenen und gemeinsamen Finanzen umgehen.

Die wenigsten Paare denken nach der Hochzeit daran, einen Ehevertrag abzuschließen. ImmobilienScout24 hat bei einer Umfrage festgestellt, dass nur 7 Prozent von 1000 Geschiedenen einen Ehevertrag haben. Bild: Nathan Dumlao

Wie gelingt das, Sharon?

Sharon: Es hilft, sich als Frau bewusst zu machen, dass auch wir in der Verantwortung sind, uns mit den gemeinsamen Finanzen auszukennen – viele geben das Thema bewusst ab. Außerdem braucht es eine offene Atmosphäre, in der Fehler erlaubt sind und man liebevoll mit schambehafteten Themen umgehen kann. Und: einfach öfter über Geld reden, um es zu enttabuisieren sowie konkret nachfragen, wenn man das Gefühl hat, der/die Partner:in ist finanziell untreu.

Margarethe Honisch ist Finanzexpertin und hilft Frauen, ihre Finanzen selbst in die Hand zu nehmen. Im Oktober 2022 ist ihr neuer Bestseller erschienen: „So wirst du finanziell frei”.

Dr. Sharon Brehm ist Paartherapeutin und Podcasterin. In ihrem Buch “Smart loving” dreht sich alles um die Partnersuche, in “Hello, lovers!” spricht sie mit Anika Landsteiner über moderne Liebe.

Weiterlesen Smart Contracts und Female Finance: Wie neue Trends finanzielle Gerechtigkeit bringen können
Seite 1 | 2 | 3 | 4 | 5
Header-Bild
Headerbild: Alicia Minkwitz
Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Smart Contracts und Female Finance: Wie neue Trends finanzielle Gerechtigkeit bringen können

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Smart Contracts und Female Finance: Wie neue Trends finanzielle Gerechtigkeit bringen können

Nadin Chucher leitet das Quartier Zukunft der Deutschen Bank und berät täglich Paare zu ihren finanziellen Wünschen. Dabei beobachtet sie den steigenden Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit. Bild: Nadin Chucher.

Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wird laut des World Economic Forums erst im Jahr 2154 erreicht. Deshalb ist es gerade für Frauen wichtig, finanziell unabhängig zu werden. Smart Contracts können den starren Ehevertrag ablösen, außerdem gibt es immer mehr Investment-Möglichkeiten, die auf die Wünsche von Frauen zugeschnitten sind.

Laut des Gender Gap Reports 2022 benötigt es weitere 132 Jahre, bis die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau vollzogen ist. Solange das Patriarchat vorherrscht, lohnt es sich, einen Blick auf technische Entwicklungen wie Smart Contracts zu werfen.

Smart, smarter, marriage on the blockchain

Längst etabliert in der Kryptowelt wird er immer öfter als Ehevertrag aufgesetzt. Dabei handelt es sich um einen Vertrag, der auf der Blockchain-Technologie aufbaut und deren Vorteile wie Transparenz, Verfügbarkeit und Fälschungssicherheit nutzt. Als Ehevertrag eingesetzt, steht er für mehr Flexibilität und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, außerdem fungiert er losgelöst von Staat und Religion. Das Paar kann zudem festlegen, zu welchem Zeitpunkt eine digitale Handlung ausgelöst werden soll, zum Beispiel, ob beim Erreichen eines bestimmten Vermögens ein fester Betrag ausgezahlt wird. So bleibt der Smart Contract transparent, das Festgeschriebene lässt sich binnen Sekunden gemeinsam verändern und erweitern. Damit das rechtswirksam ist, muss der Vertrag allerdings in Zusammenarbeit mit einem Anwalt aufgesetzt werden oder als Klausel in einen traditionellen Ehevertrag eingebaut und notariell beglaubigt werden.

Manche Paare gehen bereits einen Schritt weiter und schließen eine ganze „Marriage on the blockchain” ab. Bereits 2014 haben das David Mondrus und Joyce Bayo umgesetzt und weder vor dem Staat noch vor Gott das Ehegelöbnis abgegeben: „In guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet, denn die Blockchain ist ewig”, lautet ihr Versprechen, das sie in die Blockchain eingetragen haben. Der Vorteil, die Ehe digital abzuschließen, liegt auch hier in der Loslösung vom bürokratischen Aufwand und der Entwicklung, dass immer mehr Menschen finanziell unabhängig sein möchten – oder im Fall eines gemeinsamen Investments volle Transparenz haben wollen. Um gleichberechtigt in die Zukunft zu blicken, müssen sich Paare im ersten Schritt mit ihren finanziellen Wünschen auseinandersetzen.

2014 haben David Mondrus und Joyce Bayo weder vor dem Staat noch vor Gott, sondern in der Blockchain das Ehegelöbnis abgegeben. Bild: Foto Pettine/Uriel SC

Die komplexen Einflüsse auf (fehlende) finanzielle Unabhängigkeit

Nadin Chucher leitet das Quartier Zukunft der Deutschen Bank und berät täglich Paare zu ihren finanziellen Wünschen. Dabei beobachtet sie den steigenden Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit. Gründe dafür sind: „Viele ticken komplett unterschiedlich hinsichtlich Risikoneigung oder Präferenzen bei Absicherungen”, sagt sie. „Ich habe in der Vergangenheit festgestellt, dass zu oft Kompromisse gemacht wurden, mit denen niemand ganz glücklich war.”

Ein wesentlicher Punkt ist da immer die unbezahlte Care-Arbeit. Darunter fallen nicht nur Kindererziehung und Hausarbeit, sondern auch Pflege von älteren oder kranken Angehörigen. Überhaupt leisten Frauen oft auch die Gesamtorganisation und Orchestrierung der Aufgaben für die Familie und tragen damit auch den sogenannten „Mental Load“, also die mentale Belastung. Das führt zu mehr Stress im Alltag und hat auch Konsequenzen für die Karriere.

„Kindererziehungszeiten oder die Pflege von Eltern und Großeltern sollten über den Mehrverdienst des Partners finanziell ausgeglichen werden, wenn man selbst beruflich zurückstecken musste. In welcher Form dieser Ausgleich stattfindet, sollte in jeder Partnerschaft besprochen werden. Am besten schon bei der gemeinsamen Entscheidung für ein Kind”, meint Chucher und fügt hinzu, dass dies die Basis einer finanziellen Beziehung auf Augenhöhe sei.

„Child Penalty“ – Die unsichtbare Strafe für das erste Kind
 
„In Deutschland verdienen Mütter zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes im Schnitt 61 Prozent weniger als im letzten Jahr vor der Geburt. Bei Vätern gibt es diesen Effekt nicht“, sagt der Ökonomie-Professor Josef Zweimüller von der Universität Zürich. In seiner Studie bezeichnet er diesen Effekt als „Child-Penalty“, also die unsichtbare Gehaltsstrafe, die Frauen für das erste Kind hinnehmen müssen. Vor dem ersten Kind entwickelt sich laut der Studie das Gehalt von Männern und Frauen ähnlich. Durch die Geburt und die daraus resultierende Teilzeit-Arbeit oder komplette Pause im Berufsleben entsteht eine große Gehaltslücke.

Chucher findet, dass diese Ungleichheit auch auf politischer Ebene angeschoben werden muss. Das bestätigt auch die Studienlage. In Ländern wie Schweden, wo die Regierung finanzielle Anreize für Väter geschaffen hat, die Betreuung eines Kleinkindes zu übernehmen, sind die Gehaltseinbußen für Frauen wesentlich geringer. Für die Gehaltsentwicklung von Männern hat eine kurze Babypause dagegen keinerlei Konsequenzen.
 
Frauen sollten jedoch nicht untätig bleiben, bis sich diese Situation ändert, sondern ihre persönlichen Finanzen selbst in die Hand nehmen und mehr finanzielle Entscheidungen zu ihrem Vorteil treffen. „Ich nehme ein vermehrtes Interesse an Themen zum Vermögensaufbau wahr. Themen wie die Absicherung der Familie und der eigenen Arbeitskraft nehmen zu. Auch direkte Anlagen in ETFs und in entsprechende Fonds werden vermehrt von Frauen nachgefragt.”

„In Deutschland verdienen Mütter zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes im Schnitt 61 Prozent weniger als im letzten Jahr vor der Geburt. Bei Vätern gibt es diesen Effekt nicht“, sagt der Ökonomie-Professor Josef Zweimüller von der Universität Zürich. Bild: Alexander Dummer

Invest but make it sustainable

Frauen investieren vor allem auf Basis ihrer Werte und Überzeugung, weshalb viele Investorinnen auch bei ihrer Geldanlage nachhaltig etwas Gutes tun wollen. Das liegt auch daran, dass der soziale Arbeitssektor noch immer stark von Frauen besetzt ist und sie aufgrund der „Care-Arbeit“ einen tiefen Einblick in Werte wie Fürsorge und fehlende Gleichberechtigung haben. „Ich kenne sehr viele Frauen, die nachhaltigen Anlagen und Sparmöglichkeiten gegenüber sehr aufgeschlossen sind”, bestätigt Chucher. „Nicht ohne Grund gibt es bereits speziell auf Frauen maßgeschneiderte Fonds, die vermehrt auf soziale Themen setzen. Hier wird sehr genau hingeschaut, was die Vielfalt auf Führungsebene, die Gleichstellung der Mitarbeitenden und den grundsätzlichen Umgang mit Werten im Unternehmen angeht.”
 
Schade eigentlich, dass sich diese Beobachtungen vor allem beim weiblichen Investment abzeichnen. Aber immerhin tut sich hier etwas und die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen geht mit großen Schritten voran. Der Mythos, sie seien die schlechteren Anlegerinnen, wurde übrigens 2021 durch eine Studie widerlegt – sie gelten demnach als sorgfältiger und disziplinierter als Männer. Vielleicht schauen die sich also in Zukunft von den Frauen ab, wie Geldanlage funktionieren kann, ohne dabei soziale Themen aus dem Fokus zu verlieren. Denn die Forderungen nach Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit werden sich nicht mehr verdrängen lassen.

Weiterlesen Liebe im Jahr 2130 – Ohne finanzielle Zwänge liebt es sich besser
Seite 1 | 2 | 3 | 4 | 5
Header-Bild
Headerbild: Alicia Minkwitz
Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Liebe im Jahr 2130 – Ohne finanzielle Zwänge liebt es sich besser

Kompendium: Uncoupling Love from Finance

Liebe im Jahr 2130 – Ohne finanzielle Zwänge liebt es sich besser

Bild: Andra C Taylor

Eine Welt ohne binäres Geschlechtersystem und mehr GeschlechtervielfaltMenschen unabhängig von sexueller Neigung und Geschlecht werden von ihren Herkunftsfamilien in der Care-Arbeit und Wohnsituation unterstützt, die wiederum vom Staat finanziert wird. So entstehen wertvolle Fürsorge-Systeme, welche die Partner:innen entlasten und Raum für mentale und finanzielle Unabhängigkeit und für mehr Liebe geben.

Die kurze Geschichte einer Liebe im Jahr 2130.

Erstes Date – Miu und Ehük lernen sich in Rom kennen. Das erste Date läuft wie in einem Film ihrer Großeltern. Fahrt auf dem E-Roller durch die Altstadt. Spanische Treppe beim Sonnenuntergang. Pizza in einem kleinen Lokal in Trastevere. Ein kleines Detail ist jedoch anders als bei einem Date ihrer Großeltern. Egal, ob es die Miete vom E-Roller oder die Pizza ist – die Bezahlung wird durch die Pay-Bots ausgeführt, die Teil der Chip-Software sind, die die meisten Menschen an sich tragen. Diese regeln alle privaten Zahlungen. Bei gemeinsamen Kosten teilen die Pay-Bots die Rechnungen automatisch auf. Miu und Ehük lassen die Paybots entscheiden, ob sie alle Rechnungen 50/50 aufteilen oder 60/40 oder auch ob ein Paybot mal komplett die Rechnung übernimmt. Die Bots kommunizieren über die Finanzen der beiden und finden die Lösung, die für diese Paarkonstellation am sozial gerechtesten wäre. Miu und Ehük küssen sich auf dem Weg nach Hause. Die Paybots finden auch, dass die beiden gut zusammenpassen. Ein paar Monate später sind sie ein Paar.

Erste Wohnung – Miu lebt bei ihrer biologischen Herkunftsfamilie, wohingegen Ehük bei einer selbst gewählten Wahlfamilie lebt. Beide Familienformen werden als gleichwertig angesehen. Nachdem Miu und Ehük sich nun über zwei Jahre treffen, gibt es nun in Anwesenheit aller Familienmitglieder eine feierliche Passwort-Übergabe. Sie übergeben sich gegenseitig die Code-Zugänge für die Wohnräume des anderen und heißen den anderen Menschen offiziell willkommen in der eigenen Familie. Miu und Ehük können nun die Wohnräume des anderen, die sie sich mit der Familie teilen, unbegrenzt und jederzeit betreten. Separate Wohnräume für junge Paare wurden schon vor über 40 Jahren abgeschafft. Als Vorbild hierfür dienen zahlreiche indigene Völker wie die Mosuo des Alten Chinas, wo sowohl Mann als auch Frau in der Herkunftsfamilie wohnen blieben und alles Finanzielle getrennt gehalten wurde. Durch die gegenseitigen Besuche haben Studien herausgefunden, dass Leidenschaft und Zuneigung in den meisten Partnerschaften viel länger und intensiver erhalten bleiben. Außerdem entsteht weniger Frust über unerledigte Haushaltsarbeit. Denn jede Familie teilt sich die eigenen Aufgaben paritätisch auf und wird da auch von Algorithmen unterstützt.

Separate Wohnräume für junge Paare wurden schon vor über 40 Jahren abgeschafft. Als Vorbild hierfür dienen zahlreiche indigene Völker wie die Mosuo des Alten Chinas, wo sowohl Mann als auch Frau in der Herkunftsfamilie wohnen blieben und alles Finanzielle getrennt gehalten wurde. Bild: Mosuo Bridesmaid, Rod Waddington, (CC BY-SA 2.0).

Erstes Kind – Am 2.3.2133 kommt Pinwe zur Welt. Das erste gemeinsame Kind von Miu und Ehük. Pinwe wird in beiden Familien leben, bis Pinwe volljährig wird. Dann kann Pinwe entscheiden, welche Familie seine Wohnfamilie wird. Alle Familienmitglieder beider Familien sind für die Bildung, Erziehung und finanzielle Absicherung von Pinwe mitverantwortlich. Die Paybots beider Familien regeln Pinwes Finanzen und berechnen sein Taschengeld. Die Last liegt nicht allein bei den Eltern. Jahrzehntelang stagnierte das Kinderkriegen beinahe, weil vor allem Menschen mit Gebärmutter für die Sorgearbeit zuständig waren und dadurch oft in Altersarmut und Fremdbestimmung rutschten. Nun bleibt diese Arbeit Teil der Herkunftsfamilie und wird von allen Familienmitgliedern im Kollektiv übernommen. Zum einen entlastet diese Lebensweise die Partner:innen, weil sie sich langfristig auf die romantische Seite der Beziehung fokussieren können und an der Idee wachsen, gleichberechtigt zu lieben. Zum anderen stärkt die Care-Arbeit innerhalb der jeweiligen Familien nicht nur jedes Individuum, sondern fördert auch die Beziehungen untereinander: Wer so aufwächst und lernt, im Kollektiv essenzielle Fragen sozial und gerecht zu beantworten, tut sich später im Job und der Beziehung leichter. Damit dieses Modell überhaupt möglich ist, zahlt der Staat die Betreuungsarbeit von Kindern, Senior:innen und Pflegebedürftigen komplett finanziert durch Steuern auf große Vermögen. Das hat zur Folge, dass beide Elternteile, sofern sie möchten, einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen können oder diese zurückstufen und sich an der Betreuung beteiligen – aktuellen Umfragen zufolge steigen die Leistungsvielfalt und Produktivität auf der Arbeit sowie zu Hause aufgrund der Wahlmöglichkeit.

Alle Familienmitglieder beider Familien sind für die Bildung, Erziehung und finanzielle Absicherung der Kinder mitverantwortlich. Die Paybots beider Familien regeln die Finanzen der Kinder und berechnen das Taschengeld. Bild: Charlein Gracia.

Erste Trennung – Miu und Ehük haben sich füreinander entschieden. Aber keine Entscheidung ist unwiderruflich. Seit ein paar Monaten trifft sich Miu auch mit Ilam und Miu merkt, dass sie zwar liebevolle Gefühle für Ehük hat, aber nicht mehr verliebt ist. Bei einer Liebes-Mediaton entscheiden sie sich, ihre gegenseitigen Verpflichtungen zu lockern. Damit ist primär die gemeinsame Zeit, die sie verbringen, gemeint. Denn sie haben weder gemeinsame Güter noch einen gemeinsamen Wohnraum, den sie aufteilen müssen. Andere Verpflichtungen, die für Komplikationen sorgen, wie bei ihren Urgroßeltern, gibt es nicht. Die Entscheidung, weniger Zeit miteinander zu verbringen, ist erst einmal gesetzt, aber auch diese kann sich wieder ändern. Beide haben die Chance, ihre Gefühle immer wieder neu zu bewerten. Eine Trennung oder Scheidung wie bei den Urgroßeltern braucht es nicht. In einer Gesellschaft, in der alle Menschen zusammengehören, gibt es keine Notwendigkeit, Trennstriche zu ziehen. Gemeinsame Zeit, Intimität und Verbindung beruhen auf Freiwilligkeit. Die finanzielle Stabilität wird von den Familien ermöglicht. Auch wenn es innerhalb von Gemeinschaften immer wieder zu Kontroll- und Machtmissbrauch kommen wird, entpuppt sich dieses Modell als weitgehend harmonisch und strapazierfähig. Es stabilisiert die Finanzen der Herkunftsfamilie und gibt bei einer möglichen Trennung der Partner:innen die Chance, sie sauber und respektvoll zu vollziehen, – auch, um den Kindern ein Vorbild sein zu können.

Eine Zukunftsutopie auf Basis von queerer Ökologie und indigener Weisheit

Starre Geschlechterrollen haben in der Vergangenheit all diejenigen unterdrückt, die sich nicht in einem heteronormativen Konzept wiederfinden konnten. Für die obige Zukunftsbetrachtung haben wir Ideen aus dem Konzept der queeren Ökologie weitergedacht. Dieses Konzept hinterfragt die starre Dualität von Geschlechtern und fordert mehr Vielfalt mit Blick auf die Biosphäre. In der Wildnis herrschen Vielfältigkeit, Diversität und ein Überfluss an Anomalien. Auch menschliche Lebenskonzepte profitieren von der Möglichkeit, neue Lebensweisen zu testen und in den Beziehungsmodellen flexibel zu bleiben.

In einer Gesellschaft, in der alle Menschen zusammengehören, gibt es keine Notwendigkeit, Trennstriche zu ziehen. Bild: The HK Photo Company.

In queeren Communitys des vorangegangenen Jahrhunderts ist die sogenannte Wahlfamilie – chosen family – als wichtige Säule entstanden. Grund hierfür war, dass viele, die sich nicht ins heteronormative Konzept fügen wollten, Gleichgesinnte gesucht haben. In dem Zukunftsszenario könnte es zum Beispiel Online-Plattformen für diejenigen geben, die heute ohne Herkunftsfamilie leben möchten oder diese anderweitig verloren haben. Die Plattform vernetzt Einzelpersonen und kleine Gruppen, um durch Co-Elternschaften oder andere Fürsorge-Systeme gegenseitige Entlastung zu bieten. Gemeinschaft bringt Unabhängigkeit. Wer keine finanzielle Abhängigkeit zu befürchten hat oder aufgrund des Geschlechts von Unterdrückung betroffen ist, kann sich besser auf eigene Ziele und Wünsche fokussieren und trifft klügere Investment-Entscheidungen, die zum individuellen Lebensstil passen.

Dieses Wissen um gemeinschaftliche Fürsorge-Systeme ist aber alles andere als neu. In vielen indigenen Kulturen wurden genau diese Systeme über Jahrtausende perfektioniert. Da haben sich besonders matrilineare Gesellschaften, also wo die Erbfolge von Mutter zu Tochter geht, als inklusiv und gemeinschaftlich erwiesen. Dennoch haben sich die patriarchalen Gesellschaften, die weniger fürsorglich sind, durchgesetzt. Wenn sich jedoch die Geschlechterbinarität auflöst, besteht die Chance auf ein gemeinschaftliches Füreinander, in dem Liebe und Paarbeziehung keinen ökonomischen Zwängen unterliegen. Für diese Zukunft muss aber Chancengleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen, egal welchen Geschlechts, kein Lippenbekenntnis der Politik mehr sein, sondern gesellschaftliche Realität.

Zum Anfang Wie im spätrömischen Reich eine Frau ihr Vermögen behielt – und es in einen Mann investierte
Seite 1 | 2 | 3 | 4 | 5
Header-Bild
Headerbild: Alicia Minkwitz